Champions League

Die Geschichte der Champions League: "Komplettes Durchwurschteln"

Ein Interview über Geschichte und Zukunft der Champions League

"Wir sehen seit 30 Jahren ein komplettes Durchwurschteln"

Titelverteidiger und Rekordsieger: Real Madrid hat ein Faible für die Champions League.

Titelverteidiger und Rekordsieger: Real Madrid hat ein Faible für die Champions League. IMAGO/Moritz Müller

Als die UEFA zur Saison 1992/93 die Champions League einführte, kam das einer Revolution gleich. Und bald stehen schon die nächsten gravierenden Änderungen in einem Wettbewerb an, der sich längst bis in die kleinsten Ligen auswirkt. Wie kam es dazu? Wo soll das hinführen? Was müsste sich ändern? Christoph Biermann, renommierter Fußballjournalist und zweimaliger Gewinner des Preises "Fußballbuch des Jahres", befasst sich in seinem neuen Buch "Um jeden Preis - Die wahre Geschichte des modernen Fußballs von 1992 bis heute" (Kiepenheuer & Witsch) unter anderem intensiv mit der Entwicklung der Champions League.

Nach 30 Jahren wird die Champions League von manchen Fans verteufelt, von anderen geliebt. Wie ist Ihr Verhältnis zu ihr, Herr Biermann?

Mein Verhältnis ist ähnlich gespalten. Auf der einen Seite ist die Champions League inzwischen der sportlich beste Fußballwettbewerb, den es auf der Welt gibt. Besseren Fußball sieht man nirgendwo. Die andere Wahrheit ist: Die Champions League hat extrem dazu beigetragen, in ganz vielen Ländern, darunter auch Deutschland, den Wettbewerb komplett zu verzerren.

Zur Saison 1992/93 wurde aus dem Europapokal der Landesmeister offiziell die Champions League. In welchem Zustand war der höchste Europapokal zuvor?

Der Fußball war damals in der Krise. Viele Stadien waren in einem lausigen Zustand, Gewalt war ein riesengroßes Problem. In dieser Situation tauchte ein neuer Player auf: das Privatfernsehen, das von Anfang an trotz aller Probleme sehr heiß auf Fußball war. Und als die Vereine merkten, dass da etwas gehen könnte, waren sie sehr schnell unzufrieden damit, wie die UEFA den Landesmeister-Pokal vermarktete - nämlich letztendlich gar nicht. Eigentlich hat jeder einzelne Verein für jedes einzelne Spiel seine Fernsehrechte verkauft. Dazu kamen Situationen, die aus heutiger Sicht kaum noch vorstellbar sind: 1987 flog der italienische Meister Neapel mit Diego Maradona in der ersten Runde des Landesmeister-Pokals gegen Real Madrid raus. Das erschien vielen Leuten als eine gigantische Geldverschwendung.

Schon damals geriet die UEFA durch die Entwicklung einer Super League - die sogar genau so heißen sollte - unter Druck, angestoßen von Milan-Boss und Medienunternehmer Silvio Berlusconi.

Und unter dieser Drohkulisse wurde die Champions League erfunden - interessanterweise von den Deutschen Klaus Hempel und Jürgen Lenz.

Sogar die Krawatten der Moderatoren wurden mitgeliefert.

Christoph Biermann

Wer waren die beiden?

Das waren zwei Leute, die eine Vergangenheit als Marketingexperten vorzuweisen und auch schon im Sport gearbeitet hatten, unter anderem bei "Adidas", und die sich erstmals selbstständig gemacht haben. Und ihr erstes großes Projekt war die Champions League. Sie hatten einen anderen Background und haben gänzlich neue Ideen eingebracht.

Nicht nur wegen Hempel und Lenz ist die Champions League eine deutsche Erfindung. Um die finanziellen Garantien der UEFA zu erfüllen, bekamen sie Hilfe von den schwerreichen deutschen Unternehmern Arend Oetker und Otto Wolff von Amerongen.

