Bundesliga

Moukoko: Endlich 16! "Aber sein Weg beginnt jetzt erst"

Hype & Hoffnung rund um das Dortmunder "Wunderkind"

Moukoko: Endlich 16! "Aber sein Weg beginnt jetzt erst"

Dortmunds Sturmjuwel Youssoufa Moukoko.

Dortmunds Sturmjuwel Youssoufa Moukoko. Getty Images

Womit auch immer Familie und Freunde Youssoufa Moukoko zum Geburtstag gratulieren - das vermutlich schönste Geschenk hat ihm schon im April die Deutsche Fußball-Liga mit einer Neuregelung für besonders Begabte präsentiert. Moukoko darf mit 16, ein Jahr früher als bisher, in den Seniorenbereich aufrücken und könnte schon bald im Dortmunder Kader stehen. Für den Stürmer, der selbst den Bundestrainer ins Schwärmen geraten lässt, bedeutet der Sprung in den Profisektor einen Meilenstein in seiner Karriere. "Moukoko", sagt Joachim Löw, "hat ein Talent, dem man nicht so oft begegnet."

Seit Juli bei den Profis

Seit Juli trainiert Moukoko bei den Profis, anfangs regelmäßig, dann kehrte er wegen der komplizierten Hygiene-Regeln und ständigen Testungen in den Nachwuchs- bereich zurück, bis dort vor Kurzem der Meisterschaftsbetrieb unterbrochen wurde. Sich nicht häufiger bei Lucien Favre zeigen oder in Freundschaftsspielen erste Kostproben seines außergewöhnlichen Könnens geben zu können, drückte die Stimmung. "Umso mehr", versichert Lizenzspielerchef Sebastian Kehl, "haben sich alle Beteiligten danach gesehnt, dass es jetzt losgeht."

Die in Kamerun geborene Ausnahme-Begabung hat sich den Ruf einer Tormaschine erworben. Ein "Killer", instinktsicher, ordentlich schnell, technisch stark, fußballschlau. Moukoko hat seine Gegner im Nachwuchsbereich regelmäßig auf einen Horrortrip geschickt, er hat sie vernascht, verladen und Schwindelanfälle bei ihnen ausgelöst. Die U-19-Bundesliga entsprach genauso wenig wie zuvor die höchste Spielklasse bei der U 17 seinem Niveau, Moukoko war auf eine fast schon groteske Weise unterfordert.

Ab sofort warten Abwehrfelsen wie Boateng & Co.

Jetzt warten andere Kaliber auf ihn, Innenverteidiger aus der Preisklasse Jerome Boateng, Niklas Süle, Dayot Upamecano. Abwehrfelsen, an denen man schon einmal zerschellen kann. Die neue Welt, in die Moukoko eintaucht, ist schön, sie ist aufregend, sie befördert seinen Erlebnishunger, aber sie hält anspruchsvolle Aufgaben und schwierige Herausforderungen für ihn bereit: Es wird Geduld benötigen, sich darin zurechtzufinden.

Nicht um als Spaßbremse aufzutreten, sondern um Moukoko die Orientierung zu erleichtern, setzt der Verein dafür wichtige Leitplanken. Bei BVB-Pressechef Sascha Fligge stapeln sich Medienanfragen in diesen Wochen, er lehnt alle ab. Dortmund zeigt eine strikte Haltung in dieser Frage - die ohnehin himmelwärts schießende Erwartungshaltung der Öffentlichkeit soll nicht noch aktiv vom Verein begleitet werden. Nur im eigenen Monatsmagazin Borussia darf sich Moukoko auf einer Doppelseite äußern, ein paar wohl formulierte Sätze als Appetithappen für die Nachverwertung in anderen Medien. So steuert der Bundesligadritte die Berichterstattung über sein Juwel und bewahrt die Kontrolle. Selbst die Bosse äußern sich allenfalls dosiert euphorisch - der Druck soll nicht ins Unermessliche wachsen.

Ganz einfangen lässt sich der Hype um Moukoko nicht mehr. Früh hat der Boulevard Witterung aufgenommen und umschmeichelt das "Wunderkind" jetzt nach Hattricks und Heldentaten regelmäßig in dicken Lettern. Bemerkenswert, wie gelassen Moukoko das Ballyhoo um seine Person wegsteckt. "Dieser Rummel beschäftigt ihn nicht besonders", beobachtet sein Jugendtrainer Mike Tullberg. Darüber später mehr.

