2. Bundesliga

Valentinis Anklage lässt tief blicken

Warum die große Nürnberger Krise nicht nur an Sportvorstand Hecking festzumachen ist

Valentinis Anklage lässt tief blicken

Enttäuschte Gesichter beim FCN nach der jüngsten Niederlage gegen Karlsruhe.

Enttäuschte Gesichter beim FCN nach der jüngsten Niederlage gegen Karlsruhe. IMAGO/Zink

Das Beste am Nachmittag der 0:1-Heimniederlage gegen den KSC? Nein, nicht der Umstand, dass die Mannschaft nach der Pause gegen die Badener einen deutlich besseren Auftritt hinlegte. Dies war angesichts einer unterirdischen ersten Hälfte erstens nicht schwer und zweitens dann auch nur ansatzweise zweitliga-tauglich. Zum großen Leidwesen eines jeden eingefleischten Cluberers musste ausgerechnet der Lokalrivale aus Fürth als Stimmungsaufheller herhalten: Das Drehen eines 0:2 in einen 5:3-Erfolg der SpVgg beim Abstiegskandidaten Wehen Wiesbaden war zumindest ein klein wenig Balsam auf den klaffenden FCN-Wunden.

Es spricht Bände, dass momentan die Schwäche der anderen der größte Trumpf des neunmaligen Deutschen Meisters im Saisonfinale zu sein scheint. Der fünf, beziehungsweise sechs Punkte betragende Vorsprung auf den 16. Wehen Wiesbaden und den 17. Rostock ist drei Spieltage vor Schluss nur deshalb beruhigend, weil eine Aufholjagd der beiden angesichts ihres Restprogramms und ihrer derzeitigen Form schwer vorstellbar ist.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass es eingedenk des jüngsten Auftritts gegen den KSC ebenso schwer vorstellbar ist, dass der FCN noch einen Punkt holt. Erschwerend zur Form- und Leistungskrise kommt eine Gemengelage hinzu, die wenig Hoffnung auf einen Umschwung macht. Das beginnt damit, dass Kapitän Enrico Valentini öffentlich die Trainingsleistungen der Mannschaft als nicht ernsthaft bezeichnet und (selbst-)anklagend anfügt, dass "wir es nicht mal schaffen, 90 Minuten mittelmäßig zu spielen".

Valentini: "Jeder kriegt, was er verdient"

Was ist nur passiert, dass die bis zum 13. Spieltag so ordentlich bis ansehnlich aufspielende Mannschaft in den Monaten und Wochen danach nur noch selten wiederzuerkennen war? Den einen Grund kann auch der 35-jährige Ur-Cluberer im Profi-Kader nachvollzieherweise nicht benennen, wie auch, es sind viele, viele Gründe, die zur jetzigen Situation geführt haben. "Jeder kriegt das, was er verdient", resümiert Valentini. Was so banal klingt, ist letztlich eine brutale Bestandsaufnahme.

Zurück zu den Gründen. Ein grundlegender könnte darin liegen, dass der Club ein Stück weit in seiner glorreichen Vergangenheit gefangen ist. Läuft es drei, vier Spiele gut, gerät der Umstand, im vergangenen Jahrzehnt im Schnitt höchstens ein mittelmäßiger Zweitligist gewesen zu sein, völlig außer Blick. Eingedenk der alten Titel und Triumphe wird dann von der Wucht des Vereins geschwelgt, die Bundesliga als das einzige dem Selbstverständnis entsprechenden Ziel angesehen, egal, wie weit sich der Club in der Zwischenzeit von der Eliteliga entfernt hat. Passend dazu muss alles groß sein, der FCN will der nachhaltigste Verein der Welt sein, das Projekt "neues Stadion" soll, wenn realisiert, eines sein, das weltweit Beachtung finden wird.

Mangelnde Selbstkritik und Schönfärberei

Damit keine Missverständnisse entstehen: Deswegen spielt die Mannschaft nicht so, wie sie es gegen den KSC tat, aber das mitunter zu hochtrabende Auftreten des Vereins färbt ab. Zumal in den guten Phasen eines verpönt ist: jede Form von Kritik. Mangelnde Selbstreflexion ist ein Manko, das sich einem roten Faden gleich durch die jüngere Vergangenheit zieht - dies beinhaltet auch den Hang zur Schönfärberei und den, Ausflüchte zu finden. Beim 0:2 gegen St. Pauli wird der enttäuschend mutlose Auftritt damit weggedrückt, dass die Hamburger als Spitzenreiter einfach zu gut seien. 0:4 zu Hause gegen Kiel? Klar, aufgrund einer frühen Unterzahl ist gegen so eine Spitzenmannschaft gar nichts anderes möglich, als hätte es das noch nie gegeben, dass ein Mannschaft in Unterzahl zum unbequemen Gegner wird.

