Bundesliga

Hertha BSC vor dem Showdown

Der Klub steht nicht nur sportlich vor entscheidenden Tagen

Hertha BSC vor dem Showdown

Schwört sein Team auf Dortmund ein: Felix Magath.

Schwört sein Team auf Dortmund ein: Felix Magath. IMAGO/Matthias Koch

4200 Hertha-Fans werden ihre Mannschaft am Samstag im Spiel bei Borussia Dortmund unterstützen. Beim Vizemeister wollen die Berliner nach zwei vergebenen Matchbällen (1:1 in Bielefeld, 1:2 gegen Mainz) den für die eigene Rettung fehlenden Punkt einfahren. Gelingt das, kann ihnen egal sein, was Konkurrent VfB Stuttgart zur selben Zeit gegen den 1. FC Köln zustande bringt. Den am vergangenen Wochenende kassierten Nackenschlag, als am Samstag das eigene Heimspiel gegen Mainz in Vortrag und Resultat missriet und tags darauf die Stuttgarter aus München einen Punkt entführten, glaubt Felix Magath bewältigt.

"Wir waren natürlich enttäuscht, denn wir waren knapp davor. Es haben nur ein paar Minuten gefehlt, um den Klassenerhalt zu realisieren", sagt der Trainer. "Aber wir haben darüber geredet und uns nochmal klargemacht, dass wir auf einem guten Weg sind und unsere Leistung abliefern und auch gegen bessere Mannschaften dagegenhalten. Von daher haben wir jetzt wieder die Stimmung, dass wir uns zutrauen, auch in Dortmund etwas zu erreichen. Mit dieser Gewissheit, dass wir das können, fahren wir auch dahin."

Immerhin: In zwei der vergangenen fünf Hertha-Gastspiele beim BVB konnte der Außenseiter punkten (2:2 im Oktober 2018, 1:1 im Oktober 2016). Beim bislang letzten Hertha-Sieg in Dortmund - drei Tage vor Heiligabend 2013 (2:1 für Hertha) - wuchs der damals weithin unbekannte 18-jährige Torhüter Marius Gersbeck (seit 2019 beim Karlsruher SC) bei seinem Bundesliga-Debüt über sich hinaus. Auch Magath braucht am Samstag in Marcel Lotka einen starken Torhüter und eine zupackende Mannschaft.

Atmosphäre war zu relaxed in Berlin

Vor Wochenfrist gegen Mainz fehlte seiner Elf die Spannkraft, mancher Profi wähnte sich womöglich schon gerettet. "Die Atmosphäre war letzte Woche sehr relaxed", sagt Magath. "Dieser Atmosphäre kann sich ein Spieler nicht entziehen. Das hat dazu geführt, dass wir nicht ganz so intensiv bei der Sache waren wie 14 Tage vorher. Unsere Situation ist jetzt nicht mehr ganz so komfortabel. Wir sind nicht Favorit, sondern der Außenseiter. Die Anspannung ist groß, aber das ist eine Anspannung, die wir brauchen."

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Magaths Bilanz - zehn Punkte aus sieben Spielen - liest sich angesichts der Umstände solide. Nur der letzte Schritt bei der schwierigsten Mission seiner Trainer-Karriere fehlt - seit Wochen. "Als ich hierherkam, war alles voller Resignation und Hoffnungslosigkeit. Da hat keiner - oder wenige - einen Pfifferling auf uns gegeben", sagt Magath. "Wir haben die Kurve gekriegt und uns eine tolle Ausgangssituation erarbeitet. Das Minimalziel, nicht direkt abzusteigen, haben wir erreicht. Jetzt wollen wir das Maximalziel erreichen. Es gibt einen Grund dafür, dass wir Hoffnung haben: weil wir uns stabilisiert haben. Wir haben uns so stabilisiert, dass wir vor Borussia Dortmund keine Angst haben müssen."

