Bundesliga

Hertha-Profi Sami Khedira: "Die ganzen Schmerzen haben sich gelohnt"

Der Weltmeister von 2014 über Karriere, Abschied und ein mögliches Wiedersehen

"Die ganzen Schmerzen haben sich gelohnt"

Abseits des Platzes, aber auch auf dem Rasen ein echter Leader: Sami Khedira beendet seine Karriere.

Abseits des Platzes, aber auch auf dem Rasen ein echter Leader: Sami Khedira beendet seine Karriere. imago images (3)

Die Worte waren druckreif, wie stets bei ihm - und die Bürde des Augenblicks war spürbar. "Es ist heute ein schwerer Tag", sagte Sami Khedira, als er um Viertel nach Fünf das verkündete, was seit Wochen in ihm gereift war. "Ich habe heute noch Nachrichten bekommen, dass wir auf den Tag genau vor 14 Jahren mit dem VfB Stuttgart die Deutsche Meisterschaft gefeiert haben. Das war ein wunderschöner Tag. Und heute ist ein Tag, der mir persönlich sehr, sehr schwerfällt."

Ein Spiel noch mit und für Hertha BSC, dann beendet der Weltmeister von 2014 seine auf Nationalmannschafts- und Klubebene mit Titeln gespickte Karriere. Der Mann, der im Winter zu Hertha und damit nach zehneinhalb Jahren bei Real Madrid und Juventus Turin zurück in die Bundesliga gewechselt war, musste seinem körperlichen Verschleiß gerade in der Endphase bei Juve und auch in den fünf Monaten in Berlin Tribut zollen.

"Er hat die Erwartungen erfüllt"

Acht Einsätze für Hertha sind verbucht, ein neunter soll und wird am Samstag im Spiel bei der TSG Hoffenheim dazukommen - dort, wo er einst auch mit dem VfB Stuttgart sein letztes Spiel bestritten hat. Es wird der Schluss-Akkord für den Mann, der Hertha in anspruchsvollen Zeiten entscheidend half, auch wenn ihn zweimal eine Blessur an der Wade bremste. "Er hat die Erwartungen erfüllt und unsere Mannschaft in einer schwierigen Situation herausragend geführt", sagte Hertha-Sportdirektor Arne Friedrich am Mittwoch dem kicker.

Was in der Kabine zu regeln war, da war nicht nur sein Name Weltklasse, sondern auch, was er gemacht hat, war Weltklasse.

Pal Dardai über Sami Khedira

Trainer Pal Dardai hatte bereits nach der geglückten Rettung am vergangenen Wochenende Worte voller Respekt und Wertschätzung für "einen großen Sportler" gefunden und gesagt: "Sami hat sehr viel geholfen, er war ein verlängerter Arm in der Kabine. Arne Friedrich hat eine gute Entscheidung getroffen, Sami im Winter zu holen, auch wenn er sportlich nicht so viel helfen konnte. Aber was in der Kabine zu regeln war, da war nicht nur sein Name Weltklasse, sondern auch, was er gemacht hat, war Weltklasse. Sami war eine große Hilfe."

Diese aus der Spur geratene Ansammlung vieler Individualisten mit zu einen und hinter einem gemeinsamen Ziel zu versammeln, das war Khediras letzter Job in einer langen und überaus erfolgreichen Karriere. In einer digitalen Medienrunde sprach er am Mittwoch über...

"Ich bin dann erstmal raus"

…sein Karriere-Ende:
"Es ist ein unheimlich harter Schritt, aber es ist der einzig richtige Schritt. 15 Jahre Profi-Fußball haben ihre Spuren hinterlassen. Da musste ich ehrlich zu mir sein, was ich noch kann, was ich noch will und in welchem Zustand ich bin. Ich bin der felsenfesten Überzeugung, dass es die richtige Entscheidung ist. Der Schmerz ist zwar sehr, sehr groß, aber am Ende überwiegt die Dankbarkeit darüber, was ich alles erleben und mit welchen Persönlichkeiten ich zusammenarbeiten durfte. Ich bin dann erstmal raus. Samstag noch drei Punkte, das ist die wichtigste Message heute."

