Bundesliga

Rotation Berlin - Dardai: "Ich habe die Eier dafür"

Radonjic, Pekarik, Torunarigha & Co.: Herthas breiter Kader als Trumpf

Rotation Berlin - Dardai: "Ich habe die Eier dafür"

Freut sich über seine gelungene Rotation: Hertha-Coach Pal Dardai.

Freut sich über seine gelungene Rotation: Hertha-Coach Pal Dardai. imago images

Er nahm die Einschätzungen seiner Co-Trainer Andreas "Zecke" Neuendorf und Admir Hamzagic zur Kenntnis. Pal Dardai hörte hin, natürlich, aber irgendwann beim Austausch der Argumente sagte Dardai an die Adresse seiner Assistenten: "Stop, ich will nichts mehr hören. Wir ziehen das jetzt durch." Neun frische Kräfte beorderte der Ungar am Donnerstag im Nachholspiel gegen den SC Freiburg (3:0) in die Startelf, vom 1:1 drei Tage zuvor in Mainz blieben nur Torhüter Alexander Schwolow und Mittelfeldakteur Matteo Guendouzi im Team.

Damit überraschte Dardai nicht nur den Gegner, sondern auch die eigenen Reihen. Neun Wechsel seien "ein dickes Brett", befand Sportdirektor Arne Friedrich. "Dass rotiert werden würde, war klar", sagte Keeper Schwolow, der mit dem 3:0 gegen den Ex-Klub die beim ersten Wiedersehen im Hinspiel (1:4) erlittene Schmach tilgte. "Aber, dass so oft ausgetauscht wurde, kam auch für uns überraschend." Mit Blick auf die erst vor Wochenfrist abgelaufene zweiwöchige Quarantäne sagte Dardai: "Wir können nach 14 Tagen in der Wohnung keinen Spieler kaputtmachen." Also verteilte er die Belastung und bilanzierte nach der geglückten Total-Rotation: "Wenn das schiefgegangen wäre, hätten alle gelacht. Aber ich habe die Eier dafür. Ich hatte das Gefühl, das Gespür. Die Co-Trainer waren ein bisschen überrascht, aber ich habe gesagt: Das war mein erster Gedanke, das ziehe ich durch."

Spielersteckbrief Radonjic
Radonjic

Radonjic Nemanja

Spielersteckbrief Ascacibar
Ascacibar

Ascacibar Santiago

Spielersteckbrief Pekarik
Pekarik

Pekarik Peter

Spielersteckbrief Torunarigha
Torunarigha

Torunarigha Jordan

Spielersteckbrief Piatek
Piatek

Piatek Krzysztof

Dardais Schachzug war riskant, aber er ging voll auf

Der Schachzug, Personal und System zu erneuern, war riskant, aber er ging voll auf. Mit vier Punkten in zwei Spielen ist der Re-Start geglückt. Hertha - inzwischen seit fünf Spielen ungeschlagen - hat sich binnen 180 Minuten von Platz 17 auf 14 hochgearbeitet und kann am Sonntag gegen Bielefeld den nächsten großen Schritt gehen. Wichtigste Erkenntnis der ersten Woche nach der Rückkehr auf den Rasen: Die Mannschaft scheint, was ihre innere Festigkeit und das Abstreifen überflüssiger Eitelkeiten angeht, gerade noch rechtzeitig die Kurve bekommen zu haben. "Langsam verstehen die Jungs, was ein Team ist und dass es schön ist, Teil der Familie von Hertha BSC zu sein", lobte Dardai. "Du schaffst es nur als Team, und jetzt funktioniert das Team. So, wie die Ersatzspieler auf der Tribüne gegen Freiburg mitgemacht haben, da kriegt man Gänsehaut." Sportchef Friedrich brachte es auf den Punkt: "Hier entsteht gerade etwas. Man merkt es an der Energie."

Rotation muss man sich trauen - man muss sie sich aber auch leisten können. Hertha nutzt im Saison-Finish die ganze Breite des Kaders. Gegen Freiburg blieb Lucas Tousart, seit Dardais Rückkehr gesetzt, 90 Minuten auf der Bank. Mit Niklas Stark, Matheus Cunha, Sami Khedira und Jhon Cordoba kamen vier weitere Korsettstangen als Einwechsler zum Zug. "Keiner war geknickt", sagte Stark, "der Trainer hat das gut kommuniziert. Wir brauchen alle." Diesmal spielten sich andere in den Vordergrund.

Nemanja Radonjic

Der Serbe, Ende Januar von Olympique Marseille ausgeliehen, machte sein bislang stärkstes Spiel für Hertha. Schnell, wach, mutig: Radonjic schickte vorm 2:0 Gegenspieler Philipp Lienhart ins Kino und zog beim 3:0 an der Mittellinie los, Jonathan Schmid sah nur die Rücklichter. Dass Radonjics Speed eine Waffe ist, blitzte bereits öfter auf. Hektik und fehlende Präzision verhinderten oft mehr. Diesmal traf er im letzten Drittel die richtigen Entscheidungen. Erstes Bundesliga-Tor im achten Spiel, erster Assist - Radonjic war nicht zu stoppen. Der Knackpunkt für den Formanstieg: Die Leistenbeschwerden, die ihn über Wochen blockierten, sind ausgestanden. "Nemanja ist jetzt fit", sagte Dardai. "Es hat ihm gut getan, dass er bei der Nationalmannschaft zwei gute Spiele gemacht hat. Im Training siehst du einen ganz anderen Nemanja. Diesen Nemanja brauchen wir."

