Motorsport

Verbrenner-Aus: Was wird jetzt aus den Oldtimern?

Historische Autos in Zukunftsnöten

Verbrenner-Aus: Was wird jetzt aus den Oldtimern?

Ausfahrt mit dem Oldtimer: Verstauben Stücke wie dieses Opel Rekord Cabriolet aus dem Jahr 1967 künftig in der Garage?

Ausfahrt mit dem Oldtimer: Verstauben Stücke wie dieses Opel Rekord Cabriolet aus dem Jahr 1967 künftig in der Garage? Opel

Man spricht von ihnen als Garagengold: Zum Jahresbeginn 2023 hat das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) knapp 800.000 Oldtimer in Deutschland registriert, beim Zentralverband Deutsches Kfz-Gewerbe (ZDK) schreibt man ihnen einen Gesamtwert von rund 31 Milliarden Euro zu. Das klingt nach einem teuren Hobby für Gutbetuchte. Doch 40 Prozent der mindestens 30 Jahre alten Oldies sind höchstens 10.000 Euro wert, nur eine Minderheit - jedes 50. Fahrzeug nämlich - kommt auf über 100.000 Euro.

Für viele Liebhaber alter Autos oder Zweiräder stellt ihr historisches Gefährt keinen materiellen, sondern eher einen ideellen Schatz dar, mit dem sie sich aus emotionalen Gründen verbunden fühlen, beispielsweise, weil er Erinnerungen weckt. "Man erfüllt sich oft das, wovon man als Kind geträumt hat", sagt Frank Reichert von der Gesellschaft für Technische Überwachung (GTÜ), die im vergangenen Jahr rund 16.000 sogenannter Oldtimer-Gutachten erstellt hat.

Oldtimer-Weltverband in Sorge

Doch jetzt droht den Klassikern Ungemach. Die Zukunft des Autos soll elektrisch sein, für 2035 hat die EU bekanntlich weitgehend ein "Verbrenner-Aus" beschlossen. Das versetzt den Oldtimer-Weltverband FIVA in bange Sorge: Die schrittweise Ablösung von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor durch solche mit batterieelektrischem- oder Wasserstoffantrieb stelle eine Bedrohung für historische Fahrzeuge dar, heißt es sorgenvoll aus dem italienischen Turin. Von der Straße verschwinden müssen die Oldies im Jahr 2035 zwar nicht. Doch perspektivisch könnte jener "Saft" knapp werden, von dem sie leben: Fossiler Kraftstoff wie Benzin und Diesel.

Peter Schütz nimmt die Sache gelassen und mit Humor. In der Garage des Nürnbergers steht ein roter Renault 4 des Baujahres 1988. Erstens, sagt Schütz, könne er rechnen - wenn bis 2035 Verbrenner verkauft werden dürften, werde man mindestens bis 2060 noch an normalen Sprit kommen. Ansonsten gehe er "halt wieder in die Apotheke" - eine Anspielung auf Bertha Benz, Ehefrau des Automobilpioniers Carl Benz, die anno 1888 auf ihrer legendären "Fernfahrt" von Pforzheim nach Mannheim einen Tankstopp in der Stadtapotheke von Wiesloch eingelegt hatte.

Bertha Benz

Tankstopp in der Apotheke: Bertha Benz auf ihrer historischen "Fernfahrt" von Pforzheim nach Mannheim. Mercedes-Benz

Doch kann man die Situation wirklich so entspannt bewerten? Johannes Hübner ist Oldtimer-Experte mit über 40-jähriger Expertise, Sprecher der Messe "Techno Classica" und Organisator des Schwetzinger Oldtimer-Events "Concours d’Elegance". Ein potenziell reduziertes Spritangebot will Hübner nicht ausschließen: "Wenn wir erst drei Millionen Elektroautos in Deutschland haben, wird es schon damit losgehen, dass sich die Mineralölunternehmen aus dem Tankstellennetz zurückziehen", befürchtet er. Tatsächlich hat der französische Energiekonzern TotalEnergies bereits den Verkauf seiner Tankstellennetze in Deutschland und den Niederlanden bekanntgegeben. Begründet wurde der Schritt mit dem EU-Beschluss, ab 2035 nur noch den Verkauf kohlendioxidneutraler Autos zu erlauben, was "aufgrund des sinkenden Kraftstoffvertriebs Umsatzeinbußen" bedeute.

Entwarnung vom Experten

Auch Alexander Vorbau, Leiter Kommunikation beim Bundesverband mittelständischer Mineralölunternehmen UNITI, beobachtet, dass viele Zapfstationen nicht mehr nur auf den Verkauf von flüssigen Kraftstoffen setzen, sondern auf einen "Mobilitätsmix", es wird also auch in eine Lade- und Wasserstoffinfrastruktur investiert. Doch gleichzeitig ist Vorbau davon überzeugt, dass "das sehr dichte Tankstellennetz in Deutschland langfristig erhalten bleibt". Auch wenn die E-Mobilität an Markt hinzugewinne, werde der Bestand an Verbrenner-Fahrzeugen noch über viele Jahrzehnte hinweg sehr hoch sein, und solange eine Nachfrage nach flüssigen Kraftstoffen bestehe, werde es diese auch an den Tankstellen geben.

