Bundesliga

Kommentar: Nagelsmann ist als Bayern-Trainer noch ein Azubi

Kommentar

Nagelsmann ist als Bayern-Trainer noch ein Azubi

Seit Saisonbeginn auch intern unter besonderer Beobachtung: Bayern-Trainer Julian Nagelsmann.

Seit Saisonbeginn auch intern unter besonderer Beobachtung: Bayern-Trainer Julian Nagelsmann. Getty Images

Es war ein Eindruck der Rat- und Hilflosigkeit, mit der Julian Nagelsmann in der ersten Emotion auf die 0:1-Niederlage in Augsburg reagierte, weinerlich, trotzig, auch patzig. Er wolle über alles nachdenken, kündigte er an, auch über sich.

Es ist höchste Zeit, dass der Fußball-Lehrer sich und seine Hauptrolle als Trainer des FC Bayern hinterfragt und definiert. Schon in der vorigen Saison hatte er Glück, dass sein Lehrjahr und vor allem die holprige Rückrunde nicht kritischer beurteilt wurden, weil der Rosenkrieg um Robert Lewandowski alle Aufmerksamkeit auf sich zog. Exakt diese Personalie holt Nagelsmann nun ein, und das viel früher, als zu erwarten war.

Nagelsmann bringt mit fragwürdigen Entscheidungen die Struktur durcheinander

Den Bayern fehlt die Nummer 9, wofür der Trainer mitverantwortlich zeichnet, weil er Lewandowski nicht mehr in seinem Kader haben wollte und intern erklärte, die drohende Lücke sei alternativ und problemlos zu beheben. Zunächst schien dieser Übergang wunderbar glatt zu gelingen, doch mittlerweile schreien viele vergebene Chancen nach einem Vollstrecker. Diese Aufgabe müssen zuallererst die Topstars auf dem Feld erfüllen. Genauso muss ihnen aber ihr Trainer taktische und spielerische Lösungen aufzeigen, Laufwege, Automatismen.

Nagelsmann hingegen bringt sich mit fragwürdigen Entscheidungen ein und die Struktur durcheinander. Nach dem 2:0-Sieg bei Inter Mailand startete gegen Stuttgart eine auf sechs Positionen veränderte Elf. Diese Radikalrotation ist aus gutem Grund auch im Verein umstritten. Als das FCB-Gefüge in der Schlussphase zunehmend wankte, wechselte er Choupo-Moting und die jungen Stanisic sowie Gravenberch ein, die routinierten und zuvor formstarken Hernandez und Pavard blieben auf der Bank. In Augsburg tauschte er, als sich der FCA nur noch hinten versammelte, den stets gefährlichen und für enge Räume befähigten Musiala aus und schickte den Verteidiger Stanisic los. Mit solch rätselhaften Aktionen beschädigt Nagelsmann seinen guten Ruf als inhaltlich kompetenter Trainer.

Nagelsmann muss sich mehr auf seine Innenwirkung besinnen

Ohnehin sollte er sich bevorzugt auf seine originären Aufgaben als Fußball-Lehrer konzentrieren. Die Coachingzone ist kein Laufsteg, Showcoaching erreicht die Spieler nicht. Vielmehr erwarten auch beim FCB alte wie junge Profis den direkten, ehrlichen Austausch. Es wird beobachtet, wenn da einer besonders zurate gezogen wird; es wird registriert, wenn die neue Partnerin des Trainers im familiären VIP-Bereich weilt. Weil sie hauptberuflich für "Bild" arbeitet, wird diese Präsenz als wenig feinfühlig interpretiert.

zum Thema

Dabei ist es für Nagelsmann sowieso sehr kompliziert, die innerbetriebliche Atmosphäre bei so vielen Stars zu moderieren. Da gab es jüngst manche Unzufriedenheit. Der junge Trainer wird sich fortan mehr auf seine Innen- als die Außenwirkung besinnen müssen. Weniger Öffentlichkeit ist da hilfreich. So war die nach dem Spiel im TV ausgesprochene Empfehlung, den sonntäglichen Mannschaftsbesuch des Oktoberfestes abzusagen, voreilig dahingeredet. Seine Autorität stärkt er damit nicht. (Obwohl diese Aktion schon wegen Corona sehr wohl fragwürdig ist.)

Nagelsmann steht seit Saisonbeginn auch intern unter besonderer Beobachtung. Er ist noch ein junger Trainer und darf Fehler machen, aber er muss willens sein dazuzulernen. Nur so kann er beweisen, dass er nicht nur ein sehr talentierter Trainer ist, sondern auch ein großer Trainer für den FC Bayern. In dieser Topkategorie ist er bisher noch ein Azubi.

Weitere Hintergründe zur Bayern-Krise lesen Sie im kicker vom Montag - hier auch als eMagazine.