EM

Italien hat keinen echten Star - Kommentar zum Europameister

Kommentar zum EM-Finale von kicker-Reporter Manfred Münchrath

Italien ist würdiger Europameister - ohne echten Star

Leonardo Bonucci & Co. stehen nach dem dramatischen Sieg über England an der Spitze Europas.

Leonardo Bonucci & Co. stehen nach dem dramatischen Sieg über England an der Spitze Europas. Getty Images

Und dann schallte "Un Estate Italiana" aus den Kehlen der rund 7000 Italiener ins sich leerende Rund des Wembley-Stadions. Jetzt nach dem dramatischen 3:2 i.E. gegen England gehörte die Arena plötzlich ihnen fast allein, den Gästen, die eigentlich nur Staffage für die geplante englische Mega-Party hätten sein sollen. Statt "Football’s Coming Home" also Gianna Nanninis alter Hit von 1990, der auch als "Notti magiche" bekannt ist - oder in den Worten von Leonardo Bonucci: "It's coming to Rome".

Und tatsächlich war es für Italien eine magische Nacht in London. 53 Jahre nach dem letzten EM-Titel (1968, damals ein 2:0 im Wiederholungsendspiel gegen Jugoslawien) feierte die Squadra Azzurra ihren zweiten Triumph bei einer Europameisterschaft.

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Hätte das vor dem Turnier jemand vorausgesagt, wäre er wohl ungläubig angeschaut worden. Selbst die italienischen Spieler hatten ihren längst gefeierten Trainer Roberto Mancini ja anfangs nicht für voll genommen, als der ihnen den Titelgewinn als Ziel einbläute, wie Kapitän Giorgio Chiellini vor dem Finale zugegeben hatte. Und selbst, nachdem Gianluigi Donnarumma, der Spieler des Turniers, den letzten Elfmeter von Bukayo Saka gehalten hatte, musste man bei manchem Italiener vermuten, dass der eine oder andere es nicht so recht fassen konnte, was da gerade auf dem Rasen passiert war. Mancini oder auch Ciro Immobile waren gar so ergriffen, dass sofort die Tränen kullerten.

Allenfalls als gefährlicher Außenseiter waren die Azzurri in diese EM-Endrunde gestartet. Und auch wenn im kicker-Sonderheft die Vorstellung Italiens mit der Überschrift "Plötzlich spektakulär" versehen war - dass Mancinis Mannschaft so aufspielen würde, wie sie es dann tat, war doch überraschend.

Keine komplett ausgetauschte DNA

Italien ist aber ein würdiger Europameister. Schon beim 3:0 im Eröffnungsspiel in Rom gegen die Türkei zeigte das Team vom Stiefel mit großer Spielfreude sein Potenzial, zunächst vor allem in der Offensive, legte beim 3:0 gegen die Schweiz nach und schloss die Gruppenphase mit einem 1:0-Sieg über Wales (mit einem verstärkten B-Team) ohne Gegentor und mit einem eigenen EM-Torrekord (sieben Treffer) ab. Spätestens da war aus einem Geheimtipp ein Mitfavorit geworden, der auch die Herzen der neutralen Zuschauer erobert hatte. Weil dieses Team der international weitgehend Unbekannten einen technisch schönen Fußball bot und - anders als man das von italienischen Teams in der Vergangenheit gewohnt war - auch nach einer Führung fröhlich weiter nach vorne spielte. Es macht und macht Spaß, dieser Elf zuzuschauen.

Als es dann gegen die richtig harten Brocken ging, bewiesen die Italiener, dass sie ihre DNA nicht gänzlich ausgetauscht hatten. Spanien und zuvor Belgien bissen sich die Zähne an Chiellini, Bonucci & Co. aus. Und auch in diesem Finale (3:2 i.E.) ließen sie ganze zwei Chancen der Engländer zu. Schwierige Phasen, die es auch im Endspiel vor allem zu Beginn nach dem äußerst frühen Gegentor durch Luke Shaw nach nur 116 Sekunden gab, überstanden sie mit Glück und Geschick. Und auch den verletzungsbedingten Ausfall von Leonardo Spinazzola, bis dahin einer ihrer Besten, steckten sie während des Turniers weg - und zwar als Mannschaft. Früh war auf dem Platz zu sehen, dass die Chemie in der Gruppe stimmte. Und ebenso früh war der Ehrgeiz sichtbar, den sie hatte. Zum Beispiel, als sich ausgerechnet der abgebrühte Chiellini beim Stand von 3:0 in der Schlussphase des Türkei-Spiels für eine klasse Abwehraktion selbst feierte.

Der schönste Fußball kommt vom Sieger

Heimische Fans feiern den Erfolg der Squadra Azzurra.

Ausgelassene Stimmung auch in der Heimat: Tifosi feiern wie hier vor dem Mailänder Dom ausgelassen. Getty Images

Der Europameister hat keinen echten Star. Er hat in Donnarumma einen stabilen Torwart und in den Innenverteidigern Chiellini und Leonardo Bonucci sowie Sechser Jorginho eine starke Defensivzentrale. Er hat mit den "Straßenfußballern" Marco Verratti und Nicolo Barella ein starkes Herz und vorne schnelle, technisch gute Stürmer wie Lorenzo Insigne oder Federico Chiesa. Da fiel nicht ins Gewicht, dass der Goldene-Schuh-Seger von 2019, Ciro Immobile, nach zwei Toren in der Vorrunde zuletzt in den Spielen klar abfiel. Doch man teilte sich die Tore auf: Kein Italiener erzielte mehr als zwei - ganz typisch für diesen Kader, in dem viele Spieler erst durch dieses Turnier auf der ganz großen Bühne richtig bekannt wurden. Nicht nur die drei Akteure vom kleinen Sassuolo Calcio - Manuel Locatelli (fünf Einsätze, zwei Tore), Domenico Berardi (sechs Einsätze) und Giacomo Raspadori (ein Einsatz).

Mit Italien hat die Mannschaft den Titel geholt, die bei dieser EM den schönsten Fußball gespielt hat - und bei der Coach Mancini fast allen Akteuren das Vertrauen geschenkt hat (lediglich der dritte Torwart Alex Meret hat keinen EM-Einsatz vorzuweisen). Schon allein deshalb hat sich die Squadra Azzurra diesen großen Erfolg redlich verdient. Eine Mannschaft mit Zukunft, die spätestens jetzt auch offiziell zum Favoritenkreis für die WM im nächsten Jahr in Katar gezählt werden muss - auch wenn im Winter 2022 der "Estate Italiana" noch ungewöhnlicher wäre als in diesem verregneten englischen Sommer.

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