Bundesliga

Lieberknechts Reise vom Robinson-Club in den Kölner Keller

Darmstadt-Trainer schießt mit seiner Kritik übers Ziel hinaus

Lieberknechts Reise vom Robinson-Club in den Kölner Keller

Hadert mit den Umständen der Lilien in der Bundesliga: Torsten Lieberknecht

Hadert mit den Umständen der Lilien in der Bundesliga: Torsten Lieberknecht IMAGO/Michael Weber

Nicht erschrecken, wenn ihnen demnächst im Fernsehen direkt nach einem Werbespot, in dem Jürgen Klopp für die Deutsche Vermögensberatung wirbt, sein Berufskollege Torsten Lieberknecht auf dem Bildschirm erscheint und für einen Urlaub im Robinson-Club wirbt. Vielleicht beißt sich die Marketing-Abteilung des selbsternannten "Premiumanbieters für erstklassigen Cluburlaub" bei der Anfrage an dem bodenständigen Pfälzer aber auch die Zähne aus. Denn es scheint, dass Lieberknecht mal schlechte Erfahrungen mit Urlaubsreisen dieser Art gemacht hat.

Wer kennt es nicht? Die Vorfreude auf den ersehnten Urlaub ist riesig. Doch kaum ist man angekommen, entpuppt sich die Realität anders als erwartet. So ergeht es gerade dem SV Darmstadt 98, nachdem er in der Vorsaison im Zweitliga-Reisebüro die Pauschalreise Bundesliga gebucht hat - um den Sprachduktus von Lieberknecht aufzugreifen. Der Lilien-Coach wählte nach dem 1:3 in Stuttgart nämlich eine spezielle Metapher.

Der VAR als Barkeeper

"Die 1. Liga ist eigentlich wie Club-Urlaub. Seit 25 oder 30 Jahren fahren immer die gleichen Gesichter in den Club - und dann kommen irgendwann ein paar neue Gäste dazu, und dann wird halt geguckt: Wie benehmen die sich? Was ziehen die an? Dann hast du den Barkeeper, der sitzt im Keller in Köln, und der hat auch noch eine Meinung und sagt: Pass mal auf, die neuen Gäste sind nicht so ganz, wie wir uns das vorstellen", erzählte der 50-Jährige zuerst bei "DAZN". Bei der "ARD" ergänzte er kurz darauf, dass der SV98 in diesen Club scheinbar nicht reinpasse. "Das merkt man ab und zu, das haben wir letzte Woche gemerkt, das haben wir heute gemerkt. Mancher Clubchef an der Bar hat vielleicht was dagegen. Vielleicht brauchen wir einen neuen Anzug."

Robinson-Konkurrent Club Aldiana behauptet, ein Aufenthalt bei ihnen sei "Balsam für die Seele". Davon kann im Erstliga-Klub für die Lilien momentan nicht zu reden sein. Im Grunde genommen trifft Lieberknecht mit seiner Kritik an der elitären Gesellschaft ja einen wahren Kern. Die Entwicklung der Verteilung von TV-Geldern, die immer weiter steigenden Ablösesummen in der Spitze und vieles mehr machen es für Aufsteiger jedes Jahr schwieriger, in der Bundesliga zu bestehen.

Täuschen wollten in Stuttgart nur die Lilien

Doch der "Barkeeper im Kölner Keller" ist wirklich nicht dafür verantwortlich, dass die Hessen mit erst einem Punkt aus fünf Spielen auf Rang 17 stehen. Es wurde bisher nicht offensichtlich, dass der VAR bei Darmstädter-Spielen unter Einfluss von zu viel Caipirinha aktiv wurde. Ja, über den strittigen Platzverweis gegen Matej Maglica beim 3:3 gegen Gladbach darf diskutiert werden. Doch wer länger als nur ein Jahr zur Gesellschaft in der Bundesliga gehören will, von dem darf erwartet werden, eine 3:0-Führung auch mit einem Mann weniger für knapp 40 Minuten über die Zeit zu bringen.

Der Zeitpunkt von Lieberknechts Vorwürfen in Richtung der Unparteiischen verwundert umso mehr. Das Schiedsrichtergespann um Matthias Jöllenbeck konnte am Freitagabend nun wirklich gar nichts dafür, dass die 98er am Freitagabend ohne Punkte im Gepäck nach Hause fuhren. Das Team offenbarte einmal mehr Mängel in allen Mannschaftsteilen: vorne völlig harmlos, hinten extrem fehleranfällig. Obendrein versuchten Marvin Mehlem und Filip Stojilkovic Schiedsrichter, Barkeeper und Co. mit klaren Schwalben zu täuschen.

Fritsch wittert Verschwörung

Die Darmstädter verbarrikadieren sich immer tiefer in ihrer Wagenburg und müssen aufpassen, dieses Bild nicht überzustrapazieren. Erst vor einer Woche polterte der sonst so besonnene Präsident Rüdiger Fritsch durch die Mixed-Zone. Der Platzverweis sei "Schwachsinn" und eine "Frechheit". So weit, so gut. Doch als er dann eine Verschwörung zum eigenen Nachteil witterte, war es zu viel: "Entweder haben die Kleinen kein Glück oder die Kleinen haben keine Lobby!"

Lieberknecht ist übrigens kein Ersttäter. 2013, als er mit Eintracht Braunschweig einen wohl ebenso "kleinen" Verein betreute, brachte ihn ein 0:4 beim Hamburger SV auf die Palme. "Es gab dann wieder Momente, wo Du merkst, Du bist dieser kleine Pissverein. Du bist dieser Piss-Verein, der auch bei den Schiedsrichtern nicht diese Wahrnehmung hat. Sind es 50:50-Entscheidungen, fallen sie immer für den Großen aus", sagte er damals. Andere Worte, gleiche Bedeutung, nicht weniger problematisch.

Erst ein Punkt: völlig leistungsgerecht

Lieberknecht und Fritsch müssen nur mal einen Blick zum Nachbarn in Frankfurt werfen. Eine kleine Auswahl: Gegen Mainz (1:1) fühlte sich die SGE beim Platzverweis von Ansgar Knauff ungerecht behandelt, beim 1:1 gegen Bochum hätte wohl nicht jeder Schiedsrichter den von Omar Marmoush verursachten Elfmeter gepfiffen. War die Eintracht in den Duellen jetzt der "kleinere" Klub? Wohl kaum.

Mit verschwörerischen Formulieren wandeln die Lilien auf einem schmalen Grat. Denn der durchaus angebrachte Teil der Kritik geht durch das Überziehen völlig unter. Es mag aktuell bitter sein, dass der SV 98 trotz immer wieder guter Phasen in den Spielen noch ohne Sieg ist. Doch es ist unterm Strich leistungsgerecht. Und wenn die Mannschaft so weitermacht, wird der Klub-Urlaub in der Bundesliga am 18. Mai 2024 enden. Daran sind dann weder höhere Mächte noch ein Barkeeper schuld.

Moritz Kreilinger

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