Bundesliga

Hertha und Union: Der große Check

Stärken, Schwächen, Personal, Trainer, Umfeld

Hertha und Union: Der große Check

Die Voraussetzungen vor dem Berliner Derby zwischen der Hertha und Union könnten unterschiedlicher kaum sein.

Die Voraussetzungen vor dem Berliner Derby zwischen der Hertha und Union könnten unterschiedlicher kaum sein. imago (2)

Union gewann die jüngsten vier Pflichtspiele gegen Hertha: Sowohl am 1. Spieltag dieser Spielzeit (3:1) als auch in den beiden Bundesligaduellen der Vorsaison (2:0, 4:1) siegten die Eisernen, ebenso entschied Union das Achtelfinale des DFB-Pokals 2021/22 für sich (3:2). Immerhin: Zwei von drei Bundesliga-Heimspielen gegen Union konnte Hertha gewinnen. Aktuell indes trennen sportlich beide Klubs Welten. Union holte im Vorjahr 57 Punkte, Hertha gerade mal 26. Auch in diesem Jahr liegen die Eisernen nach zwei Spielen schon wieder deutlich vorne: Union holte die Maximalausbeute von sechs Punkten (3:1 gegen Hoffenheim, 2:1 in Bremen), Hertha hingegen (1:3 in Bochum, 0:5 gegen Wolfsburg) blieb im Startblock hängen.

Ausgangslage

Hertha: Der Klub wähnte sich ausgangs des alten Jahres trotz des Missverhältnisses aus Aufwand und Ertrag auf dem richtigen Weg - und legte zum Start ins Jahr 2023 eine Bruchlandung hin, die auch intern grundsätzliche Fragen aufwirft. Der 1:8-Tore-Fehlstart hat Hertha nicht nur auf Platz 17 geführt, sondern auch die Stimmungslage im Verein erheblich eingetrübt. 14 Punkte nach der Hinrunde: Das ist die schwächste Ausbeute seit der Abstiegssaison 2009/10. Selbst in der Vorsaison, die Hertha in die Relegation führte, hatten die Charlottenburger nach 17 Spielen satte sieben Punkte mehr als jetzt.

Union: Es ist kein Fehler im System. Union Berlin steht nach der ersten Saisonhälfte tatsächlich auf Rang 2 und ist somit tabellarisch gesehen Bayern-Jäger Nummer 1. Mit 33 Punkten und 29:22 Toren haben die Eisernen die erfolgreichste Bundesliga-Hinrunde der Vereinsgeschichte hingelegt, zudem mit dem 2:1 in Bremen den 50. Sieg im deutschen Oberhaus eingefahren. "Das ist außergewöhnlich. Ich freue mich und genieße das. Nur sollte man sich nicht zu lange in der Vergangenheit aufhalten. Denn bei der nächsten Aufgabe gegen Hertha müssen wir wieder bereit sein", betonte Trainer Urs Fischer.

Stärken

Hertha: Das Team von Sandro Schwarz machte im Herbst über weite Strecken einen gefestigten Eindruck und war mit seinem Umschaltspiel oft gefährlich. Dodi Lukebakio (sieben Tore) und Lucas Tousart hatten ihre stärkste Phase, seit sie in Berlin sind. Gegenüber den Vorjahren schien es fußballerisch voranzugehen und die Widerstandsfähigkeit innerhalb der Mannschaft zu wachsen. Die beiden jüngsten Auftritte haben diesen Eindruck allerdings verwischt.

Was Hertha Mut macht: Gerade die Top-Gegner konnte man in dieser Saison regelmäßig ärgern. Gegen Bayern (2:3), Dortmund (0:1) und in Leipzig (2:3) fehlte nicht viel zum Punktgewinn, gegen Freiburg (2:2) war man näher am Sieg, gegen Frankfurt (1:1) und Leverkusen (2:2) auf Augenhöhe. Kommt diese Mannschaft an ihr Limit, ist sie relativ schwer zu bespielen. In diesem Januar ist sie bislang allerdings weiter weg vom Limit als je zuvor in dieser Saison…

Union: Das Prunkstück der Mannschaft aus Berlin-Köpenick ist weiterhin das kollektive Arbeiten im Rückzugsverhalten. Mit nur 22 Gegentoren stellt das Team von Trainer Fischer nach Rekordmeister FC Bayern München (15 Gegentore) und dem VfL Wolfsburg (20) die drittbeste Defensive der Liga. Eine lange Zeit stand Union in dieser Kategorie sogar auf dem Thron.

