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Die NFL Kolumne von Adrian Franke: Was machen die Jets nach dem Rodgers-Schock?

Four Downs: Die NFL Kolumne von Adrian Franke

Takeaways Week 1: Was machen die Jets nach dem Rodgers-Schock?

Four Downs - Die NFL-Kolumne von Adrian Franke

Four Downs - Die NFL-Kolumne von Adrian Franke kicker/imago images

FIRST DOWN: Die Jets nach dem Rodgers-Schock: Was jetzt?

Verletzungen sind immer bitter, Verletzungen sind immer eine traurige Angelegenheit. Aber diese Verletzung, dieser Moment im Monday Night Game gegen Buffalo, als Aaron Rodgers zu Boden ging - ich habe selten eine Verletzung gesehen, die einem Team, einer ganzen Fan-Base so schnell so knallhart monatelange Vorfreude auf die Saison zunichte gemacht hat.

Ganze vier Plays dauerte die Aaron-Rodgers-Ära, zumindest mal was dieses Jahr angeht. Davon jedenfalls ist sehr stark auszugehen, alles deutet auf einen Achillessehnenriss bei dem 39-Jährigen hin, der dementsprechend den Rest der Saison verpassen würde.

Vorbei ist der Traum von einem Play-off-Run, vorbei die Hoffnung, dass dieses Jahr alles anders werden und man am Tisch der ganz Großen in der AFC mitreden kann.

Davon ausgehend, dass Rodgers für den Rest der Saison raus ist, muss man die Erwartungshaltung für die Jets anpassen. Doch die Zeit für den restlichen Kader steht nicht still, und somit lautet die Frage: Wie geht New York mit dieser Situation um? Welche Möglichkeiten gibt es - und können die Jets auch ohne Rodgers um ein Play-off-Ticket mitspielen?

Welche Möglichkeiten haben die Jets jetzt?

NFL - WEEK 1

Die ganze Idee mit dem Rodgers-Trade aus Jets-Sicht war: Jetzt hat man die Elite-Defense, jetzt hat man den aufstrebenden Star-Receiver noch auf einem günstigen Vertrag, jetzt kann man mit einem vernünftigen Quarterback einen Run hinlegen. Und so sehr die Verletzung von Aaron Rodgers ein gewaltiger Dämpfer war: Dieser Weg ist immer noch möglich, umso mehr, nachdem man mit einem Auftaktsieg gegen die Bills in die Saison gestartet ist.

Defense ist inkonstanter von Jahr zu Jahr, es ist in der modernen NFL nicht ratsam, die ganze Identität um die Defense herum aufzubauen und sich so langfristig auszurichten. Aber um langfristig geht es hier nicht, und um zumindest mal in die Play-offs zu kommen, reicht es, wenn der Quarterback den Floor der Offense anhebt und stabilisiert.

Jets-Safety Jordan Whitehead hatte gleich 3 Picks gegen Buffalo.

Jets-Safety Whitehead hatte 3 Picks gegen Buffalo. Getty Images

Rodgers hätte das gekonnt, selbst wenn er nicht mehr auf MVP-Level spielt, und die logische nächste Frage lautet: Können die Jets eine Alternative finden? Denn Zach Wilson, das können wir an diesem Punkt mit relativ großer Sicherheit sagen, kann das nicht. Vielleicht kommen die Jets jetzt zu dem Schluss, dass er ihre beste Option ist, immerhin kennt er die Offense, und sie haben das Talent einst in ihm gesehen. Für mich wäre das ein Trugschluss.

Mit einer mutmaßlich abermals starken Defense - das Auftaktspiel gegen Buffalo, bei denen Josh Allen einmal mehr zu wild auftrat und zu bereitwillig Risiken einging, hat diese Prognose klar untermauert - und einem guten Run Game mit Breece Hall sind schon zwei Bausteine da. Es geht nicht darum, dass ein potenzieller neuer Quarterback die Offense trägt; es geht eher um kompetentes Quarterback-Play.

Die Jets haben bereits einiges in Rodgers investiert - auch wenn infolge der Verletzung der Pick, der 2024 nach Green Bay wandert, aller Voraussicht nach kein First Rounder sein wird - und dürften mit ihm für 2024 planen.

Das schließt in meinen Augen einen Trade für ein Kaliber wie Matt Stafford aus. Hier gab es zuletzt Gerüchte, dass die Jets in der Offseason auch bei Stafford ihr Glück versucht hatten, ehe man sich mit Green Bay bezüglich Rodgers einigte. Doch die Rams haben gerade ihr Auftaktspiel mit einer eindrucksvollen Offense gewonnen und werden kaum gewillt sein, Stafford jetzt abzugeben - und günstig schon gar nicht.

