Bundesliga

Stuttgarts Working Class Hero: Wohin führt Antons Aufstieg?

Warum der VfB-Kapitän ein "Trainer-Traum" ist - und als DFB-Kandidat gilt

Stuttgarts Working Class Hero: Wohin führt Antons Aufstieg?

Uneitler Anführer beim VfB Stuttgart: Waldemar Anton.

Uneitler Anführer beim VfB Stuttgart: Waldemar Anton. IMAGO/Hartenfelser

Das Glücksgefühl ist noch ganz frisch. Da steht Waldemar Anton nach diesem 11. Spieltag Mitte November mit tiefgezogener Kappe, konzentriertem Blick und ruhiger Stimme und kommentiert das hitzige 2:1 gegen Dortmund. So unaufgeregt, als würde er von Blubberblasen im Goldfischglas reden. Sachlich, leise, emotionslos. Ganz Anton eben. "Ich bin nun mal ein eher ruhiger Typ", sagt er im Rückblick und garniert zumindest diese Selbsteinschätzung mit einem Lächeln. Er kann es also doch. Aber eben nur bei der für ihn richtigen Gelegenheit. "Vielleicht wirke ich deswegen ernster als andere." Schließlich werde nach dem Spiel "über Ergebnisse geredet" und nicht über die nächste Mannschaftsfeier.

Egal, Stuttgart tanzt. Nicht erst seit diesem 2:1. Schon die ganze Saison aus der Reihe, weil der Fast-Absteiger der vergangenen beiden Jahre so gut dasteht wie seit gefühlten Ewigkeiten nicht. Die Fans tanzen auf den Tischen, nachdem man sich in den internationalen Rängen festgespielt hat. Und die ganze Stadt am Mittwoch in Weiß (und Rot), wenn man den BVB im Achtelfinale des DFB-Pokals empfängt. "Das wird ein ganz anders Spiel als in der Liga", sagt Anton, der am Samstag gegen Bremen das 1:0 vorbereitete. "Die Dortmunder wollen sich sicher anders präsentieren." Und Revanche nehmen für die Schmach vom 11. November.

Beim Liga-Erfolg stahl Anton den BVB-Kollegen die Show

Zur Prime Time vor aller Augen und sicher denen des Bundestrainers. Die nächste Chance für Anton, bei Julian Nagelsmann für sich und seinen Traum von einer Nominierung zu werben. Beim Liga-Erfolg stahl Stuttgarts Kapitän den BVB-Kollegen jedenfalls die Show, bot eine starke Leistung während die Borussen-Abwehr von einer misslichen Situation in die nächste stolperte. Die schwachen Darbietungen der DFB-Auswahl gegen die Türkei (2:3) und in Österreich (0:2) könnten ihm zugutekommen.

Die anderen schauen zu ihm auf und nehmen sich ein Beispiel an ihm.

Fabian Wohlgemuth

Der 27-Jährige verkörpert genau das, was nicht nur der Auswahlcoach vermisst hat. Mehr Einsatzbereitschaft, mehr Willens- und Widerstandskraft, mehr Sein als Schein. Vielleicht, so Nagelsmann, brauche es "mehr Worker". Womöglich liege ein Lösungsansatz darin, "auf zwei Prozentpunkte Talent zu verzichten und zwei Prozentpunkte mehr Worker reinzutun". Arbeiter, wie Anton einer ist, die sich für das Spiel und die Kollegen uneitel einbringen.

DFB-PokaL, Achtelfinale

"Alles, was seinen Beruf und seine Aufgaben betrifft, nimmt er sehr ernst. Zu jedem Zeitpunkt, in jedem Training, in jedem Spiel", sagt VfB-Sportdirektor Fabian Wohlgemuth. "Er ist ein Vollprofi, der sich mit jeder Faser auf das konzentriert, was von ihm erwartet wird. Die anderen schauen zu ihm auf und nehmen sich ein Beispiel an ihm."

Stuttgarts Working Class Hero verfolgt die Diskussion um seine Person - wenig überraschend - mit Zurückhaltung. "Ich bin ganz entspannt", erklärt der gebürtige Usbeke russlanddeutscher Eltern. "Ich warte ab, was sich ergibt, und mache mir keinen Kopf darüber. Ob es am Ende reicht, wird der Bundestrainer entscheiden."

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Der Innenverteidiger, der in jungen Jahren elfmal das DFB-Trikot der U 21 trug und 2017 sogar Europameister wurde, spielt seine persönlich beste Bundesligasaison und gehört zu den Auffälligsten auf seiner Position. Die Gründe dafür? So unspektakulär wie sein Auftreten in der Öffentlichkeit. "Ich mache nichts anders als vorher", meint Anton. Was Wohlgemuth unterstreicht. "Zu meinen, dass wir heute einen anderen Waldemar Anton sehen, ist eher unzutreffend. Im Kontext des aktuellen Erfolgs verändert sich auch unsere Wahrnehmung. Ich habe nicht das Gefühl, dass Waldi anders auftritt als in der vergangenen Saison. Er hat auch damals schon sehr stabile Leistungen geboten und stach heraus."