Eine weitere Stärke ist die Effizienz vor dem gegnerischen Tor. Die Eisernen benötigen in der Regel nicht viele Chancen, um einen Treffer zu erzielen. Zudem lebt die Mannschaft von ihren eingespielten Abläufen. Die Abstände sind vom Trainerteam klar vorgegeben und werden von den Spielern konsequent eingehalten. So hat es nahezu jeder Kontrahent schwer, den Union-Code zu knacken und eine Lücke in der stabilen und kompakten Defensive zu finden.

Schwächen

Hertha: Die Mängelliste war in Bochum und vor allem gegen Wolfsburg erschreckend lang. Konzentrationsaussetzer, schwache Zweikampfführung, gruppentaktische Versäumnisse, eine eklatante Anfälligkeit bei gegnerischen Standards, schlechtes Positionsspiel, mangelnde Präzision in Ballbesitz, kaum Durchschlagskraft, zu wenig Temperament und ein offenbar bei einigen schon in diesem frühen Saisonstadium ziemlich zerzaustes Nervenkostüm: Hertha war gegen Wolfsburg nicht bundesligatauglich. Immerhin: In der Mehrzahl der Spiele dieser Saison war das Team deutlich aggressiver, aktiver, kompakter und selbstbewusster. Schwarz‘ Forderung an seine Profis: "Wir müssen unser Spiel wiederfinden und intensiver Fußball spielen, das ist der Auftrag am Samstag."

Union: Wenn im Übergang von Zone zwei zum letzten Drittel beim Gegner mal zügiger kombiniert wird, kommen die eher antrittsschwächeren Verteidiger Union Berlins nur selten hinterher. Wenn die Tiefe clever bedient wird, haben die Eisernen oftmals das Nachsehen. Zudem erscheint das Aufbauspiel - trotz einiger Verbesserungen in der Winterpause - phasenweise noch ein wenig behäbig und planlos. Hier fehlen im Kader der Köpenicker noch die passenden Kreativspieler, die das Spiel an sich reißen und mit ausgefallenen Ideen für Überraschungsmomente sorgen.

Personal

Hertha: Für Stamm-Rechtsverteidiger Jonjoe Kenny (leichte Gehirnerschütterung) dürfte Routinier Peter Pekarik auflaufen. Filip Uremovic ersetzt in der Innenverteidigung Agustin Rogel (Gelb-Sperre und Knieverletzung). Problem: Beide hatten zuletzt kaum Spielpraxis. Pekarik kommt in dieser Saison in der Liga auf zwei Kurzeinsätze mit insgesamt zwölf Einsatzminuten. Uremovic kam vor seiner Einwechslung gegen Wolfsburg zuletzt Anfang Oktober gegen Hoffenheim zum Zug. Neben Kenny und Rogel fehlen im Derby auch Chidera Ejuke (Bänderverletzung im Knie), Stevan Jovetic (muskuläre Probleme) und Kelian Nsona (Aufbautraining nach Knie-OP).

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Hoffnungsträger ist Stürmer Florian Niederlechner: Der Neuzugang steht nach überstandener Oberschenkelverhärtung vorm Debüt für seinen neuen Klub. "Er ist einer, der immer Vollgas gibt", sagt Sport-Geschäftsführer Fredi Bobic. "Genau solche Typen brauchen wir." Niederlechners persönliche Bilanz gegen Union passt: fünf Tore, zwei davon im November beim 2:2 seines damaligen Klubs FC Augsburg an der Alten Försterei. Möglich, dass Coach Schwarz vom zuletzt bevorzugten 4-2-3-1 beziehungsweise 4-3-3 gegen Union vom Start weg in ein 4-4-2 switcht.

Union: Für Morten Thorsby, der nach einer Magen-OP noch Trainingsrückstand aufweist, dürfte das Derby noch zu früh kommen. Ansonsten dürften alle Spieler parat stehen. Aufgrund der vielen englischen Wochen wird Trainer Fischer wohl wieder ein wenig rotieren. So könnte es sein, dass Kapitän Christopher Trimmel im Vergleich zum 2:1 in Bremen am Samstag wieder von Beginn an auflaufen wird. Dafür könnte Josip Juranovic auf die linke Seite wechseln. Zudem ist es denkbar, dass Andras Schäfer für Genki Haraguchi beginnt.

