Bundesliga

Magath im Interview: "Selbstverständlich fahre ich kein E-Bike"

Geburtstagskind über Ideale, Fehler und die EM 2024

Magath im großen Interview: "Selbstverständlich fahre ich kein E-Bike"

"An den HSV bin ich emotional gebunden": Felix Magath.

"An den HSV bin ich emotional gebunden": Felix Magath. IMAGO/Philipp Szyza

Herr Magath, mit welchen Emotionen blicken Sie Ihrem 70. Geburtstag an diesem Mittwoch entgegen?

Eigentlich habe ich keinen einzigen Geburtstag richtig gefeiert. Zu meinem 50. richtete der VfB Stuttgart eine Party aus, im Trainingslager in Österreich. Mein Geburtstag fiel immer in die Saisonvorbereitung, da konnte ich nie groß feiern. In jungen Jahren hatte ich kein Geld gehabt und später keine Lust mehr. Ich wüsste nicht, warum ich mit 70 mit dem Feiern anfangen sollte.

Was bedeutet Ihnen ein runder Geburtstag?

Nichts. Es ist ein Tag mehr in meinem Leben. Als Angestellter im Fußball war ich zu beschäftigt, um darüber nachzudenken. Irgendwann kam der Gedanke, 50 Jahre, oh, schon so alt. Und in meiner Jugendzeit hielt man 50- oder 60-Jährige für alte Säcke. Jetzt werde ich 70, das kriege ich noch nicht richtig geregelt (lacht).

Haben Sie Probleme mit dem Altern?

Mein Leben war immer Leistung. Und jetzt habe ich eine Phase erreicht, da gibt es im körperlichen Bereich keine Steigerung mehr. Es wird vielmehr weniger.

Sind Sie noch als Läufer aktiv?

Ja, aber die Muskulatur nimmt ab. Ich müsste wie als Spieler ins Trainingslager, um gezielter aufzubauen. Das wäre eine gute Geschäftsidee: Lauf-Trainingslager für ehemalige Profisportler. Mit diesen körperlichen Folgen habe ich Probleme, nicht mit der Zahl 70. Mittlerweile fahre ich auch Fahrrad.

In der Pubertät habe ich mich amateurhaft verhalten.

Felix Magath

Die Frage, ob Sie ein E-Bike benutzen, wäre sicher eine Beleidigung.

Selbstverständlich fahre ich kein E-Bike (lacht herzhaft). Ein E-Bike widerspräche meiner Überzeugung, ich halte viel von Bewegung. Dieses Thema habe ich einmal bei einem Gesundheitsminister angesprochen, weil kaum etwas dafür getan wird, dass sich die Menschen mehr bewegen. Stattdessen werden Elektroroller in die Städte gebracht, damit sich so die letzten 100 Meter keiner zu bewegen braucht.

Was bedeuten Ihnen 70 Lebensjahre?

Wegen meines Buches, das soeben erschienen ist, war ich zur umfassenden Rückschau gezwungen. Die jeweilige Aktualität habe ich zuvor schon immer reflektiert, aber nur bis zum nächsten Szenenwechsel.

Schauen Sie zufrieden zurück?

Kaum einer hatte so ein Glück wie ich. Was mir Spaß machte, konnte ich beruflich ausüben. Es vollzog sich eine Entwicklung wie im Traum. Den großen Fußball hatte ich als Kind nur im TV gesehen und hätte nie geglaubt, dass ich als sommersprossiger Nilkheimer Bub da mal eine Rolle spielen würde. Aber Glück und Pech gibt es nicht im Leben - außer bei schweren Krankheiten. Man muss die richtige Entscheidung treffen, die den weiteren Weg bestimmt.

Was wäre die Alternative gewesen?

Zunächst war da die Realschule, die neunte Klasse musste ich wiederholen. Es haperte an Deutsch, am Fleiß.

Am Fleiß? Bei Ihrem Leistungsdenken?

In der Pubertät habe ich mich amateurhaft verhalten, geraucht, Alkohol getrunken. Aber auch wenn ich einen zu viel hatte, habe ich tags darauf trainiert, ohne zu klagen. Aber natürlich habe auch ich, wenn wir bei Branko Zebec in Hamburg 100 Runden laufen mussten, ordentlich geschimpft. Grundsätzlich stand bei mir stets das Leistungsdenken im Vordergrund. Meine Einstellung zum Leistungssport blieb immer dieselbe.

