Bundesliga

"Auch in Heidenheim ergänzen sich zwei Menschen sehr gut"

Freiburgs Trainerlegende im kicker-Interview

Finke: "Auch in Heidenheim ergänzen sich zwei Menschen sehr gut"

Der langjährige Spitzenreiter und der neue Rekordhalter: Volker Finke und Frank Schmidt.

Der langjährige Spitzenreiter und der neue Rekordhalter: Volker Finke und Frank Schmidt. imago images (2)

Dreißig Jahre ist es bereits her, dass Volker Finke den SC Freiburg zum allerersten Mal in die Bundesliga führte. 16 Jahre später endete diese Ära im Breisgau nach insgesamt drei Auf- und drei Abstiegen am 30. Juni 2007. Der nächste Handschlagvertrag über ein Jahr blieb aus.

Zweieinhalb Monate später übernahm ein gewisser Frank Schmidt das Traineramt in Heidenheim. Nach 16 Jahren führte der 49-Jährige den FCH nun erstmals in die Bundesliga. In seiner 17. Saison wird Schmidt mit dem Heimspiel gegen Werder Bremen am Sonntag Finkes Rekord brechen und unter den Trainern, die ihren Klub in der Bundesliga führten, auf die längste Amtszeit zurückblicken können. Deren Ende ist nicht abzusehen.

Und dennoch hinkt der direkte Vergleich deswegen etwas, weil Finke mit dem SC sich stets in der 1. oder 2. Liga bewegte, während Schmidt erst im dritten Amtsjahr die 3. Liga erreichte und weitere fünf Jahre später in die 2. Liga aufrückte. Selbst Freiburgs aktueller Coach Christian Streich blickt seit 2011 auf drei Jahre mehr in den beiden ersten Ligen zurück als Schmidt. Dennoch ist das nur eine Randnotiz, die das Wirken Schmidts und die Teamleistung der Führung des 1. FC Heidenheim keineswegs schmälert.

Als Parallele erkenne ich, dass sich auch dort zwei Menschen sehr gut ergänzen.

Volker Finke

Hatten Sie es für möglich gehalten in dieser schnelllebigen Fußballwelt, dass Sie als Rekordhalter eines Tages abgelöst werden könnten, Herr Finke?

Um ehrlich zu sein, ich habe da eigentlich nie dran gedacht. Und es war auch nie die Intention, einen Rekord aufzustellen, als ich damals Jahr für Jahr per Handschlag in Freiburg verlängerte, wir haben ja nie irgendwas aufschreiben müssen.

Inwieweit erkennen Sie in dem Heidenheimer Weg Parallelen zu Ihrer Ära in Freiburg?

Als Parallele erkenne ich, dass sich auch dort zwei Menschen sehr gut ergänzen mit Frank Schmidt und Holger Sanwald. Das ist wie seinerzeit mit Achim Stocker und mir der Schlüssel zu dieser Kontinuität. Sanwald war übrigens zu unserer Anfangszeit in der Bundesliga öfter bei uns in Freiburg im Stadion, er war befreundet mit den Zeyer-Zwillingen, die aus der Heidenheimer Ecke stammen.

Wie viele Trainer hatten die Bundesligisten seit Amtsantritt von Schmidt?

Dann hat er quasi das Nischenkonzept des SC Freiburg hautnah erlebt und später auf Heidenheim übertragen?

Könnte sein, das müssen Sie ihn mal fragen. Auch dort ist jedenfalls der Staff sehr klein gehalten und durchweg mit langjährigen Konstanten besetzt. Unser Staff bestand lange nur aus Finke und Co-Trainer Achim Sarstedt. Um ihn zu holen, musste Lutz Hangartner aufhören, so klein war unser Budget.

Vor Ihrer Zeit gaben sich auch in Freiburg die Trainer die Klinke in die Hand …

Natürlich, bis dahin lag die durchschnittliche Amtszeit auch nur um ein Jahr herum. Stocker hatte stark eingegriffen in den sportlichen Bereich und einige Trainer zwar mehrfach verpflichtet, lange geblieben war aber keiner. Das änderte sich erst mit unserem Verhältnis, das immer zum Ziel hatte, uns irgendwie konkurrenzfähig zu machen. Stocker hat immer dafür gesorgt, dass wir nicht eine Mark Schulden machen, er war immer die Finanzbremse, was ich ihm hoch anrechne. Das war für mich auch der Schlüssel, als ich kam. Es war von Anfang an klar: Ich akzeptiere alle finanziellen Engpässe und Grenzen, habe aber im Sport das Sagen. Das war die wichtigste Verabredung.

