Int. Fußball

Formkrise: Wie Ajax Amsterdam ins Wanken geriet

Personalwechsel, Fehlgriffe, Ausschreitungen

Nun kehrt sogar van Gaal zurück: Wie Ajax ins Wanken geriet

Der niederländische Rekordmeister Ajax Amsterdam, rechts Brian Brobbey, steckt tief in der Krise.

Der niederländische Rekordmeister Ajax Amsterdam, rechts Brian Brobbey, steckt tief in der Krise. IMAGO/ANP

Die erfolgreichen Jahre der PSV Eindhoven und von Feyenoord Rotterdam schienen noch vor gar nicht allzu langer Zeit wieder einmal vorüber zu sein. Denn unter Erik ten Hag entwickelte sich Ajax Amsterdam einmal mehr zur klaren Nummer eins in den Niederlanden. Der Trainer kam im Winter 2017 vom FC Utrecht und feierte nach Platz zwei in der ersten Halbserie drei Meisterschaften in Folge - der vermeintliche vierte Titel in der Saison 2019/20 wurde aufgrund der Corona-Pandemie nicht gewertet, doch auch in dieser Spielzeit befand sich Ajax aufgrund der besseren Tordifferenz nach 25 absolvierten Spielen vor AZ Alkmaar an der Tabellenspitze.

Zusätzlich sammelte ten Hag zwei Pokalsiege (18/19, 20/21) und einen Supercup (19/20). In der Champions League erreichte er mit Ajax 2019 das Halbfinale, das nur aufgrund der mittlerweile abgeschafften Auswärtstor-Regel gegen Tottenham dramatisch verloren ging (1:0, 2:3). 2021/22 gelang Ajax unter ten Hag zusätzlich die perfekte Gruppenphase gegen Borussia Dortmund, Sporting Lissabon und Besiktas Istanbul - im Achtelfinale war gegen Benfica Lissabon dennoch Endstation (2:2, 0:1).

Noch bevor seine Amtszeit letztlich nach 1645 Tagen - länger war seit der Jahrtausendwende nur Frank de Boer im Amt (2032 Tage, 2010-2016) - mit einem herausragenden Punkteschnitt von 2,34 endete, geriet der Verein jedoch in Schieflage.

Umbruch nach Abgängen von Overmars und ten Hag

Denn nachdem aufgedeckt wurde, dass Marc Overmars über einen längeren Zeitraum unangemessene Bilder und Nachrichten an Mitarbeiterinnen des Vereins geschickt hatte, trat der technische Direktor Anfang Februar 2022 zurück. Die Trennung war nach dem Skandal wohl unvermeidbar, doch die Klub-Ikone hinterließ fachlich eine große Lücke. Nicht umsonst betonte der Aufsichtsratsvorsitzende Leen Meijaard damals, dass Overmars der wahrscheinlich beste Fußballdirektor war, den Ajax je hatte. Jedoch sei er "über Grenzen gegangen." Mittlerweile ist der 50-Jährige als technischer Direktor bei Royal Antwerp tätig, dem er in der vergangenen Saison zum ersten belgischen Meistertitel seit 1957 verhalf.

Knapp fünf Monate später verließ dann auch ten Hag den Verein in Richtung Manchester United. Overmars wurde von Gerry Hamstra, der dem scheidenden technischen Direktor schon 2021 an die Seite gestellt wurde, und Klaas-Jan Huntelaar beerbt. Das Duo sollte zusätzlich Unterstützung von Geschäftsführer Edwin van der Sar erhalten. Auf der Trainerbank ging Ajax mit dem ehemaligen Hoffenheimer Alfred Schreuder in ein neues Kapitel.

Gleich der erste Sommer nach ten Hag und Overmars hatte es jedoch in sich. Der Klub nahm über 200 Millionen Euro ein - allerdings auf Kosten zahlreicher Stammspieler. Antony und Lisandro Martinez folgten ihrem Coach zu Manchester United. Weitere Schlüsselspieler wie Sebastien Haller (Dortmund), Ryan Gravenberch (Bayern) oder Nicolas Tagliafico (Lyon) wurden ebenfalls verkauft. Hinzu kamen ablösefreie Abgänge der gesetzten André Onana (Inter Mailand), Noussair Mazraoui und Daley Blind (beide ebenfalls Bayern).

Zugänge können den Qualitätsverlust nicht auffangen

Auf der Gegenseite gab man mehr als 100 Millionen Euro aus, verpflichtete unter anderem Steven Bergwijn (Tottenham), der mittlerweile Kapitän ist, Brian Brobbey (Leipzig) oder Torwart Geronimo Rulli (Villarreal). Auffangen konnte man die zahlreichen Top-Abgänge jedoch bei Weitem nicht. Zudem zahlte Ajax hohe Summen für Calvin Bassey (mittlerweile Tottenham) oder Owen Wijndal (aktuell verliehen an Antwerpen), die in Amsterdam (noch) nicht überzeugen konnten.

Der sportliche Erfolg blieb fortan aus. Nach einem schwachen halben Jahr, Platz fünf in der Tabelle und dem Aus in der Champions League - unter anderem verlor man 1:6 gegen Neapel - war die Amtszeit von Schreuder bereits vorbei. Mit Johnny Heitinga übernahm ein Ex-Spieler mit dem Ajax-Gen, der dafür sorgte, dass die Formkurve wieder nach oben zeigte, der den Klub letztlich aber nur noch auf Platz drei und damit in die Europa League führen konnte.

