Bundesliga

Stefan Bell, Vize-Kapitän des 1. FSV Mainz 05: "Junge Spieler sind deutlich unselbstständiger"

Mainzer Vize-Kapitän mit deutlichen Worten

Bell über die "Blase Fußball": "Es ist einfach nervig"

Kritisch und reflektiert: Der Mainzer Vize-Kapitän Stefan Bell.

Kritisch und reflektiert: Der Mainzer Vize-Kapitän Stefan Bell. imago

Der 27-Jährige ist bekannt dafür, dass er über den Tellerrand des Fußballgeschehens hinausblickt. Auch diesmal antwortete er auf viele Fragen sehr pointiert. Bell über . . .

. . . zwei Siege nacheinander: "Die neuen Spieler setzen immer mehr um, was gefordert ist und passen sich an. Wir haben uns eingespielt. In den vergangenen Wochen hatten wir nicht mehr so viele Wechsel im Team wie letzte Saison, das bringt uns ebenfalls weiter. Die Besetzung der Viererkette ist ziemlich konstant. Als Daniel Brosinski mal raus war, kam Philipp Mwene rein, hat zwei Spiele gemacht und war direkt richtig gut drin."

. . . die Zwischenbilanz nach dem ersten Saisondrittel: "Die sieben Punkte nach den ersten drei Spielen waren vielleicht in Teilen glücklich. Dafür hätten wir in der Phase danach, als wir nur zwei Zähler aus fünf Spielen holten, deutlich mehr verdient gehabt. In Leverkusen, auf Schalke, zu Hause gegen Wolfsburg und die Bayern hätten wir besser punkten können. Auch das Pokal-Aus war unnötig. Die letzten beiden Spiele haben wir verdient gewonnen. Wir haben weitergemacht wie zuvor und einfach mal Tore geschossen. Die Leistungen sind eigentlich insgesamt relativ konstant."

. . . die Phasen in einem Spiel: "Wenn wir in jedem Spiel 80 Minuten dominant wären, dann wären wir eine Champions-League-Mannschaft. Da ist nicht das, was man von Mainz 05 erwarten kann. Es ist eher ein Kompliment, wenn wir Gegner wie Freiburg, die mit uns auf Augenhöhe sind, über eine Halbzeit komplett dominieren und es danach ausgeglichen ist, das ist es eine Topleistung von uns."

. . . das Mainzer Teambuildung: "Es ist okay, wie die Mannschaft zusammengewachsen ist. Dadurch, dass bei uns so viele unterschiedliche Kulturen zusammenspielen, ist das nicht immer einfach, besonders sprachlich. Es geht vor allem darum, auf dem Platz als Mannschaft aufzutreten, das klappt gut, auch taktisch."

"Mit 15 verlieren die Spieler den Bezug zur normalen Welt"

. . . verschiedene Spielergenerationen: "Zwischen den älteren und jüngeren Spielern sind die Unterschiede teilweise sehr groß, unabhängig von der Nationalität. Die Jungs sind meines Erachtens deutlich unselbständiger geworden. Viele junge Spieler sind gewohnt, dass sie sich um nichts kümmern müssen, darin sehe ich eine Gefahr. Viele wissen gar nicht, wie das normale Leben funktioniert, sie kommen mit 15 in eine Blase und haben keinen Bezug mehr zur normalen Welt. Bei Mainz 05 versuchen wir möglichst boden- und vor allem selbstständig zu bleiben, das ist für einige eine große Umstellung. Wir haben einen gewissen Anspruch an unseren Alltag und wollen uns bewusst ein bisschen absetzen von vielen anderen. Besonders am Anfang ist das manchmal ein bisschen ein Kampf, das durchzusetzen."

. . . das Mainzer Internats-Modell: "Ich war drei Jahre im Internat und finde unser Konzept richtig gut. Viele andere Bundesligisten haben ihr Internat direkt am Trainingsgelände. Quasi auf dem Gelände zu leben, ist das schlimmste, was einem Jugendlichen passieren kann. Wir kooperieren dagegen mit dem Kolpinghaus, was vielleicht manchmal als Sparbrötchenversion rüberkommt, aber pädagogisch viel wertvoller ist, weil du da nicht nur Fußballer bist. Dort wohnen viele Azubis und im Normalfall sollte man mit denen interagieren im Alltag. Es schadet sicher nicht, wenn man mitbekommt, welche Probleme ein Auszubildender hat, um was man sich so als 17-Jähriger alles kümmern muss."

"Was mich an der Blase Fußball nervt"

. . . die Fußball-Blase: "Auch ich versuche, im Alltag immer mehr aus der Blase Fußball rauszukommen, weil es mir zunehmend missfällt. In meinem Umfeld spüre ich, dass Leute, die früher süchtig nach Fußball waren, jedes Spiel angeschaut haben, maximal noch samstags Fußball schauen. Es ist einfach viel zu viel geworden, die Leute sind etwas abgestumpft und das Besondere ist ein bisschen verloren gegangen. Es sind viele kleine Sachen, die zusammenkommen: Montagsspiele, WM mit 48 Mannschaften oder dass man jetzt drei Anbieter braucht, um alle Spiele zu sehen. Es ist einfach nervig."

. . . den Zuschauerrückgang: "Klar kann ich nachvollziehen, dass immer weniger Zuschauer in die Stadien kommen, aber das ist kein Problem, das Mainz exklusiv hat. Der Fußball hat immer davon gelebt, dass er das Highlight der Woche ist. Wenn man dieses Highlight jeden Tag haben kann, nutzt es sich ab. Hinzu kommt das Thema Anstoßzeiten: Früher konnte man sich als Dauerkartenbesitzer darauf einstellen, jeden zweiten Samstag freizuhalten. Heute sind von 17 Heimspielen vielleicht nur noch zehn samstags, der Rest freitags, sonntags oder montags. Dass man dann seine Dauerkarte abgibt, wenn man nur samstags kann, kann ich auch verstehen."

. . . die Gegenmaßnahmen des 1. FSV: "Ich finde es gut, dass es bei Mainz 05 eine Arbeitsgruppe gibt, wo maßgeblich auch die Fans das Thema Identität erarbeiten und es nicht von oben oder einer Beratungsagentur übergestülpt wird. Es kommt von der Fanbasis."

Aufgezeichnet von Michael Ebert