Bundesliga

Rasiejewski im Interview: "Bisher hat Hopp immer richtig gelegen"

Seit Sommer 2021 Leiter von Hoffenheims NLZ

Rasiejewski im Interview: "Bisher hat Hopp immer richtig gelegen"

Jens Rasiejewski ist seit Sommer 2021 als Leiter der Hoffenheimer Talentschmiede tätig.

Jens Rasiejewski ist seit Sommer 2021 als Leiter der Hoffenheimer Talentschmiede tätig. Bongarts/Getty Images

Als Spieler kreuzten sich ihre Wege nur kurz. Nur zwei Monate etwa zählten Jens Rasiejewski und Alexander Rosen im Herbst 1999 gemeinsam zum Kader von Eintracht Frankfurt. Dann wurde Talent Rosen erst nach Augsburg, später nach Osnabrück verliehen. Umso inniger entwickelte sich das Arbeitsverhältnis der beiden als Funktionäre. Schon 2011 hatte Rosen als Nachwuchschef der TSG Hoffenheim Rasiejewski als U-17-Coach erstmalig in den Kraichgau gelotst. Nach vier Jahren war Rasiejewski dann selbst als Nachwuchsboss zum VfL Bochum gegangen und dort bis zum Cheftrainer aufgestiegen. Zehn Jahre nach seinem ersten Engagement hatte der längst zum Manager aufgestiegene Rosen den Weggefährten im Sommer 2021 zum zweiten Mal verpflichtet. Seither leitet der 48-Jährige die Hoffenheimer Talenteschmiede.

Sind Sie im Herzen noch Trainer, Herr Rasiejewski?

Ich bin eine Mischung aus Trainer und Funktionär, ich habe nicht das klassische Profil des Akademieleiters.

Sie waren immerhin Trainer in der 2. Liga. Wie lange haben Sie auf das nächste Engagement gehofft?

Eigentlich gar nicht.

Wie das?

Ein Zeitraum war damit abgeschlossen. Der VfL Bochum ist damals einen neuen Weg gegangen. Man hat die U23 abgemeldet, wollte ein Konzept entwickeln, wie sich ein Verein auch ohne U 23 von A nach B entwickelt. Das war damals der Auftrag. Also haben wir gesagt: Dann müssen die Toptalente oben mittrainieren und auch die U-17- und U-19-Trainer Bestandteil der Profimannschaft werden. Sie waren verrückt genug, das zu machen.

Wie lief das Projekt?

Der erste war Thomas Reis, der nächste Jan Siewert, dann Dimitrios Grammozis, die haben alle ihren Weg gemacht. Die Trainer haben sich schneller entwickelt als der Verein. Dann war kein anderer mehr da, deswegen bin ich da reingerutscht. Zudem fiel der Co-Trainer der Profis aus und Chefcoach Verbeek wollte mich, also habe ich das in Doppelfunktion gemacht. Nachwuchsleiter und Co-Trainer, da durfte ich unheimlich viel lernen, das war sehr spannend. Und ich konnte sehen, wie sich die Menschen in diesem System entwickeln.

Warum endete der Weg des Cheftrainers Rasiejewski in Bochum?

Ich war eng verbandelt mit der Person Christian Hochstätter, nach dessen Abgang wollte man einen Neuanfang machen. Das war auch in Ordnung.

Ich bin nicht so ein Typ, der sich schnell wieder auf etwas ganz anderes einlassen kann.

Jens Rasiejewski

Oft geht dann anderswo eine Tür auf…

Aber ich bin nicht so ein Typ, der sich schnell wieder auf etwas ganz anderes einlassen kann.

Wie haben Sie die drei Jahre überbrückt zwischen Bochum und der Rückkehr nach Hoffenheim?

Ich hatte davor acht Jahre, in denen es wirklich von morgens bis abends ging, ich brauchte eine Zeit, um runterzukommen. Ich hatte Zeit, mich neu zu justieren. Ich hätte auch vorher nichts anderes beginnen können, weil ich noch nicht fertig war.