Es gäbe einzelne Veteran-Optionen auf dem Free-Agency-Markt. Joe Flacco war bereits die letzten drei Jahre dort, mit einem kurzen Gastspiel bei den Eagles zwischendurch. Carson Wentz hat noch immer kein Team, nach zwei ernüchternden Jahren inklusive einiger eher schwieriger Locker-Room-Dynamiken scheinen Teams hier kein Interesse mehr zu haben.

Die logischste Verpflichtung an diesem Punkt wäre Jacoby Brissett. Brissett hat letztes Jahr in Cleveland eine Run-heavy-Play-Action-Offense sehr gut umgesetzt, er wäre genau die Art Quarterback, der jetzt zumindest die Baseline für die Jets-Offense stabilisieren könnte. Hier lautet die große Frage, ob die Washington Commanders gewillt sind, sich von ihrem Edel-Backup zu trennen - auf die Gefahr hin, dass Sam Howell vielleicht in  einigen Wochen ersetzt werden muss.

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Jameis Winston könnte ein weiterer interessanter Kandidat sein. Die Saints hielten Winston als Backup hinter Derek Carr, sie haben zusätzlich aber noch Taysom Hill, während Rookie Jake Haener nach Woche 6 wieder zur Verfügung steht. Winston ist ein Quarterback, an dem sich über die letzten Jahre die Geister schieden, doch als er 2021 für die Saints nochmals unter Sean Payton starten durfte, zeigte er, dass er auch als effizienterer Ballverteiler, und nicht nur als wilder Gunslinger, spielen kann.

Teddy Bridgewater, aktuell Backup in Detroit, Andy Dalton, Backup hinter Bryce Young bei den Panthers, und Gardner Minshew, Anthony Richardsons Backup bei den Colts, würde ich noch in diese Gruppe werfen. Gerade bei den Backups von Rookie-Quarterbacks ist aber fraglich, ob die Teams diese nicht als zu wichtig für die Entwicklung ihrer jungen Quarterbacks erachten.

Wenn wir Stafford ausklammern, wäre qualitativ die Winston-/Dalton-/Brissett-Kategorie vermutlich das Maximum, was die Jets jetzt rausholen könnten. Eine wirklich zufriedenstellende Lösung gibt es an diesem Punkt nicht.

Die Sache mit den Veteran-Quarterbacks

Der Trade des Veteran-Quarterbacks als Heilsbringer für ein Team, das schon länger sucht, ist über die letzten Jahre ein gewohntes Bild geworden. Und das mit sehr unterschiedlichen Ergebnissen sowie auch unterschiedlichen qualitativen Kategorien.

Der Rodgers-Trade war am ehesten die Stafford-/Wilson-/Watson-Kategorie. Jetzt nochmal aktiv zu werden, würde eher in die Richtung Sam Darnold, Matt Ryan oder Carson Wentz gehen, angesichts der Qualität, die man jetzt noch bekommen könnte.

Veteran Quarterback Trades der letzten Jahre

Spieler Trade-Jahr altes Team neues Team Resultat Jahr 1
Russell Wilson 2022 Seahawks Broncos 5-12
Matt Ryan 2022 Falcons Colts 4-12-1 (4-7-1 mit Ryan)
Deshaun Watson 2022 Texans Browns 7-10 (3-3 mit Watson)
Sam Darnold 2021 Jets Panthers 5-12 (4-7 mit Darnold)
Carson Wentz 2021 Eagles Colts 9-8
Matt Stafford 2021 Lions Rams 12-5 (Super Bowl Champion)

Eine der größten Erfolgsstorys aus den Quarterback-Trades der letzten fünf Jahre ist aber Ryan Tannehill, der mit den Titans mehrere Play-off-Runs hinlegen konnte. Tannehill kam für einen Viertrunden-Pick aus Miami als Edel-Backup nach Tennessee, nicht mit der Hoffnung, das Ruder für eine Franchise herum zu reißen. Kurioserweise wäre er aber der vielleicht naheliegendste Vergleich zu einem Winston-Trade.