Ich will weiterarbeiten, wohl wissend, was im deutschen Fußball falsch läuft.

Felix Magath

Professionelle Pflichterfüllung eben?

Pflichterfüllung im Beruf ist das eine. Von blindem Gehorsam halte ich allerdings nicht so viel. Für mich ist es Schwachsinn, bei einer roten Ampel nachts stehen zu bleiben, obwohl weit und breit kein Verkehr ist.

Beschäftigt Sie der Tod?

Der Tod begegnet einem mit zunehmendem Alter häufiger. Zwei Tage bevor Rainer Ulrich im Januar starb, war ich mit ihm beim Kaffee, da sagte er, er habe mit seiner Herzgeschichte Glück gehabt. Da kommt man ins Grübeln. Auch mit Krankheiten wird man mehr konfrontiert. Wenn ich Patienten mit schweren Krebsverläufen sehe, mache ich drei Kreuzzeichen, dass ich davon verschont blieb.

Haben Sie Angst vor dem Tod?

Das weiß ich nicht. Aber mittlerweile bin ich so weit, mich damit abzufinden, dass alle sterben müssen. Den Verlust meiner Mutter vor drei Jahren am Tag vor ihrem 95. Geburtstag musste ich verarbeiten, ihr Tod war ein Einschnitt. Sie war am Schluss dement, aber immer gut drauf.

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Es heißt, man sei so alt, wie man sich fühle. Ist das nur ein billiger Trost?

Das sagt man sich halt so. Rainer Ulrich hatte einen Spruch als Whatsapp-Profil: Gesundheit ist alles, alles andere ist Luxus. Er hatte recht.

Mögen Sie den Begriff Rentner?

Natürlich nicht. Deswegen sage ich ja nicht, dass ich aufhöre. Ich will weiterarbeiten, wohl wissend, was im deutschen Fußball falsch läuft.

Woran denken Sie vor allem?

In Wolfsburg holte ich Maximilian Arnold und Robin Knoche in die Bundesliga, weil ich immer auf Jugendliche gesetzt habe. Obwohl beide einen super Weg machten, war zu spüren, dass in der Ausbildung etwas falsch lief: Statt immer mehr den Ball zu fordern, taten andere Spieler ihres Jahrgangs nur das Nötigste. Aber meine Warnung wollte keiner hören. Heute wird über fehlende Stürmer oder Innenverteidiger gejammert. Man muss sich jedoch nicht wundern, wenn Verteidiger jahrelang Pässe über 60 Meter schlagen mussten, statt Zweikämpfe zu trainieren.

Wann begann diese Fehlentwicklung?

Schon vor über 40 Jahren hieß es, der deutsche Fußball müsse taktisch und technisch besser werden, obwohl wir in fast jedem Turnier unter die letzten vier kamen. Berti Vogts sollte das in der Ausbildung beim DFB forcieren. Einer der besten Trainer, der Brite Brian Clough, der mit Nottingham zweimal den Europapokal der Landesmeister gewann, sagte: Taktik ist etwas für schlechte Spieler. Er hat recht. Der schlechte Spieler hangelt sich an der Taktik entlang, der gute versteht das Spiel und verhält sich von selbst taktisch geschickt. Ich habe meine Spieler immer dazu angehalten mitzudenken.

Natürlich werde ich in die Rolle des Nörglers gedrängt.

Felix Magath

Pressingsituationen muss ein guter Spieler doch selbst erkennen …

… selbstverständlich. Schon unter Ernst Happel spielten wir beim HSV Pressing, indem wir die Elf bis zur Mittellinie vorschoben. Kinder spüren ganz natürlich, wo sie Raum finden auf dem Platz. Diesen Raum muss ich in Ballbesitz suchen; wenn der Gegner den Ball hat, muss ich den Raum dicht machen. Viel mehr brauche ich erst mal nicht zu wissen.

Wie definieren Sie Ihren aktuellen Status? Trainer im Wartestand?

Ich verfolge die Entwicklungen, so die vom DFB allen Klubs verordnete gleiche Ausbildung in den Nachwuchsleistungszentren von Berchtesgaden bis Flensburg. Deshalb haben wir fast nur noch ähnliche Spielertypen. Der Innenverteidiger ist technisch gut, der Torjäger ist gut gegen den Ball. Wenn die jetzigen Fußball-Philosophen sagen, das ist der Fußball der Zukunft, frage ich: Wer schießt dann die Tore? Überall fehlen die klassischen Mittelstürmer. Dann müssen eben Eigentore des Gegners zum Sieg reichen oder haarsträubende Abwehrfehler helfen …

Sehen Sie sich als realistischer Kritiker in die Ecke des Nörglers gedrängt?