In der sportlichen Leitung bahnte sich derweil der nächste Umbruch an. Denn nachdem Hamstra mitgeteilt worden war, dass seine Beschäftigung als technischer Direktor nicht über den Sommer hinaus zu einer permanenten Lösung werden würde, trat dieser bereits im April zurück. Anschließend herrschte zunächst Unklarheit, auch über Heitinga, der nur Interimstrainer war, sich aber eine Festanstellung gewünscht hätte.

Mislintat übernimmt und entscheidet sich gegen Heitinga

Mitte Mai fiel die Wahl des technischen Direktors dann auf Sven Mislintat, Huntelaar rückte fortan wieder in den Hintergrund. Gleich zu Beginn musste sich der ehemalige Stuttgarter mit der Trainerfrage befassen - und entschied sich gegen Heitinga. Stattdessen engagierte der Deutsche Maurice Steijn von Sparta Rotterdam.  

Im Hintergrund kam es jedoch zu weiteren personellen Wechseln. Neben Said Ouaali (Leiter der Nachwuchsabteilung) verließ auch Edwin van der Sar den Verein. Der Geschäftsführer betonte: "Nach fast elf Jahren im Vorstand bin ich fertig". Jan van Halst übernahm seine Rolle interimsweise und wird im März 2024 von Alex Kroes (kommt aus Alkmaar) ersetzt, der zuvor aufgrund von Wettbewerbsregelungen in den Niederlanden nicht für einen direkten Konkurrenten arbeiten darf.

Auch im Kader tat sich wieder einmal einiges - wobei es erneut eher nach hinten als nach vorne ging. Unter Mislintat verließen weitere Stammspieler wie Mohammed Kudus, Edson Alvarez (beide West Ham), Jurrien Timber (Arsenal) und die ablösefreien Dusan Tadic (Fenerbahce) und Davy Klaassen (Inter Mailand) den Verein. Im Gegenzug verpflichtete Ajax mit Josip Sutalo (Dinamo Zagreb) lediglich einen Spieler mit Champions-League-Erfahrung.

Neuzugänge sorgen für Verwunderung

Stattdessen überraschten die Niederländer mit Neuzugängen wie Jakov Medic (FC St. Pauli) oder Diant Ramaj. Für die Nummer zwei der Frankfurter legte Mislintat einen hohen einstelligen Millionenbetrag hin. Hinzu kamen unter anderem die talentierten Carlos Forbs (ManCity U 21) und Benjamin Tahirovic (AS Rom) oder die Mittelstürmer Chuba Akpom (Middlesbrough) und Georges Mikautadze (FC Metz), die in der Vorsaison jeweils zweitklassig spielten. 

Zum Verhängnis wurde Mislintat außerdem die Verpflichtung von Borna Sosa vom VfB Stuttgart. Aufgrund eines Interessenkonflikts - der Außenverteidiger wird von einer Agentur beraten, die wiederum Anteile an einem von Mislintat mitgegründeten Fußballdaten-Analyse-Unternehmen hat - wird der Transfer untersucht.

Sportlich fand die neu zusammengestellte Mannschaft zu Saisonbeginn überhaupt nicht zusammen. Mit nur einem Sieg aus den ersten vier Spielen legte Ajax den schlechtesten Saisonstart seit 1964 hin. Am 24. September folgte dann der vorerst größte Tiefpunkt der letzten Jahre.

Abbruch und Ausschreitungen beim "Klassieker"

Im "Klassieker" gegen Feyenoord lag die Steijn-Elf bereits nach 37 Minuten mit 0:3 zurück. Der Unmut einiger "Fans" schwenkte anschließend in Aggressionen um, noch vor der Pause flogen die ersten Leuchtraketen auf den Platz. Als in der 55. Minute erneut Pyrotechnik auf dem Rasen landete, wurde das Spiel abgebrochen. Rund um das Stadion kam es im Anschluss zu schweren Ausschreitungen, bei denen Ajax-Ultras versuchten, sich gewaltsam Zugang zum Innenraum der Johan-Cruyff-Arena zu verschaffen. Wenige Stunden später wurde Mislintat von seinen Aufgaben entbunden.

Die Partie wurde drei Tage später ohne Zuschauer zu Ende gebracht, Feyenoord erhöhte sogar noch auf 4:0 und verschärfte die Ajax-Krise weiter. So sehr, dass nun sogar Louis van Gaal als Berater zurückgekehrt ist. Am vergangenen Samstag wurde dann das nächste Spiel der Amsterdamer abgebrochen, diesmal allerdings aufgrund eines medizinischen Notfalls. Beim Stand von 3:2 für Ajax in Waalwijk wurde RKC-Keeper Etienne Vaessen kurz vor dem Ende von Brian Brobbey am Kopf getroffen und musste reanimiert werden. 

Wie es mit dem Spiel in Waalwijk weitergeht, ist ebenso unklar wie die Nachfolge von Mislintat. Sicher ist jedoch: Für Ajax geht es nun darum, schnellstmöglich wieder in die Spur zu finden. Ein Anfang könnte am Donnerstagabend (18.45 Uhr) in der Europa League bei AEK Athen gemacht werden. Dort boten die Niederländer zum Auftakt immerhin ein unterhaltsames 3:3 gegen Olympique Marseille.

dza

This photograph taken on September 24, 2023, shows smoke rising from fireworks thrown on the field by Ajax' supporters during the Dutch Eredivisie football match between Ajax Amsterdam and Feyenoord at the Johan Cruijff Arena in Amsterdam. (Photo by Olaf Kraak / ANP / AFP) / Netherlands OUT (Photo by OLAF KRAAK/ANP/AFP via Getty Images)

Auf Platz und Rängen katastrophal: Ajax-Fans sorgen für Spielabbruch

alle Videos in der Übersicht