Stafford ist in dieser Liste die absolute Ausnahme, und Stafford war - neben seiner individuellen Qualität - so etwas wie das fehlende Puzzleteil. Er kam in eine funktionierende Offense-Struktur, zu einem sehr guten Play-Caller und in eine Offense mit einem Elite-Receiver, welche später noch mit Odell Beckham eine starke Nummer Zwei dazu bekam, und spielte hinter einer guten (und 2021 sehr gesunden) Offensive Line. All das erlaubte es McVay, seine Offense auch schematisch weiterzuentwickeln und Ideen einzubauen, die mit Jared Goff nicht möglich waren.

NFL 2023

Man muss schon ein paar mentale Verrenkungen durchführen, um bei den Jets ähnliche Argumente zu finden. Insbesondere die Offensive Line und der Play-Caller geben noch ernsthafte Fragezeichen mit, doch das Waffenarsenal und die Defense sind da.

Tannehill kam in Tennessee in ein sehr gutes Scheme unter Arthur Smith, mit guten Receivern und einem dominanten Running Back. Haben die Jets den offensiven Play-Caller, um mit einem Jacoby Brissett oder einem Andy Dalton eine funktionierende Offense aufs Feld zu bringen? Da habe ich bei Hackett doch klare Zweifel, wenn wir den Quervergleich zu den Titans mit Tannehill ziehen.

Jetzt lautet die Frage, ob die Jets gewillt sind, nochmals zu investieren, um in dieser Saison relevant zu bleiben. Denn den Rest des Jahres mit Zach Wilson zu bestreiten, würde sich nach einer leeren Übergangssaison anfühlen. Erneut.

SECOND DOWN: Jordan Loves Starter-Debüt: Der Kontrast sticht heraus

Als der große Trade der diesjährigen Offseason in trockenen Tüchern und Aaron Rodgers ein New York Jet war, und sich die Wogen ein wenig geglättet hatten, war Platz für freundschaftliche Worte. Ende Juli verriet Jordan Love, dass Rodgers jüngst mit ihm gesprochen hatte. Die Message: Er solle nicht versuchen, Aaron Rodgers zu sein - er solle Jordan Love sein.

"Er sagt: Sei du selbst, hab Spaß, genieße es", erzählte Love auf einer Pressekonferenz im Rahmen des Training Camps. "Ich bin jetzt an der Reihe, und er hat einfach gesagt, dass ich ich selbst sein soll. Ich denke, etwas anderes kann man gar nicht machen. Diese Message habe ich von vielen bekommen. Dass ich nicht versuchen soll, Aaron nachzuahmen, solche Dinge. Einfach ich selbst sein, und das werde ich versuchen."

Jordan Love hat mit den Green Bay Packers einen Auftakt nach Maß hingelegt. 

Jordan Love hat mit den Green Bay Packers einen Auftakt nach Maß hingelegt. Getty Images

In gewisser Weise ist Love ohnehin ein Unikat. Zwischen 2000 und 2019 kamen 91 Quarterbacks in die Liga, die früher oder später Starter wurden. 29 davon waren Week-1-Starter, weitere 35 übernahmen im Laufe ihrer Rookie-Saison als Starter. 64 von 91 also waren vor ihrer ersten Offseason Starting-Quarterbacks, 16 waren dann in ihrem zweiten Jahr an der Reihe. Und nur acht übernahmen in ihrer vierten Saison - so, wie Love jetzt.

Manche davon waren nie als Starter vorgesehen. Kirk Cousins in Washington etwa, der ins Rampenlicht rückte, weil Robert Griffin nicht fit bleiben konnte. Andere, wie Jimmy Garoppolo, wurden als Backup gedraftet und mussten erst das Team wechseln, um zu spielen.

Jordan Love: Schon jetzt eine Ausnahme

Dass Quarterbacks in der ersten Runde gedraftet werden und dann noch im dritten, geschweige denn vierten Jahr nicht spielen? Das passiert quasi überhaupt nicht mehr. Die jüngsten prominenten Beispiele für dieses Phänomen waren Picks in Runde 2 (Garoppolo, Osweiler) oder noch später (Cousins). First-Round-Picks, die erst im vierten Jahr starteten, sind sehr rar gesät - und kamen in die NFL, ehe das CBA die Rookie-Verträge vorgab. Das erst machte insbesondere Rookie-Quarterback-Verträge aus Team-Sicht so wahnsinnig wertvoll machte. Rex Grossman war Pick 22 Overall 2003, Rodgers Pick 24 Overall 2005. Das ist das Ende dieser Liste.

