Bundesliga

Nerlinger über van Gaal: "War so hart, dass Spieler weinten"

Der Ex-Bayern-Sportdirektor im Interview

Nerlinger über van Gaal: "Er war so hart, dass Spieler sogar weinten"

Feierten mit dem FC Bayern 2009/2010 gemeinsam das Double: Trainer Louis van Gaal (li.) und Sportdirektor Christian Nerlinger.

Feierten mit dem FC Bayern 2009/2010 gemeinsam das Double: Trainer Louis van Gaal (li.) und Sportdirektor Christian Nerlinger. imago sportfotodienst

Herr Nerlinger, woran denken Sie bei Louis van Gaal?

Man muss zuerst betrachten, wann van Gaal kam. Nicht nach Ottmar Hitzfeld, sondern nach Jürgen Klinsmann. Klinsmann hat eine Wohlfühloase für die Spieler geschaffen, sie sollten ein Instrument oder eine neue Sprache lernen. Mittags waren die Familien zum Essen da. Der Ansatz ist okay, aber es fehlten die klaren Ansagen und Prinzipien, auf und außerhalb des Platzes. Das Team war selten pünktlich am Flughafen. Auch bei Mannschaftssitzungen kam eine Handvoll Spieler zu spät. Klinsmann hat viel angeschoben, aber diese Themen blieben leider auf der Strecke - das war dann auch auf dem Platz sichtbar.

Dann kam Louis van Gaal.

Ja, ich erinnere mich noch gut. Wir sind im Privatflieger nach Amsterdam. Im Gespräch hat er dann erklärt, wie er arbeitet - auf eine Art und Weise, wo wir alle auf dem Rückweg wussten: Wenn wir ihn holen, wird sich sehr viel ändern beim FC Bayern. Das war uns - Uli Hoeneß, Karl-Heinz Rummenigge, Karl Hopfner und mir - sofort klar. Wir holen einen Trainer, der bei Ajax Amsterdam und Barcelona auf dem höchstmöglichen Level den Fußball neu definiert hat - mit klaren Strukturen und einer klaren Philosophie. Uli Hoeneß hat gemerkt, dass der Verein genau das gebraucht hatte, er wollte sofort Nägel mit Köpfen machen.

Sein Weg war: Nehmt mich, wie ich bin, oder eben nicht! Seine Art war rau, aber sehr klar.

Christian Nerlinger über Louis van Gaal

Was war van Gaal denn für ein Typ?

Er hatte immer höchste Wertschätzung gegenüber Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge, was sie geleistet haben, auch gegenüber des Vereins. Wenn es aber um sportliche Themen ging, wollte er das Sagen haben und hat nur Gesprächspartner akzeptiert, die an den Trainingseinheiten und Mannschaftssitzungen präsent waren, also unmittelbar im Thema waren. Das war neu und hat natürlich zu Reibungspunkten geführt. Aber so war Louis und ist er eben: ein Unikat, eine starke Persönlichkeit. Sein Weg war: Nehmt mich, wie ich bin, oder eben nicht! Seine Art war rau, aber sehr klar. Allein mit seiner wahnsinnigen Präsenz hat er brutal viel Druck ausgeübt.

Worauf legte er wert?

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Er hat seine Philosophie erklärt, wollte den Spielern nicht nur das Passen beibringen, sondern auch ihre Persönlichkeit fördern. Ihm ging es um Details. Das Frühstück war um 9 Uhr, nicht zwischen 8 und 10 Uhr. Und es ging erst los, wenn alle da waren. Luca Toni hatte da seine Probleme. Ihm hat van Gaal gesagt: Wenn er seiner Philosophie nicht folge, sei das okay, aber dann werde er nicht mehr spielen. Zudem legte van Gaal größten Wert darauf, dass alle einheitlich gekleidet waren. Und wenn um 17 Uhr Abfahrt war, sind wir um 17 Uhr losgefahren, egal, ob jemand gefehlt hat.

Heißt: Disziplin stand ganz oben?

Ja, schon. Es war ein wichtiges Element und eine Voraussetzung für den Erfolg auf dem Platz. Er hat das auch selbst so vorgelebt. Louis van Gaal war sehr genau. Selbst gegen einen Sechstligisten im Pokal hat er die Mannschaft so vorbereitet, als wäre es ein Champions-League-Spiel. Weil er meinte, das Team solle immer das Gefühl haben, top vorbereitet zu sein. Egal, gegen wen es geht. Im Urlaub ließ er ihnen alle Freiheiten. Er gab ihnen keinen Trainingsplan mit. Er wollte, dass sie abschalten. Er sagte nur: Sie müssen Tennis spielen, sie müssen schwimmen, und sie müssen Liebe machen. Und wenn sie zurück sind, dann trainieren wir wieder.

Wie verhielt er sich in Gesprächen?

Seine Analysen waren zwar respektvoll und nicht beleidigend, aber so hart, dass der eine oder andere Spieler sogar geweint hat. Defizite wurden schonungslos aufgezeigt, jeder Fehlpass wurde thematisiert - das führte dazu, dass wir einmal in Freiburg 63 Rückpässe gespielt haben, weil die Spieler Angst hatten, dass die Fehlpässe am nächsten Tag seziert werden. Er sagte immer: "Laufen ist für die Tiere. Wir müssen spielen, spielen, spielen." Die Spieler wussten in allen Phasen stets, was zu tun war und hatten ein Handbuch von Prinzipien mitbekommen, um Situationen zu lösen. Van Gaal hat wie ein Künstler in eine Tonmasse gegriffen und etwas geformt. Das war sicher eine schwere, aber im Nachhinein gewiss sehr positive Zeit.

Van Gaal hat das Fundament für spätere Erfolge geschaffen.

Christian Nerlinger

War die Kommunikation Stärke oder Schwäche?

Er war ein guter Kommunikator, holte Spieler sehr oft in sein Büro und sprach sehr häufig sehr detailliert mit ihnen. Der Mensch hinter dem Spieler war ihm wahnsinnig wichtig. Aber er wusste: Ich bin anstrengend für die Spieler, koste sie viel Kraft.

Van Gaal hat unpopuläre Entscheidungen getroffen und sich unter anderem gegen eine Verpflichtung von Manuel Neuer ausgesprochen.

Die Torhütersituation war sicherlich ein Knackpunkt, dies habe ich ihm damals direkt im Trainingslager mitgeteilt. Grundsätzlich aber konnten wir ein Team und eine Achse mit Führungs- wie Identifikationsspielern aufbauen, das bis heute bei den Fans in Erinnerung bleibt: mit Lahm, Müller, Alaba, Schweinsteiger, Neuer, Badstuber, Kroos und Unterschiedsspielern wie Robben und Ribery. Alles in allem war das Paket, das van Gaal für Bayern München bedeutet hat, schon enorm. Er hat das Fundament für spätere Erfolge geschaffen.

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