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"Wir sind nicht der FC St. Pauli des Basketballs"

BG Göttingen setzt auf Gemeinwohl und Nachhaltigkeit

"Wir sind nicht der FC St. Pauli des Basketballs"

BG Göttingen als soziales Bindeglied: "Unsere Gesellschafter investieren hier nicht, um Geld zu verdienen."

BG Göttingen als soziales Bindeglied: "Unsere Gesellschafter investieren hier nicht, um Geld zu verdienen." IMAGO/Eibner

Herr Meinertshagen, die BG Göttingen hat jüngst als erster deutscher Basketball-Profiklub das Zertifikat der Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) erhalten. Nachdem Sie es mit den "Veilchen" 2023 noch in die Playoffs geschafft hatten: Ist das Zertifikat Ihr wichtigster Erfolg in dieser Saison?

Nein, ganz und gar nicht. Der wichtigste Erfolg war für uns kurzfristig gesprochen ganz klar der Klassenerhalt in der Easycredit Basketball Bundesliga.

Beim Zertifikat der Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) handelt es sich um eine freiwillige werteorientierte Prüfung. Welche Bedeutung hat das Zertifikat für ihren Klub?

Wir wollen wachsen, um mehr Menschen einen Zugang zum Sport - idealerweise zum Basketball - zu ermöglichen. Dieses Wachstum soll verträglich für unsere Gesellschafter, unsere Mitarbeiter und die Region Göttingen sein. Wir wollen nämlich nicht nur als Profiklub wahrgenommen werden, sondern als Teil der Gesellschaft. Die GWÖ gibt uns wichtige Impulse, um unsere Ziele und Maßnahmen hinsichtlich eines verantwortungsbewussten, kooperativen Miteinanders im Rahmen eines ethischen Wirtschaftens zu evaluieren.

Was heißt das konkret für die BG Göttingen?

Die BG Göttingen soll mehr als ein professioneller Basketball-Klub sein. Als Unternehmen in Südniedersachsen sind wir Arbeitgeber und wichtiger Bestandteil der Gesellschaft. Rund 3.000 Zuschauer strömen Wochenende für Wochenende zu unseren Heimspielen. Mit unserem Grundschulprojekt "Veilchen@School" sowie unseren Feriencamps gibt die BG vielen Kindern und Jugendlichen in der Region ein Gemeinschaftsgefühl und vermittelt die Werte des Teamsports. Im Sinne der Gemeinwohl-Ökonomie ist es zudem gut, dass bei uns nicht primär im Fokus steht, große Gewinne zu erzielen. Platt gesagt: Unsere Gesellschafter investieren hier nicht, um Geld zu verdienen, sondern weil sie Bock auf Basketball in Göttingen haben und weil sie etwas für die Stadt und den Sport tun wollen. Das allein ist ja schon mal konträr zur Ausrichtung von vielen anderen Unternehmen außerhalb des Sports.

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Warum braucht es zusätzlich zum Handeln ein Zertifikat?

Ehrlicherweise ist das Zertifikat als solches für uns überhaupt nicht entscheidend. Uns ging es vielmehr um den damit verbundenen Prozess. Als wir uns vor knapp eineinhalb Jahren dazu entschieden haben, wollten wir uns zu einer Ist-Analyse zwingen und mögliche Baustellen aufdecken. Unser langfristiges Ziel ist es, dass alle Inhalte, die mit Gemeinwohl in Verbindung stehen, ganz natürlich zu unserem Markenkern gehören. Das klingt womöglich etwas marketingtechnisch, ich meine es aber ganz im Sinne der Sache: Wir wollen Nachhaltigkeit in all Ihren Dimensionen in den Fokus unseres Handelns rücken - und das Zertifikat war dafür gewissermaßen der Startschuss.

Wie haben Sie denn bei dem Zertifikat abgeschnitten?

Wir haben 277 von 1000 möglichen Punkten erreicht. Das hört sich jetzt vermutlich wenig an, ist aber im Vergleich zu anderen Unternehmen kein besonders niedriger Wert. Uns ging es im ersten Jahr aber ohnehin nicht um eine besonders hohe Punktzahl, sondern wir wollten allen voran unseren Status quo challengen und alle Menschen im und rund um den Klub für das Thema Gemeinwohl sensibilisieren. Wir stehen noch ganz am Anfang unserer Reise.

Wo hat die BG Göttingen denn noch Nachholbedarf in Sachen Gemeinwohl?

Ein vermeintlich kleines, aber dafür sehr anschauliches Beispiel ist das Merchandising. Wir haben uns bisher ehrlicherweise 0,0 darum gekümmert, wo die Sachen herkommen oder unter welchen Bedingungen die Produkte hergestellt werden. Wir sind da gleichermaßen selbstkritisch wie transparent und wollen unser eigenes Handeln hinterfragen. Für uns ist künftig somit nicht mehr in Stein gemeißelt, dass wir mit unseren Fanartikeln die größtmögliche Gewinnspanne erzielen, sondern wir wollen auch auf faire Arbeitsbedingungen und ökologische Aspekte in der Herstellung achten. Darüber hinaus sind wir beispielsweise bei Fahrten zu unseren Auswärtsspielen noch viel zu viel mit dem Bus unterwegs.