Oldtimer-Ausfahrt

Oldies auf Tour: Künftig mit e-Fuels im Tank? Opel

Ähnlich äußert sich Klassik-Experte Oliver Runschke vom ADAC: "Vielleicht werden wir irgendwann nicht mehr in jedem, sondern nur noch in jedem zweiten Ort eine Tankstelle finden. Die Situation wird nicht mehr so bequem sein wie heute, darauf müssen wir uns in 20, 35 Jahren einstellen. Doch auch für Oldtimer-Besitzer wird es immer noch Möglichkeiten geben, an Kraftstoffe zu gelangen, die dann aber voraussichtlich nicht aus fossilen Komponenten bestehen".

Hoffnungsträger E-Fuels

Tatsächlich setzt man in der Szene auch darauf, dass die vieldiskutierten E-Fuels den Autos aus der Vergangenheit eine Fahrt in die Zukunft sichern könnten. "Das ist sicherlich ein gangbarer Weg", sagt Frank Reichert von der GTÜ über den synthetischen Kraftstoff, der aus Wasser und Kohlendioxid sowie idealerweise mit Strom aus regenerativen Quellen hergestellt wird. Umgerüstet werden müssen die Oldies nicht, damit sie das neuartige Lebenselixier vertragen. "E-Fuels erfüllen die gängigen Kraftstoffnormen", erklärt Alexander Vorbau von Uniti, "wenn das Auto also mit einem modernen Kraftstoff zurechtkommt, wie man ihn heute an der Tankstelle vorfindet, dann wird es auch mit E-Fuels fahren können". Dem stimmt Oldtimer-Experte Hübner zu: "Selbst ein Schnauferl aus dem Jahr 1930 ließe sich mit E-Fuels betreiben".

Straßenwacht-Bulli als Testkandidat

Der ADAC ist bereits dabei abzuklären, inwieweit ein Oldtimer-Motor den synthetischen Kraftstoff auch längerfristig verträgt. Dazu betreibt der Club ein auf drei Jahre angelegtes Pilotprojekt, in dessen Mittelpunkt ein historischer Straßenwacht-"Bulli" aus dem Jahr 1964 steht. Der luftgekühlte Vierzylinder-Boxermotor des gelben Volkswagen-Klassikers wurde bei verschiedenen Oldtimer-Veranstaltungen einer Bewährungsprobe unterzogen - unter anderem bei der Neuauflage der sogenannten "Olympia-Rallye", die im Jahr 1972 von Kiel nach München geführt hat. "Bislang hat alles sehr gut funktioniert", resümiert ADAC-Experte Oliver Runschke, "die ersten Ergebnisse stimmen optimistisch".

ADAC Straßenwacht Bulli

Er hat den synthetischen Kraftstoff klaglos vertragen: ADAC-Straßenwacht-Bulli aus dem Jahr 1964. ADAC

Dass der Betrieb mit dem neuen CO2-neutralen Kraftstoff keine tiefgreifenden Änderungen am Motor erfordert, ist nicht nur deshalb wichtig, weil sich so ein hoher technischer und finanzieller Aufwand vermeiden lässt. Sondern auch, weil auf diese Weise das begehrte H-Kennzeichen unangetastet bleibt, das ab einem Fahrzeug-Mindestalter von 30 Jahren beantragt werden kann und diverse Vorteile mit sich bringt - freie Fahrt in Umweltzonen beispielsweise, günstige Versicherungstarife und einen auf rund 190 Euro festgesetzten Jahressteuersatz.  Abgeschraubt werden müsste das Sonderkennzeichen hingegen, wenn das kraftfahrzeugtechnische Kulturgut auf einem anderen Weg zukunftsfähig gemacht werden würde: Verschiedene Spezialfirmen rüsten die alten Autos auf Elektroantrieb um - Verbrenner raus, E-Motor und Batterie rein. Damit geht allerdings der weitestgehende Originalzustand verloren. "Ein Fahrzeug, das nicht schon ursprünglich für diese Technologie vorgerüstet war, verliert das H-Kennzeichen", stellt Johannes Hübner klar.

Mini-Umbau

Project Mini Recharged im britischen Oxford: Umbau des Ur-Minis zum Elektroauto. BMW

Beim Oldtimer-Weltverband FIVA kann man der Elektro-Lösung sowieso nichts abgewinnen: Als großes und in Bewegung befindliches Museum sollten die historischen Fahrzeuge unverändert bleiben, um künftigen Generationen lebendige Geschichte zu vermitteln, heißt es geradezu dramatisch in einer Pressemitteilung.

