Bundesliga

Windhorst und Hertha: Das Ende einer toxischen Beziehung

Ein Kommentar zur Lage bei Hertha BSC

Windhorst und Hertha: Das Ende einer toxischen Beziehung

Sein Ausstieg steht bevor: Hertha-Investor Lars Windhorst.

Sein Ausstieg steht bevor: Hertha-Investor Lars Windhorst. imago images/Metodi Popow

Gepöbelt wurde und gebuht, geschrien und gepfiffen, minutenlang. Dass Lars Windhorst an jenem Sonntag Ende Mai, als sich Herthas Basis in der Messehalle 20 zur Mitgliederversammlung eingefunden hatte, ein Heimspiel hatte, lässt sich nicht behaupten. Der Mann, der 374 Millionen Euro in diesen Klub investiert und durch seinen Einstieg mutmaßlich dessen Bundesliga-Existenz gesichert hatte, blieb stehen im Gegenwind, er setzte mehrfach an zu seiner Rede und überbrachte schließlich eine Botschaft, die manche im Saal nur noch wütender machte. "‘Windhorst raus‘ - das funktioniert, leider für manche, faktisch nicht", sagte Windhorst. "Ich stelle mich nicht zur Wahl, man kann mich nicht abwählen. Meine Anteile sind bezahlt und gehören mir. Ich gehe nicht weg, das ist gar nicht möglich. Ich bin dabei, die nächsten 10, 20 Jahre." Das fassten manche als Versprechen auf und andere als Drohung.

Jetzt will er doch gehen, am besten gleich, in jedem Fall für immer. Wenn sich jemand findet, der Windhorsts Anteile an der Hertha KG erwirbt, wird ein Kapitel in der 130-jährigen Geschichte des Vereins beendet werden, das nichts anderes war als ein mit Ansage misslungenes Experiment, das unter dem Brennglas einer immer ungläubiger staunenden Öffentlichkeit Spektakel und Peinlichkeiten in kürzester Abfolge bot.

XXL-Erwartungen und verspätete Tranchen

hertha und Windhorst: die hintergründe

Beide waren sehr früh in dieser Partnerschaft, die nie eine war, enttäuscht vom anderen: Windhorst darüber, wie wenig Glamour durch den sportlich dilettierenden Klub auf ihn fiel, wie wenig er mitgenommen und einbezogen wurde und was mit seinem Geld alles - oder besser: alles nicht - geschah. Und der Klub darüber, dass der Geldgeber XXL-Erwartungen formulierte, erst Jürgen Klinsmann und später Jens Lehmann in den Aufsichtsrat der KG entsandte - und schließlich in Zeiträumen, in denen Hertha das Team der Zukunft formen wollte, vereinbarte Tranchenzahlungen nicht beziehungsweise verspätet zahlte. Im Labyrinth der Halb- und Viertelwahrheiten, der Schmutz- und Schutzbehauptungen war eines schnell ersichtlich: dass da zwei nie miteinander konnten - und zuletzt auch nicht mehr wollten.

Dass jetzt eine maximal unappetitliche Affäre zum endgültigen Bruch führt, passt ins Bild. Windhorst soll laut einem Bericht der "Financial Times" eine Wirtschafts-Detektei in Tel Aviv, zu deren Personal auch frühere Mitarbeiter des israelischen Geheimdienstes Mossad zählen, damit beauftragt haben, den vormaligen Hertha-Präsidenten Werner Gegenbauer auszuspionieren, zu diffamieren und den Boden für dessen Sturz zu bereiten. Ob das stimmt, ist offen, aber die bis wenige Stunden nach der Veröffentlichung an einem Bezirksgericht in Tel Aviv einsehbare 226 Seiten starke Akte war mit derart vielen Details und angeblichen Mail- und Chatverläufen bestückt, dass der Boden für eine weitere Zusammenarbeit zwischen Klub und Investor nachhaltig vergiftet war.

Faule Äpfel statt "low hanging fruits"

Dass es einer Kampagne - so es sie gab - gar nicht bedurft hätte, um die Ägide des am Ende seiner 14-jährigen Amtszeit auch klubintern umstrittenen und latent amtsmüden Patriarchen Gegenbauer zu beenden, ist eine von vielen Pointen dieser Allianz, die jetzt ihrem Ende entgegengeht. Hertha, 2019 nah am finanziellen Kollaps, bekam mit Windhorst einen notorischen Seiltänzer als Gesellschafter und dessen Dreiklang aus Versprechen, Verschieben und Verschleiern gleich mit. Und Windhorst, der auf "low hanging fruits" spekuliert hatte und stattdessen aus seiner Sicht einen Korb fauler Äpfel vorfand, bekam mit Hertha einen Klub, der das Geld wollte (und brauchte), aber lange Zeit keine Veränderung. Der Kaderumbau in jenen Transferphasen, in denen Hertha mit den Windhorst-Millionen großzügig hantierte, fiel unter die Kategorie "Pfusch am Bau".

Am Mittwoch wurde erst mit- und dann übereinander geredet. Windhorst, der Bernstein in einer Erklärung massiv attackierte, wählte den Weg der Vorwärtsverteidigung. Der Klub konterte kühl. Der Präsidenten-Azubi Bernstein ist nach 100 Tagen im Amt als Krisenmanager gefordert. Gesucht wird - möglichst schnell - ein neuer Investor, was ein überaus ambitioniertes Vorhaben ist. Für den Klub, der finanziell schon wieder (oder immer noch) Schlagseite hat, geht es um alles, für den Geschäftsmann Windhorst auch.

Hertha hat Windhorst in der Erklärung am Mittwoch Unterstützung bei der Käufersuche "im besten Interesse von Hertha BSC und Tennors Investoren und Gläubigern" angeboten. Es ist ein Akt der Selbsthilfe - und, vermutlich, die allerletzte Kooperation zweier Partner, die nur noch eines wollen: raus aus ihrer toxischen Beziehung.

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kicker-News vom 01.10.2023, 00:00 Uhr
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