Natürlich werde ich in die Rolle des Nörglers gedrängt. Wenn der FC Bayern verliert, werde ich gefragt und bin so naiv, offen meine Meinung zum Spiel zu sagen. Allerdings glaube ich, als ehemaliger Spieler und als Trainer den Fußball beurteilen zu dürfen. Ich bewerte die Situation, keine Person.

Sie sagen, der HSV sei Ihr Verein. Müssen Sie noch einen Auftrag erledigen?

An den HSV bin ich emotional gebunden. An allen anderen Stationen habe ich mein Bestmögliches für den Erfolg getan, aber nie gesagt, jetzt bin ich Stuttgarter, Frankfurter oder Cluberer (klopft sich heftig aufs Herz). So sehe ich weiterhin die Arbeit eines Trainers: professionell. Dazu gehört Kritik, die sich heute kaum ein Trainer mehr getraut, weil es die Spieler angeblich nicht mehr vertragen. Aber ich glaube nicht, dass es in Freiburg oder bei Union Berlin so läuft. Dort werden Spieler bestimmt kritisiert, wenn sie Fehler machen.

Lag darin auch das Problem in Ihrer Münchner Zeit?

Wegen meiner Entlassung dort war ich nicht traurig, Bayern war eine andere Welt. Da ging es - wie bei einem Nationaltrainer - vor allem um die Zusammenstellung einer Mannschaft und die Verbreitung von guter Laune, das ist nicht mein Ding. Und zu Hamburg: Ich wurde in den vergangenen Jahren dreimal vom Aufsichtsrat angesprochen und habe vor und nach dem Abstieg meine Bereitschaft erklärt. Leider spielt der HSV noch immer in der 2. Liga.

1980 wollte mich der Bundestrainer Jupp Derwall in der letzten Minute einwechseln, da sagte ich: Lass es gut sein! Genauso 1982, da sagte ich auch: Vergiss es!

Felix Magath

Wie haben Sie auf das dramatische Zweitliga-Finale 2022/23 reagiert?

Ich bin nicht vom Augenblick beeindruckt, ich sehe die ganze Saison. Der HSV schaffte es in 34 Spielen nicht, besser als Darmstadt oder Heidenheim zu sein. Für mich als Verantwortlichen ging es dreimal in der letzten Saisonminute um den Ligaerhalt, jeweils mit positivem Ende.

Derartige Zuspitzungen machen den Fußball aus. Und Sie bleiben cool?

Sie zeigen, dass es letztlich darum geht zu gewinnen. Aber heute interessiert das Ergebnis teilweise nur noch am Rande. Wichtiger ist die Party im vollen Stadion. Im Fußball geht es immer weniger um die Leistung.

Emotionen leisten Sie sich nicht mehr?

Ich arbeite professionell, mir geht es nur um den Erfolg. Ich ordne im Gesamtzusammenhang ein. Die deutsche U 21 ist nicht schlecht, weil sie in der EM-Vorrunde ausschied. Das Aus ist das Ergebnis einer langfristigen Fehlentwicklung, deren Hauptverantwortung bei den Entscheidern des DFB liegt. Der Titel bei einem Turnier ist nicht mehr entscheidend, weil es grundsätzlich etwas Besonderes ist, ein Finale zu erreichen.

Karl-Heinz Rummenigge, mit dem Sie zweimal WM-Zweiter wurden, sagte, er wäre lieber einmal Erster geworden. Ihm fehlt dieser Titel offenbar.

Mir nicht.

Beim EM-Finale 1980 und WM-Endspiel 1982 saßen Sie auf der Bank, 1986 wurden Sie ausgewechselt.

1980 wollte mich der Bundestrainer Jupp Derwall in der letzten Minute einwechseln, da sagte ich: Lass es gut sein! Genauso 1982, da sagte ich auch: Vergiss es! Ich will kein Länderspiel für 30 Sekunden haben. Als mich Franz Beckenbauer im WM-Finale 1986 ausgewechselt hat, war ich sauer und habe es ihm ein paar Monate lang nachgetragen. Es war das letzte Spiel meiner Karriere. Aus der Sicht des Trainers war die Auswechslung nachvollziehbar, auch wenn ein paar andere ebenfalls nicht gut waren. Egal. Ich wurde in der B-Klasse Meister, in der Amateuroberliga und in der Bundesliga, dazu bin ich in der 2. Liga Meister geworden und habe den Europapokal gewonnen.

