Bundesliga

Hertha BSC nach der Dardai-Trennung: Zurück im Aktionismus

Kommentar

Hertha BSC: Zurück im Aktionismus

Getrennte Wege bei Hertha: Sport-Geschäftsführer Fredi Bobic (li.) und Ex-Trainer Pal Dardai.

Getrennte Wege bei Hertha: Sport-Geschäftsführer Fredi Bobic (li.) und Ex-Trainer Pal Dardai. picture alliance/dpa/Revierfoto

Am Tag seiner Präsentation als neuer Geschäftsführer Sport machte Fredi Bobic vor keinem Thema halt. Ein Schlagwort durchzog seine, nun ja, Regierungserklärung Anfang Juni: Kontinuität. "Man", sagte Bobic und meinte seinen neuen Arbeitgeber Hertha BSC, "hatte fünf Trainer in zwei Jahren. Das ist zu viel. Wir brauchen Kontinuität, das ist das Allerwichtigste. Zuallererst kommt es jetzt darauf an, im sportlichen Bereich eine richtige Stabilität reinzubekommen."

Die Stabilität sah im Sommer dann so aus, dass die komplette Offensiv-Abteilung verkauft oder ausgeliehen wurde - und jetzt muss in Pal Dardai der Mann gehen, der Hertha 2015 und 2021 aus jeweils höchst komplizierten Situationen heraus und zum Klassenerhalt geführt hat, wobei die Aufgabe in diesem Frühjahr angesichts der Fülle an Problemen und Widerständen die deutlich schwierigere war.

Dardai und Bobic - Misstöne früh vernehmbar

Dass Bobic und Dardai - beides Alpha-Tiere mit einer dampfenden Emotionalität - sich eher ertrugen als vertrugen, wurde früh in dieser Saison deutlich. Dardais Spontan-Einlassungen Ende August ("Wahrscheinlich sucht Hertha BSC seit langem einen großen Trainer. Pal ist ein kleiner, netter Trainer. Er hilft aus, so lange es sein soll") ließen den Konflikt offen zutage treten. Dem stolzen Ungarn, genervt von einer zähen Transferperiode und unerfüllten Personalwünschen speziell für die Flügel, gingen die Gäule durch.

Bobic rief den Trainer intern zur Räson - und kanzelte ihn danach auch öffentlich ab. Und Carsten Schmidt, damals noch CEO und im Oktober aus privaten Gründen von seinem Posten zurückgetreten, monierte öffentlich "Defizite teilweise in der Taktik und teilweise auch in der Bereitschaft". Das war mitten im Sommer ein eisiger Gruß an den Trainer, und der Eindruck verfestigte sich, dass die Klub-Granden den Coach eher dulden als stützen.

Bobic nimmt keine Rücksicht auf angesammelte Treuepunkte

Dass Hertha BSC nach 13 Spieltagen mit 14 Punkten und 13 Toren erneut im Abstiegskampf steckt, fällt - natürlich - auch in Dardais Verantwortungsbereich. Was seine Mannschaft in München, Leipzig und bei Union ablieferte, war keine Leistung, sondern eine Zumutung. Sie wirkte oft verzagt, wenn Temperament gefragt war - und ließ nicht nur bei den Last-Minute-Nackenschlägen gegen Augsburg und Leverkusen die Konsequenz im eigenen und im gegnerischen Strafraum vermissen. Ihrem Offensivspiel mangelte es an Struktur, Mut und Variabilität.

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Hertha BSC hat im Januar in höchster Not Pal Dardai zur Rückkehr auf die Bank der Profis überredet - und im Herbst, so scheint's, wunderten sich manche im Klub, dass man Pal-Dardai-Fußball bekommen hat: schmerzhaft unspektakulär in den meisten Sequenzen, aber nach all den teuren Verirrungen und Verwirrungen der vergangenen beiden Jahre zuletzt eben doch mit einem erkennbaren Zuwachs an Kompaktheit und taktischer Disziplin. Auch deshalb mutet der Zeitpunkt der Trennung überraschend und aktionistisch an. Bobic, dieser Beweis ist spätestens jetzt erbracht, nimmt keine Rücksicht auf angesammelte Treuepunkte.

Den nächsten Schritt traute der Klub Dardai nicht mehr zu - wie schon bei seiner Abberufung 2019. In seiner ersten Amtszeit, in der Herthas Bundesliga-Rekordspieler den Klub - das darf man nicht vergessen - auf die Ränge 7, 6, 10 und 11 geführt hat, war praktisch nie Geld da. Und als die Vereins-Ikone zurück im Amt war, war praktisch kein Geld mehr da. Es wurde in den eineinhalb Jahren dazwischen für das Stopfen etlicher Löcher genutzt und in einem Anflug von Größenwahn für aktionistische Personalien verprasst. Kein Zufall: Die beiden teuersten Zugänge der Klub-Historie, Krzysztof Piatek und Lucas Tousart, saßen beim 1:1 gegen Augsburg bis zum Abpfiff auf der Bank.

Korkut findet eine limitierte, aber weitgehend intakte Mannschaft vor

Der Transfersommer 2021 stand unter Sparzwängen. Bei einem Klub, der vom Investor binnen 26 Monaten satte 374 Millionen Euro bekommen hat, wirft das Fragen auf, die weit, sehr weit über den Verantwortungsbereich des Trainers hinausreichen. Der Kader, den Dardai für diese Spielzeit vorgesetzt bekam - ohne Matheus Cunha, Dodi Lukebakio, Jhon Cordoba, Matteo Guendouzi, Nemanja Radonjic, Luca Netz und noch ein paar andere mehr -, vereint weniger Egoisten als im Vorjahr, aber fraglos auch weniger individuelle Klasse. Und er weist nicht nur auf den Außenbahnen und im Sturm erhebliche Konstruktionsmängel auf.

Mit ihnen wird sich fortan Tayfun Korkut beschäftigen, dem Bobic das Dardai-Erbe anvertraut. Der Neue findet eine limitierte, aber weitgehend intakte Mannschaft vor, deren sportliche Lage mit Platz 14 schwierig, aber weit weg von aussichtslos ist. Pal Dardai, der stets ein Mann fürs Machbare und nicht für die großen Zukunftsentwürfe war, hätte sich so eine Ausgangslage im Januar 2021 vermutlich gewünscht.

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