Frauen

Schweers' Zwischenfazit: Neue Qualitätsstandards mit heftigen Fehlern

WM-Kolumne der Ex-Nationalspielerin

Schweers' Zwischenfazit: Neue Qualitätsstandards mit heftigen Fehlern

Die Schwedinnen bedanken sich nach einem Elfmeter-Fehlschuss von Japan bei ihrer Torhüterin Zecira Musovic.

Die Schwedinnen bedanken sich nach einem Elfmeter-Fehlschuss von Japan bei ihrer Torhüterin Zecira Musovic. AFP via Getty Images

In Deutschland spielt die WM in Australien und Neuseeland leider nur noch eine sehr untergeordnete Rolle. Verständlich auf der einen Seite, da unser Team bereits in der Vorrunde die Segel streichen musste: verdient. Schade auf der anderen Seite, denn es sind hochklassige Partien. Die meisten Spiele sind auf Augenhöhe, im Ausgang eng, und Prognosen lassen sich kaum treffen.

Aber wie läuft das weitere Turnier, welche Erkenntnisse lassen sich treffen und wie ist die Bewertung der Teams vor den Halbfinal- und Finalspielen in den nächsten sechs Tagen?

Halbfinale

Insgesamt sehen wir ein starkes Turnier, die Qualität steigert sich weiterhin enorm, vergleicht man die vergangenen großen Turniere mit den aktuellen Wettkämpfen. Die Athletik besticht, der Fußball wird schneller und hochklassiger. Viele Teams sind spielerisch und physisch der etablierten Weltspitze große Schritte nähergekommen. Die meisten Mannschaften können intensive Spiele über die gesamten 90 Minuten plus langer Nachspielzeiten liefern. Wer hätte vor dem Turnier auf die afrikanischen Teams getippt: Nigeria, Südafrika oder auch Marokko haben uns alle überrascht.

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Die Viertelfinals

Japan und Kolumbien hätte ich bei dem Turnier viel zugetraut, beide haben ihre Viertelfinals denkbar knapp mit 1:2 verloren.

Japan war für mich bis zum eher überraschenden Ausscheiden am Freitag gegen Schweden der Favorit. Weil sie vor allem spielerisch allen überlegen schienen. Technisch waren sie für mich das beste Team neben Spanien, die weiterhin im Turnier sind und jetzt ebenfalls gegen Schweden ihr Halbfinale als Favorit bestreiten. Wird es der erste große Titel für "La Roja"?

Oder sind es wieder die Schwedinnen, die mit ihrer Teamstärke und Kompaktheit ein unberechenbares Spiel aufziehen können? Vor dem Turnier hatte ich das Gefühl, dass ihnen ein frischer Wind von der Seitenlinie guttun würde. Während des Turniers überzeugte mich die Mannschaft vom Gegenteil. Nach einer überzeugenden Vorrunde steigerte sich das Team von Peter Gerhardsson mit jedem Spiel und schaltete mit Amerika und Japan zwei meiner Titelfavoriten aus.

Eine gewichtige Rolle um den Titel mitreden wird England, das nun auf den Gastgeber trifft. Der Europameister ist wieder stark, ohne groß zu brillieren. Aber die Automatismen greifen, die Mannschaft wirkt total gefestigt und selbstbewusst. Aus meiner Sicht haben sie mit Trainerin Sarina Wiegman die erfahrenste und erfolgreichste Trainerin an der Seitenlinie. Es wird ein elektrisierendes Commonwealth-Duell mit Australien im Halbfinale.

Apropos Australien: Welche Leidenschaft, Leidenswillen und Mut dieses Team im eigenen Land anbietet, ist beeindruckend. Nervenstärke inklusive, denn diese brauchte das Team beim wilden Elfmeterschießen gegen Frankreich. Nach der 18. Schützin war die Entscheidung erst gefallen, inklusive Drama durch zu wiederholende Elfmeter und die australische Torhüterin, die Verantwortung übernahm, aber am Pfosten scheiterte. Sie haben zudem mit Tony Gustavsson einen Trainer, der eine enorme Energie und Power auf sein Team übertragen kann.

Fehler en masse

Was mich stört, ist die Vielzahl an kapitalen Fehlern, speziell in der Verteidigung. Rückpässe, die im Tor landen, Torhüterinnen die einfachste Bälle nicht fangen oder beim Herauslaufen die Bälle falsch einschätzen. Aber auch krasse Abstimmungsprobleme bei der Ballklärung im eigenen Strafraum sind immer wieder zu beobachten. Es hemmt die Begeisterung, es gibt zu viel Angriffsfläche für Kritik, und es mindert die wahrgenommene Qualität der Spiele. Einzelne Slapstick-Aktionen ziehen das sonst sehr hohe Niveau immer wieder herunter.

Ich dachte wirklich, dass der Frauenfußball bei dieser WM hier einen Schritt weitergekommen wäre. Fehler können passieren, aber aus meiner Sicht nicht in dieser Häufung.

Die bisherigen WM-Kolumnen

Starke Teams und Attraktionen

Was mich begeistert, ist die Qualität der Spielstätten. Die Übertragungen und Bilder werden in einem nie dagewesenen Niveau transportiert. Ekstatische Fans aus allen Nationen begeistern die Spielerinnen und pushen das Turnier. Die Aufwertung von 24 auf 32 teilnehmende Mannschaften hat sich meiner Meinung nach nicht nur aus sportlicher Sicht bewährt. Auffällig für mich ist, dass sich Teams ohne die großen Stars durchsetzen bzw. dass sich die Stars durch ein starkes Kollektiv auszeichnen. Ich könnte jetzt aus jedem Team ein paar Spielerinnen aufzählen, die mich beeindrucken. Viel bemerkenswerter finde ich aber die kollektive Stärke der einzelnen Teams - eine tolle Entwicklung für den Fußball.

Verena Schweers

Verena Schweers hat in der Bundesliga für den SC Freiburg und die Top-Klubs VfL Wolfsburg und Bayern München gespielt. Unter anderem gewann sie je zweimal die Champions League und die deutsche Meisterschaft. Die Verteidigerin absolvierte zudem 47 Länderspiele für die DFB-Auswahl. Im Sommer 2020 beendete sie ihre aktive Laufbahn.