Die Idee ist nicht erst nach dieser Woche mit den drei Niederlagen entstanden, es gibt die Überlegung schon länger, sie ist jetzt nach der dritten Nullnummer nur gereift. Am Dienstagmittag trafen sich Vorstandsboss Jan-Christian Dreesen und Trainer Thomas Tuchel zu einem längeren Austausch. Es war ein sehr offenes Gespräch, wie schon zuletzt zwischen dem Chef-Coach und Präsident Herbert Hainer nach dem 0:1 bei Lazio Rom. Tuchel hatte die Probleme in der Mannschaft einmal mehr im Detail erläutert. Die FCB-Führung aber erkannte auch gewisse Differenzen zwischen Trainer und einigen (wenigen) Spielern.
Niederlagenserie des FC Bayern
Steigender Druck auf Klub und Trainer
Nach dieser enttäuschenden Woche stieg der Druck auf den Klub, der deshalb nach einer Lösung suchte und in Person von Vorstandsboss Dreesen am Dienstag den Vorschlag einer Trennung nach der Saison unterbreitete.
Genauso erhöhte sich der Druck auf den Trainer, der in den Fokus der Kritik rückte. Was ihn vor allem persönlich - worüber er aufgrund seiner Erfahrung stehen kann - und noch mehr privat belastete. Seine Töchter, die seinen Nachnamen tragen, wurden in der Schule wiederholt mit Schlagzeilen über ihren Vater konfrontiert. Ein Umstand, der den Chef-Coach zu schaffen machte. Nun erhoffen sich beide Parteien, Trainer wie Verein, etwas mehr Ruhe - diese aber wird vermutlich nur bis zur nächsten Niederlage halten.
Mannschaft auf dem totalen Prüfstand - Meisterschaft bleibt das Ziel
Für Tuchel ist es eine nicht einfache Entscheidung gewesen, diese aber bedeutet für ihn jedenfalls, dass er in seinem Tun freier handeln kann; weniger Rücksicht auf Befindlichkeiten nehmen muss, weil das langfristige Denken sich zum kurzfristigen umwandelt. Umso mehr stehen jetzt die Spieler in der Pflicht - und auf dem totalen Prüfstand. Alibis und Ausreden gibt es für die Mannschaft keine mehr. Die Ziele aber bleiben dieselben: Die Meisterschaft ist - wenngleich in weiter Ferne - bei Weitem noch nicht abgehakt, auch in der Champions League will sich der Trainer beweisen.
Darin liegt auch die Hoffnung in der Vereinsführung. Dass ähnlich wie 2012/2013, als Pep Guardiola bereits in der Rückserie als neuer Trainer feststand, Noch-Coach (damals Jupp Heynckes) und Mannschaft auf eine gewisse Art und Weise von Zwängen und Störfaktoren befreit werden. Wohl wissend, dass die Umstände und aktuellen Gegebenheiten an der Säbener Straße elf Jahre später ganz andere sind.
Hochkarätige Namen und Xabi Alonso als absoluter Wunschkandidat
Die Münchner müssen jetzt einen Nachfolger finden. Die Suche läuft. Xabi Alonso ist der absolute Wunschkandidat, der Kontakt zum Spanier ist nie abgerissen, im Gegenteil: Auch der persönliche Kontakt zum Basken besteht weiterhin. Allerdings, so wird in England getuschelt, soll Xabi Alonso die Gespräche mit dem FC Liverpool bereits intensiviert haben.
Zinedine Zidane wäre eine weitere hochkarätige Option. Hansi Flick wurde ebenfalls schon an der Geschäftsstelle diskutiert - wäre die gegenseitige Überzeugung jedoch vollständig vorhanden, hätte der FCB mit ihm als Nachfolger die Reißleine auch jetzt schon ziehen können.
Außerdem verfolgt der deutsche Rekordmeister die Entwicklung von Unai Emery, der mit dem FC Sevilla dreimal und einmal mit Villarreal die Europa League gewann (auch mit Arsenal 2019 stand er im EL-Finale), die Münchner mit den Spaniern zudem vor zwei Jahren aus dem Viertelfinale der Champions League kegelte und derzeit mit Aston Villa als Vierter der Premier League für Aufmerksamkeit sorgt. Der künftige Trainer jedenfalls soll sich komplett mit dem FCB identifizieren - weshalb auch das Wirken von Sebastian Hoeneß beobachtet wird, fraglich nur, ob dieser Schritt für den Sohn von Dieter Hoeneß zu früh käme.
Tuchels Perspektive: Pause oder ManUnited?
Der Plan von Noch-Trainer Tuchel indes sieht nach dieser Saison vorerst eine Pause und Reflexion vor. Es sei denn, Manchester United trennt sich von Erik ten Hag. Die Red Devils stehen beim 50-Jährigen - auch wegen des neuen Besitzers und Chemiegiganten James Ratcliffe - hoch im Kurs. Dank der finanziellen Möglichkeiten, der Tradition, der Marke, des Stadions und der ihm womöglich übertragenen weitreichenden sportlichen Verantwortung. Was sich beim FC Barcelona, eine fußballerische Jugendliebe von Tuchel, momentan anders darstellt. Ebenso spricht - Stand heute - gegen ein Engagement bei den Katalanen, dass Tuchel die spanische Sprache nicht komplett beherrscht. Ein anderer Klub in London, nachdem Tuchel bereits den FC Chelsea trainiert hatte, kommt nicht infrage.
So oder so. Die Lösung, sich nach der Saison zu trennen, ist für beide Seiten wohl die vernünftigste. Der FC Bayern hatte andere Erwartungen an Thomas Tuchel. Und Thomas Tuchel hatte sich den FC Bayern anders vorgestellt. Der Chefcoach war von seinen Stationen im Ausland gewohnt, mehr Entscheidungsgewalt bei der Kadergestaltung zu haben; in München übernimmt diesen Part in erster Linie die Klubführung. Außerdem kommt es beim deutschen Branchenprimus nicht gut an, wenn öffentlich über etwaige Defizite im Verein gesprochen wird - ob sie nun wahr sind oder nicht. Insbesondere dann nicht, wenn die gewünschte Attraktivität im Spiel fehlt und die Ergebnisse ausbleiben.
Wo Tuchel in München aneckte
Tuchel selbst weiß das, er hadert enorm damit, dass sein Ansatz, der bei den vorherigen Klubs zum Erfolg führte, in München nicht greift. Zumindest nicht gänzlich. Denn immerhin stehen nach dem 22. Spieltag 50 Punkte zu Buche, das gelang in den vergangenen fünf Jahren nur einmal.
Trotzdem droht eine titellose Saison, die beim FC Bayern zu einem radikalen wie längst überfälligen Umbruch führen wird, den sich Tuchel bereits vergangenen Sommer erhofft hatte und womöglich erzwingen wollte. 2012, als dies letztmals der Fall war, hielten die Münchner an Jupp Heynckes als Trainer fest. Der Glaube in Tuchel hingegen ist verlorengegangen.
Fragwürdiger Ruf der Mannschaft
Genauso das grenzenlose Vertrauen der Bosse in die aktuelle Mannschaft, deren Ruf - zu mächtig, zu politisch, zu egoistisch, zu satt, nicht kritikfähig genug - sich auch im Ausland rumspricht. Nur logisch, dass diese Ansammlung von im Verhältnis zu den gezeigten Leistungen überbezahlten Profis zur nächsten Saison auf vielen Positionen ausgetauscht wird.
Von Max Eberl als neuem Sportvorstand, der nächste Woche sein Amt antreten und in Freiburg bereits auf der Tribüne sitzen soll.