2. Bundesliga

Dudziak: "Ich hatte das große Glück, dass ich überlebt habe"

Hinter Herthas Neuzugang liegen schwere Monate

Dudziak: "Ich hatte das große Glück, dass ich überlebt habe"

Jeremy Dudziak war vor seinem Wechsel nach Berlin von Fürth an den türkischen Erstligisten Hatayspor ausgeliehen.

Jeremy Dudziak war vor seinem Wechsel nach Berlin von Fürth an den türkischen Erstligisten Hatayspor ausgeliehen. IMAGO/Matthias Koch

Um Fußball ging es nicht mehr, nicht eine Sekunde. Es ging um Leben und Tod. Jeremy Dudziak war mittendrin, als die südöstliche Türkei in der Nacht des 6. Februar von einer Katastrophe heimgesucht wurde. Der gebürtige Hamburger war Ende Januar auf Leihbasis von Greuther Fürth zum Süper-Lig-Klub Hatayspor gewechselt. Drei Einsätze absolvierte Dudziak für den neuen Klub, gegen Trabzonspor, Gaziantep und Kasimpasa. Dann erschütterte ein gewaltiges Erdbeben die türkisch-syrische Grenzregion, in der Hatayspor - ein Klub aus der Stadt Antakya, die in der türkischen Provinz Hatay liegt - zu Hause ist. Der Verein zog sich im Februar aus dem Spielbetrieb der Süper-Lig-Saison zurück, in der Türkei und Syrien gab es insgesamt mehr als 50 000 Tote.

"Menschen sind gestorben, die ich sehr gut kannte", sagt Dudziak. "Es war für keinen einfach, der dabei war, und für keinen einfach, der da lebt. Und die, die noch da sind, haben immer noch eine schwere Zeit. Ich hatte das große Glück, dass ich überlebt habe, dass ich schnellstmöglich rauskam und mich meine Familie unterstützt hat. Ich habe Zeit gebraucht für mich" - um die Geschehnisse zu verarbeiten. "Jetzt", sagt Dudziak, "kann ich wieder angreifen."

In Berlin soll der sportliche Neustart gelingen - als Linksverteidiger

In Berlin will der Mann, der einst von der U 15 bis zur U 21 alle DFB-Nachwuchs-Auswahlteams durchlief, seine ins Stocken geratene Karriere wieder in Schwung bringen. Nach Monaten, in denen er sich allein fit gehalten hat, wird sein Fitnesszustand durch die Rückkehr ins Mannschaftstraining und das knackige Pensum im Hertha-Camp in Zell am See immer besser. Dudziak, der einst bei Borussia Dortmund als Linksverteidiger groß wurde und unter Jürgen Klopp im März 2015 zu seinem Bundesliga-Debüt kam, ist nach Jahren im zentralen Mittelfeld jetzt wieder dort angekommen, wo alles begann: links hinten. Hertha hatte nach den Abgängen von Maximilian Mittelstädt (VfB Stuttgart), Marvin Plattenhardt (noch ohne Verein) und Lukas Ullrich (Borussia Mönchengladbach) eine Vakanz links in der Viererkette.

Dudziak, der zunächst ablösefrei von Fürth kam und für den eine Ablöse fließen wird, wenn Hertha aufsteigt und sich Dudziaks Einjahreskontrakt bis 2025 verlängert, soll sie füllen, auch wenn die Verpflichtung eines weiteren Linksverteidigers noch angedacht ist. "In den Gesprächen war schnell klar, dass es bei Hertha für mich auf Linksverteidiger hinausläuft", erzählt der Neuzugang. Für ihn passt das: "Ich bin auf der Position groß geworden, deshalb kenne ich sie gut. Ich fühle mich dort wohl." Auf das Zusammenspiel mit seinem neuen Vordermann Fabian Reese freut er sich. "Fabi bleibt lieber außen, ich ziehe öfter mal in die Mitte - wir können da variabel spielen und haben auch durch seine Schnelligkeit viele Möglichkeiten."

Der spielstarke Allrounder, im Profibereich auch schon als Rechtsverteidiger und Zehner aufgeboten und "in der Jugend sogar mal als Innenverteidiger", gibt sich gereift. Er hat viel gesehen und viele - sehr unterschiedliche - Trainertypen erlebt: Jürgen Klopp, David Wagner, Thomas Tuchel in Dortmund, Ewald Lienen, Markus Kauczinski und Jos Luhukay beim FC St. Pauli, Dieter Hecking, Daniel Thioune und Horst Hrubesch als Interimscoach beim HSV, Stefan Leitl und Alexander Zorniger in Fürth, jetzt Pal Dardai. "Jeder Trainer hat mir etwas mitgegeben", sagt Dudziak.

Dudziak: "Wer mich sehr geprägt hat, war Thomas Tuchel"

"Wer mich sehr geprägt hat, war Thomas Tuchel. Damals konnte ich noch nicht richtig einordnen, was er vermitteln wollte." Heute, mit dem Abstand einiger Jahre, kann er das: "Wenn ich heute nochmal mit ihm zusammenarbeiten würde, würde ich es besser verstehen. Ich habe damals falsch verstanden, was er mir mitgeben wollte." Sportlich hatte Dudziak, der den BVB im August 2015 in Richtung St. Pauli verließ, unter Tuchel einen schweren Stand: "Aber das lag mehr an mir als an ihm. Er hat mir auf seine Art versucht mitzugeben, worauf es im Profibereich ankommt" - dass man Widerstände überwinden muss, dass hundertprozentige Fokussierung ein Muss ist, kein Kann. "Das", sagt Dudziak, "kann bei mir damals nicht so an, wie es sollte. Heute wäre das anders."

Jetzt unternimmt der Mann, der für Tunesien 2019 ein Testländerspiel gegen Mauretanien bestritt, in Berlin einen neuen Anlauf: mit dem Wissen, worauf es im Fußball ankommt - aber auch mit dem Wissen, dass es Wichtigeres gibt. Das, was er Anfang Februar in der Türkei mitgemacht hat, wird ihn für immer prägen: "Wenn du so eine Erfahrung machst, dann verändert sich etwas bei dir." Die Rückkehr in die alte Rolle, ein neuer Horizont: Dudziak ist bereit für die Saison - nach den schwersten Monaten seines Lebens.

Steffen Rohr

Die Heimtrikots der Zweitligisten für die Saison 2023/24