Haben Sie jemals eine Meisterschaft ausgelassen gefeiert?

Die in der B-Klasse mit dem TV 1860 Aschaffenburg war die schönste, wir feierten eine Woche lang, jeden Tag.

Gibt es für Sie einen größten Triumph?

Nein. Vor etwa acht Wochen war ich als Trainer der deutschen Bundestagsauswahl bei einem Turnier mit Österreich, Finnland und der Schweiz. Deutschland war Titelverteidiger, verlor aber alle drei Spiele. Trotzdem war es ein tolles Erlebnis.

Heute schauen die meisten in Deutschland auf Bayern, den Geld-Fußball, und tun so, als sei das der wahre Fußball - nein, das ist nicht mehr der Fußball.

Felix Magath

Mussten Sie nach Parteizugehörigkeit aufstellen, also Spieler von Die Linke auf der linken Seite?

(lacht) Nein, ich konnte frei entscheiden. Auch dieses Turnier ist Fußball, aber heute schauen die meisten in Deutschland auf Bayern, den Geld-Fußball, und tun so, als sei das der wahre Fußball - nein, das ist nicht mehr der Fußball. Fußball ist viel, viel mehr als das Spiel von hochbezahlten Profis bei Bayern, in Paris oder bei Manchester City. Es geht um Gemeinschaft, das Miteinander und den daraus resultierenden Erfolg.

Also sind Sie für die Super League?

Welcher normale Mensch will immer denselben Meister sehen? Sport ist für mich Wettbewerb.

Wenn aber die Bayern in der Liga schwächeln, versagt die Konkurrenz.

Da fehlt der Anspruch, bei Dortmund war es ein halbherziger Versuch. Die Münchner wollen immer Meister werden. Alle anderen haben sich mit ihrer Position dahinter anscheinend arrangiert. Vereine wie Fürth sind zufrieden mit dem Abstieg, weil sie in der Bundesliga viel Geld verdient haben. Das hat mit Sport wenig zu tun.

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Die Fürther haben Grenzen.

Wo sind die Grenzen der Freiburger oder von Union Berlin?

Zumindest blieb Fürth ohne Schulden.

Gegen dieses Argument kann keiner etwas sagen. Aber es geht um den entschlossenen Versuch, sportlich das Ziel zu erreichen. Daumendrücken allein reicht nicht. Die Heidenheimer gehen die Sache sicher anders an, die werden sich wehren.

Sie wollen im Fußball weitermachen. Plagt Sie Angst vor der Langeweile?

Mir geht es besser, wenn ich etwas zu tun habe, weil ich den ganzen Tag aktiv und mit meiner Mannschaft beschäftigt bin. Hertha tat mir gut. Ich zog daraus diese Erkenntnis: Ich bin absolut sicher, dass ich mit meinem Wissen und Input noch jeder Mannschaft in Deutschland und international helfen kann, in der ersten, zweiten, dritten oder vierten Liga.

Wieso gab es nach dem Ligaerhalt mit Hertha kein weiteres Engagement?

Bruno Labbadia erging es in Stuttgart genauso: Kaum war er vorgestellt, fing die Kritik an. Er wurde von manchen genauso infrage gestellt wie ich in Berlin. Es hieß, ich sei zehn Jahre nicht in der Bundesliga gewesen. Adi Hütter wäre in der Öffentlichkeit willkommener gewesen. Aber er war vor der Eintracht 30 Jahre nicht in der Bundesliga: Er sollte es können, ich als erfolgreicher Trainer, Nationalspieler und langjähriger Bundesligaprofi aber nicht (lacht).

Sind Sie auf einen Erfolg stolz?

Mein Naturell sagt Nein, weil ich selbst diese Arbeit und Wirkung von mir verlange.

Gab es auch den Moment, an dem Sie auf all das keine Lust mehr hatten?

Nie. Der Fußball ist mein Leben, ich habe nie etwas anderes gemacht. Sobald ich gehen konnte, habe ich gegen den Ball getreten.

Andere Berufstätige hören auch auf.