Anstelle einer Umrüstung auf Elektroantrieb setzt auch die FIVA auf E-Fuels. Doch die sind bekanntlich sehr umstritten - zu teuer seien sie und zu ineffizient im Betrieb, lauten die Kritikpunkte, zu hoch falle außerdem der Energieaufwand bei der Herstellung aus. Was also, wenn es der Synthetik-Sprit gar nicht bis an die Tankstelle schafft? "An uns soll es nicht liegen", gibt sich Alexander Vorbau vom Mineralölunternehmen-Verband optimistisch. Man "kämpfe ganz intensiv" um das Thema, grünstrombasierte Kraftstoffe seien "letztlich ja auch die einzige Möglichkeit, den riesengroßen Bestand an Verbrennern klimaneutral zu stellen". Auch den Einwand, wonach e-Fuels den Bereichen Flug-, Schiffs- oder Schwerverkehr vorbehalten bleiben sollten, die allesamt wenig geeignet für batterieelektrischen Antrieb erscheinen, lässt Vorbau nicht gelten: "Nur wenn wir E-Fuels im Straßenverkehr haben, werden wir sie auch für die Flugzeuge bekommen". Denn aus der Raffinerie käme immer "ein relativ festgelegter Produktmix", der aus Kerosin, aber eben auch aus Benzin, Diesel, Heizöl oder Bitumen bestehe.

Kleinmengen vom Start-up

Für Nischenanwendungen wie Oldtimer, beruhigt Vorbau die Szene, werde es E-Fuels auf jeden Fall geben. Tatsächlich ist das schon heute der Fall. Regulär an der Tankstelle kann man den Öko-Sprit zwar noch nicht kaufen. Doch der ADAC beispielsweise beschafft sich die für das Bulli-Pilotprojekt benötigten Kleinmengen vorerst über das Berliner Start-up "P1 Performance Fuels", das neben dem Motorsport- auch den Oldtimer-Bereich bedient.

Mercedes 300 SLR Uhlenhaut Coupé

Versteigert für 135 Millionen: Mercedes 300 SLR Uhlenhaut Coupé aus dem Jahr 1955.  Sotheby's

Auch wenn es sich beim überwiegenden Teil der Oldtimer nicht um materielle Pretiosen handelt, so gibt es doch Exemplare, die auf Auktionen Rekordsummen erzielen. Aktueller Rekordhalter ist ein Mercedes 300 SLR Uhlenhaut-Coupé aus de Jahr 1955, das im vergangenen Mai für 135 Millionen Euro von Sotheby's versteigert wurde. Aber auch weniger teure Exemplare werden in Zeiten der Inflation schon mal als Geldanlage gekauft. Steht nun aufgrund von Kraftstoff-Unsicherheiten ein Wertverlust zu befürchten? "Nein, das kann ich mir nicht vorstellen", sagt Klassik-Experte Reichert von der GTÜ und verweist darauf, dass es schon vor Jahren, als die Umstellung von verbleitem auf unverbleiten Sprit anstand, Lösungen für Oldtimer gegeben habe. Johannes Hübner hat da eher seine Bedenken, führt aber andere als technische Gründe an: "Wenn die allgemeine Diskussion ums Auto dazu führt, dass die Nutzung historischer Fahrzeuge womöglich geächtet wird, dann wird es auch mit dem Werterhalt schwierig".

Nur 1500 Kilometer Jahresfahrleistung

In der Tat mag das vermeintlich sinnfreie Spazierenfahren mit einem automobilen Klassiker manchem ein Dorn im Auge sein. Und am Rande von Oldtimer-Sternfahrten oder ähnlichen Veranstaltungen kommt es durchaus vor, dass Passanten angesichts der heutzutage unüblichen Qualmwolken und Gerüche ungehalten die Nase rümpfen. Zugutehalten darf man den Oldies freilich, dass ihre durchschnittliche Jahresfahrleistung gerade einmal 1500 Kilometer beträgt. "Ich fahre nur noch drei bis vier Mal im Jahr", sagt R4-Besitzer Peter Schütz.

Kippt die Ersatzteilversorgung?

Auch in anderer Hinsicht liegt es gar nicht einmal an einer Unterversorgung mit Kraftstoff, wenn ältere Fahrzeuge vor einer ungewissen Zukunft stehen. Das betrifft vor allem jene Modelle, die den Oldtimer-Status eben erst erlangt haben oder ihn erst noch anstreben. "Seit Ende der 1990er-Jahre nimmt die Elektronik in den Fahrzeugen immer mehr zu", stellt Oliver Runschke vom ADAC fest. Wenn der Verbrenner aufs Abstellgleis fährt und sukzessive nicht mehr gebaut wird, entsteht daraus womöglich irgendwann ein Ersatzteilproblem für die potenziellen Klassiker. Die interessanten Fragen, meint Runschke, seien doch: "Wie wird die Teileversorgung mit Elektronikkomponenten sein? Werden sie von Spezialfirmen hergestellt oder kommen sie noch vom Hersteller selbst?". Viel mehr als die Kraftstoff-Frage sei dies ein Aspekt, über den er nachdenke, wenn es um Zukunftsszenarien für Oldtimer geht, sagt der ADAC-Fachmann.

Vielleicht bleibt dem, der sich ein Fahrzeug mit Oldtimer-Perspektive wünscht, nur eines: Jetzt ein Elektroauto kaufen und dieses hegen und pflegen, bis es die Berechtigung fürs H-Kennzeichen erlangt. Einer der ersten ausgelieferten VW ID.3 wäre "schon" im Jahr 2050 soweit.

Ulla Ellmer