Bundesliga

Streich: "Wir sagen nicht zu zehnt: Du armer Keven"

Freiburgs Trainer über den "komplizierten Balanceakt" des Abwehrspielers

Schlotterbeck? Streich: "Wir sagen nicht zu zehnt: Du armer Keven"

Zeigt Verständnis für die Situation von Keven Schlotterbeck: Freiburgs Trainer Christian Streich.

Zeigt Verständnis für die Situation von Keven Schlotterbeck: Freiburgs Trainer Christian Streich. picture alliance / Guido Kirchner

Nach dem Abschied seines Überflieger-Bruders Nico nach Dortmund hat sich Keven Schlotterbeck viel vorgenommen. Der SC verlängerte trotz einer durchwachsenen Saison mit wenig Einsatzzeiten im Juni den Vertrag des 25-Jährigen, der den Vertrauensbeweis unbedingt rechtfertigen möchte, wie er im kicker-Interview im Juli erklärte.

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Ohne Rhythmus war beim 1,89-Meter-Mann (69 Bundesliga-Einsätze) wenig von der Ruhe am Ball und der Stärke im Aufbauspiel aus früheren Tagen zu sehen. Kurz vor der Pause leistete sich Schlotterbeck dann einen krassen Aussetzer, legte St.-Pauli-Angreifer Lukas Daschner dessen Führungstor auf und wurde in der Pause mit drei anderen SC-Profis ausgewechselt.

Obwohl Freiburg die Partie noch spektakulär drehte, "ging es ihm nicht gut", wie Streich am Freitag berichtete: "Ich habe kurz mit ihm gesprochen. Es kann ihm nicht gutgehen persönlich, wenn du lang nicht gespielt hast und du wirst in der Halbzeit ausgewechselt, weil dir so ein Fehler passiert ist." Aber das sei überhaupt nicht schlimm. "Dieser Fehler hat keine Auswirkungen auf irgendetwas in unseren Überlegungen. Weil jeder von uns macht Fehler, deswegen machen wir Mannschaftssport, dass die anderen das zu tragen haben", betonte Streich.

Schlotterbeck sei überwiegend in Ruhe gelassen worden. "Wir gehen nicht mit zehn Mann hin und sagen: Du armer Keven. Das brauchen wir nicht. Es gibt kurze Berührungen, kurzen Blickkontakt von den Spielern. Das reicht uns, wir wissen, wir können uns aufeinander verlassen", schilderte Streich den Umgang am Spieltag und nannte Schlotterbeck am Freitag als eine mögliche Option für den Fall, dass Matthias Ginter gegen Bremen ausfällt.

Das wäre die schnelle Chance auf Wiedergutmachung, aber auch direkt wieder eine Drucksituation. So oder so ist Schlotterbecks Lage aktuell kompliziert. Das weiß Streich. "Wenn du über Wochen wenig spielst, musst du alle drei Tage hochfahren, mit Hoffnungen und Enttäuschungen umgehen. Wir freuen uns alle und du freust dich auch total, dass man gewinnt. Aber, wenn wir auch mal verlieren würden oder einmal mehr, wäre vielleicht die Chance größér, dass du spielst", kann sich der 57-Jährige in die Situation des Abwehrmanns hineinversetzen.

"Der Dubel, der mich nicht aufstellt": Unmut auf den Trainer angebracht

"Wenn du dann mal spielst, erhöht sich der Druck, unbedingt ein gutes Spiel machen zu wollen. Auch um den Trainern zu zeigen: Ihr könnt euch auf mich verlassen und ich gehöre jetzt auch mal da rein. Das trägt nicht zur Ruhe bei, das ist fast bei jedem Spieler so", findet Streich. Es gebe je nach Verletztensituation jede Saison einige Spieler in solchen Situationen. "Das ist wirklich schwer, aber Keven ist mit den Jungs super und auch mir gegenüber total in Ordnung", so Streich, der einen gewissen Unmut jedoch für angebracht hält.

"Dass der mal denkt: Jetzt kommt der wieder, der mich nicht aufstellt, dieser Dubel (südbadisches Schimpfwort, Anm. d. Red.). Das hoffe ich, dass er das denkt, weil er ein ehrgeiziger Spieler ist. Wenn du das nicht denkst, hast du gewissermaßen den Biss verloren", erklärt Streich: "Das ist ein emotionaler Balanceakt, der absolut kompliziert ist. Ich kenne den von mir selbst, als ich gekickt habe. Das ist schon über 30 Jahre her, aber es ist alles eins-zu-eins abrufbar in meinem Kopf und in meinem Gefühl."

Der Freiburger Trainer zeigt in diesem Fall einmal mehr viel Empathie. Dennoch wird er mit seinen Trainerkollegen aller Voraussicht nach die sportlichen Entscheidungen weiterhin vor allem auf Basis des Leistungsprinzips treffen. In dieser Hinsicht hat Schlotterbeck am Mittwoch einen ungenügenden Nachweis gebracht. Spannend, ob und wann sich seine Lage im Freiburger Erfolgsteam entspannt.

Carsten Schröter-Lorenz