Nationalelf

Rückkehr von Kroos und Rechtsverteidiger Kimmich? Nagelsmann deutet einiges an

Bundestrainer freut sich über Neuer - Havertz-Experiment beendet

Rückkehr von Kroos und Rechtsverteidiger Kimmich? Nagelsmann deutet einiges an

Bundestrainer Julian Nagelsmann muss ein zuletzt wieder stark kritisiertes DFB-Team zum Erfolg führen.

Bundestrainer Julian Nagelsmann muss ein zuletzt wieder stark kritisiertes DFB-Team zum Erfolg führen. IMAGO/Laci Perenyi

Mit der Entlassung von Hansi Flick nach Monaten voller sportlicher DFB-Niederschläge, dem einmaligen Aushelfen von Interimsbundestrainer Rudi Völler beim umjubelten 2:1 gegen Frankreich und der Installation von Julian Nagelsmann Ende September sollte die dringend erforderliche EM-Ausrichtung stattfinden.

Doch nach dem ordentlichen Start während der Reise nach Amerika im Oktober (3:1 gegen die USA, 2:2 gegen Mexiko) war jäh der Rückfall in "alte" Zeiten gefolgt. Das 2:3 in Berlin gegen die türkische Nationalmannschaft und die teils desaströse Leistung beim 0:2 in Österreich samt Roter Karte gegen Leroy Sané ließen die Wunde wieder aufklaffen - und die DFB-Beteiligten erneut niedergeschlagen vor die Mikrofone der Nation schleichen.

"Jeder bewertet jeden an jedem Tag"

So wie Nagelsmann eben an diesem späten Samstag vor das ZDF-Mikrofon im "Aktuellen Sportstudio" schritt, sich den Fragen von Moderator Jochen Breyer stellte und allgemein über sich, seine Einstellung, seine Wünsche und Vorstellungen sprach.

Im Genauen sprach Nagelsmann dabei über ...

zum Thema

... den Tag, als er vom DFB kontaktiert wurde: "Der Anruf von Rudi Völler, dass er sich mich als Bundestrainer vorstellen kann, war schon etwas Besonderes. Ich wusste im Vorfeld schon Bescheid, dass es einen Anruf geben würde - deswegen hab ich mich hingesetzt, damit ich nicht umkippe. Ich hab mich darauf auch vorbereitet, dass ich weiß, was ich sagen will."

... seine Beobachtungen der seit Jahren in der Krise steckenden DFB-Elf noch vor seiner Zeit als Bundestrainer: "Ich habe als Fan die Spiele verfolgt, die Turniere gesehen. Und da war ich auch traurig, dass die Ergebnisse nicht so waren, wie man sich das wünscht. Gerade da man auch einige Spieler kennt und weiß, was das mit ihnen macht und dass sie die Spiele natürlich auch nicht mit Absicht verloren haben. Das sind alles Menschen, man erwartet, dass alles funktioniert - aber das kann nicht immer funktionieren."

... den Druck, der auf ihm und der Mannschaft nur wenige Monate vor der Europameisterschaft im eigenen Land (14. Juni bis 14. Juli 2024) lastet: "Ich wusste, dass es schwierig werden wird, dass es eine große Aufgabe werden wird - und dass es eine sehr reizvolle Aufgabe ist und wir es schaffen können. Dass wir es alle gemeinsam meistern können, die Mannschaft, das Trainerteam. Es ist ein unglaubliches Privileg, eine Heim-EM absolvieren zu dürfen. Das werde ich in Zukunft nicht mehr erleben als Trainer - und viele andere Trainer überhaupt nicht. Es gibt natürlich auch Druck, das ist ganz normal im Fußball. Jeder bewertet jeden jeden Tag. Doch wenn wir das erste EM-Spiel in München absolvieren, dann sollten wir in erster Linie erst einmal Freude spüren, dieses Privileg zu haben."

Wenn dich positive Dinge extrem triggern, dann verletzten dich die negativen mehr. Deswegen versuche ich wirklich, sehr, sehr wenig zu lesen.

