Champions League

Das neue Milan: Götter, Glanz und "Berlusconi 2.0"

Rossoneri haben wieder Erfolg und schreiben schwarze Zahlen

Das neue Milan: Götter, Glanz und "Berlusconi 2.0"

Milan-Größen 2023: Olivier Giroud, Rafael Leao und Christian Pulisic (v. l. n. r.).

Milan-Größen 2023: Olivier Giroud, Rafael Leao und Christian Pulisic (v. l. n. r.). IMAGO/Nicolo Campo

Der am 12. Juni 2023 im Alter von 86 Jahren verstorbene Silvio Berlusconi war speziell, keine Frage. Eines konnte man dem stets kritisierten Italiener, der zunächst als Geschäftsmann angefangen und ab 1994 insgesamt vier Regierungen in Italien als Ministerpräsident vorgestanden hatte, aber nicht absprechen: sportlichen Erfolg.

Denn auf Sportebene stand Berlusconi als Besitzer und Patron des italienischen Renommierklubs AC Mailand lange Zeit im Rampenlicht. Von 1986 bis 2017 gehörten ihm die Rossoneri, bis 2004 und von 2006 bis 2008 war er auch Präsident der Lombarden, bis ihn ein Gesetz zur Regelung des Interessenkonflikts dazu zwang, zurückzutreten. Am Ende seiner Amtszeit stand das: 29 Trophäen in 31 Jahren Berlusconi-Regentschaft - erreicht durch legendäre Teams, Ikonen wie Paolo Maldini, Franco Baresi, Andrea Pirlo, Gennaro Gattuso & Co. Angeleitet von großartigen Trainer wie Arrigo Sacchi, Fabio Capello und Carlo Ancelotti.

Und mittendrin eben Berlusconi, der sich mit seinem Selbstbewusstsein auch auf eine Stufe mit dem Papst stellte. Johannes Paul II. erklärte der Cavaliere einmal: "Unsere Aufgaben sind sehr ähnlich, Ihre Heiligkeit. Ich trage Milans Erfolgsidee um die Welt, Sie den Erfolg Gottes."

Was ist in den letzten Jahren passiert?

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Schon in seinen letzten Jahren als Patron und auch nach dem Ausstieg von Boss Berlusconi war auf jeden Fall erst einmal sportliche Ebbe angesagt in der Modemetropole Mailand. Der Klub waberte oft durchs triste Serie-A-Mittelfeld, hatte seine Identität und seinen internationalen Glanz eingebüßt.

Spätestens mit dem Einstieg von Coach Stefano Pioli im Jahr 2019 kehrte aber frischer Spirit zurück zu den Rossoneri - auch wenn die Anfangszeit für den Trainer nicht leicht war, Kritik aufkam und Ralf Rangnick Mitte 2020 unmittelbar vor einem Engagement beim 19-maligen Meister und siebenmaligen Königsklassen-Triumphator stand.

Doch das ist inzwischen kalter Espresso, Pioli hatte damals direkt verlängert - und das im Oktober vergangenen Jahres erneut getan (bis 2025). Das Ziel des früheren Lazio- oder Inter-Trainers: Er will das zusammen mit dem Klub "das ehrgeizige Projekt fortsetzen". Also das Projekt, das über die vergangenen Jahre hinweg eine vor allem junge, spielerisch starke, bestens zusammengestellte und erfolgreiche Mannschaft geboren hat - die langersehnte 19. Meisterschaft im Jahr 2022 oder das jüngst erreichte Champions-League-Halbfinale lassen grüßen.

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Wer hat das Sagen?

Unmittelbar nach dem gewonnen Scudetto im vergangenen Jahr ist der ganze Klub verkauft worden. Wie die Mailänder damals bestätigten, hatte sich die US-Investmentfirma "RedBird Capital Partners" mit dem bisherigen Eigner "Elliott Management" auf einen Deal geeinigt, der den Wert des Klubs auf 1,2 Milliarden Euro beziffert hatte.

"RedBird" ist im Profisport bereits aktiv: Unter anderem ist das Unternehmen Investor der "Fenway Sports Group", die die Mehrheit am FC Liverpool und den Boston Red Sox aus der Major League Baseball hält. Außerdem ist Ligue-1-Klub Toulouse in den Händen von "RedBird".

Und so "schleicht" seither der damals bei der Meisterschaft grinsende Amerikaner Gerry Cardinale umher. Der Gründer der New Yorker Investmentfirma "Redbird Capital Partners" und Abgänger der Harvard-Universität in Cambridge mit italienischen Wurzeln war mehr als 20 Jahre bei "Goldman Sachs" und als Partner der "Wall Street Bank" tätig. Und er sagt über sich selbst: "Ich wäre gerne Berlusconi 2.0."

Gerry Cardinale

Der neue Eigentümer Milans: Gerry Cardinale. IMAGO/NurPhoto

Am mit Inter geplanten Projekt eines neuen Stadions ist Cardinale aber schon gescheitert, so leicht geht es dann doch nicht. "Ich bin enttäuscht, dass Mailand diese enorme Chance verpasst hat", sagte er dazu. Seine AC nimmt nun einen neuen Anlauf in San Donato Milanese, rund 30 Kilometer südöstlich vom Giuseppe Meazza. 2028 soll die neue und hochmoderne Arena für 70.000 Zuschauer eingeweiht werden - nahe der Autostrada 1, auf der man aus dem Süden die Metropole erreicht. "Das neue Tor zu Mailand" verspricht der Klub.

Wie sieht's vor Dortmund aus?

