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Bundesliga, Relegation: Hertha und der HSV im Check

Vor dem Relegations-Hinspiel am Donnerstag

Hertha und der HSV im Check

Hertha BSC oder der Hamburger SV: Wer darf in der Relegation jubeln?

Hertha BSC oder der Hamburger SV: Wer darf in der Relegation jubeln? imago images

Die letzten Duelle liegen eine Weile zurück. In der Saison 2017/18 gewann Hertha beide Begegnungen jeweils mit 2:1. Beim Heimspiel im Oktober 2017 trafen Karim Rekik und Niklas Stark (HSV-Tor: Arp). Das Rückspiel in Hamburg Mitte März 2018 war das Debüt des damaligen HSV-Trainers Christian Titz. Die Gastgeber gingen durch Douglas Santos in Führung, Valentino Lazaro und Joker Salomon Kalou drehten die Partie.

Relegation 2021/22

Es war die bislang letzte Saison beider Klubs in derselben Spielklasse. Und das bleibt vorläufig so. Im Relegations-Duell , dessen erster Teil am Donnerstagabend im vollbesetzten Berliner Olympiastadion über die Bühne geht, wird das 18. und letzte Bundesliga-Ticket für die Saison 2022/23 vergeben. Der kicker nimmt die Rivalen unter die Lupe.

Die Ausgangslage

Hertha hat drei Matchbälle in Serie vergeben - und die nach den Siegen in Augsburg (1:0) und gegen Stuttgart (2:0) fast sicher geglaubte direkte Rettung auf der Zielgeraden der regulären Saison in Bielefeld (1:1), gegen Mainz (1:2) und in Dortmund (1:2) verspielt. Nach dem Abpfiff in Dortmund und dem späten Sieg der Stuttgarter gegen Köln waren die Profis in Schockstarre.

Trainer Felix Magath, in den Wochen zuvor durchaus als Mahner und Warner im Einsatz, predigt seitdem Zuversicht. Am Dienstag ging's ins Trainingslager ins brandenburgische Kienbaum östlich von Berlin. Am Mittwoch sagte Magath mit Blick auf den Gegner HSV: "Objektiv betrachtet ist es so, dass wir in der besseren Liga gespielt haben. Deswegen sollten wir auch in der Lage sein, besser zu spielen." Auf den HSV und den Ansatz von dessen Coach Tim Walter wähnt er sich gut vorbereitet: "Walter hat eine Spielidee, er weiß, wie er spielen will. Aber die ist länger bekannt, und sie ändert sich auch nicht. Deswegen ist für uns und mir klar, wie der HSV auftritt. So kann man sich gut vorbereiten."

In der Abgeschiedenheit Kienbaums, im Olympischen und Paralympischen Trainingszentrum, bereitet Magath sein Team auf das Relegations-Hinspiel vor: "Wir haben uns die Sportschule auch deswegen ausgesucht, weil hier die Sieger herkommen".

Der HSV hat Geschichte geschrieben in den zurückliegenden Wochen - als erster Klub, der seit Einführung der Drei-Punkte-Regel einen Sieben-Punkte-Rückstand auf Rang 3 innerhalb der letzten fünf Partien aufgeholt hat. "Das Momentum", sagt deshalb Trainer Walter, "ist auf unserer Seite." Das ist mehr als der Versuch, Optimismus auszustrahlen, es ist gelebte Zuversicht beim Zweitligisten. "Wir sind obenauf, können befreit aufspielen und haben richtig Bock", unterstreicht Kapitän Sebastian Schonlau. "Ich hoffe, das sieht man dann auch."

Neben dem Pluspunkt, mit fünf Siegen in Serie in die Relegation zu starten, könnte noch ein weiterer Aspekt vorteilhaft sein: Seit dem Abstieg 2018 tat sich der HSV vier Jahre lang schwer mit der Last der Favoritenbürde. Es geht zwar um das Traumziel Bundesliga, das lähmende Gefühl aus dem Zweitligaalltag, etwas zu verlieren zu haben, aber hat die Seiten gewechselt. "Hertha", weiß Schonlau, "hat definitiv etwas zu verlieren, wir haben nur etwas zu gewinnen. Wir können etwas Großartiges schaffen, was für die Stadt und den Verein unfassbar wäre."