Dortmunds Boygroup bekommt Zuwachs

Im Dortmunder Kader stehen viele Spieler, die "noch nicht kurz vor der Rente stehen", wie Sportdirektor Michael Zorc launig anmerkt. Erling Haaland, Jadon Sancho, Giovanni Reyna oder Jude Bellingham führen diese Boygroup an. Moukoko ist der jüngste von ihnen, ein Hoffnungsträger, der manchen Superlativ rechtfertigt, aber auch einen angemessenen, verantwortungsvollen Umgang mit seinem Alter verdient. "Das ist ein großer Schritt für ihn, ein Prozess. Wir müssen ihm die nötige Ruhe und Zeit geben", appelliert Lizenzspielerchef Kehl.

Moukoko hat sich bei den Junioren vor allem über Tore definiert, über Rekorde, die es zu brechen galt. Im "Männerfußball" (Zorc) gelten für einen Angreifer andere Leistungskriterien. Wer spielt, muss auch mitarbeiten. Den Rückwärtsgang einlegen. Weite Wege gehen, so wie Haaland, der nach einem Ballverlust wie zuletzt gegen Bayern München im Sprinttempo 70 Meter über den Platz pflügt, um seinen Fauxpas noch zu korrigieren. "Das Spiel gegen den Ball bekommt für ihn jetzt noch einmal eine andere Bedeutung", unterstreicht Dortmunds Sportdirektor, "da wird er sich anpassen müssen."

Das ist ein großer Schritt für ihn, ein Prozess. Wir müssen ihm die nötige Ruhe und Zeit geben.

Sebastian Kehl

Nicht auszuschließen, dass Moukoko in den Bundesliga-Zweikämpfen mit gegnerischen Abwehrkriegern auch mal vor einen Schrank laufen wird, blutige Nase inklusive. Moukoko wird auf mehr Gegenwehr als bisher stoßen. Wer ihn aber im Training bei den Profis schon sah, wie er sich mit seinen geschmeidigen Drehungen aus engen Situationen herauslöst, erkennt rasch, wie breit gefächert sein Repertoire bereits bist. Die Vorhersage, dass Lucien Favre Moukoko zeitnah von der Leine lassen wird, bevor er Julian Brandt oder Marco Reus weiter mit der Haaland-Vertretung beauftragt, ist nicht allzu gewagt.

DFB-Trainer Guido Streichsbier, der den Dortmunder seit wenigen Monaten in der U-20-Nationalmannschaft coacht und ihn dort als "wahnsinnig fußballinteressiert" und "positiv fußballverrückt" wahrnimmt, meint: "Ich bin überzeugt, dass Youssoufa die Fußballintelligenz hat, für sich die Räume zu finden, um von erfahrenen Verteidigern nicht abmontiert zu werden. Es wird darauf ankommen, sich im richtigen Moment in gewisse Räume zu bewegen, um sich nicht unbedingt dem körperlichen Infight auszusetzen, dem er sicher noch nicht so gewachsen ist wie ein gestandener Spieler."

Ein Champions-League-Halbfinale als Erweckungserlebnis

Moukokos Geschichte beginnt im Mai 2009. Er ist noch ein Dreikäsehoch, viereinhalb Jahre alt und lebt bei seinen Großeltern in Kamerun, als er im Fernsehen das Champions-League-Halbfinale zwischen dem FC Chelsea und dem FC Barcelona verfolgt. Auf der einen Seite Terry, Ballack, Lampard und Drogba, auf der anderen Piqué, Busquets, Xavi, Iniesta, Messi und Eto'o. Gebannt schaut Moukoko zu, "damals", hat er jetzt verraten, "habe ich zum ersten Mal davon geträumt, Fußballer zu werden."

Youssoufa Moukoko

"Irgendwann kannst du besser schießen als die anderen": Youssoufa Moukoko zeigt enormen Trainingsfleiß.

2013 kommt er nach Hamburg zu seinem Vater, spielt in der U 13 des FC St. Pauli, wechselt zwei Jahre später ins Nachwuchsleistungszentrum von Borussia Dortmund, wird dort ein paarmal Torschützenkönig und 2018 Deutscher Meister, 3:2 gegen Bayern München. Ein Jahr später steht er mit dem BVB wieder im Finale, unterliegt aber dem 1. FC Köln. Längst besitzt Moukoko den Status eines kleinen Stars, bei Nike unterschreibt er einen langfristigen Ausrüstervertrag. Über dessen Dotierung schweigen alle Beteiligten, in der Branche raunt man, dass über die gesamte Laufzeit angeblich Millionen Euro fließen sollen.

