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Betze News | Meister als Aufsteiger: Wie der FCK Geschichte schrieb

Vom Aufsteiger zum Meister

Teuflisch, einzigartig, unaufhaltsam: Als der FCK Geschichte schrieb

Andreas Brehme hebt nach seinem letzten Bundesliga-Spiel die Meisterschale in den Himmel.

Andreas Brehme hebt nach seinem letzten Bundesliga-Spiel die Meisterschale in den Himmel. imago images/Pressefoto Baumann

Andreas Brehme weint sich nach dem ersten Lauterer Bundesliga-Abstieg 1996 an der Schulter des Leverkuseners Rudi Völler aus. Ein Bild, das sich jedem Fußballfan in der Pfalz ins Gedächtnis gebrannt hat. Der FCK, nein, eine ganze Region ist am Boden. Doch aus diesem Moment ziehen Spieler, Verein und Fans eine Kraft, mit der nichts mehr unmöglich scheint. Was folgt, ist bekannt: der wohl beeindruckendste Lauf einer deutschen Fußballmannschaft.

Nur zwei Jahre nach dem dramatischen Abstieg ist der deutsche Fußball mit dem vierten Meistertitel des 1. FC Kaiserslautern um ein einzigartiges Kapitel reicher. Diesmal kommen Brehme Tränen der Freude. Im letzten Spiel seiner Karriere, ausgerechnet in seiner Geburtsstadt Hamburg, darf er sich am 9. Mai 1998 mit 37 Jahren und der Meisterschale von der großen Bühne verabschieden.

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Auch wenn der Weltmeister in dieser Saison nur noch eine Nebenrolle innehat, ist der Durchmarsch von der 2. Liga bis an die Spitze der Bundesliga auch sein Verdienst. Zugleich steht sein Verhalten symbolisch für das Mannschaftsgefüge. Brehme geht 1996 mit in die 2. Liga, wie insgesamt 13 Spieler, die meisten davon Leistungsträger. Gemeinsam wollen sie den Abstieg wiedergutmachen. Brehme führt die Mannschaft als Kapitän zurück in die Bundesliga und zeigt Größe, weil er sich dort unterordnet und einspringt, wenn er gebraucht wird.

Weil der Titel schon seit einer Woche feststeht, wird das Spiel in Hamburg zu seinem Abschiedsgeschenk. Sein fünfter Einsatz der Saison, seine letzten 90 Minuten im 301. Bundesliga-Spiel. Wieder beweist er Größe: Sein Kapitänsamt überlässt er vor dem Spiel Ciriaco Sforza, "weil er es verdient hat". Um 15.13 Uhr reckt der Schweizer vor über 25.000 FCK-Fans im Volkspark vor dem Anpfiff die Schale in den Himmel.

Das entscheidende Spiel gegen Wolfsburg

Perfekt war die Sensation schon eine Woche zuvor. "Fußballgott" Olaf Marschall mit einem Doppelpack, Jürgen Rische und Martin Wagner sichern am 2. Mai 1998 einen 4:0-Erfolg gegen den VfL Wolfsburg. Dazu braucht es Schützenhilfe. "Unser Spiel war schon fertig, und bei den Bayern gab es noch vier, fünf Minuten Nachspielzeit", erzählt Axel Roos. Er weiß das besser als seine Teamkollegen, weil er zwangsläufig von zu Hause aus verfolgen muss, wie die Bayern in Duisburg nicht über ein 0:0 hinauskommen und der FCK vorzeitig Meister ist. "Vorm Fernseher sitzen und mitzittern, das konnte ich gar nicht. Ich habe Herzrasen bekommen, das war brutal."

Dabei soll er sich eigentlich schonen. Eine Herzmuskel-Entzündung setzt den Verteidiger, der zuvor in der Saison nur ein Spiel verpasst hat, in den letzten beiden Partien außer Gefecht. Dass er genau zu diesem Zeitpunkt in der Saison und auch auf dem Mannschaftsbild mit der Schale fehlt, das sei "sehr bitter", sagt Roos noch 25 Jahre später. Die beiden gebürtigen Pfälzer Roos und Roger Lutz sind die einzigen, die bei allen vier FCK-Titeln der 90er Jahre dabei sind. Angefangen mit dem Pokalsieg 1990 und der Meisterschaft 1991 fortgeführt mit dem Pokaltriumph 1996 und dem Titel 1998, auch wenn Roos da die spontane Feier sausen lassen muss.

