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50+1 und Martin Kind: Die Bundesliga zwischen den Stühlen

Kinds Vorschlag und der Kampf der Kulturen

50+1: Eine Liga zwischen den Stühlen

"Man könnte theoretisch noch immer gegen 50+1 klagen, das ist auch eine mögliche Handlungsoption. Allerdings ist das nicht mein Ansinnen": Martin Kind.

"Man könnte theoretisch noch immer gegen 50+1 klagen, das ist auch eine mögliche Handlungsoption. Allerdings ist das nicht mein Ansinnen": Martin Kind. IMAGO/Maximilian Koch

Exakt 2050 Tage nachdem das Präsidium des Liga-Verbandes ihm eine Ausnahmegenehmigung von der 50+1-Regel à la Bayer Leverkusen, VfL Wolfsburg und (einstmals) TSG Hoffenheim verweigert hat, hat sich Martin Kind mit bemerkenswerten Aussagen in der Süddeutschen Zeitung zu Wort gemeldet. Die Worte des Geschäftsführers der Management-GmbH von Hannover 96 lassen erahnen, dass die DFL nach den Fanprotesten und dem gekippten Investoren-Deal mitten hineinrennt in die nächste Problematik.

Kind führt in dem Interview seine Sicht der Dinge auf die 50+1-Regel aus, die den Einfluss externer Geldgeber im deutschen Fußball beschränken und eine Stimmenmehrheit beim Stammverein - zu Ende gedacht also der Mitgliederversammlung - sicherstellen soll. Sie lässt sich wohl am besten unter dieser Aussage zusammenfassen: "Alles, was wirtschaftliche Konnotationen hat bei Hannover 96, das muss das Kapital entscheiden. Das versteht eigentlich auch jeder. Oder haben Sie schon einmal jemandem eine Million Euro zur freien Verfügung gegeben?"

50+1 wurde 1998 eingeführt, Kind wurde 1997 Vorstandschef des e.V.

Das ist zunächst eine legitime Sicht der Dinge. Wobei man auch einwenden könnte, dass Kind und seine Partner, der Drogerie-Unternehmer Dirk Rossmann und der Immobilien-Entwickler Gregor Baum, sich bei 96 unter dem bereits vorhandenen Bestehen von 50+1 engagiert haben.

Zumindest sind die Gründungen der rund um 96 relevanten Kapitalgesellschaften auf Ende 1999 respektive das Jahr 2000 datiert. 50+1 wurde bereits 1998 eingeführt (und im Nachgang vom DFB-Bundestag legitimiert). Kind wiederum mag allerdings entgegenhalten, dass er bereits 1997 zum Vorstandschef des e.V. gewählt worden war, was er heute nicht mehr ist.

Der Vertrag wurde von Kapital- und Vereinsseite unterschrieben

Stattdessen regelt der sogenannte Hannover-Vertrag die Beziehungen zwischen Stammverein und Geschäftsführer. Kinds Aussagen in der SZ lesen sich so, als habe er sowohl die Vereinsvertreter als auch die DFL ziemlich über den Tisch gezogen mit der Ausgestaltung des Papieres. Man kann diese Haltung kritisieren. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass der Kontrakt unterschrieben wurde von Kapital- und eben auch Vereinsseite.

Die Ausarbeitung des Vertrags fand inmitten der rechtlichen Überprüfungen der Regel und speziell der Förderausnahmen für Leverkusen, Wolfsburg und Hoffenheim statt, wobei TSG-Geldgeber Dietmar Hopp seine Stimmrechtsmehrheit bereits wieder dem e.V. rückübertragen hat.

"Das DFL-Präsidium steht einmütig zur 50+1-Regel"

Im Endeffekt hatten die Fanproteste neben der Generalkritik an Private Equity ihre argumentative Basis genau auf den Unschärfen des Hannover-96-Vertrags. Kind argumentiert, der e.V. habe in Fragen des Profifußballs kein Weisungsrecht, der e.V. sieht das anders.

