Bundesliga

Abbruch oder Aufbruch: Hertha BSC am Scheideweg

Die Mitgliederversammlung des Klubs wird zum Wegweiser

Abbruch oder Aufbruch: Hertha am Scheideweg

Fredi Bobic, Lars Windhorst & Co.: Der kommende Sonntag wird für Hertha BSC absolut wegweisend.

Fredi Bobic, Lars Windhorst & Co.: Der kommende Sonntag wird für Hertha BSC absolut wegweisend. IMAGO/Jan Huebner

Einige Beben, mehrere Eruptionen, viele Schlagzeilen - bisher war es eine ganz normale Hertha-Woche. Im Zeitraffer: am Montag die sportliche Rettung im Relegationsrückspiel in Hamburg, am Dienstag der Rücktritt von Präsident Werner Gegenbauer nach 14 Jahren im Amt und die Verkündung der vorzeitigen Vertragsauflösung mit Finanzgeschäftsführer Ingo Schiller zum 31. Oktober, am Mittwoch Gegenbauers medialer Vergeltungsschlag gegen Investor Lars Windhorst ("Windhorst hat den Verein angezündet"), am Donnerstagabend die kicker-Meldung über die Einigung mit Trainer-Topkandidat Sandro Schwarz (Dynamo Moskau), am Freitag im kicker die ungeschminkte Bilanz des scheidenden Trainers Felix Magath ("Ich hatte in den neun Wochen das Gefühl, keine Hilfe zu haben"), am Samstag ein "Spiegel"-Interview mit Kevin-Prince Boateng und dessen nüchterne Feststellung: "Es wurde zu viel geredet und zu wenig gemacht. Nur weil man 374 Millionen Euro investiert, heißt das noch lange nicht, dass es auch läuft."

Das kann man so sagen.

Hertha BSC - Vereinsdaten
Hertha BSC

Gründungsdatum

25.07.1892

Vereinsfarben

Blau-Weiß

mehr Infos
Trainersteckbrief Magath
Magath

Magath Felix

Spielersteckbrief K.-P. Boateng
K.-P. Boateng

Boateng Kevin-Prince

Hertha BSC - Die letzten Spiele
1. FC Kaiserslautern K'lautern (H)
3
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4
:
2

Der über seine Investment-Holding Tennor 2019 beim Hauptstadt-Klub eingestiegene Lars Windhorst hat schrittweise 374 Millionen Euro - plus eine Million Strafzins für nicht fristgerecht gezahlte Tranchen - in den Verein gepumpt und dafür 64,7 Prozent der Anteile an der Profiabteilung erworben. Das größte Einzelinvestment der Bundesliga-Geschichte endete auf den Plätzen 10, 14, 16 - und wurde im Klub und seinem Umfeld zu einer nicht enden wollenden Saga aus Grabenkämpfen, Machtgerangel, Durchstechereien und Eitelkeiten. Magath sagt im kicker-Interview mit Blick auf den Sonntag: "Der ganze Verein ist im Unklaren. Ich glaube nicht, dass jemand weiß, wie es bei Hertha weitergeht."

Ist Krawall das Erste - oder Sachlichkeit und Nüchternheit und eine normale Debatte?

Fredi Bobic

Vor der Zusammenkunft der Basis am Sonntag, 11 Uhr, in der Messehalle 20 appelliert Geschäftsführer Fredi Bobic an die Fürsorgepflicht der Mitglieder: "Die Frage wird sein, welche Mischung kommt. Ist Krawall das Erste - oder Sachlichkeit und Nüchternheit und eine normale Debatte? Es ist wichtig, dass die Mitglieder wissen: Wir brauchen Handlungsfähigkeit." Falls das komplette restliche Präsidium abgewählt wird, wäre das Organ, das Personalien absegnen und vertraglich gegenzeichnen muss, bis zu den in vier bis fünf Wochen geplanten Nachwahlen weggesprengt. Dann hätte nicht nur Bobic ein massives Problem, sondern der gesamte Klub. Ein Roundup am Tag vor dem Showdown.

