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Entlassung - na und? Contes langes Schulterzucken

Nach Chelseas "Begräbnis" in Watford wächst der Druck

Entlassung - na und? Contes langes Schulterzucken

"Druck? Welcher Druck?" Chelsea-Trainer Antonio Conte am Montagabend in Watford.

"Druck? Welcher Druck?" Chelsea-Trainer Antonio Conte am Montagabend in Watford. imago

Er kletterte schon auf seine Trainerbank, warf sich in Zuschauermengen, holte sich eine blutige Nase, doch wie Troy Deeney hat selbst Antonio Conte noch nie gejubelt: Der Stürmer des FC Watford zeigte dem Publikum nach seinem verwandelten Elfmeter gegen Chelsea am Montagabend gleich zwei ausgestreckte Mittelfinger - angeblich war es seine Art zu sagen, wie er die jüngsten Wechselspekulationen um seine Person fand. Conte, seit Wochen mit ähnlichem konfrontiert, reagierte knapp zwei Stunden später ganz anders.

Als der Chelsea-Trainer nach dem peinlichen 1:4 in Watford seine Interviewpflicht erfüllte, war keine Kampfansage zu hören, keine Wut zu spüren, kein Stinkefinger zu sehen. Contes Auftritt war, wie schon in den 90 Spielminuten zuvor, eher ein "Mir doch alles egal", ein langgezogenes Schulterzucken; der Auftritt eines Trainers, der sich nicht darum reißt, seinen Job zu behalten.

Bournemouth, Watford: So schlecht war Chelsea zuletzt vor 22 Jahren

Eine "Mourinho-Saison" wolle er vermeiden, hatte Conte im Sommer angekündigt - gemeint war ein totaler Absturz als Premier-League-Titelverteidiger, wie ihn José Mourinho 2015 an der Stamford Bridge erlebt hatte. Einerseits gelang das: Chelsea ist als Vierter auf Champions-League-Kurs und noch in allen Wettbewerben vertreten, davon konnte Mourinho bis zu seiner Entlassung im Dezember 2015 nur träumen. Andererseits hat sich Chelsea, unter Taktikfuchs Conte 2016 mit sieben Punkten Vorsprung Meister geworden, auch jetzt schon wieder in Rekordzeit in den Selbstzerfleischungsmodus begeben.

Ein paar Fakten: Watford feierte am Montagabend seinen höchsten Premier-League-Sieg. Chelsea hat nach dem 0:3 gegen Bournemouth vorigen Mittwoch erstmals seit 1995 in zwei aufeinanderfolgenden Ligaspielen drei oder mehr Gegentore kassiert. Bakayokos Platzverweis (Gelb-Rot, 30.) war Chelseas siebter in dieser Saison, nur Viertligist Grimsby Town (8) hat derzeit laut "Opta" im englischen Profifußball mehr. Chelsea hat von den letzten zehn Pflichtspielen drei gewonnen. Chelsea empfängt am 20. Februar den FC Barcelona zum Achtelfinalhinspiel in der Champions League.

Und in dieser Gemengelange fragte Conte: "Der Druck? Welcher Druck? Was ist der Druck?"

Conte spielt seit Wochen mit dem Feuer - ist es ihm egal, ob er sich verbrennt?

Seit Wochen kokettiert der Italiener mit gewagten Aussagen, die allesamt gegen ein gesundes Binnenverhältnis beim FC Chelsea sprechen. Regelmäßig kritisierte er dabei die Transferpolitik seines Arbeitgebers, die seit vergangenem Sommer Roman Abramovichs frühere Assistentin Marina Granovskaia beaufsichtigt. "Ich habe nur selten die Spieler bekommen, um die ich bat", sagte er zum Beispiel. Oder: "In Zukunft musst du versuchen, nur zwei oder drei Spieler dazuzuholen - nicht acht." Ein anderes Mal klagte er, sein Kader sei zu klein.

Als er dann nach dem 0:3 gegen Bournemouth behauptete, die Saisonziele überzuerfüllen, und sich ein paar Tage später öffentlich ein Bekenntnis der Klubführung wünschte, war klar: Hier spielt einer, gewollt oder ungewollt, immer waghalsiger mit dem Feuer, und es ist ihm einerlei, ob er sich dabei verbrennt. Luis Enrique, der im Sommer beim FC Barcelona zurücktrat, wird längst als heißester Nachfolger gehandelt; wegen Contes seltsamer "Vertragsverlängerung" im Juli wäre ein Rausschmiss diesmal sogar vergleichsweise billig.

Morgen ist ein anderer Tag, ich kann Chelsea-Trainer sein oder auch nicht. Was ist das Problem?

Antonio Conte

Konnte der 48-Jährige im Vorjahr noch ohne Europapokalbelastung und Verletzungspech in Ruhe eine perfekt abgestimmte, stets frische Stammelf formen, verliert sein Team jetzt Spiele, die es vor einem Jahr niemals verloren hätte. Die Hierarchie hat ohne Costa, Terry und Matic offenbar gelitten, die Mannschaft, die im September bei Atletico Madrid (2:1) noch überragte, wirkt jetzt immer wieder überspielt, platt, weniger kompakt. "Die Leistung war ein 90-minütiges Wikingerbegräbnis der Conte-Ära", befand der "Guardian" am Montagabend.

"Ich bin nicht besorgt wegen meines Jobs", erklärte dagegen Conte. "Ich gebe jeden Tag 120 Prozent. Wenn das genug ist - okay. Wenn nicht, kann der Klub eine andere Entscheidung treffen. Das Leben geht weiter. Morgen ist ein anderer Tag, ich kann Chelsea-Trainer sein oder auch nicht. Was ist das Problem?" In Watford hätten einige seiner Spieler nicht die "Persönlichkeit" gezeigt, auf die es in einem großen Klub ankomme. Zum Beispiel, einfach mal "etwas zu riskieren". Wie das geht, macht ihnen ihr Trainer eigentlich seit Wochen vor.

jpe