Love ist hier eine echte Anomalie, und die Art und Weise, wie die Packers seine Fifth-Year-Option gemanagt haben, unterstreicht das: Statt einfach die - mittlerweile voll garantierte - Option für 2024 zu ziehen, einigten sich die Packers mit Love auf eine alternative Vertragsverlängerung um ein Jahr für 2024. Damit bekommt Love weniger Geld garantiert, könnte aber über Boni-Zahlungen etwas mehr verdienen, als mit der Option. Wären die Packers vollends überzeugt, hätten sie einfach die Option gezogen; wäre Love von sich vollends überzeugt, hätte er es darauf ankommen lassen und in der kommenden Free Agency den Markt testen können.

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Ein Vertrag als Sinnbild der nachvollziehbaren Ungewissheit, die hier vorherrscht. Kann Green Bay seine absurde Quarterback-Dynastie nach Brett Favre und Aaron Rodgers lückenlos fortsetzen? Das erscheint selbst für die kühnste Packers-Prognose zu optimistisch, doch ist Love zumindest eine passable Lösung, kann Green Bay in der schwachen NFC um ein Playoff-Ticket mitspielen.
Dementsprechend war er einer der spannendsten Spieler für den Saisonauftakt, um endlich ein klareres Bild von ihm zu bekommen.

Packers und Jordan Love: So lief Week 1

Ich kann mir wenige Matchups vorstellen, bei denen der Kontrast hier größer gewesen wäre. Während bei Gegner Chicago Justin Fields Screens warf, den Ball gerne mal zu lange hielt und am ehesten mit Scrambles positive Plays kreierte, war Love was seine individuelle Leistung angeht keineswegs Lichtjahre entfernt - doch die Unterstützung war auf einem ganz anderen Level. Selbst ohne Nummer-1-Receiver Christian Watson, der verletzungsbedingt nicht spielen konnte.

Man sah, wie Packers-Coach Matt LaFleur gezielt darauf aus war, Love zu unterstützen: Option Plays, vielseitige Screens, Play Action, Shot Plays, die volle Palette. Und das in Kombination mit einer guten Offensive Line, welche Green Bay mit dem Run Game eine Basis gab. Auch das fehlte Chicago weitestgehend komplett.

Und Love war keineswegs perfekt. Er hatte einige ungenaue Pässe drin, verfehlte etwa hier und da auch mal kurze Pässe, oder überwarf bei dem Shot Play mit noch 4:04 Minuten im zweiten Viertel auf der Uhr, sowie nochmals bei noch 1:02 Minuten im zweiten Viertel, seinen Receiver tief. Beide Male wären Big Plays drin gewesen.

Doch Love attackierte die Mitte des Feldes gut, bei dem Touchdown zu Aaron Jones Mitte des dritten Viertels etwa schaut er nach rechts, zieht so den Linebacker weiter aus dem Bild und feuert dann den Ball zu Jones, sobald der in sein Wurffenster läuft. Weg vom Verteidiger, sodass Jones nach dem Catch den Rest machen kann. Love wirkte generell ruhig in der Pocket, auch der erste Touchdown zu Romeo Doubs strahlte das aus. Love wirkte abgeklärt, spielte bevorzugt aus der Pocket und fand seine Reads. Das Armtalent sah man auch mehrfach, nicht zuletzt bei dem Beinahe-Desaster gleich zu Beginn des vierten Viertels, als die Packers den Snap vermasseln, Love aber den Ball wieder unter Kontrolle bringt, und ihn quasi aus dem Stand Downfield zu Luke Musgrave wirft.

Das war kein Spiel, das wahnsinnig weitreichende Takeaways für Love zulässt. Love war, gegen eine schwache Bears-Defense, in Ordnung. Aber es verrät uns etwas über das Support System, welches er in Green Bay an die Hand bekommt. Das ist etwas, wovon er jetzt in seiner Entwicklung sehr profitieren wird und was es den Packers - und uns - erlauben wird, Love im Laufe der Saison vernünftig einzuschätzen.

THIRD DOWN: Die gut geölte 49ers-Maschine: Nur eine Quarterback-Frage bleibt

Eine meiner obersten Notizen zur Offense der San Francisco 49ers in Week 1 ist: Es war, als wäre nichts gewesen.

Als hätte Brock Purdy nicht im vergangenen NFC Championship Game eine schwere Ellbogenverletzung erlitten, inklusive anschließender Operation und mehreren Monaten Zwangspause. Als hätte es all die Quarterback-Debatten in sämtlichen Medien genauso wenig gegeben, wie die Bedenken rund um die Offensive Line. Auch wenn Colton McKivitz auf der rechten Seite seine Probleme hier und da hatte.