Der Fußball ist anders. Jeder Verein ist anders, 1860 Rosenheim ist anders als der VfB Stuttgart. In der Schweiz wird anders gespielt als in Österreich, obwohl beide Länder hohe Berge haben. Die Ansprüche sind verschieden, das Spiel, weil es von den Menschen, die es spielen, abhängt; nicht von der Taktik. Wo war die Taktik, als die Bayern vorige Saison verloren haben? Wo war die Taktik bei der Nationalelf in den letzten Spielen? Bei Siegen ist die Taktik super, bei Niederlagen kein Thema. Auf die Spieler und wie sie geführt werden kommt es an, nicht auf die Taktik.

Was ist die Konsequenz daraus?

Die Taktik ist natürlich ein Teil des Spiels, jedoch nicht der wichtigste. Wir aber in Deutschland stellen seit Jahren die Taktik über alles und schränken damit unsere Spieler ein.

Dieter Hecking (58), der Sportvorstand des 1. FC Nürnberg, kommt vorbei. "Wichtige Themen?", fragt er. "Ich bin gerade bei der Taktik", antwortet Magath. Hecking lacht. "Taktik ist das Nonplusultra im heutigen Fußball", sagt Magath energisch, betont, es gehe "nicht um Tuchel, Namen sind Schall und Rauch", und fragt: "Wo war unter Tuchel, der ein so ausgesprochen strategisch-taktischer Trainer ist, bei den Niederlagen die Taktik bei Bayern?" Es werde "zu viel" über Taktik geredet, meint Hecking, dabei seien "die Basics komplett weg". Magath stimmt zu. Hecking merkt an, die Spieler konzentrierten sich zu sehr auf Nebensächliches, Magath erinnert an seine Bayern-Zeit: "Da überlegten sich die Spieler, was mache ich, wenn ich ein Tor geschossen habe." Hecking verweist auf die Wirkung: "Das sind die Vorbilder, heute siehst du es bei den Neunjährigen, die sich wie Cristiano Ronaldo hinstellen und sagen: Ich bin es." Magath stimmt zu, Hecking verabschiedet sich: "Wir sind uns einig."

Wenn man immer gewinnen will …

… das will ich, und das Schöne am Fußball ist: Du kannst gewinnen, selbst wenn du schlechter bist. Es war immer das Wesen des Fußballspiels, dass du mit Einsatz und Laufbereitschaft technische und taktische Mängel ausgleichen kannst …

… wie oft ist man dann zufrieden?

Als wir nach 34 Spieltagen in Wolfsburg Meister waren, war ich schon zufrieden. Aber wie lange?

Bis zum nächsten Morgen?

(lacht) Höchstens. Im Fußball fehlt die Möglichkeit, sich zurückzulehnen, es geht sofort weiter.

Im Fußball könnte ich 36 Stunden am Tag arbeiten, wenn es ginge.

Felix Magath

Nach dem Titelgewinn mit Wolfsburg gingen Sie zu Schalke. Ein Fehler?

Nein. Ich habe nichts zu bereuen, auch nicht Bremen oder Fulham.

Sie sagten im kicker im Februar 2022, nach Ihrer Schalker Zeit hätten Sie 2011 vor einem Burnout gestanden.

Es war eine enorm schwierige Zeit, das Drumherum, die Vereinspolitik waren extrem belastend. Die Schalker haben mit mir 2010/11 wahrscheinlich so viel verdient wie nie, mit dem Pokalsieg plus Champions-League-Halbfinale waren sie so erfolgreich wie selten. Was man vorher geleistet hat, ist im Fußball schnell vergessen. Das war bei Hertha auch so.

Sieben Fakten zum 70. Geburtstag:

Eigentlich hätte Hertha Ihnen ein Denkmal setzen müssen.

Normalerweise schon.

Hätten Sie Herthas Abstieg in diesem Jahr verhindert?

Natürlich hätte ich mir zugetraut, den Verein nicht nur in der Bundesliga zu halten, sondern so zu entwickeln, dass er in der Bundesliga weiter nach oben kommt. Wolfsburg wäre 2006 und 2007 fast abgestiegen, in zwei Jahren machten wir den VfL zum Meister. Aber kaum einer fragt, wer da was gemacht hat. Da wurden richtige Entscheidungen getroffen.

Hätten Sie bei Hertha weitergemacht?

