Champions League

Kein großes Wunder

Der FC Bayern zerlegt den FC Barcelona

Kein großes Wunder

Auf einem anderen Level: Arjen Robben überspringt Jordi Alba.

Auf einem anderen Level: Arjen Robben überspringt Jordi Alba. Getty Images

Immer tiefer versank er in seinem Fernsehsessel, immer öfter strich er sich über die Glatze, immer größer wurden seine Augen. So könnte es sich am Dienstagabend zugetragen haben irgendwo in New York, dort, wo vielleicht der Betroffenste der Bayern-Show saß, der derzeit nicht beim FC Barcelona angestellt ist: Pep Guardiola.

Sicher, in der Anfangsphase tat sich der FC Bayern schwer; fraglos gingen zwei Münchner Toren (Gomez-Abseits vorm 2:0, Müller-Foul vorm 3:0) Schiedsrichter-Fehlentscheidungen voraus; natürlich erwischte Barça einen außergewöhnlich schlechten Tag. Und doch muss sich nicht nur der künftige Bayern-Trainer nach diesem Halbfinalhinspiel fragen: Wo ist die Grenze? Wie ist das noch zu toppen? "Manchmal in einer Karriere kann man sagen, das ist das perfekte Spiel", twitterte der Ex-Münchner Bixente Lizarazu. "Dieses war es."

"Man hat gefühlt", sagte Arjen Robben, einer von Bayerns Besten, "dass die Mannschaft bereit ist": bereit für einen Sieg über die dominierende Mannschaft der vergangenen Jahre, bereit für ein donnerndes Ausrufezeichen und vielleicht, wenn am 25. Mai in London die endgültige Krönung erfolgen sollte, bereit für eine neue Ära.

Nur eine der beiden Mannschaften braucht Guardiola, und es ist nicht Bayern München.

Englands Fußball-Legende Gary Lineker via Twitter

Die Bayern nutzten ohne Gnade die Defizite ihrer Gäste aus. Sie demonstrierten ihre physische Überlegenheit, erwischten Barça mit rascher Raumüberbrückung immer wieder auf dem falschen Fuß, zwangen selbst Passmaschine Xavi zu Fehlpässen und spielten ihre Größe bei Standardsituationen aus. Und als der Spielstand bereits glänzend war, konterten die Hausherren eben eiskalt im eigenen Stadion.

Bayern schickt Barça in den Tiki-Taka-Tod

Die Katalanen hatten oft den Ball, zeigten ihr Kurzpassspiel. Doch in der Münchner Hälfte war der Spaß vorbei. Bastian Schweinsteiger isolierte Xavi, Javi Martinez trieb Andres Iniesta in den Wahnsinn, Dante stand Lionel Messi auf den Füßen. Alle Bayern-Spieler beteiligten sich am wohldosierten Pressing, das Barça regelrecht erstickte. "Wir waren immer alle hinter dem Ball", stellte Kapitän Philipp Lahm fest, "das war der Schlüssel zum Erfolg." Barça lief sehenden Auges in den Tiki-Taka-Tod. Die "Marca" machte "eindeutige Symptome des Verfalls", die "AS" das "Ende einer Ära" aus.

Fußball ist immer noch Fußball, das hat man in Dortmund gesehen, die machen in der 90. zwei Tore. Also kann man in 90 Minuten theoretisch 180 Tore schießen, oder?

Thomas Müller über die Gefahren im Rückspiel in Barcelona

"Wir hatten nicht viele Chancen", konstatierte Dani Alves, "aber das lag an ihnen." So musste der Champions-League-Sieger von 2006, 2009 und 2011 seine höchste CL-Niederlage seit November 1997, dem 0:4 daheim gegen Kiew, schlucken. Auswärts hatte Barça auf europäischer Ebene noch nie mit vier Toren Unterschied verloren. Und Weltfußballer Lionel Messi, der angeschlagen ohne jede Bindung blieb und am Ende viereinhalb Kilometer weniger gelaufen war als Regisseur Xavi, verlor so hoch wie zuletzt nur gegen Deutschland: 0:4 mit Argentinien bei der WM 2010.

Dauerläufer Müller hinterlässt nichts als Staunen

Das Gegenteil von Messi war an diesem Abend Müller. Der Ur-Münchner war als zentraler Mittelfeldspieler aufgestellt, hatte nach 83 Minuten aber kaum einen Fleck Rasen nicht betreten. "Ich wusste, dass ich meine Aufgabe nur gut machen kann, wenn ich viel laufe", resümierte er nach drei direkten Torbeteiligungen. In Barças Notabwehr hinterließ er nichts als Staunen und blanke Nerven. "Die großen Spiele", befand er, "da bin ich einfach geil drauf." Er ist der erste Deutsche, der gegen Barça in der Königsklasse doppelt traf.

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Besonders bezeichnend: Gerade als Müller bei seinem x-ten Dauerlauf einen Schlag abbekommen und entkräftet um seine Auswechslung gebeten hatte, markierte er den 4:0-Endstand. "Er sitzt in der Kabine und kühlt seine zwölf Krämpfe in Eiswasser", berichtete später Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge, der sichtlich zufrieden war, dass keine anderen Getränke gereicht wurden. "Es gab keine Euphorie in der Kabine und keinen Champagner."

Die Münchner Mägen knurren also bedrohlich weiter, bedrohlich vor allem für die Konkurrenz. "Der Hunger auf Erfolg ist nach den letzten zwei Jahren da", weiß Heynckes. Der Dienstagabend war der bisherige Höhepunkt einer Bayern-Saison voller Höhepunkte. Der Rekordmeister war in allen Bereichen besser als müde, fast leidenschaftslos wirkende Gäste. So sehr der Kantersieg Europas Fußball erschütterte, so verdient war er. Dass Matchwinner Müller das 4:0 als "kein großes Wunder" bezeichnete, war also genau das: kein großes Wunder.