Das war gleich zum Start in die Saison die 49ers-Offense in bester 49ers-Offense-Manier: Motion, Jet Sweeps, offene Receiver, Play Action, Quick Game in allen Facetten. Shanahan ließ sogar ein Fourth Down ausspielen und das Run Game hat sehr gut funktioniert, gegen eine Steelers-Front, gegen die man das nicht unbedingt erwarten konnte.

Der zweite Touchdown von Brandon Aiyuk war absolut sehenswert, sowohl von Purdy, als auch von Aiyuk, und Purdy selbst spielte mit Selbstvertrauen, was unter anderem beim langen Scramble zum First Down im vierten Viertel zu sehen war.

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Das in Kombination mit einer Defense, die im ersten Spiel unter dem neuen Defensive Coordinator Steve Wilks mit einem spürbaren Feuer spielte, sehr physisch, sehr schnell, so wie man das zuletzt unter DeMeco Ryans gewohnt war, führte zu einem der dominantesten Week-1-Auftritte ligaweit, und auch zu der Art Sieg, für die Kyle Shanahan und John Lynch dieses Team aufgebaut haben: Eine dominante Defense, Stärke an der Line of Scrimmage auf beiden Seiten des Balls, und eine Offense, die komplett ist.

Ich denke, dass das im Kern immer der Hauptansatz dafür war, wie Shanahan sein Team aufbauen will - und wie er auch die Quarterback-Position sieht und die Art und Weise, wie rigoros sie sich auf Brock Purdy festgelegt haben, unterstreicht das.

Und gleichzeitig stand das immer in starkem Kontrast zu der Idee, dass man mit Trey Lance ein Projekt mit enormer Upside, aber auch relativ wenig Baseline draftet; eine Fehleinschätzung, die San Francisco sich mit dem Trade von Trey Lance eingestanden hat.

Ich hatte mich im Vorfeld dieser ersten Partie gefragt, was wir von Purdy bekommen und inwieweit das die Quarterback-Thematik rund um die 49ers prägen könnte. Purdy in diesem Spiel war ein idealer Shanahan-Quarterback: Er hat die Offense umgesetzt und konnte zusätzlich dazu vereinzelt eigene Akzente setzen. Ersteres wird für Shanahan immer die oberste Priorität sein; Letzteres kann Purdy zu einem besonderen Spieler in diesem Scheme machen.

Welchen Quarterback will Kyle Shanahan überhaupt?

Trey Lance hatte ohne Frage maximales Pech, was das Timing seiner Situation angeht. Ein Bruch des rechten Zeigefingers im letzten Spiel seiner Rookie-Preseason beeinträchtigte ihn während seiner gesamten ersten Saison. Shanahan verriet im vergangenen Sommer: "Er hat mit einem gebrochenen Finger gespielt, der letztes Jahr nie ganz verheilt ist. Deshalb musste er seinen Griff komplett umstellen und die Dinge anders machen."

Ist Brock Purdy die ideale Quarterback-Lösung für Shanahan?

Entpuppt sich Brock Purdy gerade als die ideale Quarterback-Lösung für Kyle Shanahan? Getty Images

Allem Anschein nach hat das sogar dazu geführt, dass Lance sich einige Bewegungen im Wurfablauf angewöhnt hat, die er anschließend wieder weg trainieren musste. Dennoch ging er in die vergangene Saison als Starter - nur um sich dann nach drei Dropbacks im zweiten Spiel gegen Seattle den Knöchel zu brechen. Das war nicht nur das Saisonaus für ihn individuell, es öffnete letztlich auch die Tür für Brock Purdy, um sich als veritabler Game Manager in Shanahans Offense zu entpuppen.

Das wiederum führt zurück zum eigentlich zentralen Punkt dieser gesamten Diskussion: Welche Art Quarterback will Kyle Shanahan überhaupt haben? Wir können das Beispiel nutzen, um eine valide Theorie aufzustellen.

Jedes Offense-Mastermind will zu einem gewissen Grad, dass der Quarterback die eigenen Ideen so umsetzen kann, wie der Coach sie sich am Whiteboard zurechtgelegt hat. Manche mehr, manche weniger, doch Shanahan ist an der Spitze dieser Gruppe. Ein Stück weit vielleicht auch berechtigt, er ist einer der besten Offense-Designer und Play-Caller unserer Zeit. Sein System ist nachweislich dazu in der Lage, selbst mit mittelmäßigen Quarterbacks Top-10-Offenses aufs Feld zu bringen, und das immer und immer wieder.

