Bundesliga

Darum ist der SC Freiburg das Musterbeispiel für die Liga

Platz 4 des Streich-Teams ist alles andere als Zufall

Darum ist der SC Freiburg das Musterbeispiel für die Liga

Der Dirigent beim Sport-Club: Coach Christian Streich  mit seinen Profis.

Der Dirigent beim Sport-Club: Coach Christian Streich  mit seinen Profis. imago images/Nordphoto

Es kommt selten vor, dass der vom Wesen her eher pessimistische, meist relativierende und verbal bremsende Christian Streich rundum zufrieden ist. Am Donnerstag voriger Woche war so ein Tag. Streich erzählte eine Anekdote. Es ging um Rechtsverteidiger Lukas Kübler, der aufgrund von Verletzungen immer wieder zwischen Lazarett, Startelf und Bank pendelt. "Kübi hat zum Glück mehr Stabilität bekommen und sich fußballerisch verbessert in den letzten Jahren. Und er ist schon Jahre bei uns."

Streichs verpacktes, aber zutreffendes Eigenlob

Streich berichtete, mit den derzeit in der Startelf gesetzten Abwehrspielern Kübler (seit 2015 beim SC), Manuel Gulde (2016) und Philipp Lienhart (2017) zusammengestanden und seine Spieler gefragt zu haben, seit wann sie eigentlich beim SC spielten, er könne sich so was nicht merken. Mit Blick auf die stattlichen Jahreszahlen sagte er: "Das ist schon auffällig. Spieler beim SC Freiburg machen, auch wenn sie nicht immer von Anfang an spielen oder mal verletzt sind, fast alle total positive Entwicklungen. Und warum? Weil sie hier Ruhe haben, in einem sehr guten sozialen Umfeld sind und man ihnen Zeit gibt."

SC Freiburg - Vereinsdaten
SC Freiburg

Gründungsdatum

30.05.1904

Vereinsfarben

Weiß-Rot

mehr Infos
Bundesliga - Tabelle
Pl. Verein Punkte
1
Bayern München Bayern München
16
2
Bayer 04 Leverkusen Bayer 04 Leverkusen
16
3
Borussia Dortmund Borussia Dortmund
15

Streich meint vor allem den guten Umgang den Profis untereinander, hat in seinen Aussagen aber natürlich auch ein dickes Eigenlob verpackt. Schließlich sind er und sein Trainerteam für die Arbeit auf dem Trainingsplatz und in den vielen Einzel- und Gruppenvideositzungen verantwortlich. Das Gute daran: Das Lob, das dem SC sonst oft von außen zuteil wird, ist vollauf berechtigt. Die Erzählung hinter den wiederkehrenden, erstaunlichen Ergebnissen der Freiburger ist nicht neu - und macht sie gerade deshalb oft erfolgreich: Alle Bosse im Profifußball proklamieren Kontinuität, beim SC wird sie seit Jahren in beispielloser Weise gelebt.

Standards: Weiter stark, aber nicht mehr so abhängig davon

So konnten Kübler, Gulde, Lienhart und Co. am Samstag nach Berlin fahren und trotz einer fußballerisch "durchschnittlichen Leistung" (Streich) gegen ein mit vielen Investoren-Millionen alimentiertes Hertha-Ensemble 2:1 gewinnen - dank kollektiv effektiver Laufarbeit und zweier Standardtore. "Die trainieren wir fast jede Woche und analysieren Videos dazu", sagt Lucas Höler. Ecken, Freistöße und Co. gehören seit Jahren zu den Qualitäten der Streich-Elf, die davon aber nicht mehr so abhängig ist wie früher. Von bisher elf Toren fielen sechs nach größtenteils sehenswerten Kombinationen aus dem Spiel heraus.

15 SC-Profis in Berlin: 4,2 Profijahre unter Streich im Schnitt

Höler etwa erzielte vor einer Woche bei der 3:0-Abschiedsparty im Dreisamstadion gegen Augsburg eins davon. Der 27-Jährige ist seit Januar 2018 im Breisgau angestellt und taugt mit seiner erstaunlichen Entwicklung vom technisch arg limitierten Arbeiter zum aktuellen Startstürmer auch als perfektes Sinnbild für die Freiburger Schule. Die 15 in Berlin eingesetzten Profis kommen zusammen - die aktuelle Saison nicht mitgezählt - auf 63 Profijahre unter Streich, also 4,2 im Schnitt. Platz für Talente ist trotzdem. So kamen die im Sommer beförderten Eigengewächse Kevin Schade (19) und Noah Weißhaupt (20) bereits auf Einsätze.

UMFRAGE: Wo landet Freiburg?

