Bundesliga

Gruppen-Coming-Out? Für Rudolph "leider extrem hinderlich"

DFB-Ansprechpartner Christian Rudolph im Interview

Gruppen-Coming-Out? "Für uns ist die Aktion leider extrem hinderlich"

Eine Eckfahne im Regenbogen-Design im Bremer Weserstadion.

Eine Eckfahne im Regenbogen-Design im Bremer Weserstadion. IMAGO/Noah Wedel

Christian Rudolph ist seit dem 1. Januar 2021 Ansprechpartner der Kompetenz- und Anlaufstelle für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt im Fußball, einem gemeinsames Projekt des DFB und des Lesben- und Schwulenverbands Deutschland (LSVD). Im Interview spricht er über die Kampagne "Sports Free", deren Initiator, der ehemalige Junioren-Nationalspieler Marcus Urban, für den 17. Mai ein Gruppen-Coming-Out männlicher deutscher Fußball-Profis angekündigt hatte, was allerdings nicht stattfand.

Herr Rudolph, das medial angekündigte Gruppen-Coming-Out deutscher Profi-Fußballer am Freitag ist ausgeblieben. Wie bewerten Sie das Projekt?

Ich stelle mir die Frage, wem es dienlich sein sollte. Das Projekt hat es nicht geschafft, ein breites Bündnis an Unterstützern zu gewinnen. Dabei gibt es genug Möglichkeiten: vorangegangene Netzwerke und Initiativen für mehr Sichtbarkeit wie #kickout mit weit über 100 Gesichtern oder die 11-Freunde-Kampagne "Ihr könnt auf uns zählen". Auch die Sportpride und das BuNT Netzwerk wurden leider nicht aktiviert oder überhaupt angesprochen. Faninitiativen wie das Bündnis „Queer Football Fans" (QFF) oder "Unsere Kurve" wurden nicht einbezogen, sondern sind proaktiv tätig geworden. Dabei wäre es so wichtig gewesen, sich mit so einer Initiative breit aufzustellen und die Fankurven und Netzwerke mitzunehmen. Ich hätte mir sehr gewünscht, dass die gesamte Bundesliga in Wort und Tat dahinersteht. Das hätte aber organsiert werden müssen - das wurde nicht getan. Auch das Datum hat mich sehr gewundert - zum Saisonabschluss, einen Tag vor dem letzten Spieltag in der Bundesliga und in einem Jahr, in dem EM und Olympia stattfinden. Da haben Sportlerinnen und Sportler einen ganz anderen Fokus als ein Coming Out.

Für uns ist die Aktion von Marcus Urban leider extrem hinderlich, weil sie viel kaputt machen kann von der Arbeit, die wir seit vielen Jahren im Hintergrund leisten.

Christian Rudolph

Was stört Sie noch an der Kampagne?

Es reicht nicht aus, eine Plattform zur Verfügung zu stellen und für einen Medienrummel zu sorgen. Das ist die große Schwierigkeit bei der Kampagne, hinter dem Wirbel steckte offensichtlich sehr wenig. Das haben wir schon öfter erlebt, zuletzt mit einem Twitter-Profil eines angeblich schwulen Bundesligaspielers. Die Idee von einem Gruppen-Coming-Out hat Marcus Urban schon lange, das fokussiert sich aber immer wieder nur auf eine kleine Gruppe und zielt zu sehr auf das Coming Out und eine vermeintliche Sensation im Männer-Profifußball ab. Damit lastet der Druck wieder nur auf den Spielern. Das ist nicht unterstützend aufgebaut, sondern es wurde nur mit einer Sensation gespielt. So stiftet es am Ende mehr Verwirrung, als dass es unterstützt. Es sollte doch um den gesamten Sport und Sportlerinnen und Sportler aus allen Bereichen gehen und nicht wieder nur um die Fußballprofis. So werden nicht alle mitgenommen und auch Erde verbrannt. Für uns ist die Aktion von Marcus Urban leider extrem hinderlich, weil sie viel kaputt machen kann von der Arbeit, die wir seit vielen Jahren im Hintergrund leisten.

Wie hätte diese Aktion aus Ihrer Sicht besser laufen können?