Und jetzt profitiert die TSG davon, dass ein ehemaliger Cheftrainer in der Akademie am Ruder ist?

Ich glaube fest daran, wenn sich Trainer und Führungskräfte entwickeln, entwickeln sich auch die Spieler, das hat sofortigen Einfluss auf die Spieler. Ich versuche auch, dieselben Fehler nicht noch mal zu machen, die ich vorher so gemacht habe.

Nämlich?

Ich bin schon manchmal zu schnell und zu forsch unterwegs gewesen.

Zu fordernd für das Umfeld?

Ja, kann man so sagen. Dadurch hat es mehr Verluste gegeben als Vorteile.

Werden Sie altersweise?

Vielleicht, ja.

Klingt mehr nach Menschenführung als nach inhaltlichen Themen…

Ich habe ja mit 28 als Profi aufhören müssen und beschäftige mich seitdem mit dem Trainersein, ich glaube, dass die Führung und das Inspirieren immer wichtiger werden, gepaart mit Kompetenzen rund ums Spiel und die Trainingsgestaltung.

Mit welchem konkreten Auftrag haben Sie den Job bei der TSG angetreten?

Geschäftsführer Dr. Peter Görlich war ausgeschieden, NLZ-Chef Marcus Mann ging nach Hannover und Jugendleiter Dominik Drobisch nach Stuttgart - es herrschte ein krasses Vakuum, in das ich reingekommen bin. Da gingen die Lebenslinien noch mal zusammen, ich hätte mir das gar nicht vorstellen können.

War das Thema Fußball abgehakt?

Nein, das nicht. Aber dass sich die Notwendigkeiten des Vereins und meine berufliche Situation so kreuzen, weiß man ja nie. Daraus habe ich meinen Auftrag abgeleitet, etwas zu gestalten.

War die TSG vom Weg abgekommen?

Jedenfalls waren die Führungspersonen nicht mehr da. Daraus entsteht meistens etwas. Es gab zumindest Ausrichtungsbedarf.

Damals gingen einige Talente ablösefrei weg, wie Onana oder Sieb, es gab Versäumnisse, Verträge rechtzeitig zu verlängern…

Das sind meist Zeichen, dass man sich neu erfinden darf.

Ist das gelungen?

Wenn man nach eineinhalb Jahren die Mannschaften sieht und deren Spielweise, dann ist einiges auf dem Weg.

Ich will den Spieler in den Mittelpunkt stellen.

Jens Rasiejewskiv

Woran kann man das festmachen?

An der Zuführung von Talenten in den Profikader etwa, das ist ja der wichtigste Auftrag. Den sehe ich weniger in Meisterschaften. Ich will den Spieler in den Mittelpunkt stellen. Da haben wir eine Vielzahl, einige haben schon einen festen Platz in der Profikabine bekommen. Aber auch einige, die noch auf dem Weg sind und die Neujustierung der ganz jungen U 23, die zu einem guten Teil aus A-Jugendlichen besteht, zeigt auch, dass man Ergebnisse und Entwicklung einigermaßen zusammenkriegt.

Ist es das erklärte Ziel, in die 3. Liga aufzusteigen wie Freiburg und Dortmund?

Wir sind in einem Umfeld mit sehr profilastigen Konkurrenten wie Kickers Offenbach oder Ulm, es ist schwierig, das zu planen. Wenn die Umstände mal günstig sind, ist das durchaus möglich. Aber dafür muss sehr viel zusammenkommen.

Dauerhaft wäre die 3. Liga aber nicht darstellbar?

Wenn der Aufstieg gelänge, zieht das wiederum andere Spieler an, die diesen Weg gehen wollen. Ohne diese Plattform ist der Ausbildungszyklus nicht geschlossen. 80 Prozent aller Spieler, die es in den Profibereich geschafft haben, hatten 40 bis 50 Spiele in der U 23. Nicht als Siegermannschaft, sondern als Lernort für Männerfußball.