So etwas kann einem jungen Menschen leicht den Kopf verdrehen und ihn in eine Parallelwelt abdriften lassen. So früh als kleine Berühmtheit hofiert zu werden und mehr öffentliche Aufmerksamkeit zu erhaschen als ein Nationalspieler mit ein paar Dutzend Einsätzen für sein Land, mag Gift für den Charakter und eine schwere Bürde sein. Bei Moukoko bestehe diese Gefahr nicht, versichert Sportdirektor Zorc, "er geht für meine Begriffe sehr gut damit um". Überhaupt beschreiben alle, die ihn besser kennen, den hoch veranlagten Fußballer als "geerdet" (Zorc), "extrem bodenständig" (Lars Ricken) oder "ganz normal" (Streichsbier).

Moukoko wohnt im Jugendhaus des BVB in einem 18 qm großen Zimmer, das Bad teilt er sich mit einem anderen Mitglied des Dortmunder Talentschuppens. Zu den weiter in Hamburg lebenden Eltern pflegt er einen engen Kontakt, mit seinen Mitspielern verbindet ihn ein freundschaftliches Verhältnis. Wenn einer von ihnen Hilfe benötigt, hebt Moukoko als Erster die Hand. Seine soziale Kompetenz gilt als beispielhaft, er sei ein fröhlicher Zeitgenosse, "man hört ihn oft lachen", verrät Tullberg. Seit dem Sommer trainiert der Däne die U 19 der Borussia, er hat Moukoko zum Kapitän gemacht, "Youssoufa ist in vielen Belangen ein Vorbild", sagt er, "es bedeutet ihm viel, die Mannschaft aufs Feld zu führen. Das hat er verdient".

"Es bedeutet ihm viel, die Mannschaft aufs Feld zu führen. Das hat er verdient".

Jugendtrainer Mike Tullberg

Am 24. Oktober schickt die Vormittagssonne schon erstaunlich warme Strahlen nach Dortmund-Brackel, wo der BVB sein Trainingszentrum mitsamt einem Jugendstadion errichtet hat. In der A-Junioren-Bundesliga empfängt Dortmund die Vertretung von Rot-Weiss Essen und fegt den Nachwuchs des Nachbarklubs wie Konfetti nach einer Karnevalsfeier vom Platz. Mehr noch als die fantastischen vier Tore Moukokos (Endstand 6:0) bleibt ein Moment in Erinnerung, der ihn schon als junge Persönlichkeit auch abseits des grünen Rasens beschreibt.

Besonnen im Umgang mit Rassismus und den Zweifeln an seinem Alter

Nach dem 1:0, einem verwandelten Elfmeter, kniet Moukoko nieder, streckt den Arm hoch und reckt die linke Faust in die Höhe. Das erinnert an den Protest vieler US-Sportler, die sich im Rahmen der Black-Lives-Matter-Bewegung nach dem gewaltsamen Tod des Schwarzen George Floyd bei einem Polizeieinsatz gegen Rassismus wenden. Moukoko ist kurz zuvor im Jugend-Derby bei Schalke 04 wegen seiner Hautfarbe selbst Opfer von widerlichen Beleidigungen, Bedrohungen und Beschimpfungen geworden, dagegen setzt er jetzt ein starkes Zeichen.

Youssoufa Moukoko

Klare und besonnene Haltung zum Thema Rassismus: Youssoufa Moukoko. Getty Images

Beim Online-Netzwerk Instagram, wo er mehr als 730 000 Follower zählt, hat er sich vorher schon geäußert: "Ich bin stolz, mit dieser Hautfarbe geboren zu sein und werde es immer sein. Es gibt keinen Platz für Rassismus im Fußball und auf menschlicher Ebene." Moukoko reagiert nicht impulsiv auf die Anfeindungen, sondern besonnen. "Er hat das sehr erwachsen eingeordnet", betont Ricken, Moukoko lasse sich von Problemen nicht beeindrucken, daraus beziehe er Stärke. Auch der Wirbel um sein Alter, das so lange angezweifelt wird, bis eine Nachbeurkundung auf dem Standesamt in Hamburg-Harburg alle Zweifel auch juristisch ausräumt, bringt ihn nicht aus dem Gleichgewicht.

