Eine zentrale Entscheidung in der Personalie Lucas Hernandez trafen die Verantwortlichen des FC Bayern nicht nur bei der Überweisung der deutschlandweiten Rekordsumme von 80 Millionen Euro, sondern auch im vorigen Jahr: Als der Rekordmeister sich entschloss, David Alaba gehen zu lassen. In diesem Moment wurde auf der halblinken Seite des Münchner Abwehrzentrums ein Platz frei. Einer für Hernandez. In seinen zwei Spielzeiten zuvor hatte der Franzose häufig auf der Bank Platz nehmen müssen. Diesmal, in der abgelaufenen Saison, war er ein fester Bestandteil der ersten Elf. 25-mal startete er allein in der Liga; im Jahr zuvor waren es 19 Einsätze von Beginn an, davon jedoch elf als Linksverteidiger. Weil Alphonso Davies einen Durchhänger hatte und zwischenzeitlich angeschlagen pausieren musste.
Jetzt aber, in seiner dritten Bayern-Saison, ist Hernandez vollständig angekommen. Die zwischenzeitlichen Rückschläge wie Verletzungen oder Nicht-Berücksichtigungen habe er gut weggesteckt, wie er zum Ende der Hinserie im kicker-Interview verriet mit dem Zusatz: "Je größere Schwierigkeiten ich habe, desto motivierter bin ich, da wieder herauszukommen." Weil er ein Kämpfer ist. Neben dem Platz - und auf dem Feld sowieso. "Ich habe eine harte Spielweise, da kommen kleine Wehwehchen von allein, so ist das eben", sagte Hernandez: "Ich werde bis zum Ende meiner Karriere meinen Stil beibehalten."
Auch das Trainerteam weiß: Es fehlen die Führungsqualitäten von Alaba
Seine Art, wie er den Fußball beziehungsweise das Verteidigen interpretiert, gefällt in München. Der Ex-Atletico-Spieler, der lange Zeit im Defensiv-Konzept von Diego Simeone ackerte, überzeugt mit robuster wie kompromissloser Zweikampfführung, dazu mit Fleiß und einem guten Teamspirit. Was er bräuchte, wäre ein Abwehrchef neben ihm. Einen Kommandanten, der die hinterste Kette organisiert und den Spielaufbau übernimmt. Hernandez ist dafür nicht der Typ; er ist viel mehr der zuverlässige Arbeiter an dessen Seite. Das ist auch im Trainerteam aufgefallen. In diesem Kreis heißt es, dass der Abschied Alabas nach wie vor schmerzt, insbesondere der Verlust seiner Führungsqualitäten.
Für die enorme Erwartungshaltung an Hernandez haben die Verantwortlichen gesorgt
Diese Fähigkeiten fehlen - dem FC Bayern und dem Verteidiger Hernandez, dessen Stil an der Seite eines Abwehrchefs noch besser zur Geltung käme. Dann würden die Diskussionen über das Preis-Leistungs-Verhältnis bei Hernandez schnell zu Ende gehen. Allerdings: Es ist nicht die Schuld des Franzosen, dass der FC Bayern einst im Sommer 2019 eine derartige Summe für ihn überwiesen hat. Dass der 26-Jährige, dessen Vertrag bis 2024 läuft, die Qualität für den FCB besitzt, steht außer Frage; doch auch er wurde - wie Leroy Sané - zu großspurig angekündigt. So als wäre er der nächste Virgil van Dijk. Da ist es nicht verwunderlich, dass die Erwartungshaltung an ihn, zusätzlich zur ohnehin üppigen Ablösesumme, ins beinahe Unermessliche stieg.
Nimmt man aber allein den Verteidiger Hernandez und seine Auftritte als Bewertungsgrundlage, ist er sicherlich ein Typ, der halblinks im Abwehrzentrum zum FC Bayern passt. Wenngleich der große Defensiv-Glanz in der abgelaufenen Saison ausblieb. Aber das betrifft bei all den Mängeln im Verhalten gegen den Ball, insbesondere nach Ballverlust, das gesamte Team - und nicht allein Hernandez.