Die U 19 ist Vierter hinter Mainz, dem KSC und Nürnberg, ist das zufriedenstellend?

Aber sechs Spieler sind gar nicht mehr in der U 19, deshalb muss man das auch anders bewerten. Tom Bischof, Muhammed Damar und Umut Tohumcu zählen zum Profikader, Joshua Quarshie, Felix Hagmann und Luca Hyryläinen zum U-23-Aufgebot. Sie alle könnten aktuell noch in der U 19 spielen. Dafür ist es okay.

Ist Bischof das nächste Hoffenheimer Vorzeigetalent?

Muss man sehen, das geht in Wellen, im Moment hat er ein Hoch, das ist toll auch für die Akademie, er hatte aber auch Phasen, in denen er weniger gespielt hat.

Wie schwierig ist es, ein derart umworbenes Talent im Verein und am Leistungslimit zu halten?

Tom ist so eigenmotiviert, da war das kein Problem. Aber es ist durchaus ein allgemeines Problem, das Gefühl, der nächste Schritt muss gemacht werden, es kann nicht schnell genug gehen, das ist ein gesellschaftliches Phänomen. Die, die jetzt da sind, sind Spieler, die unseren Weg mitgehen wollen. Deshalb verspüre ich diesen Stress aktuell nicht.

Noch im Sommer appellierte Vereinsboss Dietmar Hopp an den gesamten Klub, wieder ehrgeiziger zu werden - ging es vielen zu gut? Wie haben Sie die Zügel angezogen?

Ich fand gut, dass die Ambitionen noch mal deutlich gemacht wurden, aber ich glaube nicht, dass wir zusätzlich angetrieben werden müssen. Aber es schärft die Sinne. Und es zeigt, dass Leben in der TSG ist und man sich verbessern will. Die Ausrichtung der U 23 war ein strategischer Punkt, da hatten wir auch Glück, dass sich einige Talente für uns entschieden haben wie etwa Damar oder Quarshie. Das macht uns wiederum attraktiv für neue Spieler dieser Art.

Und wie sehr blutet Ihnen das Herz, wenn Quarshie ein Brooks und Fisnik Asllani ein Dolberg vor die Nase gesetzt bekommen?

Natürlich wünscht man sich möglichst viele Einsätze, aber ich weiß aus eigener Erfahrung, dass du geduldig bleiben musst, bis dein Moment gekommen ist. Fisnik hatte ein schwieriges Jahr mit geringer Spielquote. Jetzt ist er länger fit, dann ist irgendwann nicht mehr zu verhindern, dass er seine Tore macht.

Wie nimmt man denn in Hoffenheim die Diskussion wahr, dass in den letzten Jahren in Deutschland so viele inhaltliche, konzeptionelle Fehler gemacht wurden in der Ausbildung der Fußballer in Deutschland?

Das ist ja mitten im Gange. Das war ja die Fragestellung für mich in der Zeit, in der ich nichts im Verein gemacht habe. Was läuft da schief? Wir haben mit einigen Trainerkollegen eine qualitative und keine quantitative Studie gemacht quer über alle Zentren, wie ist denn so die Stimmung und Gefühlslage, wie geht es den Leuten? Da kam raus, dass es in den letzten Jahren eine Überbetonung von Formalisierung, von Standardisierung und von Ergebnisorientierung gab. Und dass durch Zertifizierung und Strukturen wenig Raum für Typen und individuelle Entwicklung war.

Und ein Tom Bischof hat das schon genießen dürfen?

Es gibt so etwa ein Prozent an Spielern, die gehen ihren Weg aus einem NLZ in den Profikader, egal, welche Strukturen sie vorfinden. Es kommen ja Spieler nach, aber im breiten Empfinden fehlt ihnen etwas. Deutschland und Argentinien bei der WM im Vergleich, da hatte man das Gefühl, die Argentinier lassen ihr Leben auf dem Platz. Da gibt es eine Diskrepanz womöglich trotz gleicher taktischer und technischer Fähigkeiten. Es gibt mehr, das die Zuschauer mitnimmt.