Es hätte im Vorfeld geholfen, noch viele weitere Sportlerinnen und Sportler als Vorbilder einzubinden, die Vertrauen schaffen und noch mal näher am aktiven Sport sind. Thomas Hitzlsperger, Svenja Huth oder Tabea Kemme aus dem Fußball zum Beispiel, die ihre Stimmen seit vielen Jahren erheben, aber nicht eingebunden waren. Auch aus anderen Sportarten hätte Marcus Urban Vorbilder in Deutschland gewinnen können, den Volleyballspieler Benjamin Patch, den Judoka Timo Cavelius oder die Triathletin Anika Timm. Wir könnten so viele wichtige und tolle Geschichten aus dem Sport erzählen, die Mut machen und einen Nährboden schaffen. Das ist etwas, was wir mit unseren Netzwerken seit Jahren aufbauen, was aber in dieser Aktion komplett gefehlt hat. Dass die Fußball-Frauen keine Beachtung gefunden haben, halte ich auch für falsch. Dabei sind sie schon den Weg gegangen und gehen ihn weiter. Inzwischen ist es fast selbstverständlich, das sind unsere Vorbilder im Fußball. Aber so selbstverständlich war es bei den Frauen im Fußball auch nicht, bis 2008 hatte keine Nationalspielerin ihr öffentliches Coming Out. Es wird wieder nur von Männern gesprochen, zu denen er indirekt Kontakt haben will. Aber was ist mit den Frauen, den anderen Sportarten, der queeren Community als ganze?

Medial und in der Öffentlichkeit haben wir ein Narrativ geschaffen, das sich nur auf die aktiven Profi-Fußballspieler fokussiert, die sich doch bitte outen sollen, um Vorbilder zu sein.

Christian Rudolph

Ist dieser erneute Fokus auf das Coming Out männlicher Profis der Sache dienlich?

Mir ist wichtig zu sagen, dass es im Sport für alle möglich sein sollte öffentlich zur eigenen sexuellen und geschlechtlichen Identität zu stehen, ganz unabhängig vom Talent, der Leistung, dem Status oder der Position. Aber ich finde es schwierig, wie wir mit dem Thema Homosexualität im Sport umgehen. Medial und in der Öffentlichkeit haben wir ein Narrativ geschaffen, das sich nur auf die aktiven Profi-Fußballspieler fokussiert, die sich doch bitte outen sollen, um Vorbilder zu sein. Auch jetzt hat sich in der medialen Berichterstattung alles nur um die Spieler im Profifußball gedreht. Wie stark sexistisch und damit auch homo- und transfeindlich der Sport und damit unsere Gesellschaft insgesamt ist, wird dabei nicht wirklich hinterfragt. Es würde helfen, wenn wir uns nicht auf diese eine Gruppe konzentrieren, sondern auf den ganzen Sport. Wir müssen auch aufhören nur von den Aktiven auf dem Platz zu sprechen. Vereine und Verbände müssen sich proaktiv beteiligen, auch monetär. Wir brauchen nicht nur am 17. Mai, sondern andauernd positive Stimmen aus dem Sport - von Prominenten, Trainerinnen und Trainern, Managerinnen und Managern. Damit sich Spielerinnen und Spieler jederzeit sicher sein können, dass sie die Unterstützung bekommen.

Wie beurteilen Sie die Aktivitäten der großen Sportvereine am Freitag?

Es gab es aus meiner Sicht kaum Unterstützung und Solidarität aus der Bundesliga und dem Breitenfußball oder anderen Sportarten. Die Vereine machen gerade am 17. Mai schon länger Regenbogen-Aktionen und zeigen sich solidarisch, an diesem Freitag gab es aber bis auf Alexander Wehrle vom VfB Stuttgart und Dirk Zingler, die beide für die Initiative im Video aufgetreten sind, kaum weitere Aussagen. Wo waren die anderen?

Was muss sich an der Basis ändern, um mögliche Coming Out zu erleichtern?

Wir müssen in den Vereinen das Klima verändern, in den Nachwuchsleistungszentren Übungsleiterinnen und Übungsleiter im Bereich der Sozialkompetenz schulen, um jungen Menschen den Weg zu ebnen, egal welcher sexuellen und geschlechtlichen Identität Erfolg im Sport haben zu können. Da geht es aber auch um alle anderen Bereiche, über die Profis über Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter, Mitarbeitende und viele mehr. Das sind die Bretter, die wir in unserer täglichen Arbeit alle zusammen außerhalb der Sensation bearbeiten.

Patrick Kleinmann