Da sieht man, dass der Fußball plötzlich in Kreisen ankam, die sich vorher überhaupt nicht mit Fußball beschäftigt hatten, ihn vielleicht sogar ein bisschen "Igitt" fanden und plötzlich wirtschaftliche Möglichkeiten gesehen haben. Zu Recht, wie man im Nachhinein sagen muss.

Sie schreiben in Ihrem Buch, Hempel und Lenz hätten den Europapokal der Landesmeister in "kommerzielles Kryptonit" verwandelt. Was war so neu an ihrem Entwurf?

Vor allem die Vermarktung als Gesamtwettbewerb: Diejenigen, die die Übertragungsrechte gekauft haben, waren nun dazu genötigt, in jeder Runde ein Spiel zu zeigen, auch wenn der Teilnehmer aus ihrem Land schon ausgeschieden war. Das war eine komplett neue Vorstellung. Vorher dachte man: Warum sollte sich jemand in Deutschland das Spiel zwischen einer italienischen und einer englischen Mannschaft angucken? Doch das war von Anfang an ein sehr großer Erfolg.

Das Champions-League-Achtelfinale

Zum anderen entwarfen sie einen bewusst hochwertigen Wettbewerb. Da war schon alles dabei, was man heute sieht: die Hymne, das Sternenbanner. Sie haben den Fernsehsendern vorgeschrieben, wie ihre Sendung auszusehen hat - sogar die Krawatten der Moderatoren wurden mitgeliefert. Und die Vereine mussten der Vermarktungsagentur ein "clean stadium", also ein sauberes Stadion übergeben, in dem für nichts geworben wurde, damit diese es dann mit ihren Werbepartnern übernehmen konnte. Ich kann mich noch erinnern: In den frühen Jahren waren in Leverkusen sogar die Schriftzüge auf den Fernsehern im Presseraum abgeklebt, weil die einen anderen Hersteller hatten.

Hempel und Lenz revolutionierten den Wettbewerb auf vielen Ebenen, doch eines blieb noch auf Jahre gleich: Nur Meister durften teilnehmen. Das änderte sich erst 1997 und in noch größerem Ausmaß 1999 - letztlich wieder als Reaktion auf eine Super-League-Drohung.

Ich habe mit Lenz vor ein paar Jahren mal gesprochen, er war gar nicht damit einverstanden, wie sich die Geschichte weiterentwickelt hat. Sie hatten ja die Vorstellung eines Exzellenzwettbewerbs, an dem nur die Meister teilnehmen durften, was dann Zug um Zug aufgeweicht wurde.

An wirklicher Spannung ist niemand interessiert.

Christoph Biermann

Mit den Reformen ging auch stets eine veränderte Geldverteilung einher, die die Topklubs klar bevorzugten. Viele nennen das Gier, für Sie ist es auch "Ausdruck einer Ohnmacht". Inwiefern?

Es ist beides. Es ist eine Verteilung zugunsten der Reichen, wie wir sie auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen erleben. Aber: Wenn ein einzelner Klub in einem einzelnen Land auf seine wirtschaftlichen Vorteile verzichten würde, um einen offeneren Wettbewerb zu erreichen, wäre er im internationalen Vergleich sofort in einem großen Nachteil. Um mithalten zu können, muss man sich eine Welt schaffen, in der man nicht nur garantiert in der Champions League dabei ist, sondern auch relativ weit kommt. Deswegen stecken die Klubs in Zwängen, die man auch verstehen kann, selbst wenn man sich darüber ärgert.

Renommierter Fußballbuch-Autor: Christoph Biermann.

Renommierter Fußballbuch-Autor: Christoph Biermann. Norman Posselt

Eine Folge ist, dass oft bereits im Viertelfinale die Klubs aus den Topligen unter sich sind. Doch es ist nicht nur die Schere zwischen den Ligen auseinandergegangen. Sie zeigen auf, dass sich die enormen Umsätze in der Königsklasse auch innerhalb viel kleinerer Ligen auswirken.