Natürlich, wenn es Fredi Bobic gewollt hätte. Aber er war Zwängen unterworfen. Und ein weiteres Problem ist, dass man im deutschen Fußball glaubt, auf Erfahrung verzichten zu können. Ich habe nichts gegen technische Hilfsmittel, aber wenn ich sehe, wie wenig praktische Erfahrung in den aufgeblähten Trainerstäben teilweise vorhanden ist, sind die Ergebnisse nicht überraschend.

Sind Uli Hoeneß und Rummenigge der Beleg für den Wert der Erfahrung?

Der FC Bayern ist der mit Abstand größte und beste Verein, an dem sich aber kaum einer ein Beispiel nahm. In anderen Ländern ist es anders, siehe England, wo in nahezu jeder Klubführung ein Ex-Spieler sitzt.

Sie waren im Fußball in allen Positionen aktiv. Welche war die schönste?

Die Zeit als Spieler.

Haben Sie es je bereut, Ihr ganzes Leben dem Fußball gewidmet zu haben?

Nie. Ich bin nach wie vor sehr glücklich mit meinem Leben. Ich hatte aber auch das Glück, dass meine zweite Frau das so mitgelebt hat. Sie fuhr freitags mit den Kindern von München nach Wolfsburg, war beim Spiel und fuhr am Sonntag zurück. Genauso fuhr sie von München übers Wochenende nach London. Wenn man etwas mit Engagement und Liebe macht, ist man voll drin. Im Fußball könnte ich 36 Stunden am Tag arbeiten, wenn es ginge.

Welche Anfragen oder Angebote hatten Sie seit Ihrer Berliner Zeit?

Nichts aus der Bundesliga. Ich habe mit mehreren Nationalverbänden wegen der Position als Nationaltrainer gesprochen. Aber bei den Verbänden geht es nicht immer professionell zu. Dann sage ich lieber: ohne mich!

Die größte Leistung, die je ein Trainer vollbracht hat, war Otto Rehhagels EM-Sieg 2004 mit Griechenland. Das ging eigentlich nicht, das war ein Unding.

Felix Magath

Außerdem: Brauchen Sie nicht eher die tägliche Arbeit in einem Verein?

Eigentlich schon. Ein Problem ist, dass die heutige Spielergeneration mich nicht mehr so leicht akzeptiert, weil sie es nicht gewohnt ist, so viel und so konzentriert zu arbeiten.

Nach China wären Sie gegangen?

Nach China wäre ich gegangen. Ich hätte dort gerne geholfen. Doch viele, die dort in der Verantwortung stehen, verstehen den Fußball noch nicht so richtig, es fehlt etwas die Struktur.

Fühlen Sie sich für Ihr großes Lebenswerk ausreichend gewürdigt?

Ich vergleiche sehr wohl Trainerleistungen. Und die größte, die je ein Trainer vollbracht hat, war Otto Rehhagels EM-Sieg 2004 mit Griechenland. Das ging eigentlich nicht, das war ein Unding. Aber die Leistung Rehhagels, der zusätzlich mit dem Aufsteiger Kaiserslautern Meister wurde, wird nicht ausreichend gewürdigt. Er ist anders, als es sich der Mainstream vorstellt, deswegen wird einer der erfolgreichsten Trainer Deutschlands fast totgeschwiegen.

Sie gingen in die 3. Liga. Warum waren Sie sich dafür nicht zu schade?

Der Fehler in dieser Frage liegt darin, dass sie den Fußball zuallererst auf das Geld bezieht. Wir wollten in Würzburg etwas aufbauen, aber Corona hat die Lage komplett verändert.

Es ist, wie wenn Opernstar Luciano Pavarotti auf dem Dorf gesungen hätte.

Na und! Er hätte dort genauso gut gesungen wie in New York. Mir ging es immer darum, Spieler, Mannschaften, Klubs zu entwickeln. Nach der Bayern-Zeit hätte ich zu einem ähnlich großen Verein gehen können, aber das wollte ich damals nicht. Dieser Bling-Bling-Fußball, wo es vor allem um die Kohle und die Selbstdarstellung geht, reizt mich nicht.

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Sie sind also ein Idealist des Fußballs?

Ja, ich bin Idealist, ein professioneller Idealist. Mein Ruf war mir nicht wichtig. Sonst würde ich mich in der Öffentlichkeit so angepasst verkaufen wie viele andere.

Sie haben eine Biografie veröffentlicht. Was war die Motivation dazu?

