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NFL-Kolumne von Adrian Franke über das Running-Back-Problem

Die NFL-Kolumne von kicker-Experte Adrian Franke

Kollektiver Aufschrei einer Position: Gibt es eine Lösung für das Running-Back-Problem?

Erhielt in Las Vegas keinen langfristigen Deal: Josh Jacobs.

Erhielt in Las Vegas keinen langfristigen Deal: Josh Jacobs. IMAGO/USA TODAY Network

(Update: Am 25. Juli einigte sich Saquon Barkley mit den New York Giants auf eine Vertragsverlängerung über ein Jahr)

Die Franchise-Tag-Deadline kam und ging. Am Ende blieben drei Spieler übrig, die von ihrem Team im Frühjahr den Tag erhalten und bis zur Deadline keinen langfristigen Vertrag unterschrieben haben, wodurch sie die kommende Saison ausschließlich unter dem Tag bestreiten können: Saquon Barkley, Josh Jacobs und Tony Pollard. Alle drei spielen Running Back - und die Kritik war unerwartet groß. 

Die Tweets wurden nach dem Verstreichen der Deadline nur so aus allen Rohren gefeuert: Austin Ekeler von den Chargers etwa sagte, dass "eine der wichtigsten Positionen künstlich entwertet" wurde, und dass "jeder wisse, dass es schwer ist, ohne einen Top-Running-Back zu gewinnen".

Derrick Henry ließ verlauten, dass man mittlerweile ja auch einfach die Running-Back-Position aus dem Spiel streichen könne, Jonathan Taylor beklagte, dass gute Leistungen auf der Position keine Rolle spielen und Christian McCaffrey sprach davon, dass die Tatsache, dass Barkley, Jacobs und Pollard keine langfristigen Verträge erhalten haben, "kriminell" sei: "Drei der besten Spieler in der ganzen Liga, unabhängig von ihrer Position."

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Die Tatsache, dass insbesondere Barkley und Jacobs, beide jeweils einstige Erstrunden-Picks und Aushängeschilder ihrer Franchise, keinen neuen Vertrag bekommen hatten, schien eine Art Schockwelle durch die Running-Back-Welt zu schicken, gemäß dem Motto: Wenn nicht einmal diese Stars bezahlt werden, was heißt das dann für den Rest? Es wird berichtet, dass sich einige Running Backs hinter den Kulissen bereits organisieren, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen.

Doch erleben wir hier keinen plötzlichen Bruch im Umgang von Teams mit der Position, sondern vielmehr die logische Fortsetzung eines Trends der letzten Jahre. Das macht die Reaktion der Spieler aus emotionaler Perspektive nicht weniger nachvollziehbar. Die Aussagen inhaltlich betrachtet aber zeugen von einer sehr isolierten Sichtweise auf die NFL im Jahr 2023.

Austin Ekeler geht bei den Chargers in sein letztes Vertragsjahr Getty Images

Running Backs profitieren wenig vom steigenden Cap

Vielleicht muss man aber hiermit anfangen: In einem Sport mit einem Salary Cap ist es per se nicht ganz leicht, darüber zu diskutieren, dass eine Position grundsätzlich mehr bekommen sollte. Denn dieses Geld kann nicht einfach herbeigezaubert werden, man müsste dann anderen Spielern im Kader in der Folge weniger bezahlen. Eben den Spielern, die jetzt mehr bekommen und deren Gehälter im Vergleich zu den Running Backs stärker gestiegen sind.

Hier sieht man vielleicht am deutlichsten die Diskrepanz zwischen Wunsch und Realität auf der Running-Back-Position, sowie gleichzeitig, wo sich die Liga hin entwickelt. Seit 2013 ist der Salary Cap, also die Gehaltsobergrenze für jedes Team, von 123,6 Millionen Dollar auf 224,8 Millionen Dollar angestiegen. Dementsprechend sind in dem Zeitraum die Gehälter aller Positionen - abgesehen von Puntern - in der Spitze mitunter dramatisch gestiegen. Die zehn bestbezahlten Right Tackles etwa verdienen mehr als 200 Prozent mehr als 2013, was sicher damit einhergeht, dass Teams im Vergleich zu vor zehn Jahren Left und Right Tackle zunehmend als ebenbürtig betrachten. Quarterbacks sind wenig überraschend auch deutlich geklettert und werden mit den anstehenden Verträgen von Justin Herbert und Joe Burrow noch weiter steigen.

