Bundesliga

Bayer 04 Leverkusen: Deshalb ging Xabi Alonsos Schachzug auf

Leverkusens Trainer zeigt gutes Gespür bei riskantem Aufstellungspoker

Geglückte Rochade: Deshalb ging Xabi Alonsos Schachzug auf

14 Siege, drei Unentschieden: Bayer 04 Leverkusen zeigte unter Trainer Xabi Alonso eine fast perfekte Hinrunde.

14 Siege, drei Unentschieden: Bayer 04 Leverkusen zeigte unter Trainer Xabi Alonso eine fast perfekte Hinrunde. IMAGO/MIS

Besondere Situationen erfordern besondere Maßnahmen. Ein Leitsatz, dem viele Trainer folgen - und der auch schon den Größten der Branche zum Verhängnis geworden ist. Bestes Beispiel dafür ist Trainer-Ikone Pep Guardiola, der sich schon wiederholt zu gewagten personellen oder taktischen Rochaden hinreißen ließ, wenn die ganz großen Spiele anstanden.

So wählte er 2013/14 als Bayern-Trainer im Halbfinal-Rückspiel der Champions League gegen Real Madrid eine extrem offensive Formation in einer Art 4-2-4, nachdem ihm die Bayern-Profis eindringlich um diese Variante gebeten hatten. Ein Schachzug, der bei der 0:4-Klatsche in der Allianz-Arena voll in die Hose ging. Wie auch im Finale der Königsklasse 2021, als der Spanier als Trainer von Manchester City gegen den FC Chelsea sowohl auf Fernandinho als auch auf Rodri in der Startelf und damit auf seine beiden Top-Sechser im Kader verzichtete. Guardiola erlag auch in dieser Partie dem Reiz, als Trainer in einem großen Spiel diesem seinen ganz persönlichen Stempel aufdrücken zu wollen, und unterlag den Blues mit 0:1 durch den Treffer von Kai Havertz.

Spielbericht

Nun hat Xabi Alonso, der 2015 übrigens in der in München siegreichen Real-Mannschaft stand, noch keine Mannschaft in einer Partie dieser Tragweite gecoacht, doch auch der Baske entschloss sich am Samstag in Augsburg zu einer durchaus gewagten Aufstellung. Obwohl er schon auf vier Stammspieler in seiner Startelf verzichten musste, ließ er zudem auch noch Abwehrchef Jonathan Tah auf der Ersatzbank - freiwillig.

Xabi Alonso verzichtet auf Tah - freiwillig

Und das, obwohl ihm mit Odilon Kossounou und Edmond Tapsoba, die beide aktuell am Afrika-Cup teilnehmen, schon zwei Akteure seiner Dreierabwehrkette fehlten. Bayer, das zudem ohne den verletzten Mittelstürmer Victor Boniface und den aus gesundheitlichen Gründen nur für etwa 30 Minuten einsatzfähigen Zehner Florian Wirtz in der Startformation auskommen musste, trat beim FCA also ohne Zwang ohne seine komplette defensive Dreierreihe an.

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Der Hintergrund: Tah droht bei der nächsten Gelben Karte eine Sperre. Diese wollte sein Trainer angesichts des nun bevorstehenden Topspiels bei RB Leipzig (Samstag, 18.30 Uhr, LIVE! bei kicker) vermeiden. Dafür war Xabi Alonso das Risiko nicht zu hoch, in Augsburg auf den schnellsten seiner verbliebenen Innenverteidiger zu verzichten.

Ein Schachzug, der am Ende aufging. Spielte Bayer doch zum achten Mal in dieser Bundesligasaison zu Null. Allerdings war die Werkself einige Male kurz davor, bei einem der Ausburger Konter erwischt zu werden. "Wir wollten unbedingt gewinnen und sind ab und zu auch etwas zu viel Risiko gegangen, sodass wir hinten nur noch Mann gegen Mann gespielt haben", analysierte Sechser Granit Xhaka.

Gewagte, aber erklärbare Entscheidung

Dass Bayers Balance-Akt auf der letzten Linie wiederholt zu einer Wackel-Partie wurde, lag auch daran, dass Bayers Zweitbesetzung in der Abwehrreihe mit Josip Stanisic, Robert Andrich und Piero Hincapie in Sachen Topspeed nicht mit dem extrem hohen Niveau der Stammkräfte mithalten kann.

Doch Xabi Alonsos Maßnahme, die im Fall eines Misserfolgs die Kritiker auf den Plan gerufen hätte, war wohldurchdacht. Wird Bayer gegen die Umschaltspezialisten aus Leipzig doch Tahs Schnelligkeit unbedingt benötigen, um den Rückrundenauftakt erfolgreich zu gestalten. Xabi Alonso war klar, dass er dieses Risiko gegen den FCA eingehen konnte. Schließlich verfügen die Augsburger im Angriff über keinen ausgeprägten Topspeed und gelten als alles andere als Konterspezialisten.

Gegen Leipzigs Sprinter wäre eine Gelb-Sperre Tahs wohl nicht zu kompensieren gewesen. Zumal in Augsburg Kossounou-Vertreter Stanisic sich einige Schwächen erlaubte. Die Entscheidung, ohne Tah anzutreten, die in der Branche durchaus als gewagt, aber auch als mutig wahrgenommen wurde, ist also voll aufgegangen. Und Xabi Alonso, erst seit Oktober 2022 Cheftrainer eines Erstligisten, hat Weitblick und ein sehr genaues Einschätzungsvermögen bewiesen, was die Qualitäten seiner und der gegnerischen Spieler betrifft.

Vertrauen in die zweite Reihe

Schon in der letzten Partie 2023 gegen Bochum (4:0) hatte er mutig auf seine fünf potenziellen Afrika-Cup-Teilnehmer verzichtet, um eine Elf für den Januar einzuspielen. Eine Maßnahme, die sein Vertrauen in die zweite Reihe belegt und umgekehrt das der Profis in die Ideen ihres Trainers weiter stärkt.

Allerdings darf man darauf gespannt sein, ob Xabi Alonso künftig auch bei Topspielen auf solch extrem überraschende Rochaden zurückgreift. Und ob er dann weiterhin ein glücklicheres Händchen beweist als Guardiola - und nicht in besonderen Spielen mit besonderen Maßnahmen überdreht.

Stephan von Nocks