Ich hatte das Bedürfnis, meine Vorstellungen mitzuteilen, habe es so ehrlich wie möglich gemacht. Den Fußball habe ich nicht in der Absicht dargestellt, jemanden persönlich zu kritisieren, sondern meine Sichtweise zur Bundesliga und Nationalelf wiederzugeben. Ich will helfen, dieses wunderbare Spiel weiterzutragen.

Die Bundesliga wurde 60 Jahre. Sie haben sie mit Unterbrechungen seit 1976 unmittelbar miterlebt. Was sind die krassesten Entwicklungen?

Natürlich ist das Geld der entscheidende Faktor geworden, die privaten Medien haben Mitte der 1980er Jahre die Bedeutung des Fußballs verändert, dabei die Struktur der Vereine. Damit sind wir bis heute nicht zurechtgekommen. Wir wollen den Verein, die Familie, die Freizeit; aber auch den Erfolg und das Geld. Daran scheitert ein Verein wie Hertha. Die einen wollten den Weltklub, die anderen unter sich bleiben. Diese Differenzen gibt es genauso in Frankfurt, Stuttgart, Nürnberg, Hamburg, überall bei den Traditionsvereinen.

2011 ließ ich mich zu der Aussage hinreißen, Bayern werde zehn Jahre lang Meister werden, weil im Tor Neuer steht. Es wurden elf Jahre.

Felix Magath

Wie sieht der Königsweg aus?

Es gibt keinen. Der Fan muss akzeptieren, dass die Teilnahme am internationalen Wettbewerb ohne Geld nicht mehr machbar ist. In Würzburg habe ich gelernt, dass Fangruppen lieber nahe am Verein und an ihren Spielern sind und deshalb die zweite oder dritte Liga bevorzugen. Ich aber will gewinnen, was ohne Geld nicht geht. Gerne würde ich zeigen, dass Erfolg auch ohne Geld möglich ist.

Was erwarten Sie von der Nationalmannschaft bei der Heim-EM 2024?

Die EM wird eine bessere deutsche Mannschaft sehen. Die Ausgangssituation nach dem Katastrophenjahr 2022/23 ist eine ganz andere. Seit 2004 hat sich die Nationalelf von der Liga entfernt, sie tat, als würde der Bundestrainer die Spieler verändern. Aber die Spieler werden in den Vereinen geprägt, siehe die vorige Saison: Bayern war in der Krise, die Mannschaft wirkte nicht fit. Hansi Flick konnte für diese Situation nichts.

Wurde Flick nach den sieglosen Juni-Spielen zu Unrecht kritisiert?

Falsch von ihm war zu experimentieren. So waren die schlechten Spiele hausgemacht. Aber er als Trainer muss entscheiden und mit der Kritik leben, weil er sie verursacht hat. Kommende Saison werden die Münchner wieder in besserer Form sein, zudem kehrt Manuel Neuer zurück. Er war immer die entscheidende Person, bei Bayern wie beim DFB. 2011 ließ ich mich zu der Aussage hinreißen, Bayern werde zehn Jahre lang Meister werden, weil im Tor Neuer steht. Es wurden elf Jahre. Deshalb wird, wenn Neuer spielt, kein anderer Klub Meister werden und die Nationalelf stärker sein. Die Probleme, kein Mittelstürmer, keine Verteidiger, werden wir aber in der DFB-Auswahl mitschleppen. Größere Erfolge werden deshalb wahrscheinlich ausbleiben.

Was raten Sie dem deutschen Fußball für die kommenden zehn Jahre?

Die Verantwortlichen oder jene, die so tun, als würden sie etwas für den deutschen Fußball tun, sollen sich überlegen, ob es nicht wieder um den Fußball an sich gehen sollte und ob sie nicht Menschen, die das Spiel beherrschten, einbeziehen wollen.

Was wünschen Sie sich für die achte Dekade in Ihrem Leben?

Früher war es für mich fast selbstverständlich, gesund zu sein. Heute muss ich dafür mehr tun. Solange ich Sport treiben kann, bin ich zufrieden. Und Sport ist für mich immer Wettbewerb und die Chance, auch als Schwächerer zu gewinnen.

Und verlieren wollen Sie nie?

Verlieren kann ich nicht, deswegen spielt zu Hause keiner mehr etwas mit mir (lacht), gar nichts mehr.

Interview: Karlheinz Wild

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