Die Trainer

Felix Magath, bei seinem Comeback im März nach neuneinhalb Jahren Bundesliga-Pause von vielen belächelt, hat seine Skeptiker Lügen gestraft. Er hat die Mannschaft aus ihrer Lethargie herausgeholt und ihr Stabilität und Orientierung gegeben. Er hat immer wieder den Mut zu überraschenden Personalien und zugleich eine Achse - die lange vermisst wurde - installiert. Der 68-Jährige ist noch nie aus der Bundesliga abgestiegen, diesen Nimbus will er gegen den HSV, "seinen" HSV, bewahren.

Als Spieler stieg er in Hamburg zur Legende auf: dreimal deutscher Meister (1979, 1982, 1983), Europapokalsieger der Pokalsieger (1977), Europapokalsieger der Landesmeister (1983) mit ihm als Schütze des goldenen Tores im Finale gegen Juventus Turin. Nach dem Ende der Spielerkarriere beerbte er Günter Netzer 1986 als HSV-Manager, später war er Trainer der U23, Co-Trainer bei den Profis unter Benno Möhlmann und schließlich Cheftrainer (Oktober 1995 bis Mai 1997).

Hertha gegen den HSV - das ist auch das Duell zwischen Magaths Gegenwart und seiner Vergangenheit. Klar ist: Nach den beiden Relegationsspielen ist Schluss in Berlin. Der Klub sucht eine Langfrist-Lösung. Und Magath? Hat keinen Druck, aber weiter Lust aufs Trainer-Dasein.

Tim Walter ist mit Magath gut bekannt aus gemeinsamen Café-Besuchen in der gemeinsamen Wahlheimat München. Der 46-jährige Badener schätzt den Meistermacher als "großartigen Trainer und Menschen". Und er weiß: "Er hat uns in Sachen Erfahrung viel voraus."

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Komplexe, so viel ist sicher, wird Walter vor dem Duell mit Magath dennoch keine bekommen. Mut predigt er vom ersten Tag an in Hamburg und lebt ihn auch vor. In seiner Spielweise, in seinem Auftreten. Wenn er sagt, der HSV habe wieder eine Identität, dann ließe sich das durchaus als Eigenlob interpretieren.

Es ist an dieser Stelle angebracht und wird von den Führungsspielern erwidert. Die stetige Suche nach der spielerischen Lösung von ganz hinten heraus wirkt riskant und hat gegen Topteams wie Schalke und Werder oder im Pokal gegen Köln und Freiburg auch zu Chancen der Gegner und Gegentoren geführt, Torwart Daniel Heuer Fernandes aber sagt: "Wir haben einen klaren Plan und fühlen uns mit diesem wohl."

Hinzu kommt: Walter hat die Mentalität verändert. Dass seine Profis im Gewand der Unbeugsamen daherkommen, schreiben diese ganz entscheidend ihrem Chef zu. "Daran", erklärt Schonlau, "hat der Trainer einen riesigen Anteil, er trichtert uns das jeden Tag ein".

Das Personal

Herthas Mittelfeld-Abräumer Santiago Ascacibar (Gelb-Sperre) fehlt im Hinspiel. Auch Angreifer Davie Selke und Innenverteidiger Marton Dardai (beide muskuläre Probleme im Oberschenkel) fallen aus, ebenso die seit längerem fehlenden Lukas Klünter, Kelian Nsona, Dong-Jun Lee und Alexander Schwolow.

Auch für Marcel Lotka, der sich in Schwolows Abwesenheit die Position als Nummer 1 sicherte, reicht es dem Vernehmen nach nicht. Die Blessur, die er sich in Dortmund bei einer Rettungsaktion zuzog (Nasenbeinbruch und leichte Gehirnerschütterung), lässt einen Einsatz im Heimspiel wohl nicht zu.

Neben dem seit Oktober verletzten Tim Leibold (Kreuzbandriss) ist Anssi Suhonen beim HSV der einzige Ausfall. Einer, der schwer wiegt, weil der Finne als Aufsteiger der letzten Saisonwochen ein belebendes Element war.

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Die Stärken

Hertha, unter Magath-Vorgänger Tayfun Korkut zeitweilig eine Schießbude (71 Saisongegentore), hat sich defensiv deutlich gefestigt. Routiniers wie Kapitän Dedryck Boyata und Linksverteidiger Marvin Plattenhardt kamen zuletzt wieder in die Nähe ihrer Topform, auch Klub-Rekordeinkauf Lucas Tousart fand unter dem dritten Trainer der Saison in die Spur.