Das gibt Shanahan auch einen gewissen Spielraum. Und es rückt Aussagen wie die von Shanahan gegenüber Peter King im Vorfeld der Saison in ein ganz eigenes Licht, als Shanahan sagte: "Jahr für Jahr, all diese Quarterback-Verletzungen. Die eine Sache, an die wir glauben, ist es, eine großartige Defense zu haben. Das hält Spiele eng, und dann findet man manchmal offensiv irgendwie einen Weg."

Das ist der Knackpunkt, denn kein Coach kreiert einen vergleichbaren Floor. Shanahan hat den Luxus, mit dieser Strategie eine echte Chance auf einen Titel zu haben. Das wiederum macht den Geduldsfaden mit einem Quarterback-Projekt wie Lance umso kürzer. Was es so schwer nachvollziehbar macht, warum San Francisco dieses enorme Investment für ein Quarterback-Projekt überhaupt eingegangen ist.

Wollte Shanahan vielleicht doch Mac Jones draften?

Dass der Quarterback ein Scheme-Fit ist, dass er konstant das umsetzen kann, was die Offense ihm vorgibt, das ist für Shanahan vielleicht wichtiger, als für jeden anderen Offense-Coach in der NFL - und das macht die Entscheidung, diesen enormen Preis für Trey Lance zu bezahlen, umso kurioser. Es gibt auch den Gerüchten wieder Nahrung, wonach Shanahan vor zwei Jahren eigentlich Mac Jones draften wollte; Jones ist genau die Art Game Manager, der in Shanahans Offense seit Jahren sehr gute Stats sammelt.

Lance war das nie. Und natürlich kann es sein, dass Lance einfach nicht gut ist und dass er nie ein NFL-Starter wird. Doch war seine Timeline so holprig, dass es nur bedingt möglich ist, diese Frage vernünftig zu beantworten. Oder wann zuletzt hat ein Team einen Quarterback, in den es so viel investiert hat wie die Niners in Lance, nach vier Starts nicht nur zum Back-up degradiert, sondern ihn komplett aufgegeben und getradet?

Purdy hatte eine Cinderella-Saison, als er als Mr. Irrelevant mit San Francisco bis ins Championship Game stürmte. Und Purdy kann sich auch noch entwickeln. Gleichzeitig kommt er von einer schweren Verletzung zurück - und es gibt auch ein Szenario, in dem seine vergangene Saison nur ein kleines Strohfeuer war. Die Niners stärkten ihm im Vorfeld der Saison demonstrativ den Rücken, was sicher auch taktische Gründe hat. Aber es wirkt nicht aufgesetzt, man hat den Eindruck, dass sie sich bei Purdy nach fünf Starts in der Regular Season und derer drei in den Play-offs ähnlich sicher sind, wie sie sich bei Lance nach vier Starts sicher waren.

Shanahan bestätigte in einem Interview mit der "Sports Illustrated" während der Preseason, dass Purdy als klarer Starter in die Offseason gegangen ist, mit der einzigen Unklarheit dahingehend, wann er nach seiner Ellbogenverletzung wieder bei 100 Prozent ist. Shanahan sagte auch, dass es "schwer" sei, das, was Purdy in der Saison gezeigt habe, im Training zu überbieten. Es war in der Offseason nie wirklich ein Duell um den Startplatz in San Francisco, einzig eine Frage dahingehend, wer Purdy vertreten würde, sollte der bis zum Saisonstart nicht fit werden.

Ist Purdy San Franciscos langfristige Antwort?

Vielleicht hat all das noch weitere Schichten. Vielleicht hat Shanahan nach fruchtloser (?) Entwicklungsarbeit mit Lance für sich entschieden, dass er voll auf den Quarterback gehen will, der am besten seine Ideen Eins zu Eins umsetzen kann - und die Limitierungen im Gegenzug in Kauf nimmt. Nicht nur jetzt, sondern auch in Zukunft. Vielleicht, das aber ist wirklich komplett spekulativ, gab es sogar einen internen Machtkampf, und Shanahan wollte tatsächlich lieber Mac Jones. Das würde womöglich erklären, warum der Geduldsfaden mit Lance so kurz wirkt.

In jedem Fall gilt: Falls am Ende diese Entscheidung bei Shanahan gereift ist, wäre es ein sehr teurer Reifeprozess gewesen, aber wir haben zumindest eine klare Antwort. Und die wiederum wirft eine Folgefrage auf: Wie nachhaltig ist diese Vorgehensweise?

