Bundesliga

Herthas Andreas Neuendorf: "Berlin sehe ich blau-weiß"

Herthas Co-Trainer und Klub-Idol spricht über das Berliner Derby

Neuendorf: "Berlin sehe ich blau-weiß"

Herthas Co-Trainer Andreas Neuendorf gibt laut eigener Aussage immer 100 Prozent.

Herthas Co-Trainer Andreas Neuendorf gibt laut eigener Aussage immer 100 Prozent. imago images

Ein Scherz muss immer drin sein, auch nach dem Wechsel ins seriöse Fach. "Also", fragt Andreas Neuendorf, den alle nur "Zecke" rufen, am Ende des digitalen Mediengesprächs die Journalisten: "Hand hoch - wer ist dafür, dass Hertha gewinnt?" Und, nach einer Kunstpause: "Okay, einer von neun - dann weiß ich ja, was ihr schreibt."

Neuendorf war als Spieler einer, der bei allem Ehrgeiz und Talent immer auch eine erstklassige Besetzung in der Rolle des Klamauk-Königs war. 198 Bundesliga-Einsätze wurden's für Leverkusen und Hertha, und manche - auch manche Trainer und Mitspieler - fanden, dass mehr möglich gewesen wäre für den Mann, der für Deutschland 23 U-21-Länderspiele bestritt. Als Spaßmacher vom Dienst schöpfte er seine Begabung indes unbestritten aus. Als er als Jung-Profi 1994 den ersten Arbeitstag bei Bayer Leverkusen hatte, stellte er sich in der Kabine vor einen mit Klamotten behangenen Haken und fragte die neuen Kollegen, wer dort sitze. "Bernd Schuster", kam als Antwort. Neuendorf, halbstarke 19, nahm Schusters Kleidung vom Haken und sagte unter dem Gelächter der Mitspieler: "Der kann sich einen neuen Platz suchen."

Chahed, Fathi und die Backstreet Boys

In seiner Hertha-Zeit gab er sich in einem Anruf beim DFB als sein Mitspieler Andreas Schmidt aus, kündigte eine Geschlechtsumwandlung an und fragte nach den Einsatzchancen für die anstehende Frauen-EM: "Ich wollte Nationalspieler werden, das habe ich nicht geschafft. Jetzt möchte ich Nationalspielerin werden." Der zuständige DFB-Mitarbeiter, recht aufgewühlt, rief dann beim Hertha-Pressesprecher an, der Schmidt vor versammelter Mannschaft nach dem Anruf fragte.

Andreas Neuendorf

Publikumsliebling: Andreas "Zecke" Neuendorf spricht zu den Fans in der Ostkurve. imago images

Und mit Ende 20 brachte Neuendorf den aufstrebenden Talenten Malik Fathi und Sofian Chahed, die Hans Meyer mitten im Abstiegskampf 2003/04 von der U 23 zu den Profis beordert hatte, eine Standpauke des Trainers ein. Nach den ersten Bundesliga-Minuten hatte Neuendorf dem Youngster-Duo zugeraunt: "Jetzt seid ihr so junge Superstars, jetzt müsst ihr auch aussehen wie Superstars." Am Tag danach kam Chahed mit einer Irokesenfrisur zum Training und Fathi mit Dreadlocks - Meyer bat beide zeitnah zum Gespräch. Neuendorf musste auch antanzen und erklärte Meyer: "Trainer, ich wusste doch nicht, dass die beiden wie die Backstreet Boys aussehen wollen."

Neuendorf als empathischer Ansprechpartner

Das ist lustig, aber lange her. Unter all den Trainer-Begabungen in der Hertha-Akademie hat Neuendorf in den vergangenen Jahren den erstaunlichsten Weg genommen. Nach zwei Jahren bei der U 15 und zwei Jahren bei der U 17 vertraute ihm der Klub 2019 die U 23 an, und nach allem, was man hört, waren Klub, Spieler und Neuendorf selbst ziemlich erbaut von der Konstellation. Ende Januar aber übergab Neuendorf die Position an den Ein-Tages-Dreadlock-Träger Fathi, weil er im Bundesliga-Team gebraucht wurde. Pal Dardai wollte Neuendorf schon 2019 als Nachfolger von Rainer Widmayer für seinen Stab gewinnen, damals ging Dardais erste Amtszeit aber zu Ende.

Jetzt, im zweiten Anlauf, gelang die berufliche Zusammenführung der beiden Freunde. Neuendorf wirkt wie Admir Hamzagic als Co-Trainer, er verantwortet die Standards und soll - wie schon als Spieler - seine integrative Kraft auf dem Platz und in der Kabine wirken lassen. Gerade für Matheus Cunha, Matteo Guendouzi und Dodi Lukebakio, die vor lauter Hang zur Kunst manchmal für die gewöhnlichen Dinge nur schwer zu begeistern sind, gilt Neuendorf als empathischer Ansprechpartner. Er war ein offensiver Mittelfeldspieler, aber die Grätsche und die Neigung zum Disput mit den Schiedsrichtern führte er auch im Grundrepertoire.

Beim Zusammenfügen gab es immer irgendwelche Probleme - wie beim Tetris, wenn es nicht passt.