Lucas Tousart und Dedrick Boyata (v.l.)

Unter Felix Magath wieder besser in Form: Lucas Tousart und Dedrick Boyata (v.l.). IMAGO/Nordphoto

Die Anfälligkeit bei gegnerischen Standards hat Magath reduziert, die Gefährlichkeit bei eigenen ruhenden Bällen erhöht und die Laufleistung des Teams deutlich nach oben geschraubt. Herthas Spiel hat jetzt mehr Intensität, Stabilität und Struktur.

Mentalität ist zum Merkmal einer HSV-Mannschaft geworden, deren Vorgänger-Kader vor allem an sich selbst gescheitert sind. "Wir geben niemals auf, egal was auch passiert", sagt Schonlau. Diese Herangehensweise war nicht nur entscheidend für die Aufholjagd, sondern zum Beispiel auch für acht Punkte durch insgesamt fünf Last-Minute-Tore. Hinzu kommt, was wie ein Widerspruch zum riskanten Spielsystem klingt, defensive Stabilität. Mit 35 Gegentoren kassierte der HSV die wenigsten in der 2. Liga.

Die Schwächen

Herthas Offensivspiel fehlt es an Wucht, Kreativität und Tempo. Immerhin: Top-Torschütze Stevan Jovetic (sechs Saisontreffer) kam in Dortmund nach einem Monat Pause wegen eines Muskelfaserrisses zu einem Kurz-Comeback. Mit ihm auf dem Feld hat Hertha mehr Raffinesse und Torgefahr. Zudem stellt sich die Frage nach der nervlichen Stabilität des durch eine turbulente Saison und das späte Abrutschen auf Platz 16 mental enorm beanspruchten Kaders.

Auf der Gegenseite reißt der Suhonen-Ausfall ein Loch in Walters offensive Abläufe. Der 21-jährige Finne fehlt als Schwungrad auf der Achterposition und konnte beim finalen 3:2 in Rostock von Sonny Kittel nicht gleichwertig ersetzt werden. Dieser wiederum fehlte auf dem linken Flügel, wo Rechtsverteidiger Josha Vagnoman trotz seiner Power fremdelt und Faride Alidou seit seinem feststehenden Wechsel nach Frankfurt völlig abgetaucht ist.

Die Relegations-Erfahrung

Relegation und Hertha - das ging 2012 traumatisch schief. Die Berliner scheiterten mit Trainer Otto Rehhagel unter skandalträchtigen Umständen an Zweitligist Fortuna Düsseldorf (1:2, 2:2). Das Rückspiel in Düsseldorf wurde überschattet von Pyros, einem Platzsturm der Düsseldorfer Fans, einer langen Unterbrechung durch Schiedsrichter Wolfgang Stark, der späten Fortsetzung und Tumulten nach dem Abpfiff.

Das Spiel ging vor dem DFB-Sportgericht und dem DFB-Bundesgericht in die Verlängerung, Herthas Protest gegen die Spielwertung wurde abgeschmettert. Mehrere Profis wurden gesperrt, Levan Kobiashvili (Rehhagel: "Der fairste Spieler seit dem Zweiten Weltkrieg") für eine vermeintliche Attacke gegen Referee Stark sogar bis Ende Dezember 2012.

Jonas Meffert

Kennt sich mit der Relegation aus - und hat schlechte Erinnerungen daran: HSV-Profi Jonas Meffert. IMAGO/Philipp Szyza

Zweimal, 2014 und 2015, überstand der HSV die Relegation bereits, seinerzeit aber als Bundesligist. Gegen Fürth (0:0, 1:1) half die damals noch angewandte Europapokal-Arithmetik, ein Jahr darauf gegen den KSC ein strittiger Freistoßpfiff. Leidtragender damals war der einzige aktuelle HSV-Profi mit Relegations-Erfahrung: Jonas Meffert.

Die Abwehraktion des damaligen Karlsruhers wurde von Schiedsrichter Manuel Gräfe als Handspiel gewertet, der fällige Freistoß führte in der Nachspielzeit zum 1:1 und zur Verlängerung, in der Hamburg schließlich 2:1 gewann. Meffert sammelte im Vorjahr eine weitere unliebsame Relegations-Erfahrung, verlor auch mit Holstein Kiel das Duell des Zweitliga-Dritten gegen den Bundesliga-Sechzehnten Köln (1:0, 1:5).

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