Auf dem Transfermarkt waren wir ohnehin nicht konkurrenzfähig.

Volker Finke

Auch in Heidenheim wird laut Schmidt zuweilen heftig gestritten um die Sache, nach außen aber mit einer Zunge gesprochen, das dürften Sie demnach kennen?

Ich nenne das positive und produktive Streitkultur, das ist die Voraussetzung für bessere Entwicklung. Wenn innerhalb einer Hierarchie so ein stilles Abnicken stattfindet, dann ist man begrenzt. Um mehr zu erreichen, ist es nötig, dass mit unterschiedlichen Positionen gegeneinander gekämpft, aber dann gemeinsam entschieden wird. Bei uns gab es auch immer die Kontroverse, investieren wir eher in Steine statt in Beine? Bei uns war das umgekehrt, ich wollte unbedingt die Infrastruktur verbessern, um bessere Voraussetzungen zu haben. Denn auf dem Transfermarkt waren wir ohnehin nicht konkurrenzfähig.

Auch das klingt stark nach Heidenheim …

… auch wir konnten das finanziell nicht stemmen, deshalb ging es um andere Inhalte, wo wir besser sein konnten. Wir haben nächtelang philosophiert und erkannt: Wir können besser sein in der Ausbildung und in der Weiterbildung von Spielern, bei denen es nicht gleich ums große Geld geht, sondern darum, sportlich erst mal den Anschluss zu schaffen. Für die größte Investition in unsere Fußballschule waren mehrere Spaziergänge mit Stocker nötig. Ich sollte Abstand nehmen von dieser Idee, weil man das Geld für Spieler brauche, um erstklassig zu bleiben.

Apropos Streitkultur: Ist denn bei der heute üblichen Fluktuation in den Klubs eine kontinuierliche Entwicklung überhaupt möglich?

Heute gibt es meistens drei wichtige Entscheider, einer für den Sport, einer für die Finanzen und den Trainer. Solange nur einer ausgetauscht wird oder von sich aus geht, ist das nicht so tragisch, aber häufig werden gleich mehrere gewechselt.

Was erschwert längere Amtszeiten?

Ich glaube, die explodierende Kommerzialisierung erschwert es. Viele Klubs erhalten die Hälfte ihrer Einnahmen allein über die TV-Vermarktung. Der Druck erhöht sich automatisch, wenn der Abstieg droht, weil der Unterschied zur 2. Liga so immens ist mittlerweile. Da haben viele das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren.

Sie sind mit dem SC dreimal auf- und abgestiegen, heute undenkbar?

Nicht unbedingt. Wir waren immer so aufgestellt, dass uns ein Abstieg nicht völlig aus der Bahn wirft und wir trotzdem schwarze Zahlen schreiben, um wieder eine Mannschaft aufzustellen, die wieder aufsteigen kann. Das ist eine wichtige Position, die man als Haltung erst mal vereinbaren muss. Damit man sich aus Angst abzusteigen nicht verschuldet. Denn dann ist es im Abstiegsfall enorm schwer, aus den roten Zahlen rauszukommen.

Die längsten Trainer-Amtszeiten: Streichs Reise endet auf Platz 5

Freiburg ist auch unter Christian Streich ab- und aufgestiegen ...

... es ist auch heute noch möglich. Im Gegensatz zu Traditionsklubs mit unglaublichem Potenzial wie etwa dem HSV, der es nicht schafft, schnell wieder nach oben zu kommen. Da können Klubs echt in die Bredouille geraten, weil wichtige Spieler wegbrechen und die Mittel für eine ausreichend starke Mannschaft nicht mehr da sind. Schauen Sie sich Schalke oder Hertha an, da musste man schon in der 1. Liga Sorgen haben, ob sie überhaupt die Lizenz kriegen. Wenn dann Druck entsteht, muss man sich nicht wundern, wenn dreimal in einer Saison der Trainer gewechselt wird. Es ist wichtig, in solchen Phasen trotzdem die Schuldenbremse zu treten. Das hängt aber von der Selbstwahrnehmung des Klubs ab.

