2. Bundesliga

"Arbeiter" Jonjoe Kenny: Wichtig wie nie

Herthas Rechtsverteidiger und seine Renaissance

"Arbeiter" Kenny: Wichtig wie nie

Traf gegen den HSV: Jonjoe Kenny.

Traf gegen den HSV: Jonjoe Kenny. IMAGO/kolbert-press

Er traf den Ball nicht richtig, aber das war in diesem Fall egal. Er bugsierte ihn ins Tor, mit Willen, mit Wucht, mit Überzeugung. Dann rannte Jonjoe Kenny Richtung Eckfahne, den Mund offen, den Zeigefinger der rechten Hand ausgestreckt, kurz am eigenen Trikot zupfend, als wollte er prüfen, ob die Situation echt ist oder sich gerade in seinem Traum abspielt. Er ging auf die Knie, um ein paar Meter über den Rasen des Olympiastadions zu rutschen und die von ihm ausgelöste Ekstase auf den Rängen zu inhalieren.

Nach dem bemerkenswert kurzweiligen Pokal-Achtelfinale zwischen Hertha BSC und dem Hamburger SV am Mittwochabend haben viele über den influencenden Fußballspieler oder fußballspielenden Influencer Nader El-Jindaoui gesprochen und noch mehr über Fabian Reese, der die Berliner zum Sieg getragen, gepeitscht, geführt, geschossen hat, aber ohne Kenny wäre diesem Schlagabtausch der ultimative Höhepunkt, das finale Elfmeterschießen, mutmaßlich versagt geblieben - und der HSV nach Lage der Dinge eine Runde weitergekommen.

Plötzlich torgefährlich

Kennys Tor zum 3:3 in der 120. Minute öffnete Hertha die Tür Richtung Shootout, und beim Elfmeterschießen verwandelte der Rechtsverteidiger den vierten der fünf Berliner Strafstöße ins linke Eck. Dafür, dass dieser Mann im Sommer weg wollte, ist er gerade ziemlich präsent - und so prägend wie nie zuvor in seiner Berliner Zeit.

Kenny steht seit Wochen immer öfter richtig: in seinem Kerngeschäft in der Abwehr, wo er mit großer Hartnäckigkeit den gegnerischen Linksaußen an die Kette legt - und auch im und am gegnerischen Strafraum, wo er inzwischen Tore und Assists einstreut, als hätte er eine berufliche Weiterbildung absolviert. In der 2. Liga traf er gegen Paderborn (3:1) und Elversberg (5:1), und wenn man weiß, wann er zuvor zuletzt ein Tor erzielt hatte - im Juni 2020 als Leihspieler für Schalke bei Union Berlin (1:1) -, strahlt diese Bilanz gleich noch ein wenig heller. Noch sehenswerter als seine Tore war sein Assist gegen Elversberg, als er Florian Niederlechner vor dem zwischenzeitlichen 3:1 bediente: mit einem Steckpass aus der Kategorie gehobene Kunst - eine Aktion, die man Kenny bislang nur an der Konsole zugetraut hätte. "Guckt nach rechts, spielt dann rein", sagt Hertha-Trainer Pal Dardai. "Einfach geil."

Tiefpunkt gegen Bern

Der U-20-Weltmeister von 2017, der 2022 ablösefrei vom FC Everton nach Berlin gewechselt war, wollte nach Herthas Abstieg gehen, aber der Markt wollte das nicht. Kenny blieb mangels Angeboten, und in der Saisonvorbereitung rutschte er in der Rechtsverteidiger-Hierarchie selbst hinter den von einer ernüchternd verlaufenen Leihe bei Hellas Verona zurückgekehrten Verkaufskandidaten Deyovaisio Zeefuik.

Der Tiefpunkt für Kenny war im Sommer das Testspiel gegen den Schweizer Double-Sieger Young Boys Bern (2:4), bei dem er die ersten drei Gegentore mit verschuldete und auftrat, als wolle er seinem Wechselwunsch Nachdruck verleihen. Von Dardai gab es damals harsche Kritik: "Jonjoe hat eine super Einstellung, aber ich habe Probleme damit, dass er zu viele Fehler bei eigenem Ballbesitz macht. Da muss er sich verbessern." Er hat sich verbessert, den Grad an Zuverlässigkeit in seinem Spiel erhöht und gleichzeitig seine Wirkung nach vorn gesteigert. "Wenn Jonjoe einfach spielt, ist er ein Super-Spieler für uns", sagt Dardai jetzt. "Er wollte weg. Das hat nicht geklappt. Aber er hat nie aufgegeben. Er hört zu, er arbeitet - solche Typen mag ich."

Auch Sportdirektor Benjamin Weber lobt Kenny: "Er spielt jetzt einfach. Er gibt Energie, geht voran, ist ein Kämpfer und Arbeiter mit einem unbändigen Einsatzwillen. Und er belohnt sich und uns mit seinen Toren." Immer öfter. Am Samstag erwartet Dardai in Kaiserslautern "ein Kampfspiel" und "Einsatz, Einsatz, Einsatz". Die passende Besetzung rechts hinten in der Viererkette hat er dafür.

Steffen Rohr

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