Glatzel und Halstenberg zum Vierten: Die kicker-Elf des 31. Spieltags

Überhaupt Kiel. In der aktuellen Krise wird nun die These aufgestellt, dass die Qualität des Kaders, weil total falsch zusammengestellt, einfach nicht mehr hergebe. Nun ja, die Mannschaft hat selbst schon die Anti-These dazu aufgestellt, zum Beispiel beim überzeugenden 2:0 bei den Störchen in der Hinrunde. Und: Es mag Kader geben, die wie der des HSV oder des FC Schalke 04 eine deutlich höhere individuelle Qualität haben, doch das Kieler Aufgebot gehört gewiss nicht dazu. Keine Frage, dem Kader des Club fehlt es an Stimmigkeit, er ist in manchen Mannschaftsteilen zu üppig bestückt, während es wiederum generell an widerstandsfähigen Führungskräften fehlt, doch den Niedergang der vergangenen Monate lässt sich allein dadurch nicht erklären.

Existentiell wichtige Transfererlöse

Andererseits gibt es mit Sportvorstand Dieter Hecking einen Mann, der allein aufgrund seines Amts in der Verantwortung steht. Dass der 59-Jährige dieser Tage so mächtig angezählt wird, dass seine Tage in Nürnberg gezählt zu sein scheinen, ist zwar einerseits nachvollziehbar, doch zum Alleinschuldigen taugt er dennoch nicht. In seinem fast vierjährigen Wirken ist in der Tat keine nachhaltige sportliche Weiterentwicklung zu erkennen, andererseits darf nicht unterschlagen werden, dass er und Sportdirektor Olaf Rebbe mit ihren Transfererlösen den Verein von seinen existentiellen Finanznöten befreit haben.

Hecking selbst betont, dass er die Unzufriedenheit und die damit verbundenen hochkochenden Emotionen "nachvollziehen kann", sein Handeln will er davon aber nicht bestimmen lassen. Dass er vor dem Spiel gegen den KSC mit der Mannschaft "sprach", um in der Pause des Spiels dann eine gemäß Valentinis "sehr laute" Kabinenansprache folgen zu lassen, zeigt aber auch, wie sehr die Misere an ihm nagt. Nachvollziehbar, doch wie zerfahren die Situation für ihn mittlerweile geworden ist, belegt gerade diese Aktion: Größtenteils wird sie Hecking als Untergrabung der Autorität des Trainers ausgelegt. Hätte er wiederum nichts gemacht, wäre ihm wohl Tatenlosigkeit vorgeworfen worden.

Der Aufsichtsrat soll angeblich bereits den Daumen in der Causa Hecking gesenkt haben, was einerseits den Mechanismen des Geschäfts entsprechen würde, andererseits aber auch auf ein Großteil des Gremiums ein schlechtes Licht wirft, hat es doch in der alten Zusammensetzung erst unlängst die Vertragsverlängerung Heckings als wichtigen zukunftsweisenden Schritt gefeiert. Jedes Aber daran, verbat sich das Gremium ausdrücklich, dabei las sich auch damals die Bilanz des Sportvorstands nicht viel besser. Die sich nun wohl anbahnende Trennung wird so nun für den Club mal wieder zu einer kostspieligen Angelegenheit, nicht zu vergessen, dass der 59-Jährige längst die ersten Weichen für den großen Umbruch im Sommer gestellt hat.

Fiel steht intern nicht zur Diskussion

Was aktuell indes für den FCN sehr ungewöhnlich ist: Am Trainer wird nicht gerüttelt, auch wenn er die Malaise mitzuverantworten hat und ihr mittlerweile ratlos gegenübersteht. Der vor fünf Monaten bei der Jahreshauptversammlung gefeierte Cristian Fiel mag bei einigen Fans einen Teil seines Kredits verspielt haben, nicht so aber im Verein selbst. Zwar kann man derzeit von der von Fiel beabsichtigten Spielweise nichts sehen, so sind die guten Tage des FCN in dieser Saison unverändert das Pfund, mit dem der Spanier wuchern kann. Da hat man nämlich sehr wohl und sehr gut eine klare Handschrift des 44-Jährigen erkannt. Sein über die Flügel vorgetragener Ballbesitz-Fußball hat Spaß gemacht und Eindruck hinterlassen - auch bei der Hertha.

Das 3:3 in Berlin vor fünf Spielen war nicht nur spektakulär, sondern auch die mit Abstand spielerisch beste Vorstellung des FCN in diesem Jahr - nicht zu vergessen, der 3:1-Erfolg über den Absteiger in der Hinrunde. In Summe sorgt dies dafür, dass Fiel auf der Liste Herthas steht, und dass die Berliner auch schon mit ihm gesprochen habe. Offen ist derzeit, ob er der Favorit ist. Was indes klar ist: Fiel hat einen gültigen Vertrag beim FCN, und wohl keine Ausstiegsklausel, wie kolportiert wird.

So gesehen sind unabhängig vom weiteren Saisonverlauf spannende Tage beim Club programmiert. Dass die Zeichen mal wieder auf Umbruch stehen, ist klar, nicht aber, wie groß dieser ausfallen wird.

Chris Biechele

Das sind die Zweitliga-Trainer der Saison 2023/24