Das Präsidium:

Nach Gegenbauers Rücktritt hat dessen langjähriger Vize Thorsten Manske die Geschäfte kommissarisch übernommen. Er hat Ambitionen, das Amt dauerhaft zu bekleiden - aber zunächst muss er den Sonntag überstehen. Die vorliegenden Abwahlanträge betreffen auch ihn. Von den acht von Mitgliedern eingereichten Anträgen thematisiert einer den Standort des künftigen Stadions - und sieben das Präsidium. Die Abwahlanträge gegen Gegenbauer sind nach dessen Demission obsolet.

Es müssen jetzt alle mal zur Ruhe kommen. Alle brauchen eine Yoga-Session.

Präsidentschaftskandidat Kay Bernstein

Am Sonntag müssen sich Manske und die anderen Präsidialen - Fabian Drescher, Anne Jüngermann, Peer Mock-Stümer, Ingmar Pering, Norbert Sauer - einem Abwahlprozedere unterziehen. Votieren 75 Prozent der stimmberechtigen, anwesenden Mitglieder für eine Abberufung, gilt der- bzw. diejenige als abgewählt. Sollte es alle erwischen, wovon klubintern niemand ausgeht, hätte Hertha ein handfestes Problem. Nachwahlen sind satzungsgemäß frühestens in vier Wochen möglich: auf einer außerordentlichen Mitgliederversammlung. Dort wird auch der Gegenbauer-Nachfolger gewählt. Ex-Ultra Kay Bernstein, der seine Kandidatur bereits vor Wochen öffentlich gemacht hatte und für einen grundlegenden Kultur- und Kommunikationswandel des Klubs wirbt, sagte in dieser Woche angesichts der permanenten Attacken und Aufgeregtheiten: "Es müssen jetzt alle mal zur Ruhe kommen. Alle brauchen eine Yoga-Session."

Der Aufsichtsrat:

Dieser wird am Sonntag neu gewählt.

Für fünf Plätze im Kontrollgremium gibt es acht Kandidaten. Der Medien-Manager und langjährige Hertha-Funktionär Bernd Schiphorst (von 2000 bis 2008 Präsident, 2008 bis 2018 Aufsichtsratschef, seitdem einfaches Mitglied im Aufsichtsrat) ließ sich mit 79 Jahren nicht mehr vorschlagen. Seine bisherigen Kollegen Dr. Torsten-Jörn Klein (Vorsitzender), Ex-Profi Andreas Schmidt, Scott Körber und Klaus Brüggemann kandidieren erneut. Neu vorgeschlagen wurden die früheren Präsidiumsmitglieder Christian Wolter und Renate Döhmer, zudem Oliver Herrgesell und Gunnar Seydler.

Herrgesell wäre für den Klub, der auch kommunikativ viel Angriffsfläche bietet, mit seiner Vita (u.a. 2006-2012 Executive Vice President RTL Group, 2012-2019 Leiter Kommunikation für das internationale Geschäft des Unternehmensbereichs von Time Warner mit globalen Sendern wie CNN, Cartoon Network und TNT) vermutlich ein klares Upgrade. Wolter ist dem Vernehmen nach nicht vor Ort und will seine Kandidatur per Video begründen, ihm werden lediglich Außenseiterchancen eingeräumt.

Der bisherige Aufsichtsrat hatte Gegenbauer Anfang Mai den Rücktritt nahegelegt, die Kommunikation zwischen dem Kontrollgremium und dem Klub-Patron war zuletzt am Nullpunkt angekommen. Nach Gegenbauers Rücktritt hatte der Aufsichtsrat in einem Statement "an alle Mitglieder, Fans und Sympathisanten unserer Hertha appelliert, nach dieser wiederum enttäuschenden Saison alles zu tun, Einigkeit herzustellen und Brücken zu bauen".