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KMD #210 (mit Jan-Niklas Beste)
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Trainer

Hertha: Sandro Schwarz holt viele Komplimente, aber bislang zu wenig Punkte. Von den 18 Pflichtspielen unter seiner Regie gewann Hertha nur drei. In Mainz musste er im November 2019 nach einer 2:3-Heimniederlage gegen Union gehen. Hertha will mit ihm auf der Trainerposition raus aus dem Hire-and-fire-Modus. Schwarz (Vertrag bis 2024) punktet bei Hertha seit seinem Amtsantritt im Sommer inhaltlich und mit seiner uneitlen, geradlinigen Art.

Angesichts der offensichtlichen Defizite des Kaders, dem seit Jahren auch aufgrund der Sparzwänge immer mehr Substanz abhanden kam, ist er ein Mängelverwalter. Beklagen wird er sich darüber nie. Bobic, der im Vorjahr Pal Dardai und Tayfun Korkut verschliss und erst mit Felix Magath das rettende Ufer erreichte, ist weiterhin ein großer Befürworter von Schwarz. Nach der 0:5-Pleite gegen Wolfsburg sagte Bobic über den Trainer: "Er steht für mich nicht einmal ansatzweise zur Diskussion. Wir ziehen voll durch."

Union: Urs Fischer hat sich in seinem Wesen nicht groß verändert - mit seiner bedachten und sachlichen Art strahlt er eine enorme Ruhe aus und überträgt diese auf seine Mannschaft. Wenn es mal nicht läuft, kann er aber auch aus seiner Haut fahren und lauter werden. Aber nur, wenn es wirklich nötig ist. Der 56-Jährige kann aber auch noch überraschen: Denn er hat Neuzugang Juranovic wenige Tage nach seiner Verpflichtung in Bremen direkt in die Startelf befördert. Der Schweizer ist eigentlich dafür bekannt, dass er den neuen Akteuren erst einmal ein wenig Eingewöhnungszeit gibt, bevor er sie in die Verantwortung zieht.

Umfeld

Hertha: Der Deutscher Meister der Jahre 1930 und 31 hat sich nach Jahren des Größenwahns, die den Klub sportlich und finanziell nah an den Abgrund führten, die dringend nötige Rückkehr in die Realität verordnet. Präsident Kay Bernstein, seit Ende Juni im Amt, hat mit seiner Nahbarkeit den Klub auch im Inneren atmosphärisch beruhigt. Herthas Liaison mit dem 2019 eingestiegenen Investor Lars Windhorst und dessen Tennor-Holding steht vor der Auflösung, mit dem US-Private-Equity-Unternehmen 777 Partners steht der designierte neue Investor in den Startlöchern.

Die 374 Windhorst-Millionen hat der seit Jahren hochdefizitär arbeitende Klub ohne jeden sportlichen Effekt verpulvert und sich völlig verhoben. Der Einstieg von 777 Partners soll nach kicker-Informationen im Februar besiegelt werden. Neues Geld - in dreistelliger Millionenhöhe, portioniert auf mindestens drei Jahre - soll im Rahmen einer Kapitalerhöhung fließen. Die US-Amerikaner, die bereits Beteiligungen an Klubs in Italien (CFC Genua), Spanien (FC Sevilla), Frankreich (Red Star Paris), Belgien (Standard Lüttich), Brasilien (Vasco da Gama) und Australien (Melbourne Victory) halten, wollen Hertha mit Geld, ihrer Expertise und ihrem weltweiten Netzwerk voranbringen.

Union: Dirk Zingler ist seit 2004 Präsident des Vereins. Unter der Führung von Geschäftsführer Profifußball Oliver Ruhnert und Trainer Urs Fischer geht es seit Juli 2018 für Union stetig bergauf. Der Aufstieg in die Bundesliga, sukzessive eine bessere Platzierung in der Beletage des deutschen Fußballs. Und nun steht Union Berlin nach 17 Spieltagen auf dem zweiten Platz. Trotzdem bleibt der Klub gewohnt bescheiden. Die 40-Punkte-Marke steht weiterhin an erster Stelle. Dafür fehlen nur noch sieben Zähler…

Steffen Rohr, Jannis Klimburg

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