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Fünf Jahre VAR: Was die Zahlen sagen, was sich ändern könnte

Längere Dauer, weniger Fehler

Fünf Jahre VAR: Was die Zahlen sagen - und was sich ändern könnte

Der VAR hat sich in der Bundesliga durchgesetzt. Umstritten ist er immer noch.

Der VAR hat sich in der Bundesliga durchgesetzt. Umstritten ist er immer noch. imago images (3)

Wenn schon Gary Lineker eine Szene des Spiels Mainz gegen Freiburg kommentiert, dann ist wahrscheinlich mehr passiert als ein schöner Distanztreffer oder eine rüde Blutgrätsche. "VARcical" schrieb er auf Twitter, eine Wortneuschöpfung aus "VAR" und "farcical". Lächerlich. Schiedsrichter Guido Winkmann hatte damals, im April 2018, nach bereits erfolgtem Halbzeitpfiff beide Mannschaften aus den Kabinen zurück auf den Platz zitiert, um einen nachträglich verhängten Elfmeter ausführen zu lassen.

Ein Elfmeter in der Halbzeit: Eine, vielleicht die skurrilste Episode aus fünf Jahren Videobeweis in der Bundesliga. Die Entscheidung aus der Premierensaison 2017/18 sei richtig gewesen, sagte Schiedsrichter-Boss Lutz Michael Fröhlich damals, ohne zu verschweigen: "Am Ende ist der Ablauf korrekt, aber er läuft dem Grundgedanken der Spontanität und der Emotion entgegen."

Richtige Entscheidung, aber. Kein exklusives Problem der Premierensaison.

Die Skepsis dem Instrument gegenüber hat sich seit dem 18. August 2017, als der VAR im Eröffnungsspiel zwischen Bayern und Leverkusen erstmals eingriff, nicht in Luft aufgelöst. Sie hat sich nur zum Teil verlagert. Zuletzt etwa auf die Dauer der Eingriffe. "Es hat fünf Stunden und 34 Minuten gedauert, bis man wusste, dass es ein Millimeter Abseits war", sagte Bayern-Coach Julian Nagelsmann am vergangenen Wochenende nach einer Entscheidung beim 2:0 gegen Wolfsburg und wollte wissen, "wie dick die Linie war, die sie da gezogen haben".

Der erste Videobeweis-Einsatz

Tatsächlich belegen auch die Zahlen, die der DFB zuletzt der Deutschen Presse-Agentur zur Verfügung stellte, dass die VAR-Eingriffe in der Bundesliga länger dauern. Vergingen in den ersten beiden Saisons noch durchschnittlich 57 Sekunden bis zur Entscheidung, waren es 2021/22 74 Sekunden. Das ist laut DFB im internationalen Vergleich "sehr gut", aber auch Deniz Aytekin als Schiedsrichter des Jahres zeigte zuletzt bei "kicker meets DAZN" Verständnis dafür, "dass sich das für Zuschauer und Spieler anfühlen kann wie eine Ewigkeit".

Die Zahl der falschen Interventionen sinkt deutlich

Zumindest bei Abseitsentscheidungen ist aber wohl Besserung in Sicht. Beim UEFA-Supercup zwischen Real Madrid und Eintracht Frankfurt kam eine halbautomatisierte Abseitstechnologie zum Einsatz, mit der über ein 500-Hertz-Signal im Ball und ein Dutzend Kameras die Position von Spielern noch genauer erfasst werden soll. Eine Abseits-Überprüfung soll dann nur noch 25 Sekunden dauern. Auch für die WM in Katar ist die Technik eingeplant.

Noch zentraler für Aytekin: "Es gilt Sicherheit vor Schnelligkeit. Lieber hab ich die richtige Entscheidung, als dass ich mit aller Gewalt eine Entscheidung hervorrufe in einer bestimmten Zeit und dann ist es falsch." Eine Aussage, die sich durch die DFB-Zahlen untermauern lässt. In der Saison 2018/19 - bei noch deutlich geringerer Überprüfungszeit - zählte der DFB noch 19 falsche Interventionen bei insgesamt 111 Eingriffen. Seit sich die Schiedsrichter mehr Zeit lassen, ist die Quote gesunken. In der abgelaufenen Saison waren es nur noch sechs falsche Entscheidungen bei 116 Eingriffen, achtmal wurde ein fehlender Eingriff registriert.