Julian Nagelsmann

... die teils massive Kritik, deren Einordnung und der Umgang mit den Kritiken: "Zu Beginn ist erst einmal wichtig, dass man ein gewisses Verständnis für die Bereiche entwickelt, wo die Kritik herkommt. Für die Journalisten, die in erster Linie ihren Job machen und je nach Medium Klicks generieren müssen. Ein Verständnis natürlich auch für die Fans zu haben, die die Nationalmannschaft sehen wollen und gesehen haben in den letzten beiden Spielen und den Monaten davor. Wenn man das hat, dann kann man mit gewissen Kritikpunkten umgehen. Natürlich ist es schon so, das hab ich gelernt beim FC Bayern: nichts lesen. Denn wenn du das machst, dann macht es dich schon so ein bisschen kirre. Ich hab's auch lange Zeit erzählt, obwohl ich es (das Nachlesen von Berichten; Anm. d. Red.) trotzdem gemacht hab - aber jetzt mach ich es wirklich nicht mehr. Auch nicht im positiven Fall. Ich hab auch nach dem USA-Spiel und dem ordentlichen Länderspiel gegen Mexiko nix gelesen. Weil wenn dich diese positiven Dinge extrem triggern, dann verletzten dich die negativen mehr. Deswegen versuche ich wirklich, sehr, sehr wenig zu lesen. Natürlich kriegst du trotzdem mal eine Nachricht - oft von meiner Schwester, die sich Sorgen macht und fragt: 'Hast du das gelesen?' Das gehört aber auch ein Stück weit dazu zu diesem Beruf, damit dann umzugehen."

Goretzka, Kimmich, Neuer & Co.

Joshua Kimmich (li.) und Julian Nagelsmann

Bald wieder DFB-Rechtsverteidiger? Bayern-Spieler Joshua Kimmich (li.) mit Julian Nagelsmann. IMAGO/Laci Perenyi

… das Einbinden von potenziellen neuen Nationalspielern: "Wir haben ja schon versucht, Spieler einzuladen, die ein bisschen ein anderes Profil haben und mit denen vielleicht der ein oder andere nicht gerechnet hat. Um einfach auch die Wirkung zu erkennen. Ich sag mal ein Beispiel: Wie wirkt ein Robert Andrich auf die Gruppe? Nicht nur der Name jetzt, sondern der Spielertyp. Ich will mich weniger über die Namen unterhalten, sondern mehr über die Typen, die wir brauchen. Auch ein Grischa Prömel als Beispiel. Einfach genau diese Spielertypen, wo wir als Trainer die Idee haben."

... eine Nominierung von Stuttgarts Deniz Undav: "Das hängt von seiner Leistung, die ich aktuell sehr, sehr gut finde, ab."

… das jüngste Experiment, Kai Havertz hinten links auflaufen zu lassen: "Das ist vorbei. Aber nicht, weil es gescheitert ist - er hat zwei sehr, sehr gute Spiele auf dieser Position gemacht. Das sage ich nicht, weil ich mich verteidigen will, sondern weil mich Kai schon auf mehreren Positionen überzeugt hat."

Umfrage: Wie weit kommt die deutsche Mannschaft bei der EM 2024?

... die Option, Joshua Kimmich auf die Rechtsverteidigerposition zu stellen: "Das habe ich nie ausgeschlossen. Durch eine kleine Anpassung, das ist jetzt auch keine 180-Grad-Anpassung, ist auch Josh ein Kandidat auf dieser Position. Josh ist ein Spieler, der sich immer in den Dienst der Mannschaft stellt. Jeder Spieler, das ist ganz normal, hat die Präferenz, eine Position spielen zu wollen. Aber er ist ein Spieler, der auch Einfluss auf den Erfolg nehmen kann, wenn er nicht auf der Sechs spielt."

… Ilkay Gündogan: "Ein Kapitän ist leistungsmäßig immer gefordert. Ich sehe Ilkay in der neuen Struktur eher etwas weiter vorne, ähnlich wie in Barcelona, wo er auf der Acht spielt. Da hat er einfach ein bisschen mehr Freiheiten. Er ist ein Spieler mit Torgefahr und einem guten Gespür. Und wenn er auf der Sechs spielt, dann hat er einfach weitere Wege.