Die Liga sprach bis zum Schluss von einem gültigen Votum des Hörgeräte-Unternehmers, ehe im Zuge der Absage des Deals Präsidiumssprecher Hans-Joachim Watzke einräumte: "Gleichwohl darf nicht verkannt werden, dass es diesem Votum aufgrund der Vorgänge um Hannover 96 an breiter Akzeptanz fehlt. Darüber hinwegzugehen, darf vor dem Hintergrund des hohen Guts, das wir mit der 50+1-Regel in unseren Händen halten, nicht unser Ansatz sein. Das DFL-Präsidium steht einmütig zur 50+1-Regel."

Ich erwarte dann auch, dass alternative Vorschläge gemacht werden. Nur Nein zu sagen, ist kein Konzept.

Martin Kind in der SZ

Dass Kind nun Watzkes BVB attackiert ("Borussia Dortmund ist die einzige börsennotierte Kapitalgesellschaft in den oberen beiden deutschen Profiligen. Dem Dortmunder e.V. gehören nur noch 4,6 Prozent der Fußballfirma. Ob in Dortmund nun 50+1 vollumfänglich beachtet wird, dazu könnte man vor dem Hintergrund möglicherweise auch einige Aspekte kritisch hinterfragen.") darf man wohl als Replik verstehen, nicht als Frontalangriff.

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  • Für Investitionen u.a. in Digitalisierung wollte die DFL-Führung Kapital von einen Investor einholen.
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  • Nach einer außerordentlichen Sitzung hat die DFL beschlossen, den Partnerprozess nicht weiterzuführen. 

Denn im Grunde gibt sich Kind lösungsorientiert, das betont er mehrfach, etwa hier: "Man könnte theoretisch noch immer gegen 50+1 klagen, das ist auch eine mögliche Handlungsoption. Allerdings ist das nicht mein Ansinnen. Besser wäre eine Reform der Regelung." Und hier: "Wenn mich jemand kritisiert, akzeptiere ich das immer. Aber ich erwarte dann auch, dass alternative Vorschläge gemacht werden. Nur Nein zu sagen, ist kein Konzept. Man sollte stets additiv Vorschläge unterbreiten, über die man auch reden kann."

Die DFL muss den Mut haben, neu festzulegen: In welchen Fragen darf der e.V. mitreden und in welchen nicht?

Martin Kind in der SZ

Dass das Kartellamt jedenfalls im Zuge der diversen Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs und offenbar den Wellen, die das Dezember-Votum ausgelöst hat, den mit der Liga ausgehandelten Kompromiss zu der Regel und den Ausnahmen Leverkusen und Wolfsburg neu bewerten möchte, spielt dem 79-Jährigen in die Karten.

Ebenso die Tatsache, dass die Liga Hannover wiederholt die Lizenz gewährt hat trotz der fragwürdigen Ausgestaltung des 96-Vertrags anno 2019. Kind weiß das und schlägt nun vor: "Die DFL muss den Mut haben, neu festzulegen: In welchen Fragen darf der e.V. mitreden und in welchen nicht? In welchen Fragen darf das Kapital mitreden und in welchen nicht? Die DFL könnte inhaltlich zukunftsorientiert Lösungen schaffen, ohne 50+1 aufgeben zu müssen. Dennoch gehört dazu eine Veränderungsbereitschaft."

Öffnet sich die DFL Kinds Idee, bricht der Konflikt mit den Kurven aufs Neue auf

Bezogen auf sein Statement, der Kapitalgeber müsse auch über die Verwendung entscheiden dürfen, und die Argumentation rund um das Weisungsrecht, dürfte zu Ende gedacht Kinds Interpretation verknappt dargestellt lauten: Das Kapital bestimmt über die Belange des Profifußballs, wie es sein Anwalt in dem Schriftverkehr mit dem 96 e.V. im Dezember bereits dargelegt hat, der e.V. darf sich gerne um den Rest kümmern.

Dass dies für die organisierte Fanszene eine gangbare Lösung sein kann, scheint hochgradig fraglich und die DFL sitzt zwischen den Stühlen. Öffnet sie sich Kinds Idee, bricht der Konflikt mit den Kurven aufs Neue auf. Verschließt sie sich, wird Kind klagen mit sicherlich nicht allzu schlechten Chancen. Derzeit spricht mehr für eine Fortsetzung des Kulturkampfs rund um 50+1 als für eine dauerhafte Befriedung, wie sie das Nein zum Investor zumindest vorübergehend suggeriert hatte.

Benni Hofmann