Bundesliga

Rummenigge im Interview: "Man spürt die Unruhe im Verein"

Der ehemalige Münchner Vorstandsboss spricht im kicker

Rummenigge im Interview: "Man spürt die Unruhe im Verein"

Karl-Heinz Rummenigge (li.) beobachtet die Entwicklungen beim FCB durchaus mit Sorge.

Karl-Heinz Rummenigge (li.) beobachtet die Entwicklungen beim FCB durchaus mit Sorge. imago images (2)

Wie haben Sie, Herr Rummenigge, das Ausscheiden wahrgenommen?

Als in der 88. Minute das Gegentor gefallen ist, ist das ganze Stadion in eine Schockstarre verfallen. Alle dachten, es geht in die Verlängerung und die Mannschaft greift nochmal voll an. Aber mit dem Ausgleich war die Luft raus - und der Klub aus dem Wettbewerb. Das war schon wie ein Schock.

Worin liegen die Hauptgründe?

Wenn man sich beide Spiele anschaut, ist Villarreal gar nicht so unverdient weitergekommen. Vergangene Woche im Hinspiel hat Bayern München einfach einen schlechten Tag erwischt, da war das 0:1 noch ein gutes Ergebnis. Im Rückspiel haben die Spanier leidenschaftlich verteidigt, mit der ein oder anderen Zeitschinderei zwar nicht unbedingt Sympathiepunkte im Stadion gesammelt, aber es ist eben eine ausgebuffte Mannschaft. Man unterschätzt sie vielleicht vom Papier her, aber Villarreal zeigt, dass in Spanien guter Fußball gespielt wird. Und es spiegelt auch Europas Kräfteverhältnis aktuell wider.

Unai Emery verfolge ich schon lange Zeit, und jeder weiß: K.-o.-Spiele kann er!

Karl-Heinz Rummenigge

Villarreal ist nur Siebter in La Liga.

Es ist eine gut zusammengestellte Mannschaft mit überschaubaren Gehaltskosten und einem Top-Trainer. Unai Emery verfolge ich schon lange Zeit, und jeder weiß: K.-o.-Spiele kann er! Man sieht, dass er mit einer klugen Taktik den Bayern das Leben schwer gemacht hat.

Wenn man das Rückspiel exemplarisch nimmt, war es vielleicht sogar ein Spiegel der vergangenen Wochen? Zu uninspiriert nach vorne, schnell und einfach anfällig nach hinten. Sehen Sie das ähnlich?

Also bis Weihnachten hat die Mannschaft extrem stabil gespielt. In der Rückrunde ist die Statik ein bisschen abhanden gekommen - das sieht man auch an den Gegentoren. Sie sind zahlreicher gefallen als in der Vergangenheit. Es hängt auch damit zusammen, dass teilweise eine andere Taktik bevorzugt wird. Seit Louis van Gaal wurde im 4-2-3-1 gespielt, heute gibt es häufig die defensive Dreierkette zu sehen. Ob sich die Mannschaft damit wohl fühlt, kann ich aus der gewissen Ferne, die ich mir angeeignet habe, gar nicht genau sagen.

Momentan herrscht im Verein eine spürbare Unruhe, ähnlich wie vor ein paar Jahren, bevor Hansi Flick kam. Woran liegt das?

Was natürlich auffällt: Es gibt ständig Vertragsdiskussionen in den Medien. Erst Joshua Kimmich, dann Leon Goretzka, Kingsley Coman und jetzt Manuel Neuer, Thomas Müller, Robert Lewandowski und Serge Gnabry. Wir sind jetzt im letzten Viertel der Saison, da ist das nicht förderlich, so kommt Unruhe in den Verein. Und die spürt man.

Warum ist das so?

Nehmen Sie ein anderes Beispiel: Der ganze Wirbel um Erling Haaland. Das hat Ausmaße angenommen, die kontraproduktiv sind für den gesamten Fußball, und die auch dem Jungen nicht helfen. Die Fans können die Summen ohnehin schon nicht mehr nachvollziehen. Wir hatten Corona mit allen finanziellen Schäden, trotzdem steigen die Forderungen der Berater und Spieler immer weiter. Es kommt keine Rationalität mehr ins Geschäft rein. Es wird im Gegenteil immer irrationaler.

Wie müsste man beim FC Bayern mit dem Thema Vertragsverlängerungen umgehen?

Es ist nicht leicht, aber man muss ein Prozedere finden, damit das Thema entspannter wird. Man muss irgendwann wieder in Ruhe arbeiten können. Das betrifft allgemein den Fußball, und natürlich auch den FC Bayern als prominentesten Klub Deutschlands.

Es ist nicht so, dass auf der Bank keine Qualität sitzt.