Ist das eine gesellschaftliche Frage?

Man würde sich wünschen, dass viele den Fußball emotionaler ausleben. Dafür ist wieder mehr Raum notwendig, um das zu gestalten. Über die Trainer und das Gesamtsystem.

Konkret?

Mein Ansatz ist, strukturell am System etwas zu basteln.

Geschieht das nicht mit der Ligen- und Wettkampfreform?

Das geht in dieselbe Richtung. Man sieht ja die Mannschaften wie Schulklassen in Jahrgängen, standardisiert wie früher, das wurde ja einst vom Militär eingeführt. Dieses System hat der Fußball übernommen, das sind Glaubenssätze, die sich über viele Jahre eingeschlichen haben. Sonst könnte ja auch der Zehnjährige mit den Zwölfjährigen spielen wie auf der Straße auch. Das müssen wir aufbrechen. Aber wir können nicht alles gleich auf links drehen, weil die Leute ja auch mitkommen müssen. Wir müssen Rahmenbedingungen schaffen, um das wieder zuzulassen. Dann kann ich aber nicht sagen, dieser Trainer hat diesen Jahrgang, mit dem er Meister werden sollte. Wir versuchen, neue Räume zu gestalten, dass das wieder möglich ist.

Wie?

Zum Beispiel die U 23, warum sollten nicht die besten U-19-Spieler dort am besten gefördert werden? Nur weil sie noch nicht das kalendarische Alter dafür haben? Aber das war lange ein Regelbruch. Wir versuchen, das zu öffnen - wenn es sinnvoll ist.

Dann muss aber auch dem Trainer, dem die Besten fehlen, zugestanden werden, weniger erfolgreich sein zu können?

Genau. Deswegen ist der vierte Platz der U 19 unter diesen Variablen zu sehen. Man darf nicht nur auf die Entwicklung dieser Mannschaft schauen, sondern auf die der einzelnen Spieler.

Und wie sind die Zuständigkeiten, was die diversen Auslandsprojekte der TSG in der Nachwuchsausbildung betrifft?

Da liegt die Verantwortung bei Jan Mayer, und wir vernetzen uns an den Stellen, wo es notwendig ist, wenn es dort Spieler gibt, die zu uns passen.

Ist das Projekt schon soweit?

In Einzelfällen kann das schon passieren. Aber in der Masse dauert das noch ein bisschen.

Bisher hat Herr Hopp mit solch innovativen Maßnahmen immer richtig gelegen.

Jens Rasiejewski

Aber der Weg ist der richtige?

Das wird sich zeigen. Bisher hat Herr Hopp mit solch innovativen Maßnahmen immer richtig gelegen. Es hätte ja auch niemand für möglich gehalten, dass hier im Niemandsland Bundesligafußball entsteht. Deshalb halte ich alles, was er tut, grundsätzlich für möglich. Ob es so kommt, wird man sehen. Wir sind auf jeden Fall herausgefordert, neu zu denken und uns mit ungewöhnlichen Sachen zu beschäftigen, dadurch sind wir zumindest auf dem Weg, besser zu werden. Ich bin grundsätzlich offen, weil genug Beweise da sind, dass Dinge möglich sind, an die sonst niemand geglaubt hat oder die viele andere probiert haben, denen es nicht gelungen ist.

Ihr Vertrag läuft bis 2024 - was muss passieren, damit Sie sagen: Das war eine gute Zeit, und sie kann gerne weitergehen?

Wenn es gelingt, den Wandel nachhaltig und erfolgreich zu gestalten, dann wäre ich damit sehr glücklich.

Und den Cheftrainer Rasiejewski können wir demnach ausschließen?

Das weiß ich nicht, aber die Wahrscheinlichkeit ist sehr hoch. Aktuell passt es, wo ich gerade bin. Weil es viele Rollen, die ich hatte, vereint. Management bei den Profis, Nachwuchsleitung, Trainer in allen Bereichen - das verbindet sich gerade.

Interview: Michael Pfeifer