Jubel nach dem 4:0

Otto Rehhagel und sein Team feiern nach dem 4:0 über Wolfsburg die feststehende Meisterschaft. picture-alliance / dpa

"Da ging richtig die Post ab"

Was nach dem Sieg über Wolfsburg auf dem Betzenberg und in der 100.000-Einwohner-Stadt los ist, sucht seinesgleichen. "Die ganze Stadt war im Ausnahmezustand, da ging richtig die Post ab", erzählt der damalige Wolfsburger Roy Präger. Für den VfL, ebenfalls Aufsteiger, steht an diesem Tag trotz der Niederlage der Klassenerhalt fest. Gefeiert wird auch deshalb gemeinsam, weil mit Wolfgang Wolf ein alter FCK- Bekannter auf der Trainerbank der Niedersachsen sitzt. "Einige von uns hatten Lautern-Trikots an, damit wir nicht auffielen. Ich habe nach dem Spiel das Trikot mit Jürgen Rische getauscht und bin damit feiern gegangen. Wir standen auf der Bar und haben mit Sekt rumgespritzt. Ich kann mich noch erinnern, dass ich rote Hörner auf dem Kopf hatte", erzählt Präger lachend von der feuchtfröhlichen Partynacht. Der heutige Jugendleiter des VfL und Rische begegnen sich ab diesem Zeitpunkt häufiger. Als Spieler für Wolfsburg verpassen sie sich zwar knapp, heute kicken sie dafür gemeinsam in der VfL-Traditionsmannschaft und wohnen nur wenige Kilometer voneinander entfernt.

Mehr als 30.000 Fans nehmen die Altstadt bis in die tiefen Nachtstunden in Beschlag. Mit wohl etwas mehr Zurückhaltung, aber nicht weniger Begeisterung, genießt auch der Schiedsrichter der Partie die Feier. "Wir wurden vom Verein eingeladen. Die ganze Stadt war auf den Beinen, so etwas habe ich vorher und nachher nie wieder in dieser Art erlebt", erzählt Jürgen Jansen, der von 1993 bis 2004 insgesamt 141 Spiele in der Bundesliga leitete. "Es ist für immer eine schöne Erinnerung, da dabei gewesen zu sein." Dieses Zusammensein lässt auch Meisterspieler Wagner, der beim Gedanken an diesen Abend mit Präger und Jansen direkt in Erinnerungen verfällt, noch heute schwärmen: "So soll es sein. Sport verbindet. Deshalb liebe ich den Fußball bis heute, dieses Miteinander und Füreinander. Solche Anekdoten schreibt nur der Sport. Man freut sich mit dem anderen, man leidet mit dem anderen, man findet immer zusammen."

Vom Aufsteiger zum Meister: Die FCK-Saison 1997/98 in Bildern

Doch es gibt eine Phase, da scheint der Traum vom Fußballwunder in der Provinz in die Ferne zu rücken. Die Tabellenführung, die der FCK ab dem 4. Spieltag nicht mehr hergab, ist am 32. Spieltag akut in Gefahr. 2:0 führt Borussia Mönchengladbach auf dem Betzenberg. Bleibt es dabei, kann der FC Bayern mit einem Sieg gegen Leverkusen an diesem Wochenende an den Pfälzern vorbeiziehen. Doch eines lehrt die Saison 1997/98: Den FCK darfst du nicht abschreiben. Niemals. Erst recht nicht zu Hause, wo insgesamt 13 der 17 Spiele gewonnen werden. So auch an diesem Freitagabend vor 38.000 Fans im ausverkauften Fritz-Walter-Stadion. Ein Doppelpack von Marschall bringt den FCK zurück. Um 21.46 Uhr senkt sich dann ein Kopfball des Torjägers in hohem Bogen ins obere Toreck. Der Hattrick zum Sieg. Ekstase auf dem Betzenberg. "We are the Champions" dröhnt es noch lange nach Schlusspfiff von den Rängen.

Warum hätten wir Angst haben sollen? Wir hatten nie etwas zu verlieren.

Michael Schjönberg

"Warum hätten wir Angst haben sollen? Wir hatten nie etwas zu verlieren. Die Saison hätte da zu Ende sein können - und trotzdem hätten wir Überragendes geleistet. Wir wollten Spaß haben, Fußball spielen und haben immer an uns geglaubt", beschreibt Michael Schjönberg das Erfolgsrezept dieser Aufholjagd und vieler weiterer. Fünf Tage nach dem Kraftakt gegen die Borussia folgte der nächste Beweis. Im Nachholspiel in Bielefeld liegt die Mannschaft erneut zurück, wie insgesamt 16-mal in jener Saison. Doch ein Comeback folgt auf das nächste. Verloren gehen nur vier Spiele, das in Bielefeld gehört nicht dazu: Der 2:2-Ausgleich fällt diesmal in der 87. Minute.

Michael Schjönberg

Immer voller Einsatz: Michael Schjönberg. Bongarts/Getty Images

Torschütze Jürgen Rische symbolisiert für Schjönberg einen weiteren Aspekt der Erfolgsgeschichte. Thema Zusammenhalt. "Ich nehme Jürgen immer als Beispiel, der elf Tore geschossen hat, aber kein Stammspieler war. Heutzutage, wenn einer so viele Tore schießt, aber kein Stammspieler ist, er würde meckern oder dafür sorgen, dass er woanders hinkommt …", beschreibt der Däne. "Es war ein wahnsinniges Miteinander, jeder hat seine Aufgabe angenommen." Ähnliche Worte finden viele Mitspieler, allen ist die Vorfreude anzumerken, dass es in diesem Sommer mal wieder ein Treffen des Teams geben wird. Es ist ein Zusammengehörigkeitsgefühl, wie es keiner in seiner Karriere ein zweites Mal erlebt hat.