Es ist am Ende eine emotionale Entscheidung - und sie fühlt sich richtig an.

Sami Khedira

…die Gründe für den Abschied:
"Es war ein schleichender Prozess. Ich habe jede Entscheidung mit meinen engsten Vertrauten besprochen, aber diese Sache nicht. Da kann man nicht Pro und Contra abwägen. Das ist ein Gefühl, das sich entwickelt - und in der Quarantäne hatte man auch ein bisschen Zeit. Ich habe einen Anspruch an mich selbst und möchte das nicht bis zum letzten kleinen Detail ausreizen. Ich habe auch eine Verantwortung gegenüber meinem Körper und meiner Zukunft. Ich wollte nicht so lange festkleben, bis andere sagen: 'Sami, es reicht jetzt mal.' Ich hatte keine Liste. Am Ende hat das Bauchgefühl entschieden. Natürlich wäre es schön gewesen, nochmal vor Fans spielen zu können. Aber ich bin ein Freund davon, das Gesamtbild zu sehen und nicht auf Kleinigkeiten zu schauen. Mein kleiner Bruder kommt nach Berlin (Rani, wechselt im Sommer vom FC Augsburg zu Union, d. Red.), der hat auch ein bisschen darum gekämpft, dass ich hier bleibe und nochmal vor Fans spiele. Aber es ist am Ende eine emotionale Entscheidung, und sie fühlt sich richtig an. Ich habe die Entscheidung heute erst der Mannschaft mitgeteilt. Selbst meine Eltern und meine Brüder wissen erst seit zwei Tagen Bescheid."

"Es ist Zeit, danke an den Fußball zu sagen"

…sein Karriere-Fazit:
"Jedes Kapitel, jede Station, jede Saison war eine Herausforderung für sich. Man muss sich immer neu beweisen, sonst ist mal schnell auf dem Abstellgleis. Jetzt ist es Zeit, danke zu sagen an den Fußball, an den Sport. Er gibt dir die bittersten, aber gleichzeitig auch die schönsten Momente. Wenn man in die Welt hinausschaut: Fußball ist nicht so wichtig, wie wir immer tun - aber es ist ein wunderschöner Sport. Ich bin sehr dankbar für die Stationen und Vereine, die ich durchlaufen durfte. Für mich war und ist Fußball alles. Diesen Mannschaftsgeist, Niederlagen, Rückschläge, Verletzungen, aus denen man rausgekommen ist, Glückseligkeit, Titel - das überwiegt am Ende. Deswegen haben sich die ganze Intensität und die ganzen Schmerzen und Quälereien am Ende des Tages gelohnt. Fußball ist der wunderbarste Sport und die wunderbarste Nebensache der Welt. Ich muss aber gleichzeitig sagen, dass das Fußball-Geschäft unheimlich hart ist. Da darf man nicht blauäugig sein. Das verlangt einem sehr viel ab, aber mich hat es auch in eine unheimlich privilegierte Situation gebracht. Dass wir trotz Corona in den letzten eineinhalb Jahren unserem Job nachgehen durften, darüber bin ich sehr dankbar. Ich möchte mich bedanken bei meinen ganzen Wegbegleitern. Da stehen meine Eltern und meine beiden Brüder ganz oben. Ohne sie wäre es nicht ansatzweise zu dieser Karriere gekommen. Ich bin dankbar für meine Anfänge beim TV Oeffingen und beim VfB Stuttgart in der Jugend und für den Einstieg in den Profi-Bereich. Ich durfte dort meinen ersten großen Titel feiern. Jeder, der ein Heimatgefühl hat, weiß, was es bedeutet, eine Deutsche Meisterschaft mit seinem Heimatverein zu feiern. Mein Dank geht an Real Madrid und Juventus Turin, wo ich zehn Jahre an der europäischen Spitze war und an der europäischen Spitze mitkratzen durfte. Ich durfte dort Geschichte schreiben und als Mensch extrem reifen. Beide Vereine gehören ohne Wenn und Aber zu den größten Vereinen der Welt und haben mich zu einem anderen - ich hoffe, besseren - Menschen gemacht. Jetzt sitz‘ ich hier als alter Herr und durfte nochmal die Alte Dame Hertha miterleben. Es war eine sehr kurze Zeit, aber ich habe tolle Teamkameraden und Menschen im Trainerstab und der Geschäftsstelle kennengelernt. Es waren unheimlich intensive fünf Monate. Pal Dardai hat zu mir gesagt: 'Sami, was du hier in fünf Monaten erlebt hast, hast du anderswo wahrscheinlich in fünf Jahren nicht erlebt.' Das könnte fast hinkommen. Ob das gut oder schlecht ist, weiß ich nicht, aber ich hatte hier eine tolle Zeit. Danke auch an alle meine Trainer, Betreuer, Physiotherapeuten, Ärzte, Vereinsangestellte. Sie sind nicht immer in der Öffentlichkeit, aber ich weiß zu schätzen, was sie getan haben."