Mit jeder Faser seines Körpers lebt Moukoko seinen großen Traum von morgens früh bis abends spät. "Talent haben wir hier alle", zitiert ihn das Klubmagazin, "die entscheidende Frage ist: Gibst du 100 Prozent, opferst du alles, um Profi zu werden, oder gibst du 80 Prozent? Ich glaube, dass viele, die nur 80 Prozent gegeben haben, keine Profis geworden sind." Bei Moukoko besteht diese Gefahr nach übereinstimmender Einschätzung aller Experten nicht, er gibt satte 100 Prozent und würde noch viel mehr investieren, wenn das möglich wäre.

"Youssoufa ist zielstrebig, arbeitet jeden Tag auf sein Ziel hin und ist oft schon morgens im Kraftraum", erzählt Tullberg, "er tut alles, was möglich ist, um sich zu verbessern. Er weiß, wohin er will." Ricken als Direktor des Dortmunder Nachwuchsleistungszentrums glaubt, dass es "in Deutschland kaum einen Jugendspieler gibt, der in den vergangenen Jahren so viele Spiel- und Trainingsminuten absolviert hat" wie Moukoko, "er kann Belastung extrem gut wegstecken. Das geht nur, wenn du dich extrem professionell verhältst und auf Dinge wie Ernährung, ausreichend Schlaf und Pflege achtest."

Im Kreis der Großen angekommen: Youssoufa Moukoko.

Im Kreis der Großen angekommen: Youssoufa Moukoko. Getty Imaes

Otto Addo, der als Toptalente-Trainer regelmäßig auch mit dem jungen Angreifer arbeitet, erinnert sich an die Sommervorbereitung mit Moukoko als Neuling im Starensemble der Borussia. Addos Plan sah vor, dem 15-Jährigen Zeit zu geben, damit er in Ruhe ankommen kann, erst danach wollte er mit ihm Termine vereinbaren, etwa mit Athletiktrainern und Ernährungsberaterin Vanessa Oertzen-Hagemann. "Doch Youssoufa hat eine so hohe Eigenmotivation, dass er von sich selbst aus auf die Personen zugegangen ist und sie angesprochen hat", berichtet Addo. "Diesen Mut und dieses Selbstvertrauen musst du als junger Spieler, der gerade erst zu den Profis gestoßen ist, erst einmal aufbringen."

Im Trainingslager in Bad Ragaz/Schweiz schiebt Moukoko noch Extraschichten, als die Kollegen längst unter der Dusche stehen. An einem späten Nachmittag lässt Co-Trainer Edin Terzic Flanken in den Strafraum regnen, adressiert an Haaland, Reyna, Sancho und - Moukoko. Dessen erste Direktabnahme klatscht an den Außenpfosten, die zweite flitzt flach am Tor vorbei, die dritte fliegt halbhoch ins Netz, die vierte landet weit weg auf einem angrenzenden Grün. Als auch Haaland und Sancho ihren Arbeitstag für beendet erklären, verlängern Reyna und Moukoko ihre Überstunden und schießen noch jeweils ein Dutzend Elfmeter.

Addo zieht Parallelen zu Heung-Min Son

"Wenn du nach jedem Training noch so viele Schüsse aufs Tor mehr machst als die anderen, dann summiert sich das über das Jahr", sagt Addo, "dann ist es ganz logisch, dass du irgendwann besser schießen kannst als die anderen." Der heute bei Tottenham Hotspur beschäftigte Heung-Min Son sei in der damals von ihm angeleiteten U 19 des Hamburger SV "ganz ähnlich" gewesen, verrät Addo: "Auch er hat nach jedem Training noch individuell an seinem Torschuss gearbeitet, mit links und mit rechts. Er hat sich Rückmeldungen von uns geben lassen, wo er sich verbessern kann, und hat das dann umgesetzt. Mit dem Ergebnis, dass er mittlerweile eine der besten Schusstechniken in der Premier League hat."

Youssoufa bringt sehr viel Talent mit. Aber sein Weg beginnt jetzt erst.

Sebastian Kehl

Lizenzspielerchef Kehl hat in seinen fast 16 Jahren bei Borussia Dortmund viele verheißungsvolle Nachwuchsfußballer gesehen. Ob Moukoko das größte Potenzial von allen besitzt und daher auch das größte Versprechen auf eine leuchtende Zukunft ist? Vergleiche von Spielern anzustellen, zumal aus unterschiedlichen Generationen, sei schwierig, antwortet Kehl. Dortmund hat sich einen sensiblen Umgang mit dieser Personalie verordnet. "Youssoufa bringt sehr viel Talent mit. Aber sein Weg", sagt Kehl, "beginnt jetzt erst."

Thomas Hennecke/Matthias Dersch

Dieser Text erschien zunächst in Montagausgabe (16.11.2020) des kicker