Schwarz ist Favorit auf Magaths Nachfolge

Zehn Jahre nach der Relegation gegen Fortuna Düsseldorf, als Hertha - nach dem skandalträchtigen Rückspiel in Düsseldorf - letztmals den Weg ins Unterhaus antreten musste, will der Klub diese extrem turbulente Saison 2021/22 zu einem glimpflichen Ende bringen: nach 34 Spielen, nicht nach 36, auch wenn Magath seit Wochen die Relegation beinahe herbeiorakelt. Auch jetzt sagt er: "Ich kann nicht in die Zukunft sehen. Ich muss mit der Relegation planen." Klar ist: Nach der Saison ist auch im Fall des Klassenerhalts sein Job bei Hertha getan. Favorit auf Magaths Nachfolge ist Sandro Schwarz, für den es mit Dynamo Moskau im russischen Pokalfinale gegen Spartak Moskau am 29. Mai um einen Titel geht. Klar ist auch, dass die Bewertung des ersten Jahres von Hertha-Geschäftsführer Fredi Bobic maßgeblich vom Saisonausgang abhängt.

Mitgliederversammlung am 29. Mai

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Für den Klub, der im Juli 130 Jahre alt wird, geht es in diesen Tagen nicht nur sportlich um sehr viel. Spätestens auf der Mitgliederversammlung am 29. Mai muss Hertha die Frage beantworten, wie man die Zukunft angehen will. Die Zeichen stehen auf Neuanfang. Präsident Werner Gegenbauer, seit 2008 am Ruder, bietet mit der sportlichen und finanziellen Bilanz seiner Amtszeit ebenso viel Angriffsfläche wie mit der Außendarstellung. Sein Zerwürfnis mit Investor Lars Windhorst mündete schon vor Monaten in eine Patt-Situation, die den Klub in Teilen lähmt und Unruhe schürt. Auch das Verhältnis zwischen Präsidium und Aufsichtsrat ist nicht spannungsfrei. Zwei Abwahlanträge gegen Gegenbauer - von Sebastian Stargard und Nils Korte - liegen für die Mitgliederversammlung in der Messehalle 20 bislang vor, einer davon richtet sich gegen Gegenbauer und dessen langjährigen Vize Thorsten Manske. Für eine Abwahl Gegenbauers bräuchte es laut Satzung 75 Prozent Zustimmung der anwesenden Mitglieder.

Windhorst möchte zu den Mitgliedern sprechen

Windhorst, der bislang keinen eigenen Kandidaten in Stellung gebracht hat, will am 29. Mai erstmals zu den Mitgliedern sprechen. Mit Kay Bernstein, vor über zwei Jahrzehnten Gründungsmitglied der Ultra-Gruppierung "Harlekins Berlin ’98" und seit Jahren Inhaber einer Marketing-, Kommunikations- und Eventmanagement-Agentur, hat sich ein Kandidat als potenzieller Gegenbauer-Nachfolger aus der Deckung gewagt, der den Klub vor allem in puncto Kultur und Kommunikation grundlegend verändern will.

Die sportliche Dauerstagnation trotz des 375-Millionen-Euro-Investments von Windhorst, eine miserable Kommunikation, Imageschäden, der jahrelange Stillstand beim für den Klub existenziell wichtigen Stadionneubau-Projekt - all das hat Gegenbauer in die Defensive gedrängt. Im Fall des dritten Abstiegs unter seiner Ägide (nach 2010 und 2012) würde der bis 2024 gewählte Unternehmer zurücktreten, das hat er selbst nach dem zweiten Abstieg angekündigt. Inzwischen wird ein anderes Szenario immer realistischer: dass Gegenbauer schon vor dem 29. Mai den Weg für einen Neuanfang an der Spitze des Vereins freimacht und damit der zu erwartenden Abstrafung durch die Basis zuvorkommt. Magaths Mission könnte am Samstag erfüllt sein. Die spannenden, richtungsweisenden Wochen bei Hertha BSC gehen in jedem Fall weiter.

Steffen Rohr