Jerome Boateng, Sami Khedira

Weltmeisterlich: Jerome Boateng (li.) und Sami Khedira feiern am Brandenburger Tor 2014 den Gewinn der WM, Per Mertesacker ist auch dabei. imago images

…die Zeit in der Nationalelf:
"Vielen Dank an den DFB, der mich zu einer sehr besonderen Zeit geführt hat. Neun Jahre Nationalspieler sein zu dürfen, war großartig - mit der Krönung, 2014 im Maracana Weltmeister zu werden. Das werde ich mein Leben lang nicht vergessen."

Der liebe Gott hat es gut mit mir gemeint.

Sami Khedira

…sein Credo:
"Mein Papa hat mir immer beigebracht: Arbeite hart, gib jeden Tag alles, sei diszipliniert und höflich - dann wirst du belohnt. Vielleicht habe ich besonders gut gearbeitet und war besonders höflich, ich weiß es nicht. Der liebe Gott hat es gut mit mir gemeint, aber es war auch extrem viel Arbeit und Intensität dahinter."

…seine Botschaft an junge Spieler:
"Nutzt die Chance, gebt Gas, haut alles raus, was ihr habt. Es lohnt sich, jede einzelne Minute zu kämpfen und jede Sekunde zu arbeiten. Es lohnt sich, auch mal einen Schmerz über sich ergehen zu lassen und Rückschläge zu erleiden. Was ich in den 15 Jahren erleben durfte, ist wunderbar und hat mich geprägt. Ohne Leidenschaft, ohne Energie, ohne Emotionalität geht es nicht - egal, wie viel Talent du hast."

Ich werde dem Fußball erhalten bleiben, in welcher Form auch immer.

Sami Khedira

…die Zukunft:
"Ich werde erstmal nichts anderes annehmen, nichts anderes machen. Ich brauche Zeit, um meine Karriere zu verarbeiten. Ich möchte Abstand gewinnen. Aber ich kann versprechen, dass es kein Nimmerwiedersehen ist, sondern ein Auf Wiedersehen. Ich werde dem Fußball erhalten bleiben, in welcher Form auch immer. Ich muss für mich das Gefühl entwickeln, was ich möchte. Möglichkeiten wird es genügend geben. Motivation, Energie und Spaß sind definitiv vorhanden. Jetzt will ich erstmal meine Ruhe haben, aber das wird nicht allzu lange dauern und dann werde ich mir neue Dinge suchen, die mich neu fordern und bei denen ich andere fordern kann. Ich werde, glaube ich, kein richtiges Zuhause haben. Ich werde viel am Reisen sein, viel am Hospitieren, Freunde besuchen - einfach viele Dinge machen, die ich als Profi nicht machen konnte. Hätte ich einen Wunsch frei, würde ich extrem viel reisen. Aber aufgrund der Pandemie-Lage muss ich darauf erstmal verzichten. Aber ich freue mich, Familie und Freunde öfter zu sehen und meinen Bruder in Berlin spielen zu sehen, auch wenn's das falsche Stadion ist… Ich werde mich fortbilden, mir mehr Wissen aneignen. Ich freue mich auf Management-Seminare und darauf, von weiseren Menschen, als ich es bin, zu lernen. Dafür habe ich jetzt Zeit. Ich werde auch weiterhin Sport machen. Ich war lange fremdbestimmt. Jetzt kann ich meinen Tages-, Wochen- und Monatsplan selbst bestimmen und ausleben, darauf freue ich mich."