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KMD #209 (mit Deniz Aytekin)
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Die Schlagzeilen, die der VAR schreibt, scheinen dennoch fast unverändert negativ. "Es passieren weiterhin Fehler", meint Aytekin im Podcast. "Die sind dann so exponiert, dass die Positivität komplett flöten geht." Nach der äußerst umstrittenen Roten Karte gegen Schalkes Dominick Drexler in Köln wetterte S04-Sportvorstand Peter Knäbel etwa: "Wenn da im Keller lauter Kaufhaus-Detektive sitzen und nach einem Bild suchen, in dem man irgendeine Schuld beweisen kann, dann werden die Werte des Spiels nicht respektiert. Wenn das die Zukunft ist, ist das nicht mehr mein Spiel." Und auch am Freitag zwischen Freiburg und Dortmund war es zu einem VAR-Fehler gekommen.

Hauptkritiker des Videobeweises bleiben jedoch die Zuschauer. In der großen kicker-Leserumfrage bewerteten 70,7 Prozent der Teilnehmer die Umsetzung des VAR als "schlecht", verschiedene Fan-Organisationen wünschen sich nach wie vor die Abschaffung des Videobeweises. "Der geringe Gewinn an mehr Gerechtigkeit steht in keinem Verhältnis zum Verlust an Emotionen", sagte "ProFans"-Sprecher Sig Zelt zuletzt der Deutschen Presse-Agentur. Vor allem der verzögerte Torjubel mache den Sport "deutlich unattraktiver".

Kommt der Review in den Stadien? - Streich skeptisch

Dass das Rad noch einmal zurückgedreht werden könnte, glaubt aber auch Zelt nicht mehr. "Ich fürchte, es gibt keinen Weg zurück", sagt er. Der VAR hat sich durchgesetzt. Allen Gegenstimmen zum Trotz. Die Diskussionen im Sommer 2022 verlagern sich eher darauf, wie man seine Anwendung in Zukunft besser ausgestalten kann.

So begrüßen die Fanvertreter etwa den Vorstoß von VAR-Projektleiter Dr. Jochen Drees, die betroffenen Szenen im Stadion abzuspielen, um mehr Transparenz zu erzeugen. Doch auch dieses Vorhaben ist nicht unumstritten. Freiburgs Trainer Christian Streich etwa kritisierte zuletzt, dass der Druck auf die Schiedsrichter dadurch "wahnsinnig erhöht" werde, Top-Referee Aytekin findet: "Wenn es eine klare Situation ist, dann ist es kein Problem. Die Menschen diskutieren ja nur über die Graubereiche. Wenn es eine Situation ist, wo du einen gewissen Interpretationsspielraum hast, dann gehen die großen Diskussionen los. Es gibt leider keine hundertprozentige Lösung."

Zwar nicht 100, aber immerhin 77,2 Prozent der Bundesliga-Profis befürworteten in der vergangenen kicker-Umfrage eine Einbindung von Ex-Profis und -Trainern im Kölner Keller. Zuletzt hatte sich auch Schalkes Sebastian Polter explizit dafür ausgesprochen. Projektleiter Drees hatte sich der Idee gegenüber im Sommer offen gezeigt - zumindest, was ein "Experiment" angehe. Ausgang offen. Wie an so vielen Stellen.

Was ist dann überhaupt neu in der nun sechsten VAR-Saison der Bundesliga? Laut DFB kann pro Spiel auf sieben Kameras mehr zurückgegriffen werden, zudem kommt eine neue Video-Assist-Technologie zum Einsatz. Vermutlich wird das teure Werkzeug auch häufiger gebraucht werden. "Es gibt eher die Tendenz, über fehlende Intervention nachzudenken als über übertriebene Intervention", sagte Fröhlich schon vor der Sommerpause. Bedeutet: Die VAR-Eingriffe werden wohl eher mehr als weniger. Die Diskussionen auch?

Michael Bächle

VAR-Wunsch und Bayern-Abwahl: Die Ergebnisse der Spielerumfrage