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Die bestbezahlten Running Backs rangieren hier tatsächlich auf dem vorletzten Platz, unterboten eben nur von den Puntern. Einzig die Top-Verträge für Punter sind seit 2013 also prozentual noch weniger nach oben geklettert als die der bestbezahlten Running Backs. Der Eindruck, dass Running Backs nicht nur deutlich weniger verdienen als die meisten anderen Positionen, sondern dass sie auch verhältnismäßig über die letzten zehn Jahre im Vergleich auf der Strecke geblieben sind, entspricht der Realität.

Warum bleiben die Running Backs auf der Strecke?

Das wiederum wirft die Frage nach dem "Warum" auf. Warum sind auch die Verträge für Wide Receiver und Tight Ends so gravierend mehr in die Höhe geschossen, um mal die Skill-Position-Spieler untereinander zu vergleichen?

Hier wird deutlich, wo die Meinungen und Einschätzungen der Running Backs von der Realität abweichen. Denn wenn Austin Ekeler davon spricht, dass es "schwer ist, ohne einen Top-Back zu gewinnen", oder Christian McCaffrey betont, dass Pollard, Barkley und Jacobs drei der besten Spieler "unabhängig von ihrer Position" seien, dann offenbart das zumindest mal eine deutliche Abweichung nicht nur von der Art und Weise, wie sich das Spiel entwickelt hat - mit deutlich mehr Fokus auf das Passing Game -, sondern es offenbart auch eine Abweichung von einer Vielzahl an Erkenntnissen aus den letzten Jahren.

Denn in etwa den letzten fünf Jahren wurde zu kaum einem Thema so viel zumindest auf der medialen und öffentlichen Ebene geforscht und geschrieben, wie zum Impact des Run Games und zum Impact von Running Backs.

Von Erkenntnissen darüber, inwieweit Run Game und Play Action Passspiel direkt zusammenhängen - in aller Regel so gut wie gar nicht - oder ob Teams das Run Game establishen können (oder gar müssen), bis eben auch hin zu der Frage, was die wahren Treiber eines erfolgreichen Run Games sind.

Nicht nur fällt dabei auf, dass Running Backs bei dieser letzten Frage erstaunlich weit hinten erst zu finden sind. Field Position, Down und Distance, Verteidiger in der Box, die Rushing-Bedrohung durch den Quarterback sowie die generelle Qualität des Passing Games und des Quarterbacks, genau wie die Qualität der Offensive Line sind maßgebliche Treiber für das Run Game.

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Es fällt auch auf, und das ist fast noch gravierender: Auf keiner Position gibt es eine derart hohe qualitative Dichte. Will sagen: Der individuelle Unterschied, mit Blick auf den Impact des Running Backs auf das Run Game, zwischen dem fünft- und dem fünfzehntbesten Running Back ist im Vergleich so vernachlässigbar wie auf keiner anderen Position. Oder aus Team-Perspektive formuliert: Es lohnt sich nicht, teuer in Running Backs zu investieren, wenn man für einen Bruchteil des Geldes vergleichbare Production bekommen kann.

Warum sollen Running Backs eine Sonderbehandlung bekommen?

Je mehr Lösungsansätze von verschiedenen Experten, Ex-Spielern und Journalisten präsentiert werden, je mehr man liest, dass sich Running Backs in Meetings absprechen, um ihre Situation zu diskutieren, desto stärker rückt für mich aber eine andere Frage in den Vordergrund: Warum ausgerechnet Running Backs?

Warum sollten gerade Running Backs eine Sonderbehandlung bekommen? Beschweren sich die Center als nächstes? Aktuell gibt es neun Running-Back-Verträge in der NFL mit einem Gesamtvolumen von über 20 Millionen Dollar, bei den Centern sind es nur fünf.

Die öffentlich diskutierte Idee, dass gerade Running Backs auf unfaire Art und Weise unterbezahlt sind, hängt in meinen Augen maßgeblich mit zwei Faktoren zusammen: Mit der Tatsache, dass Running Backs regelmäßig den Ball bekommen und sie somit präsent sind. Running Backs erzielen Touchdowns, Running Backs sind relevant in Fantasy Football und in der Sportwetten-Welt, mehr als die allermeisten anderen Positionen. Das gibt ihnen eine Bühne.

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Außerdem hängt es mit der Tatsache zusammen, dass mitunter noch ein veraltetes Bild von der Bedeutung der Position in der NFL aufrechterhalten wird. Ein Bild, welches zusätzliche Nahrung dadurch erhält, dass, je niedriger man auf Football-Ebene zurückgeht - also von der NFL zum College, zur High School und noch darunter -, desto wichtiger ist der Running Back.