Wir haben ja den irrwitzigen Umstand, dass Mannschaften in der Champions League unterschiedliche Prämien bekommen, je nachdem, aus welchem Land sie sind. Wenn eine aus der Schweiz oder Griechenland das Achtelfinale erreicht, bekommt sie dramatisch weniger als eine Mannschaft aus Deutschland oder England. Die Logik dahinter ist, dass diese Klubs aus Fernsehmärkten kommen, die weniger in den Topf einzahlen. Jetzt könnte man denken, dass diese Klubs total dagegen rebellieren, tun sie aber nicht, weil ihnen diese Einnahmen in ihrer Liga wiederum einen so riesigen Vorteil verschaffen, dass Spitzenplätze, teilweise Meisterschaften, fast garantiert sind.

Nun ist - wieder vor dem Hintergrund neuer Super-League-Pläne - schon die nächste Champions-League-Reform beschlossen. Die von Ihnen beschriebenen Gräben im europäischen Fußball dürften mit ihr nur noch größer werden. Wie stehen Sie zu der Reform?

Wir haben ja schon gelernt: An wirklicher Spannung ist niemand interessiert (lacht). Der neue Modus bringt höchstens ein bisschen mehr Pseudo-Spannung. Wir haben eine Geschichte der ständigen Modifikation der Verteilung. Da wird mal an diesem und jenem Schräubchen gedreht, aber eigentlich geht es immer um Besitzstandswahrung der großen Vereine. Dabei geht es auch um die Angst, rauszufallen und dann im Rattenrennen nicht mehr hinterherzukommen. Beispiel Juventus Turin: Irgendwie ist es natürlich schon gut, sie dabei zu haben, auch wenn sie gerade moralisch und sportlich eine Katastrophe sind - denn halb Italien ist Juve-Fan. Das heißt, wenn die nicht dabei sind, besteht die Gefahr, dass sich halb Italien nicht mehr für diesen Wettbewerb interessiert. Das sind Denkweisen, die mit Sport nicht viel zu tun haben, aber die ganzen Überlegungen prägen. Und an all dem erkennt man, was das für ein komplett verfahrener Käse ist.

Vielleicht muss man die großen Klubs von Bayern bis Manchester in eine Super League stecken und verwandelt die dann in eine Art NBA.

Christoph Biermann

Sehen Sie denn ein Zurück aus diesem Rattenrennen, in das sich der Profifußball begeben hat?

Ein Zurück sehe ich sowieso nicht, ich bin kein Nostalgiker, der sich den Zustand von 1991 wünscht. Es geht vielmehr um ein "nach vorne". Das Problem ist, dass die Dinge, die wir besprochen haben, so wahnwitzig komplex und miteinander verzahnt sind, dass es so etwas wie einen radikalen Systemwechsel bräuchte, zu dem aber niemand die Kraft hat, weil alle in dieser Verzahnung drinstecken. Alle können sich nur ein kleines Stückchen bewegen. Deswegen sehe ich keine Möglichkeit zu einer Reform. Sicherlich lobenswert ist, dass die UEFA noch mal versucht hat, ein Financial Fairplay auf den Weg zu bringen. Aber dann gucken wir uns die Chelsea-Transfers in dieser Winterpause an …

Vielleicht muss man die großen Klubs von Bayern bis Manchester in eine Super League stecken und verwandelt die dann in eine Art NBA als globale Entertainment-Liga - womit diese Klubs dann aber auch aus ihren nationalen Ligen verschwinden. Mit einem solchen Schnitt hätte man die Möglichkeit, das Ganze drunter neu aufzustellen. Denn ich glaube schon, dass es eines stärkeren sportlichen Wettbewerbs als jetzt bedarf, um langfristig attraktiv zu bleiben.

Wobei man dafür Sorge tragen müsste, dass sich darunter nicht wieder das Gleiche entwickelt, nur mit anderen Vereinen.

Der Mechanismus, den wir seit 30 Jahren sehen, ist ein komplettes Durchwurschteln. Es gibt im Fußball niemanden, der das Gesamtgebilde anschaut. Die großen Visionen sind meistens nur für einen Teil der Branche, aber nichts, wo alles zusammengedacht wird. Das ist schon echt faszinierend. Vielleicht ist es auch zu schwierig, aber manchmal - ich will nicht unhöflich sein - kommt mir das erbärmlich vor.

Interview: Jörn Petersen

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