… die Torwartsituation: "Beides sind außergewöhnliche Typen. Marc ist gerade leider verletzt, wird für einige Zeit ausfallen. Manu hab ich schon gesagt: Er macht es außergewöhnlich gut. Das Comeback war ein sehr, sehr emotionaler Moment, weil es eine sehr schwere Verletzung war. Ich bin viel im Austausch mit ihm und finde seine Leistungen herausragend gut. Wir sind alle sehr, sehr glücklich, dass wir auf dieser Position eine solche Auswahl haben."

... die Frage, ob Neuer bei den nächsten DFB-Spielen sein Comeback gibt: "Wenn alles so weitergeht, wie es jetzt den Anschein hat Richtung März, dann läuft es darauf hinaus, ja. Marc ist wie gesagt gerade verletzt, da werden wir sehen, wie er aus der Verletzung kommt. Am Ende weiß Manu, weiß Marc: Es geht darum, gemeinschaftlich erfolgreich zu sein. Und die Aufgabe eines Trainers ist, zu entscheiden, wer auf einer Position der aktuell beste Spieler ist. Und wenn im März einer von den beiden klar besser ist als der andere, dann hab ich die Freude und das Leid, eine Entscheidung zu treffen."

Es gibt im Fußball einfach diese David-gegen-Goliath-Geschichten. Und oft setzt sich Mentalität über Qualität durch - und da gilt es, auf dem Platz die richtige Mischung zu finden.

Julian Nagelsmann

... die Herangehensweise an die kommenden Aufgaben etwa mit den anberaumten Testspielen gegen Frankreich und die Niederlande: "Eine ganz wichtige Überlegung ist: Was ist der größere Nachteil zwischen Vereins- und Bundestrainer? Man hat wenig Zeit. Es gibt aber auch einen Vorteil, den du hast - den muss man herausarbeiten. Der ist einfach, dass man sich den Kader immer wieder neu zusammenstellen kann. Natürlich nicht, was 20 Spieler betrifft. Aber in Bezug auf eine gewisse Struktur, die man sich erwünscht in Sachen Offensive und Defensive. Da kann man den größten Einfluss nehmen als Trainerteam, eine Mischung im Team zu finden, die zusammenpasst. Wir hatten bei den letzten Spielen einfach einen Tick zu viel offensiv denkende Spieler und zu wenig defensiv denkende."

... seine Gedanken: "Natürlich werden wir auch was das Taktische angeht noch einfacher werden, noch mehr runterbrechen und uns über diese Kaderstruktur mehr Gedanken machen. Wer sind die passenden Spieler? Welche Spieler geben uns auf der Doppelsechs, aber auch in der Viererkette die nötige Stabilität, um den Fußballern auf den offensiven drei Positionen die Freiheiten geben. Die sind natürlich nicht befreit von defensiven Aufgaben, sollen aber wissen, dass hinter ihnen zum Beispiel auch ein guter Sechserblock steht, der defensiv denkt und auch gewillt ist, defensiv alles zu tun. Das ist ein großer Einflussbereich, den man hat - nämlich den Kader zusammenzustellen."

Deutschlands EM-Gruppe A

... seinen Satz nach dem Österreich-Spiel, dass das DFB-Team nach vielen, vielen Gegentoren in den letzten Jahren bis Sommer keine Verteidigungsmonster mehr wird: "Ich bereue den Satz nicht. Da fehlt der Halbsatz 'Wenn wir an der Kaderstruktur nicht mehr arbeiten würden', den ich da noch nicht gesagt hab. Da kann sich jeder vorstellen: Wenn du so kurz nach dem Spiel bist, hast du jetzt nicht die Gedanken, wie vielleicht der nächste Kader aussehen könnte. Und natürlich haben wir gute Lehren aus dem Spiel gezogen. Wir müssen ein bisschen was an der Kaderstruktur ändern, damit wir mehr Verteidigungsmonster werden."