Neuendorf über Herthas Findungsphase als Team

Neuendorf hat unter Dardais Vorgänger Bruno Labbadia hospitiert, schon da bekam er Einblicke ins Innenleben dieser nicht ganz einfach gestrickten Mannschaft. "Vor der Saison kamen viele neue Charakterköpfe dazu", sagt er. "Jeder kam mit seiner eigenen Geschichte hierher. Und irgendwie haben im Lauf der Zeit die Geschichten nicht zusammengepasst. Das waren so kleine Einzelteile, aber wenn du die zusammenfügen wolltest, gab es immer irgendwelche Probleme - wie beim Tetris, wenn es nicht passt. Da hat man vielleicht verpasst, ein bisschen zu drehen und anzupassen. Die Jungs sind, wie sie sind. Sie haben es nicht verstanden, als Gesamtgruppe positiv aufzutreten, weil jeder sich im Vordergrund gesehen hat oder beleidigt war, wenn er nicht die erste Geige gespielt hat." Neuendorf nennt dieses Teambuilding im laufenden Betrieb "einen Prozess, der immer noch stattfindet - und positive Ergebnisse sorgen dafür, dass das schneller geht mit dem Zusammenwachsen".

Er ist heimlich ein Hertha-Fan, aber das bleibt unter uns.

Neuendorf über Robert Andrich

Das nächste positive Ergebnis nach dem 3:0 gegen Leverkusen will Hertha am Sonntag an der Alten Försterei einfahren. Für Neuendorf würde ein Sieg bei Union "drei Punkte mehr auf der Haben-Seite und Sonntagabend einen ruhigen Schlaf" bedeuten. Das Säbelrasseln aus Köpenick hat er vernommen. Unions Christopher Lenz, in der Jugend vier Jahre bei Hertha, hatte im kicker-Interview über seinen Ex-Klub gesagt: "Hertha soll gerne leiden bis zum Ende und es erst in der Relegation schaffen." Und Unions Robert Andrich, wie Lenz bei Hertha ausgebildet, hatte gesagt: "Wenn man da unten steht, steht man vielleicht auch nicht umsonst da unten, egal wie viel Pech man hatte oder nicht. Das sagt schon etwas aus."

Neuendorf klingt entspannt beim Kontern: "Solche Sprüche kannst du an die Wand hängen. Unsere Jungs sehen das und pushen sich dann vielleicht noch ein Prozent mehr. Andrich schätze ich, mit dem habe ich noch in der U 23 zusammengespielt. Er ist heimlich ein Hertha-Fan, aber das bleibt unter uns." Mit Unions Co-Trainer Sebastian Bönig, der im vergangenen Jahr seine Fußball-Lehrer-Ausbildung absolvierte, ist Neuendorf befreundet: "Es gibt Leute wie Sebastian Bönig, die ich mag, weil sie in Ordnung sind. Sie haben irgendwann auf dem richtigen Weg vergessen, links oder rechts abzubiegen, und sind dann in eine rote Ecke gewandert und an der blau-weißen Ecke vorbeigeschrammt. Diesen Fehler haben sie gemacht." Und weiter, augenzwinkernd: "Sollten wir gewinnen, kann mir der Bönig gern dreimal einen Glückwunsch schicken." Sollte Hertha nicht siegen, "will ich nichts von ihm hören".

Neuendorf, Dardai

Andreas Neuendorf (li.) schätzt Cheftrainer Pal Dardai sehr. imago images

Bald habe ich eine Lizenz, die man mir vor zehn Jahren vielleicht nicht zugetraut hat.

über seine Ausbildung zum Fußball-Lehrer

Neuendorf hat den theoretischen Teil seiner Fußball-Lehrer-Prüfungen hinter sich gebracht, Ende April folgt die praktische Prüfung. "Dann", sagt er, "habe ich eine Lizenz erworben, die man mir vor zehn Jahren vielleicht nicht zugetraut hat." Im U-Bereich war Neuendorf Cheftrainer. Das will er auf Sicht auch im Männerbereich, "wenn du das gelernt hast, willst du das irgendwann auch mal allein führen". Aber aktuell sieht sich Neuendorf "als Lernender und zur richtigen Zeit am richtige Ort". Seit er Dardai dienstlich hautnah begleitet, "bin ich noch mehr davon überzeugt, dass das, was er macht, richtig ist".

Wir können nicht durch die Stadt laufen und sagen, wir sind hier die Nummer eins. Aktuell stehen wir mit dem Rücken zur Wand.

über die Ausgangslage vorm Derby

Union interessiert ihn nicht sonderlich, aber klar: "Ich freue mich für die von der anderen Seite aus Köpenick, dass sie in der Bundesliga sind. Wir müssen jetzt unsere Hausaufgaben machen, dass wir nächstes Jahr in der Bundesliga sind und das Derby weitergehen kann. Aber ich will dieses Derby nur in der 1. Liga haben. Wir müssen dieses Jahr kleine Brötchen backen. Wir können nicht durch die Stadt laufen und sagen, wir sind hier die Nummer eins. Aktuell stehen wir mit dem Rücken zur Wand."

Er will mithelfen, dass Hertha drinbleibt - mit Arbeit, Energie und, an der richtigen Stelle, auch mal mit einem auflockernden Spruch. Welche Qualitäten er einbringt im neuen Job? "Alle", sagt Neuendorf und lacht. Dann, ernster: "Meine Erfahrung, meine Herangehensweise, meine Ansprache an die Spieler, mein Fordern: Ich gebe immer alles, aber fordere auch 100 Prozent von den Jungs ein." Die Freiheit, auch mal lauter zu werden, wenn einer ausschert, hat Neuendorf. Dass ein klares Wort des Trainers ab und an hilft, hat er als Spieler bei kaum einem besser beobachten können als bei sich selbst.

Steffen Rohr