Santiago Ascacibar

War nach seinem Wechsel zu Hertha im Januar 2020 über Monate wegen mehrerer Verletzungen nur ein Phantom im Kader, beweist jetzt seinen Wert. Der Argentinier überzeugte gegen Freiburg nicht nur mit der gewohnten Aggressivität in der Balleroberung, sondern auch bei der Spielfortsetzung, mit Ruhe und Genauigkeit am Ball. Spielte vor dem 1:0 und dem 2:0 jeweils den vorletzten Pass, führte dem Berliner Spiel in der Zentrale Energie, Stabilität und Struktur zu.

Jordan Torunarigha

Erster Einsatz seit dem Derby bei Union (1:1) am 4. April. Kam zuletzt in seinem Stamm-Ressort, der Innenverteidigung, nicht an Marton Dardai vorbei, war gegen Freiburg als linker Außenverteidiger ein Gewinn. Dort wirkte Maximilian Mittelstädt zuletzt unsicher, Marvin Plattenhardt ist nach seiner Coronavirus-Infektion noch nicht spielfit. Torunarigha, in der Jugend als Flügelstürmer ausgebildet, kombinierte den Drang nach vorn mit defensiver Zuverlässigkeit.

"Ich habe ihm schon hundertmal gesagt: Ich brauche diesen Jordan von der Zeit, als ich damals angefangen habe - mit der Körpersprache", sagte Dardai. "Damals hat er dann ein bisschen nachgelassen. Aber er hat seine Schnelligkeit, er hat alles." Das Eigengewächs leitete mit einem beherzten Ausflug und Abschluss das 1:0 ein. "Gottseidank war er in der Jugend Stürmer", so Dardai. "Wie er losgelaufen ist vor dem ersten Tor, der Schuss, schwierig für den Torwart, Krzysztof Piatek war da, das hat uns richtig geholfen."

Peter Pekarik

War in den vergangenen Monaten ein Opfer des 3-4-3 beziehungsweise 3-5-2. Ist als Schienenspieler auf rechts keine echte Option, ist aber als Rechtsverteidiger in einem 4-3-3 oder 4-2-3-1 wie gegen Freiburg eine Instanz. Clever, zweikampfstark und wie schon unter Dardai-Vorgänger Bruno Labbadia mit neuem Offensivdrang - der 1,77 Meter große Pekarik erzielte per Kopf am Donnerstag sein drittes Saisontor. Diese Bilanz mag man kaum glauben, nachdem der verlässliche Slowake über ein Jahrzehnt ein Inbegriff der Harmlosigkeit war (jetzt 4 Treffer in 209 Bundesliga-Spielen). "Manchmal", frohlockte Dardai, "werden kleine Spieler unterschätzt. Peka überrascht mich manchmal." Nicht nur ihn.

Krzysztof Piatek

Ließ am Montag in Mainz kurz vor Schluss bei einer hundertprozentigen Chance den möglichen Sieg liegen, allerdings kam - was die Chronisten unterschlugen - Vladimir Daridas Zuspiel nicht perfekt, sondern leicht in den Rücken. Saß am Dienstag wie ein Häuflein Elend in der Kabine - bis sich Dardai den Polen schnappte. "Er war allein in der Kabine und sehr traurig", berichtete der Coach. "Ich habe gesagt: 'Stop, wichtig ist, dass du da warst. Du musst loslassen und dich nicht länger damit beschäftigen. Du machst entweder zwei Tore im nächsten Spiel oder eins im nächsten und eins im übernächsten.'"

Die Prognose passte. Gegen Freiburg ebnete Piatek, der nach dem von Florian Müller zur Seite abgewehrten Torunarigha-Schuss schneller schaltete als die Freiburger Keven Schlotterbeck und Christian Günter, mit seinem 1:0 den Weg zum Sieg. Im Strafraum hat Hertha keinen Besseren als ihn. "Ich habe nach dem Schuss von Jordan gespürt, dass es für den Torwart schwierig werden könnte, deswegen habe ich den Laufweg genommen", sagte Piatek schmunzelnd. "Es war die richtige Entscheidung. Insgesamt war es ein gutes Spiel von uns inklusive drei ganz wichtiger Punkte. Aber wir müssen jetzt weitermachen und direkt nachlegen." Am Sonntag, 18 Uhr, gegen den Tabellen-Sechzehnten Arminia Bielefeld - vermutlich wieder mit ein paar ausgeruhten Kräften. In jedem Fall wieder am Start: der Bauch von Pal Dardai.

Steffen Rohr

Bilder zur Partie Hertha BSC - SC Freiburg