"Wir können auf einem hohen Fundament aufbauen", sagt Sportvorstand Jochen Saier: "Das Trainerteam arbeitet immer wieder im Detail an den Abläufen. Das macht es auch für Maximilian Eggestein einfacher, sich einzufinden." Der Ex-Bremer ist der einzige externe Sommerzugang, kam als Eins-zu-eins-Ersatz für den kurzfristig in die französische Heimat zurückgekehrten Baptiste Santamaria, der 2020 als Rekordeinkauf für zehn Millionen Euro gekommen war, nun aber 14 Millionen von Stade Rennes einbrachte. Eggestein kann mit Boni bis zu sieben Millionen kosten.

Neues Stadion: Meilenstein und Potenzial für mehr

Diese Zahlen zeigen, dass der SC "nicht mehr das kleine gallische Dorf ist", wie Fredi Bobic anmerkte. Die Freiburger haben sich eine Substanz erarbeitet, die sie mit Blick auf ein Kaderbudget im Bereich von 40 Millionen wirtschaftlich inzwischen weit von den aktuellen Ligarivalen Fürth, Bochum oder Bielefeld abhebt. Und es ihnen immer wieder ermöglicht, mit noch deutlich größeren Finanzkalibern wie Hertha, Frankfurt oder Hoffenheim phasenweise auf Augenhöhe zu agieren oder diese gar zu distanzieren. Der nahende Umzug ins 10.700 Plätze größere Europa-Park-Stadion ist ein Meilenstein in der Vereinshistorie, dabei stemmt der SC die Finanzierung von insgesamt etwa 80 Millionen Euro selbst. Der Heimstättenwechsel birgt zwar auch Risiken, bietet in erster Linie aber überhaupt erst die Möglichkeit für weitere Fortschritte.

So sieht Freiburgs neues Europa-Park-Stadion aus

Saier: "Unsere defensive Stabilität ist die Basis"

"Die Mannschaft ist gewachsen, hat an Reife und Ruhe in Ballbesitz zugelegt", erklärt Saier, der mit Sportdirektor Klemens Hartenbach die gute Transferpolitik verantwortet. "Aber unsere defensive Stabilität durch das kollektiv gute Verteidigen ist die Basis." Fünf Gegentore sind Bestwert. Dazu tragen zwei Akteure einen großen Teil bei, die für einen weiteren Qualitätsindikator stehen. Der erstmals nominierte niederländische Torwart Mark Flekken sowie der zum zweiten Mal von Hansi Flick berufene Innenverteidiger Nico Schlotterbeck sind zwei von sechs Freiburger A-Nationalspielern, die aktuell eine Verbandseinladung erhielten (Demirovic/Bosnien, Jeong/Südkorea, Sallai/Ungarn, der angeschlagene Lienhart/Österreich sagte ab). Vincenzo Grifo steht zudem bei Europameister Italien auf Abruf, fünf U-Nationalspieler (DFB-U-21: Keitel und Schade, DFB-U-20: Atubolu und Weißhaupt, U 21 Schweiz: Burkart) kommen hinzu.

Konstantes Konkurrieren um einen einstelligen Platz realistisch

Nach Platz 8 in der Spielzeit 2019/20 und Rang 10 ein Jahr später kommt der herausragende, niederlagenfreie Saisonstart des SC mit 15 Punkten nach sieben Partien jedenfalls nicht ganz überraschend. Die vorübergehende Top-4-Mitgliedschaft wird zwar schwer zu halten sein, ist aber eine fette unterjährige Bonuszahlung auf das Selbstvertrauenskonto für exzellente sportliche Arbeit und kluge Vereinsführung. Auch wenn die Freiburger Verantwortlichen eisern an ihrem traditionellen Saisonziel Ligaerhalt festhalten, ist das konstante Konkurrieren um einen einstelligen Tabellenplatz inzwischen realistisch.

"Dieser Start gibt ein gutes Gefühl, aber wir können das gut einordnen und müssen bei uns bleiben", sagt Saier. Und Streich wäre nicht Streich, hätte er nach dem Sieg in Berlin nicht noch eine Mahnung parat gehabt: "Jetzt läuft es gerade gut, und ich bereite mich darauf vor, wenn es wieder nicht so gut läuft. Dann brauchen sie mich. Wenn es gut läuft, brauchen sie mich nicht so." Ende Dezember wird er 10 Jahre im Amt sein.

Dieses Topthema entstammt der aktuellen kicker-Montagsausgabe (hier im E-Magazine). Darin finden Sie unter anderem exklusive Interviews mit Hansi Flick und Stefan Kuntz, ein Porträt über den neuen U-21-Cheftrainer Antonio Di Salvo, Schwerpunkte zu Köln und Hertha BSC sowie einen Report über die Gewalt in und um Frankreichs Stadien.

Carsten Schröter-Lorenz

Dreimal die glatte Eins in der kicker-Elf des Spieltags