2. Bundesliga

Leibolds Tätlichkeit als Ausdruck des Dilemmas

Der HSV verliert das Derby, seinen Kapitän - und am Ende wieder alles?

Leibolds Tätlichkeit als Ausdruck des Dilemmas

Ließ sich in der Nachspielzeit provozieren und sah Rot: Tim Leibold.

Ließ sich in der Nachspielzeit provozieren und sah Rot: Tim Leibold. picture alliance

Auf zwei Dinge sind beim einst großen HSV seit Jahren Verlass: Entweder er hat eine Führungskrise oder eine sportliche. Im Moment hat er fraglos beides. Der Versuch des Präsidiums, durch den geschlossenen Rücktritt Ruhe für den Aufstiegskampf zu erzeugen, ist krachend gescheitert, weil die Elf von Daniel Thioune nach vier sieglosen Partien auf den vertrauten vierten Platz abgestürzt ist. Und weder der Vortrag noch das Ergebnis vom Montagabend taugen dazu, Ruhe zu erzeugen.

Auch unter Thioune wiederholt sich Geschichte

Dass der HSV verlässlich dann nicht liefert, wenn es drauf ankommt, ist längst unabhängig von Sportdirektoren oder Trainern, die die Richtung vorgeben. Mit Thioune glaubte sich der Klub auf dem Weg zu mehr Resistenz, doch auch unter dem 46-Jährigen wiederholt sich Geschichte. Das 2:3 in Heidenheim im Herbst war ein erster typischer HSV-Moment unter dem Ex-Osnabrücker, das Derby-Rückspiel auf St. Pauli ein zweiter. Zwei Minuten vor Schluss werden Partien in der Regel von dem entschieden, der es mehr will - und das war mal wieder nicht der HSV, obgleich die Niederlage nicht in erster Linie am Willen festzumachen ist.

Thioune hatte die Bedeutung im Vorfeld ganz bewusst überhöht und räumt dies auch ein. "Wir hatten das Derby auf eine Ebene gehoben, weil wir wissen, was wir damit anstellen können." Die fast logische Frage lautet daher: Was stellt dieser weitere Tiefschlag nun mit den Protagonisten an? Das Wort Krise hatten die sportlichen Verantwortungsträger weit weggeschoben nach den vorangegangenen drei sieglosen Partien, dabei war offensichtlich: Es fehlte schon in diesen Partien immer etwas: beim 3:3 in Aue die Konsequenz nach einer 3:1-Führung, beim 0:0 gegen Fürth die Effektivität im Abschluss und beim 2:3 in Würzburg einfach alles.

Thioune wollte seine Profis vor dem Stadt-Duell anzünden. Ist das Feuer nun schon vor der finalen Saisonphase aus? Die nächsten Gegner sind die neuen Führenden in der Tabelle, Kiel und Bochum, und der Coach gesteht: "Diese Niederlage fühlt sich nicht gut an. Es tut unheimlich weh, und es ist schwierig, jetzt direkt an die kommenden beiden Spiele zu denken."

Ein Berg von Problemen

Thioune steht vor einem Berg von Problemen. Eines steht im Tor, wo Sven Ulreich erneut ein Unsicherheitsfaktor war, ein weiteres ist die völlig abhanden gekommene spielerische Leichtigkeit. Denn der Aufstiegsfavorit ist am Millerntor nicht an einem Einstellungsproblem gescheitert. Im Gegenteil, er hat in der Anfangsphase beherzt Zeichen gesetzt. Tormöglichkeiten aber entsprangen ausschließlich Standardsituationen, Torjäger Simon Terodde war derart von der Nahrungskette abgetrennt, dass er immer wieder im Mittelfeld auf Balljagd ging.

"Wir haben auch ein paar Straßenköter", sagt Thioune und kündigt an: "Wir werden uns wehren." Das muss gänzlich anders aussehen als am Montagabend bei Leibold. Denn für den Moment ist das Bild des Kapitäns, der vor zwei ganz entscheidenden Spielen von Bord geht, symptomatisch. "Das ist nicht gut für uns und nicht gut für Tim", sagt Thioune, "es ist kein rundes Bild." Es steht für den HSV der Vergangenheit. Und für den HSV im Frühjahr 2021.

Sebastian Wolff