Warum wechseln Sie nicht von der Straße auf die Schiene?

Ich wünschte, wir hätten das schon längst getan. Doch so einfach ist es dann leider doch nicht: Obwohl Göttingen sehr zentral liegt und einen ICE-Bahnhof hat, sind die Fahrpläne oft so, dass wir bei Zugfahrten zu Auswärtsspielen eher zwei statt einer Übernachtung benötigen würden. Das wiederum sorgt für erheblichen administrativen und finanziellen Aufwand. Aber wir werden hier dennoch bald ganz sicher handeln und peu à peu auf den Zug umsteigen. Und das müssen wir auch: Denn die 18 Erstliga-Klubs haben sich dazu verpflichtet, 30 Prozent CO2 bei der Teammobilität bis zum Jahr 2027 einzusparen. Das betrifft dann auch die Anfahrt der Profis zum Trainingsgelände.

Die Mehrheit unserer Spieler kommt noch mit dem Auto zum Training, da bin ich ganz ehrlich.

Frank Meinertshagen, Geschäftsführer, BG Göttingen

Wie ökologisch eingestellt sind ihre Profis denn schon?

Die Mehrheit unserer Spieler kommt noch mit dem Auto zum Training, da bin ich ganz ehrlich. Aber es steigt ganz klar die Zahl derer, die lieber mit dem Fahrrad oder zu Fuß unterwegs sind. Vergangene Saison hatten wir mit dem Norweger Harald Frey (wechselte zu den Telekom Baskets Bonn, Anm. d. Red.) sogar einen Profi im Kader, der aus ökologischer Überzeugung ganz bewusst nicht einmal mehr einen Führerschein gemacht hat. Nun ist Göttingen sicher auch keine Riesenstadt. Aber ich finde die allgemeine Entwicklung schon bemerkenswert.

Unterm Strich wollen Sie aber bei einer Nachzertifizierung in der Zukunft doch sicher besser abschneiden, als bei der Premiere?

Definitiv, das System der Punktevergabe weckt bei uns als Sportklub ganz klar auch einen gewissen Ehrgeiz, hier noch mehr zu erreichen. Und das ist auch eine positive Seite eines solchen Zertifikats. Denn es birgt gewissermaßen einen spielerischen Ansporn, sich verbessern zu wollen.

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Die BG Göttingen ist nicht nur der erste professionelle Basketball-Klub mit GWÖ-Zertifikat, sondern auch der zweite Profi-Sportklub überhaupt neben dem FC St. Pauli, der zuletzt auf 527 Punkte kam. Sie kommen ja sogar aus Hamburg: Fühlen Sie sich ein bisschen wie der FC St. Pauli des Basketballs?

Die Vermutung liegt vielleicht nahe, da ich tatsächlich auch Fan des FC St. Pauli bin. Aber in der Sache möchte ich das ganz klar verneinen: Wir sind nicht der FC St. Pauli des Basketballs - das wäre auch total vermessen. Aber ähnlich wie der FC St. Pauli wollen wir bei der BG Göttingen die Themen Nachhaltigkeit und Gemeinwohl deutlich näher an den Markenkern rücken.

Ist eine nachhaltige Positionierung mittlerweile auch unabdingbar, um Interessen von potenziellen Sponsoren gerecht zu werden?

In allererster Linie sind wir zutiefst überzeugt und intrinsisch motiviert, gemeinwohlorientiert zu handeln. Aber klar: Ich will auch keinen Hehl daraus machen, dass uns diese strategische Ausrichtung auch in der Vermarktung hilft. Das ist auch nichts, wofür man sich schämen müsste. Im Gegenteil: Wir wollen möglichst viele Unternehmen als Partner und Sponsoren für unseren Weg überzeugen und diesen bestenfalls Hand in Hand mit ihnen gehen. Unser Bestreben in Richtung noch mehr Nachhaltigkeit hilft uns aktuell maßgeblich in Gesprächen mit unseren Partnern, die das ganz konkret einfordern und die uns ohne unsere entsprechenden Aktivitäten eventuell sogar den Rücken kehren würden.

Kostet Gemeinwohl mehr, als dass es einbringt?

Schwer zu sagen. Erstmal kostet es sicherlich Geld und perspektivisch bringt es hoffentlich auch Geld. Wir wollen und müssen hier einen für alle Seiten gesunden Mittelweg finden. Denn wir zählen innerhalb der Easycredit Basketball Bundesliga eher zu den Klubs mit den schmaleren Budgets. Trotzdem wollen wir nicht alles auf Profit ausrichten, respektive ausschließlich in Spielermaterial investieren. Wir glauben nicht, dass wir mit dem Thema Nachhaltigkeit irgendwann Millionen von Euro verdienen werden. Aber ich bin felsenfest davon überzeugt, dass uns die Investitionen in Gemeinwohl-Aktivitäten in der Partnervermarktung neue Potenziale eröffnen werden. Allein schon, weil das Geld dann aus anderen Töpfen der Unternehmen kommt. Das ist wichtig, denn klassische Sponsoring-Budgets sind zunehmend doch eher limitiert.

Henning Eberhardt