"Er trainiert immer zu 100 Prozent und ist nicht zu stoppen - ein Traum für jeden Trainer"

Der 27-Jährige sieht seinen Aufstieg in der Gesamtentwicklung der Mannschaft. "Wir haben viele Jungs, die vorangehen, haben viele gute Jungs dazubekommen, die sehr gut zu uns passen. Und es ist von Vorteil, wenn die Mannschaft von vorne bis hinten funktioniert. Wenn vorne schon gut verteidigt wird, hat man hinten weniger zu tun." Was ihn dazu verleitet, bei jeder Gelegenheit den Vorwärtsgang einzulegen. Gute Diagonalbälle und scharfe Pässe in die Tiefe gehören ebenso dazu wie sein Lauern auf Kopfballchancen bei Standards. "Waldi spielt unglaublich konstant, ist ein unglaublicher Stabilitätsfaktor, macht sehr wenige Fehler", lobte zuletzt Trainer Sebastian Hoeneß. "Er ist in vielen Bereichen gut. Das beschränkt sich nicht nur auf seine Mentalität oder sein Spiel gegen den Ball. Auch mit dem Ball ist er sehr solide. Er bietet ein richtig gutes Gesamtpaket."

Qualitäten, die den Stuttgarter Cheftrainer dazu veranlassten, den in Hannover sowohl privat als auch sportlich aufgewachsenen Familienvater zum Kapitän zu ernennen. "Waldi verkörpert alles, was ein Kapitän braucht", so Hoeneß. "Er ist unermüdlich, ein Top-Profi, sehr diszipliniert. Er trainiert immer zu 100 Prozent und ist nicht zu stoppen. Ein Traum für jeden Trainer." Anton, der 2018 im Trikot von Hannover 96 zu Niedersachsens Fußballer des Jahres gekürt wurde, verleiht dieses Vertrauen Rückenwind. "Ich bin sehr stolz, dieses Amt übertragen bekommen zu haben." Gleichzeitig spielt er seine Rolle runter. "Auf dem Platz hat sich dadurch für mich nichts verändert. Ich bin immer noch derselbe", meint der Abwehrmann, der in jungen Jahren schon einmal die Kapitänsbinde trug. Und dabei unangenehme Erfahrungen machen musste.

In Hannover wurde er mit der Binde nicht glücklich

Nach einer starken Saison 2017/18 ernannte Hannovers damaliger Trainer André Breitenreiter den Jungprofi zum Kapitän. Damals der jüngste der Bundesliga. Ein vereinsinternes Politikum. Der Versuch, ein Eigengewächs mit Stallgeruch herauszuheben. In eine Vorzeigerolle, für die der junge Anton nicht bereit war und die zur Last wurde. Ein guter Ansatz schlecht gemacht. Er sollte der Karriere des damals 22-Jährigen mehr schaden als nutzen. Anton versuchte, der Verantwortung gerecht zu werden, versuchte zu führen, wurde aber nicht genügend von den Älteren im Team unterstützt. Der Kapitänsfrischling, seine Entwicklung und seine aufstrebende Karriere gingen im Strudel des Misserfolgs erst einmal unter.

Breitenreiter-Nachfolger Thomas Doll erlöste ihn im März 2019, was allerdings einer gefühlten Degradierung gleichkam. "Ich war damals sehr jung und wollte zu viel Verantwortung übernehmen", erzählt Anton. "Das hat keinen Sinn ergeben. Darunter hat mein Spiel gelitten." Die Lehre: "Ich habe für mich mitgenommen, dass man nicht zu viel auf einmal wollen darf. Außerdem gibt es nicht nur einen Führungsspieler, sondern mehrere, die sich die Aufgaben aufteilen und ergänzen."

Es ist wichtig, immer der Gleiche zu bleiben. Mit oder ohne Kapitänsbinde.

Waldemar Anton

Wie in Stuttgart, wo er in die Fußstapfen keines Geringeren als Wataru Endo getreten ist. Diesmal sei er dazu bereit gewesen. "Man muss bei sich bleiben und so weitermachen wie vorher. Es ist wichtig, immer der Gleiche zu bleiben. Mit oder ohne Kapitänsbinde", erklärt Anton, der die Unterstützung der Mannschaft hat und spürt. "Bei uns darf jeder seine Meinung äußern und auch Kritik anbringen. Das hilft, gute Lösungen zu finden, und funktioniert bei uns sehr gut."

Auch der Japaner war kein großer Redner, führte vor allem mit Leistung und Professionalität. "Die Lautsprecher früherer Tage gibt es heutzutage eigentlich sowieso nicht mehr", meint Wohlgemuth. Dennoch sei der frühere Hannoveraner unverkennbar "lauter als Wataru. Er verschafft sich Gehör, möchte die Verantwortung aber anders vor- und ausleben". Für den Sportdirektor hat Anton die Beförderung gutgetan. "Die neue Positionierung hat ihm nicht geschadet. Er ist einer der vielen wesentlichen Gründe für unsere gute Entwicklung im letzten halben Jahr."

Leverkusen ist weiter dran - doch Anton scheint einer Verlängerung nicht abgeneigt

Die logischerweise nicht unbemerkt bleibt. In diesem Jahr zeigte bereits Bayer Leverkusen Interesse und legte dieses auf Wiedervorlage für kommenden Sommer. Der VfL Wolfsburg wurde sogar konkreter, fand aber kein Gehör. Auch aus dem Ausland kommen Lockrufe. Die bisher abgeblockt wurden. Anton soll vorzeitig seinen bis 2025 laufenden Kontrakt verlängern. Und scheint auch nicht abgeneigt. Erste Gespräche wurden geführt. "Im Fußball kann es schnell gehen", meint der 27-Jährige, der eine Tendenz pro Stuttgart durchblicken lässt. "Ich bin sehr froh, beim VfB zu sein und das Vertrauen zu spüren. Solange meine Familie und ich glücklich sind, wird es schwer, den VfB zu verlassen." Er sagt es, als würde das Goldfischglas vor ihm stehen.

George Moissidis

Das wurde aus den U-21-Europameistern von 2017