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Denn auf niedrigeren Leveln kann der Spieler mit dem Ball in der Hand dadurch einen großen Unterschied machen, dass er der mit Abstand beste Athlet auf dem Platz ist; eine Trumpfkarte, die in der NFL so gut wie nie Bestand hat.

So kommt man in dieser Debatte an einen Punkt, der sehr kalt rüberkommt, aber die Realität beschreibt: Nämlich dass es natürlich keine Verschwörung gegen Running Backs gibt, Teams behalten das eingesparte Geld ja nicht. Sondern dass die Liga in weiten Teilen seit einigen Jahren den Value der Position anders - und man kann argumentieren: realitätsnäher - einschätzt, und das Geld in der Folge umverteilt.

Die Rolle der Running Backs verändert sich

Umso mehr, da die jüngsten Beispiele teurer Verträge auf der Position fast durch die Bank weg abschreckend sind.

Wir haben gesehen, dass die Cowboys den Vertrag für Ezekiel Elliott bereut haben. Die Panthers haben Christian McCaffrey getradet, Dalvin Cook wurde nach zwei von fünf Jahren seines neuen Vertrags mit dem Ende seiner Garantien entlassen. Joe Mixon hat jüngst einer Gehaltskürzung zugestimmt, um in Cincinnati zu bleiben und Alvin Kamaras 15-Millionen-pro-Jahr-Deal sieht ohne Sean Payton und Drew Brees längst nicht mehr so rentabel aus.

Kurzum: Es gibt wenige bis gar keine positiven Beispiele für Running Backs, die teuer bezahlt wurden und bei denen sich der Vertrag als Treffer erwies. Stattdessen starten Late-Round-Picks und günstige Übergangslösungen für Super-Bowl-Teams und bis auf wenige Ausnahmen lassen Teams Running Backs auch nach statistisch guten Saisons gehen, wie jüngst die Eagles mit Miles Sanders. Die Running Backs haben keinen Hebel in dieser Debatte.

Und die Position hat sich auch einfach geändert, vergleichen mit den Jahren, in denen Running Backs die Aushängeschilder von NFL-Offenses waren. Vor rund zehn Jahren war es noch normal, dass zwölf, 13, 14 Running Backs in einer Regular Season auf jeweils 250 Carries kamen. 2021 schafften vier Backs diesen Cut, 2022 waren es noch acht, und das obwohl die Regular Season mittlerweile ein Spiel mehr hat.

Der Trend geht weg vom Bellcow-Back, der ein Backfield klar anführt und diese Workload überhaupt noch schultert; das macht Derrick Henry so einzigartig in der modernen NFL: Über die letzten vier Jahre hat der Titans-Back 1.370 Runs angesammelt, in drei der vier Saison kam er inklusive Play-offs auf je über 340 Runs. In diesen drei Jahren erlief er 1.605, 1.525 und 1.257 Yards nach Kontakt.

Derrick Henry ist in der heutigen NFL mit seinem Stil und seiner Workload eine Ausnahme Getty Images

Hier wird deutlich, was Henry besonders macht. Doch Henry ist ein Outlier. Und sein Vertrag (4 Jahre/50 Mio. Dollar/25,5 Mio. garantiert) ist dennoch klar hinter der absoluten Spitze auf der Position und bietet ein vermutlich realistischeres Ziel für Saquon Barkley und Co.

Austin Ekeler als Musterbeispiel?

Der einzige Weg, wie Running Backs insgesamt wieder ein wenig klettern können, liegt in meinen Augen nicht in einer von außen aufgezwungenen Cap-Lösung. Sie liegt in der Interpretation der Position. Es ist kein Zufall, dass Christian McCaffrey (4 Jahre/64 Mio. Dollar/38,1 Mio. garantiert) und Alvin Kamara (5/75/33,8) aktuell die beiden mit Abstand höchstdotierten Running-Back-Verträge haben: Die beiden gehören zu den besten All-Around-Backs der letzten zehn Jahre, sie sind echte Matchup-Waffen im Passspiel.