... etwaige fehlende (Verteidigungs-)Qualität innerhalb der deutschen Nationalmannschaft nach seiner Kritik mit den fehlenden "Monstern": "Ich habe das gar nicht auf einzelne Spieler bezogen. Die interessante Frage ist immer: Wie sieht die erste Elf aus? Wie viele Spieler sind da drin, die es lieben, offensiv zu denken. Es gibt einfach Spieler, die ihr größeres Talent in der Offensive haben. Wie viele Positionen besetzt du mit Spielern, die eher defensiv denken? Die Verteilung ist dementsprechend nicht hundertprozentig passend für den Status, wo wir gerade sind. Demnach werden wir da Anpassung vornehmen, was die erste Elf angeht."

Julian Nagelsmann (li.) und Sandro Wagner

Machen sich ihre Gedanken: Bundestrainer Julian Nagelsmann (li.) und Assistent Sandro Wagner. IMAGO/MIS

… die zuletzt oft wieder aufgebrachten Thesen von den "vermissten deutschen Tugenden": "Der Mannschaft fehlt nicht so viel, ich sehe die Mannschaft ja auch im Training. Es gab keine Einheit, wo ich den Eindruck hatte, die Spieler wollen die Vorgaben nicht umsetzen. Wir müssen einfach sehen: Wir haben viele Spieler, die bei Top-Mannschaften spielen, die viel Dominanz ausstrahlen. Und dann kommen sie zum DFB. Da ist der Status einfach ein bisschen ein anderer. Wir müssen uns da einfach mit anderen Tugenden in Spiele kämpfen und nicht nur über das Selbstverständnis, was wir als deutsche Nationalmannschaft natürlich haben und wieder erlangen dürfen. Aber es geht einfach darum, Spieler mit dem richtigen Statusdenken. Es gibt im Fußball einfach diese David-gegen-Goliath-Geschichten. Und oft setzt sich Mentalität über Qualität durch - und da gilt es, auf dem Platz die richtige Mischung zu finden. Wenn das alles gelingt, dann wird auch eine tolle EM möglich sein."

Seine Zukunft - und die Rückkehr von Kroos?

... den ausgemachten Vertrag als Bundestrainer, der vorerst nur bis zur EM im eigenen Land gilt: "Die Entscheidung, die wir getroffen haben zusammen, ist eine gute Entscheidung gewesen. Einfach den Fokus auf diese eine Aufgabe zu blicken. Danach kann man dann bewerten, was gut war - das kann man an einer Platzierung bei der EM festmachen oder an der Art und Weise, wie man vielleicht die Fans begeistert hat. Doch zuerst wollen wir alles auf Null setzen und nur auf das Turnier blicken."

Zum Thema: Rüdiger will Kroos bei der Heim-EM sehen - "Ich frage ihn jeden Tag"

... eine etwaige Rückkehr von Weltmeister Toni Kroos in den DFB-Kader für die Europameisterschaft: "Das ist ein interessanter Gedanke. Ich habe schon weit vor meiner Zeit beim FC Bayern Kontakt mit Toni gehabt und mich mit ihm ausgetauscht. Er macht es in Madrid herausragend gut, ist dort einer der Könige. Er sagt selbstlos seine Meinung zu vielen Themen. Ich finde den Austausch mit ihm immer sehr interessant. Und er ist einer dieser Spieler, da gibt es nicht viele - vielleicht 20 -, mit denen du Themen sehr vertrauensvoll besprechen kannst. Das macht er sehr, sehr gut."

Konkret mit Kroos über eine Rückkehr gesprochen habe Nagelsmann aber nicht. "Wir haben generell über die Nationalmannschaft gesprochen, über seine Eindrücke, die er erlebt hat. Er ist ja ein Spieler, der viele Länderspiele gemacht und allgemein viel erlebt hat. Und ich glaube: Jeder deutsche Nationalspieler sieht ja einen gewissen Reiz darin, eine Heim-EM zu spielen. Ich spreche auf jeden Fall viel mit ihm über Fußball - und ich hab ihm auch gesagt: Auch er ist meines Wissens mit dem deutschen Pass ausgestattet und herzlich eingeladen, die beste Leistung zu zeigen. Und wenn er die beste Leistung zeigt, dann kann es sein, dass ich ihn nochmal anrufe."

mag