Bis dahin vergeht aber noch etwas Zeit - und müssen sportliche Herausforderungen bestritten werden. Wie das bevorstehende Gastspiel im Signal-Iduna-Park, dem am 2. April 1974 eröffneten "Tor zu Borussia Dortmund". Dort steigt am Mittwochabend (21 Uhr, LIVE! bei kicker) das wichtige Duell der beiden noch sieglosen Teams in dieser neuen Champions-League-Saison.

Denn während der BVB zum Auftakt verdient mit 0:2 bei Paris Saint-Germain das Nachsehen hatte, mussten die Mailänder trotz teils drückender Überlegenheit und einiger großer Chancen mit einer Nullnummer gegen den aufstrebenden Klub Newcastle leben.

Das Ziel der Rossoneri ist klar: Ein Dreier soll her. Doch Trainer Pioli weiß um die Heimstärke der Dortmunder in deren Festung und über die Qualitäten einzelner Spieler Bescheid. Außerdem muss der Coach einen wichtigen neuen Mann ersetzen: Der vom FC Chelsea gekommene Ruben Loftus-Cheek hat sich am Wochenende beim 2:0 gegen Vizemeister Lazio Rom an den Adduktoren verletzt und könnte gleich mehrere Partien verpassen.

Was kann über das Personal gesagt werden?

Das Eigengewächs der Blues ist wie die Sommertransfers Christian Pulisic, Samuel Chukwueze oder auch Tijjani Reijnders ein bestens passendes Rädchen im ansonsten nur wenig veränderten Milan-Konstrukt. Akteure wie Stammtorwart Mike Maignan, die Außenverteidiger Davide Calabria sowie Theo Hernandez, der gebliebene Rafael Leao (frisches Treuebekenntnis inklusive) und Oldie Olivier Giroud bilden zusammen mit Inter Mailand auch in dieser Saison das Nonplusultra der Serie A.

Die beiden Mailänder Klubs bilden zusammen die Tabellenspitze auf dem Stiefel - Milan hat allerdings zuletzt wie schon in den Halbfinalduellen der Königsklasse mit Inter das Nachsehen gehabt. 1:5 hieß es jüngst im einseitigen Derby della Madonnina.

Die neue wirtschaftliche Milan-Idee

Der BVB muss sich in Acht nehmen vor diesem in neuem Glanz erstrahlenden Klub aus der Lombardei, der seinen Weg zurück an die europäische Spitze noch lange nicht zu Ende sieht.

Dabei gibt Pioli als jahrelanger Erfolgstrainer den Weg und die "Magie der kleinen roten Teufel" (Corriere della Sera) vor - setzt im gewohnten 4-2-3-1-System auf dynamischen sowie angriffslustigen Fußball. An guten Tagen ist dabei die linke Seite mit Theo und Rafael Leao auch aus neutraler Sicht wahrer Fußballgenuss. Und: Piolis Truppe ist in der Lage, ein Spiel sowohl mit als auch ohne Ball zu kontrollieren, verteidigt proaktiv und besticht im Mittelfeldzentrum mit Passstärke und hoher Intelligenz - auch wenn hier der Verlust von Sandro Tonali gen Newcastle natürlich geschmerzt hat und vielleicht noch immer manch einer AC-Seele schmerzt.

Ob Mailand, Florenz oder Rom, diese Namen klingen weltweit sexy, wenn du sie in Verhandlungen hineinwirfst.

Maikel Öttle, Commercial Director bei der AC Mailand

Doch der neue Patron Cardinale hat eine Vision, einen detailliert ausgearbeiteten Wirtschaftsplan mit diesem Klub - und zugleich mit der Serie A: "Ich habe vor meinem Einstieg in die Serie A rund 200 europäische Klubs analysiert. Die Schere zur Premier League ist unfassbar groß, doch nach 30 Jahren Arbeit mit globalen Firmen kann unser Know-how der Liga einen wesentlichen Schub geben. Ganz amerikanisch - wie man es aus NFL oder NBA kennt - soll es eine Symbiose aus Spektakel, Merchandising und sozialen Medienkanälen werden.

"Ob Mailand, Florenz oder Rom, diese Namen klingen weltweit sexy, wenn du sie in Verhandlungen hineinwirfst. Das Potenzial ist fraglos vorhanden, die Serie A zu dem zu machen, was sie einmal war: die größte Liga der Welt", erklärte der Deutsche Maikel Öttle, Commercial Director des italienischen Vereins, unlängst dem kicker. Mit Glanz und Avantgarde in die Zukunft. Und Daten. Mithilfe einer Analysefirma sucht man nach den passenden Profis - im Team befinden sich auch 13 Forscher des renommierten Massachusetts Institute of Technology.

Fazit

Rafael Leao (li.) und Stefano Pioli

Haben mit Milan Großes im Blick - und den BVB vor der Brust: Rafael Leao (li.) und Stefano Pioli. IMAGO/HochZwei/Syndication

Den Beobachter mag bei solchen Schlagworten das Gefühl beschleichen, dass der eigentliche Protagonist - das aktive Geschehen auf dem Rasen und damit der Fußball(genuss) - inmitten des Glamour-Firlefanzes in die Drittklassigkeit abgestiegen ist. Trotz der Meisterschaft 2022 und trotz des Champions-League-Halbfinales in der Vorsaison. Branding und globale Monetarisierung heißen die neuen Götter.

Wohin das im Falle Milans führen mag, weiß keiner. Seit Jahren befindet sich der Klub aber auf einem guten Weg, der nun zum BVB führt.

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mag, Oliver Birkner