Karl-Heinz Rummenigge

In der Vergangenheit hat der FC Bayern nach enttäuschenden Erlebnissen reagiert, manchmal auch groß investiert wie 2007 mit Franck Ribery, Luca Toni und Miroslav Klose oder 2012 mit Javi Martinez und Mario Mandzukic. Ist das im Sommer auch vorstellbar?

Ich glaube, das ist in diesem Fall gar nicht notwendig. 2007 waren wir Tabellenvierter und nicht für die Champions League qualifiziert; 2012 hat Dortmund das Double gewonnen und wir dazu noch das Finale dahoam gegen den FC Chelsea verloren. Das waren andere Ausgangssituationen. Heute verfügt der FC Bayern über 18 Spieler, die voraussichtlich bei der Weltmeisterschaft in Katar teilnehmen werden. Nimmt man das Spiel gegen Villarreal: Es wurde mit Gnabry ein Nationalspieler eingewechselt, mit Davies einer der besten Linksverteidiger der Welt und mit Eric Maxim Choupo-Moting einer, der sich mit Kamerun ebenfalls für die WM qualifiziert hat. Es ist nicht so, dass auf der Bank keine Qualität sitzt.

Wenn der FC Bayern nicht finanziell auf dieses Ausscheiden reagiert, ist vermutlich Know-How gefragt. Werden Sie dem FC Bayern jetzt helfen?

Ich habe mich im letzten Sommer ganz bewusst für meinen Rücktritt entschieden, auch wenn mir der Klub immer am Herzen liegen wird. Wenn man mich fragt, werde ich den FC Bayern immer unterstützen und wenn gewünscht auch Ratschläge geben, aber ich will nicht als Besserwisser rüberkommen. Man muss Vertrauen haben in die neue Führung - und ihr die nötige Zeit geben. Sie wird schon an den richtigen Schrauben drehen. Meine größte Sorge ist eine andere …

… und zwar?

Im Halbfinale stehen zwei Engländer und zwei Spanier. Das spiegelt aktuell den Status im europäischen Fußball wider. Die Engländer sind sehr stark. Das beste Spiel der vergangenen fünf Jahre habe ich am Sonntag gesehen: das 2:2 zwischen Manchester City und dem FC Liverpool. Da kann die Bundesliga im Moment nicht mithalten. Das wird auch aus der Sicht vom FC Bayern in der nächsten Zeit nicht einfacher. Ich befürchte, dass es nochmal eine neue Dimension geben wird auf dem Transfermarkt.

Das ist dann für die Verantwortlichen beim FC Bayern auch keine dankbare Aufgabe.

Corona hat Schäden herbeigeführt, dazu kommt, dass die großen Klubs in England und Paris St. Germain Multi-Milliardäre im Hintergrund haben. Wir in Deutschland haben noch die 50+1-Regel. Das macht es schwierig.

Also müsste man 50+1 aufheben?

Wir beim FC Bayern waren immer der Meinung: Jeder Klub soll für sich selbst entscheiden, ob er es möchte oder nicht.

Man sollte sich nicht den Weg von Barcelona als Vorbild nehmen.

Karl-Heinz Rummenigge

Ist es vorstellbar, dass der FC Bayern anstelle von Investoren nun Kredite aufnimmt?

Bayern München war immer dafür bekannt, und da zitiere ich gerne Uli Hoeneß, dass er rechts in die Sparkasse reingegangen ist. Da war die Festgeldabteilung, links war die Kreditabteilung. Man sollte sich nicht den Weg von Barcelona als Vorbild nehmen. Der FC Bayern war dafür bekannt, dass er die Mannschaft seriös finanziert. Ohne Kredite.

Sie haben den FC Bayern im Sommer 2021 verlassen. Schmerzt so ein Abend wie am Dienstag dann umso mehr, wenn man sieht, wohin der Weg ohne Sie in dieser Saison geführt hat?

Ich habe es sehr bedauert, weil ich wirklich gerne das Spiel Bayern gegen Liverpool erlebt hätte. Da gibt es ja noch eine offene Rechnung aus der Zeit unter Niko Kovac. Diese Partie ist mir damals ziemlich schwer im Magen gelegen. Es lief also auch zu unserer Zeit nicht immer alles gut, aber wir mussten dann eben das eine oder andere Problem aus dem Weg räumen. Das ist jetzt die Aufgabe der neuen Führung.

Schafft es die neue Führung?

Ich wünsche ihr auf jeden Fall eine glückliche Hand. Wir hatten auch schwere Niederlagen, 1999 oder 2012, die uns schlaflose Nächte beschert haben. Aber der FC Bayern war immer dafür bekannt, die Probleme zu lösen, Herausforderungen zu meistern und am Ende wie Phoenix aus der Asche zu steigen.

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