Gigantische Geldspeicher: Die bestbezahlten NFL-Spieler mit Mahomes, Lamar & Co.

Shanahan kreiert einen massiven Floor für jede Offense. Doch wie nachhaltig kann er eine Elite-Offense ohne Elite-Quarterback aufs Feld zaubern? Wie viel mehr Last kann die Offense in diesem Konstrukt schultern, sollte die Defense demnächst doch mal nachlassen? Und braucht man in der Crunchtime der Play-offs, wenn alles auf dem Spiel steht, am Ende nicht einen Quarterback, der die zwei, drei, vielleicht vier kritischen Plays machen kann? Genau das, was Shanahan im Super Bowl gegen Mahomes aus erster Hand erfahren hat?

2017, 2018 und 2020 hatten die Niners gemäß Expected Points Added pro Play keine Top-15-Offense. Das waren die Jahre, in denen Garoppolo nur sechs, drei und sechs Spiele absolvierte. Auch hier haben wir also Limits dahingehend gesehen, was Shanahan mit unterdurchschnittlichem Quarterback-Play erreichen kann. Purdy hat klar angedeutet, dass er besser ist als Nick Mullens, C.J. Beathard und Co., die in jenen Jahren für Garoppolo einspringen mussten - die aber eben auch nicht das Waffenarsenal hatten, auf das sich Purdy jetzt stützen kann. Ob Purdy mehr kann, das werden die kommenden Wochen und Monate zeigen.

Zu sehen, wie San Francisco zum Auftakt schon wieder wie eine gut geölte Maschine funktionierte, mit Purdy als Teil dieser Maschinerie, der zudem seine eigenen Akzente setzen kann, schien mir der richtige Zeitpunkt zu sein, um einen vorläufig finalen Haken hinter die Quarterback-Frage zu setzen.

Ich denke, wir wissen, welche Art Quarterback Shanahan haben will. Jetzt muss er uns nur zeigen, dass er mit ihm auch tatsächlich einen Titel gewinnen kann.

FOURTH DOWN: Week-1-Overreactions: Sind die Dolphins ein Super-Bowl-Kandidat?

Der erste Spieltag einer NFL-Saison eignet sich ganz hervorragend für Overreactions. Nachdem man sich monatelang seine Takes zurechtgelegt, Teams analysiert und Saison-Prognosen zusammengestellt hat, gibt es endlich wieder richtigen Football - und in manchen Prognosen sieht man sich komplett bestätigt, während andere Hot Takes in Flammen aufgehen.

Die "Week-1-Overreaction" ist eine sehr gute Gelegenheit, um ein paar Themen aufzugreifen und auch einzuordnen: Was ist wahr, wo sollte man sich nach dem ersten Spiel nicht täuschen lassen?

Overreaction: Die Bears draften im kommenden April einen neuen Quarterback in Runde 1
Analyse:
Wir sind mit Justin Fields an einem Punkt, an dem man es so formulieren muss: Fields muss die Bears vom Gegenteil überzeugen. Das war ein ganz schwacher Auftritt gegen Green Bay, und auch wenn ich klar sage, dass Fields nicht der Alleinschuldige ist - das offensive Play-Calling war sehr eindimensional, Matt Eberflus’ Defense war massiv enttäuschend -, so kommt man doch immer auf die gleichen Punkte zurück: Fields müsste einen riesigen Schritt als Passer hinlegen, damit er überhaupt nur ins Liga-Mittelfeld in der Kategorie klettert, und es gibt keine Anzeichen dafür, dass dieser Schritt kommt.

Das zögerliche Verhalten in der Pocket, die Inkonstanz einfach als Passer, und zusätzlich die Frage danach, ob Chicagos Passing Offense auch deshalb so simpel in ihren Designs ist, weil sie Fields nicht mehr zutrauen. Am Ende des Tages waren seine Scrambles einmal mehr seine beste Waffe, das reicht als NFL-Quarterback nicht - und Chicago könnte gleich zwei hohe Picks (der eigene und der Pick der Panthers) im kommenden Draft haben.

Für Justin Fields und die Chicago Bears setzen sich die Probleme der vergangenen Saison nahtlos fort. 