Die Geschäftsführung:

Der Bericht der Geschäftsführung folgt am Sonntag als Tagesordnungspunkt 9 auf die Aufsichtsratswahlen. Bobic wird das sportlich schwache Jahr mit drei Trainern und Platz 16 bilanzieren, Schiller die Finanzen. Der seit Jahren hochdefizitär arbeitende Klub hat, wie die am Freitag von der DFL vorgelegten Finanzkennzahlen zeigen, mit 77,9 Millionen Euro den größten Verlust nach Steuern von allen Bundesligisten in der Saison 2020/21 gemacht. 2019/20 waren es 53,5 Millionen Euro Verlust. Das Halbjahresminus der Saison 2021/22 lag bei 28,2 Millionen Euro. Für die gesamte Saison 2021/22 wurde zum Halbjahr mit einem Minus von 60 Millionen Euro kalkuliert.

Ein Mix aus Entschuldung, Eigenkapitalstärkung, coronabedingten Mindereinnahmen und horrend hohen Personal- und Transferkosten hat die 375 Windhorst-Millionen aufgefressen. Aus dem Corona-Förderprogramm des Bundes hat Hertha BSC im Februar sieben Millionen Euro erhalten. Stadtrivale Union etwa hatte auf einen solchen Förderantrag verzichtet. Bezeichnend für die finanzielle Lage: Bobic muss auch in seinem zweiten Sommer als Verantwortlicher in Berlin einen Transferüberschuss erzielen. Abseits der wirtschaftlichen und sportlichen Fehlentwicklung: Der Klub überlegt gerade, wie er sich in der Zukunft in der Geschäftsführung aufstellt.

Im Oktober 2021 ging CEO Carsten Schmidt, demnächst folgt Finanzchef Schiller, der seit 1998 im Klub ist und seit 2001 als Finanzgeschäftsführer amtiert. Er war es, der den Einstieg von Windhorst 2019 anbahnte. Dass es zwischen Bobic und Schiller in der Zusammenarbeit immer wieder zu Reibereien kam, ist im Klub ein offenes Geheimnis. Ohnehin gibt es in der Geschäftsstelle tiefe Gräben und viele Animositäten. Zwei Lager - die Alt-Herthaner und die von Bobic in erheblicher Zahl installierten Zugänge - stehen sich gegenüber. Diesen zerrissenen Klub mit sich selbst zu versöhnen und zu befrieden, wird eine der Kernaufgaben des künftigen Präsidenten sein.

Der Investor:

Lars Windhorst

Der Großinvestor der Alten Dame, der an Bord bleiben will: Lars Windhorst. imago images/Matthias Koch

Lars Windhorst, selbst Hertha-Mitglied, wird am Sonntag erstmals zu den Mitgliedern sprechen. Er wird die jüngsten Gegenbauer-Attacken kontern und versuchen, die Deutungshoheit über den Verlauf und die Hintergründe seines Investments zu gewinnen.

Klar ist: Er hat weder Zugriff auf das von ihm investierte Geld noch auf das operative Geschäft des Klubs. Zwei spannende Fragen stellen sich: Wen unterstützt Windhorst in Sachen Gegenbauer-Nachfolge - und stellt er weiteres Kapital in Aussicht? Ende März, zwei Monate vor Gegenbauers Rückzug, hatte Tennor-Sprecher Andreas Fritzenkötter dem kicker gesagt: "Einen Rückzug schließt Lars Windhorst definitiv aus. Er würde sogar weiteres Geld in die Zukunft des Vereins investieren, wenn es eine vernünftige Lösung der Probleme geben sollte. Windhorst glaubt weiter an das große Potential, das er in Hertha BSC sieht."

In der aktuellen Ausgabe der "Wirtschaftswoche" wird eine mögliche Tennor-Finanzspritze von weiteren 150 Millionen Euro kolportiert. Vorabsprachen mit dem Verein gibt es bislang dazu nicht.

Steffen Rohr