Inwiefern?

Von der selbst definierten Erwartungshaltung.

Da hat sich Freiburg eine realistische Zurückhaltung bewahrt?

Der SC ist mit diesen Verantwortlichen super aufgestellt, das hat eben auch mit Kontinuität zu tun.

Sind Sie noch hin und wieder im Stadion?

So gut wie nicht mehr und wenn, dann sind das wirklich interessante Paarungen. Das ist mir mittlerweile zu viel Aufwand mit Ab- und Anreise und den sich natürlich ergebenden vielen Gesprächen, ich schaue mir die Spiele lieber in Ruhe zu Hause im Fernsehen an.

Eigentlich wollte ich ursprünglich in den Schuldienst zurück.

Volker Finke

Warum war dann doch nach 16 Jahren Schluss in Freiburg? Weil sich irgendwann alles abnutzt?

Nein, nein. Aber wenn man nicht sofort wieder aufsteigt und es auch in der zweiten Zweitligasaison nicht nach Wiederaufstieg aussieht, entstehen schlicht und einfach Kräfte, die dann auch erwägen, mal den Trainer zu wechseln. Vielleicht sogar auch aus Fürsorge für den Klub. Wir hätten damals sogar am letzten Spieltag noch aufsteigen können. Aber ich sehe das insofern entspannt, weil damals schon die Leute wie Clemens Hartenbach, Christian Streich und Jochen Saier da waren, die heute noch die Geschicke lenken, und solange die drei da sind, braucht man sich um den SC keine Sorgen zu machen.

Frank Schmidt hat bereits angekündigt, irgendwann einen anderen Klub zu trainieren, um zu beweisen, dass er nicht nur Heidenheim kann. Wie groß waren die Verlockungen bei Ihnen?

Natürlich gab es nach guten Jahren Angebote, speziell nach der Saison, in der wir mit dem kleinsten Etat der Liga Dritter wurden. Meine Motivationslage hatte der damalige Stuttgarter Manager Dieter Hoeneß treffend umschrieben, indem er nach unserem Aufstieg sagte: Wenn die Freiburger mit ihren Mitteln in der 1. Liga bleiben, haben alle anderen Vereine etwas falsch gemacht. Ich wollte beweisen, dass das doch geht. Und das war mir immer wichtiger, als mich anderswo bei einem neuen Klub zu beweisen. Denn eigentlich wollte ich ursprünglich ja in den Schuldienst zurück.

Ernsthaft?

Ich musste mich jedes Jahr wieder neu bei der Bezirksregierung beurlauben lassen. Fünfmal, dann habe ich die Planstelle zurückgegeben. Erst daraus ergab sich später, dass ich immer nur ein Jahr verlängerte.

Dann sind Sie ja nicht als Trainer, sondern zum Trainer beurlaubt worden ...

... genau. Das wurde mir selber irgendwann unangenehm. Aber für meinen Einstieg im Profifußball hat es mir unfassbar geholfen, dass ich diese Sicherheit im Rücken hatte. Ich konnte mit dem Druck viel besser umgehen, und dann verlässt du eben nicht deine Linie. Denn die Spieler merken, wenn du anfängst, Einflüsterern zu sehr zuzuhören, sie spüren, wer den Hut aufhat und die sportlichen Entscheidungen trifft. Ich musste nicht um jeden Preis im Fußball erfolgreich sein.

Was machen Sie denn heutzutage?

Ich bin in Freiburg in einigen Initiativen für mehr Nachhaltigkeit und Klimaschutz aktiv. Dinge, die sehr wichtig sind, um den Planeten zu retten für nachfolgende Generationen. Ich habe neulich etwa zum Thema Fußball und Nachhaltigkeit referiert bei einer Veranstaltung. Dafür engagiere ich mich. Wir müssen klimatechnisch nicht mit offenen Augen an die Wand fahren. Da kann auch der Fußball seinen Beitrag leisten und nicht zum nächsten Länderspiel von Stuttgart nach Basel fliegen für 176 Kilometer, wie es passiert ist, das ist so peinlich. Der Fußball muss seine Strahlkraft nutzen, damit alle bei dieser Transformation mithelfen.

Interview: Michael Pfeifer