Für Justin Fields und die Chicago Bears setzen sich die Probleme der vergangenen Saison nahtlos fort. Getty Images

Overreaction: Diese Dolphins sind ein Super-Bowl-Kandidat
Analyse:
Ein klein wenig scheue ich mich auch nach einem Feuerwerk der Dolphins-Offense zum Auftakt noch, hier mitzugehen. Meine Skepsis bei Miami kommt letztlich wahrscheinlich daher, dass ich das Gesamtbild für weniger robust halte. Bekommen wir eine ganze Saison von Tua? Kann Tua dieses Team tragen, wenn nötig? Wird die Line das ganze Jahr über ein Problem bleiben? Gibt es noch bessere In-Season-Anpassungen, sollten Defenses im Laufe des Jahres wieder einen etwas besseren Zugriff bekommen? Aber im gleichen Atemzug sage ich auch, dass mir keine Offense in Week 1 mehr Spaß gemacht hat.

Zu sehen, wie Mike McDaniel seine Ideen weiterentwickelt und wie er das Maximum aus dem brutalen Speed herausholt, den die Dolphins offensiv haben, ist großartig. Ich erwarte, dass die Dolphins sich defensiv noch steigern, auch hier konnte man klare Ansätze von Vic Fangio erkennen. Und offensiv ist Miami zumindest ein absolutes Must-Watch-Team.

Overreaction: Die Chiefs müssen jetzt auf dem Receiver-Markt aktiv werden
Analyse: Das, was Skyy Moore und insbesondere Kadarius Toney im Season-Opener gegen Detroit abgeliefert haben, war vielleicht das schlechteste Spiel eines Receiver-Duos in den letzten fünf Jahren. Kansas City ging hier ohnehin mit größeren Fragezeichen in die Saison - aber auch mit ein wenig Optimismus, immerhin hatten die Chiefs in den letzten Jahren einiges in junge Receiver investiert, und die Frage war nicht in erster Linie ob sich ein Receiver entwickelt, sondern welcher.

Das kann natürlich immer noch passieren, aber wir sind hier schließlich im "Overreaction"-Territorium, und die erste Änderung ist sowieso schon greifbar: Sobald Travis Kelce zurückkommt - vielleicht ist das schon am Sonntag der Fall - wird sich die Hierarchie verändern, dann braucht es schonmal kein Nummer-1-Target mehr. Aber was Kansas City selbst mit Kelce braucht, ist ein verlässliches Possession-Target, das, was JuJu Smith-Schuster letztes Jahr für sie war. Sollte sich selbst für diese Rolle niemand aufdrängen, wäre ein Trade bis zur Deadline ein logischer Schritt.

Overreaction: Die Seahawks und Giants verpassen die Play-offs
Analyse: Ohne Frage zwei der großen Enttäuschungen in Woche 1. Ich war bei den Giants vor Saisonstart ohnehin etwas skeptischer - doch ich bin auch davon ausgegangen, dass die Baseline weiter stabilisiert wird, und dass New York einen sehr guten Coaching Staff hat, sodass so ein Debakel wie beim 0:40 gegen Dallas nicht passiert. Nun geht es nicht jede Woche gegen einen Pass-Rush wie den der Cowboys, aber die Offensive Line wird ein zentrales Thema bleiben, bis sie uns vom Gegenteil überzeugt.

Letztlich sehe ich die Giants immer noch im unteren Mittelmaß. Seattle, das war für mich ein klassischer Auftakt-Stolperer. Gegen ein Rams-Team, das man angesichts der Abgänge in der Offseason sowie der Verletzung von Cooper Kupp leicht unterschätzen konnte, und dann noch mit Verletzungspech in der eigenen Offensive Line. Das war hässlich, ich erwarte, dass die Seahawks deutlich besser als das sein werden. Je nachdem, wie sich die Gesundheit der beiden Offensive Tackles entwickelt, könnte aber auch hier die Line das sein, was die Saison der Seahawks torpediert.

Overreaction: Wir müssen uns um die Bengals Sorgen machen
Analyse: Das ist für mich der Inbegriff einer Overreaction. Heftiger Regen in Kombination mit einem in seiner Mobilität sichtlich limitierten Joe Burrow, der infolge seiner Wadenverletzung über die letzten eineinhalb Monate kaum trainiert hat: Das verbuche ich als den klassischen Week-1-Rost, und wenn es dann gegen eine erwartungsgemäß starke Browns-Defense geht, kann es auch mal hässlich werden. Cincinnatis Offensive Line muss sich stabilisieren, auch das ist kein neues Thema für einen Bengals-Saisonauftakt. Solange Burrows Wade zeitnah bei 100 Prozent ist, werden die Bengals das Ruder schnell wieder herumreißen.

Adrian Franke

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