Barkley, Pollard und Jacobs bringen hier auch Qualitäten mit, der interessanteste Spieler aus dieser Gruppe aber ist Austin Ekeler, der eine treibende Kraft in dieser ganzen Bewegung zu sein scheint. Ekeler hatte im Frühjahr um einen Trade gebeten und letztlich einen leicht verbesserten Vertrag von den Chargers erhalten, die ihm mehr Boni-Zahlungen einbauten, sodass er sich mehr Geld - 1,75 Millionen Dollar, um genau zu sein - verdienen kann, ehe er dann nach der Saison Free Agent wird.

Ekeler ist aus zweifacher Perspektive interessant. Mit 104, 60, 88 und 126 Targets im Passspiel über die letzten vier Jahre ist er ein großer Teil des Passspiels der Chargers. Das kann dabei helfen, seine Karriere zu verlängern, umso mehr, da er noch nie mehr als 220 Runs in einer Saison hatte. Und: Er ist bereits 28 Jahre alt. Wie schätzen Teams den Wert eines nachgewiesenen Receiving-Spezialisten ein, der weniger Runs als viele andere Backs in seinem Alter in den Knochen hat?

Ich sehe die realistischste Chance für Running Backs, um sich finanziell nachhaltig wieder besser aufzustellen, darin, zum einen die eigenen Receiving-Qualitäten so zu trainieren, sodass sie hier einen echten Unterschied machen können und Teams einen Grund bieten, warum sie mehr Geld verdienen sollten. Zum anderen könnte eine Option darin liegen, zu versuchen, wie Ekeler jetzt über Boni im Vertrag zu arbeiten. So könnte man insbesondere dann mehr Geld verdienen, wenn etwa bestimmte Workload-Meilensteine erreicht werden, um sich so für den physischen Tribut, welchen die Position fordert, besser abzusichern.

Eine verständlicherweise emotionale Debatte

Man kommt in dieser Debatte mit der Perspektive der Spieler unweigerlich und komplett nachvollziehbar an einen emotionalen Punkt. Running Backs stecken viele Hits ein, die Karriere ist vergleichsweise kurz und der physische Tribut hoch. Es ist schwer bis zunehmend fast unmöglich, als Running Back über den Rookie-Vertrag hinaus einen großen Vertrag abzuräumen.

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Aktuell komplett ohne NFL-Vertrag: Ezekiel Elliott. IMAGO/USA TODAY Network

Man könnte - einer der über die letzten Tage präsentierten Lösungsansätze - den Franchise Tag anpassen, sodass Backs, Tight Ends und Receiver unter einen Hut gepackt werden, ähnlich wie bei der Offensive Line. Das würde Teams vermutlich eher davor zurückschrecken lassen, einem Running Back den Tag zu geben und könnte ihn ein Jahr früher auf den Markt kommen lassen.

Doch würde das nur einen minimalen Prozentsatz der Running Backs betreffen, und häufig Backs, die schon mit ihrem ersten Vertrag viel Geld verdient haben. Die Running Backs, die am meisten unter dem System leiden, sind die Tag-3-Picks, die in eine Starting-Rolle klettern, vier Jahre lang für - vergleichsweise - Peanuts spielen und dann keinen vernünftigen Vertrag bekommen können. Hier müsste man am ehesten ansetzen, doch zumindest für Teams gibt es keinerlei Grund, Ressourcen finanziell ineffizient zu verteilen, um eine spezifische Position zufriedenzustellen. Umso weniger, wenn jedes Jahr adäquater und günstiger Nachschub in die Liga kommt.

Die eingangs zitierten Aussagen der Star-Running-Backs legen nahe, dass sie die Relevanz ihrer Position in der modernen NFL gemessen an dem, was wir von außen betrachtet sagen können und was Teams uns mit ihren Handlungen zeigen, dramatisch überschätzen. Das heißt auch, dass ein Kompromiss nur schwer vorstellbar ist; eine faire Lösung ist kaum möglich, wenn die beiden Seiten die Parameter so gravierend unterschiedlich einschätzen.

Ihre Position ist der Entwicklung des Spiels zum Opfer gefallen, wie vorher auch schon andere Positionen - man denke etwa an den Fullback. Teams haben aktuell keinen Anreiz, ausgerechnet hier eine Ausnahme zu machen und die Position gewissermaßen zu subventionieren. Auch die Liga oder die NFLPA müssten schon triftige Gründe erkennen, um eine spezifische Position auf diese Art zu fördern, mit welchen Mitteln auch immer.

Dieses Thema wird so schnell nicht weg gehen. Doch sehe ich keine Trumpfkarte, welche die Running Backs ziehen könnten, um hier an irgendeinem Punkt in der Debatte am längeren Hebel zu sitzen.