Grundstein ist der Abstieg 1996

Der Grundstein für all das wird an dem Tag gelegt, als Brehme in den Armen von Völler weint. Die Abstiegssaison 1995/96 ist die erste mit Drei-Punkte-Wertung. Nach der alten Zwei-Punkte-Regel wäre der FCK dringeblieben. Bitter. Unglückliche Partien und ein ramponierter Rasen auf dem "Betze" werden der spielerisch begabten Truppe zum Verhängnis. Roos erzählt lachend, wie er sogar eine Abmahnung vom Verein erhielt, weil er sich öffentlich über den schlechten Zustand des Grüns beschwerte. Es hilft nichts. Der Rasen bleibt, Lautern steigt ab. Der 1:0-Sieg im Pokalfinale über den Karlsruher SC, nur eine Woche nach dem tränenreichen Saisonfinale, zieht Verein und Spieler aber aus dem Negativstrudel heraus. Es ist der Startschuss zur Erfolgsserie. "Wir waren auch durch diese Momente so zusammengewachsen, dass es irgendwann keine Zweifel mehr gab, dass wir das Ding durchziehen", beschreibt Rische.

Wir haben die Nadelstiche zum richtigen Zeitpunkt gesetzt. Vor allem gegen die Bayern.

Michael Schjönberg

Das Erfolgsrezept bestand also aus Wille, Leidenschaft, Geschlossenheit und natürlich - ganz wichtig - dem Trainer, "König Otto". "Ein anderer hätte das nicht geschafft. Er hat immer das Händchen gehabt, die richtigen Leute aufzustellen. Er hat dir eine Woche frei gegeben, wenn du privat Probleme hattest. Das war fernab von jeder Trainingslehre, aber wir hatten trotzdem die Kraft, den Gegner in den letzten Minuten an die Wand zu spielen", erzählt Roos. "Es war die große Gabe von Otto Rehhagel, eine Mannschaft zusammenzustellen, die nicht aus den stärksten Einzelpersonen bestand, aber als Team so harmonierte, dass wir jeden besiegen konnten", erklärt Rische.

Die Duelle gegen Bayern münchen 1997/98

Zurück in der Bundesliga liefern die Lauterer schon am 1. Spieltag den Beweis für diese These. Wie ein Kind lacht, springt und hüpft Kaiserslauterns Trainer auf dem Rasen des Münchner Olympiastadions umher, spritzt wild mit der Wasserflasche und kennt nur noch ein Ziel: Die Nordkurve, in der die mitgereisten FCK-Fans warten. Eine im Weg stehende Werbebande? Die heranstürmenden Fotografen, die ihn wie ein Bienenschwarm umkreisen? Betreuer und Spieler, die sich ihm um den Hals werfen? Für Rehhagel keine Hindernisse. Erst vor dem Gästeblock bleibt er stehen und lässt sich begeistert für den ersten Akt seines Husarenstücks feiern: Ausgerechnet beim FC Bayern, beim amtierenden Meister, der ihn im April 1996 trotz des Einzugs ins UEFA-Cup-Finale vor die Tür gesetzt hat, triumphiert der FCK dank eines Tores von Schjönberg und fährt einen 1:0-Sieg ein. Von da an nimmt der Siegeszug seinen Lauf. Von den ersten sieben Spielen gewinnt Lautern sechs. Zwischenzeitlich beträgt der Vorsprung auf die Bayern neun Punkte, sodass sich der FCK ab Ende März sogar eine kleine Durststrecke mit einer Niederlage und drei Remis erlauben kann.

Auch im Rückspiel auf dem Betzenberg geht der FC Bayern beim 0:2 leer aus. "Wir haben die Nadelstiche zum richtigen Zeitpunkt gesetzt. Vor allem gegen die Bayern. Wenn du die sechs Punkte wegnimmst, bist du gut dabei. Meister wirst du aber nicht", erzählt Schjönberg. Und auch sonst spielten Giovanni Trapattoni und Co. dem FCK in die Karten: "Unser Glück war, dass es bei den Bayern viele Probleme gab, es wurde viel darüber geschrieben, wir aber konnten in aller Ruhe unser Ding machen."

Vergeblich versuchte der Weltklub aus der Millionenstadt den Aufsteiger aus der Ruhe zu bringen. Denn der macht unaufhaltsam weiter. Die Meisterfeier steigt im Mai 1998 in der Pfalz.

Dieser Text erschien erstmals in der kicker-Ausgabe vom Montag, 10. April - hier können Sie sich den kicker als eMagazine im Flex-Abo sichern.

Moritz Kreilinger