…eine mögliche Zukunft als Trainer:
"Jeder Trainer, den ich hatte, hat mir gesagt, dass ich das Zeug zum Trainer habe. Aber ich weiß es noch nicht. Noch bin ich aktiver Spieler. Ich denke auch noch als Spieler. Ich habe noch nicht entschieden, ob es mal in Richtung Trainer, Manager oder Sportdirektor geht."

"Es war immer mein Wunsch, dass ich selbst entscheide, wenn es nicht mehr weitergeht"

…die Zeit bei Hertha:
"Ich habe mich hier sofort zu Hause gefühlt. Ich werde auch künftig öfter in Berlin sein. Wir mussten hier viel ändern, viel bewirken, aber alle waren offen. Ich konnte der Mannschaft helfen. Fußball ist nicht nur Maximum-Speed und Toreschießen, sondern Fußball ist viel, viel mehr. Fußball spielt sich zu 80 Prozent im Kopf ab. Da oben funktioniert noch alles. Bloß hat da mehr funktioniert, als die Beine wollten. Ich habe den Anspruch an mich, das Maximum rauszuholen und habe gemerkt, dass es nicht mehr so funktioniert, wie ich das möchte. Das ist kräftezehrend und auch traurig. Deshalb ist dieser Entschluss gereift. Es war immer mein Wunsch, dass ich selbst entscheide, wenn es nicht mehr weitergeht - und nicht ein Trainer oder Sportdirektor. Das war auch jetzt der Punkt. Ich hatte hier auch jetzt nochmal tolle Gespräche mit Arne Friedrich, mit Carsten Schmidt, mit Fredi Bobic, mit Pal Dardai und seinem Trainerteam. Aber ich kann nicht mehr erfüllen, was ich selber von mir verlange."

Es geht nicht sofort in der nächsten Saison, international zu kommen. Hertha muss langsam wachsen. Die Möglichkeiten sind da, die Strukturen werden geschaffen.

Sami Khedira über Hertha

…Herthas Klassenerhalt:
"Ich war es immer gewohnt, in anderen Tabellen-Regionen zu spielen. Aber am Ende des Tages ist Fußball Gewinnen. Wir waren in einer sehr, sehr schwierigen Situation und haben uns da selbst reingebracht. In der Quarantäne haben alle gesagt, dass wir keine Chance haben und absteigen werden. Ich bin stolz auf die Mannschaft, weil wir es geschafft haben. Wir haben - mit Pal und seinem Trainerteam, aber auch intern in der Mannschaft - einen Spirit entwickelt. Wir haben uns die Frage gestellt: Was wollen wir? Und was sind die Konsequenzen? Den Stempel des Abstiegs zu bekommen, weniger Gehalt, vielleicht keinen neuen Vertrag. Jeder Einzelne hat es kapiert. Wir haben einen Riesenkader, der einen Tick zu groß ist. Jeder hat Gas gegeben. Dieses Momentum zu sehen, ist schön. Ich bin stolz, dass ich meinen Teil beitragen konnte, diesen Mannschaftsgeist zu kreieren. Ich persönlich würde das nicht als Erfolg sehen. Aber ich bin glücklich, dass ich meinen Teil beitragen durfte, dass Hertha die Klasse hält und die Chance hat, hier etwas aufzubauen und step by step höher zu kommen. Aber das ist ein langsamer Prozess. Es geht nicht sofort in der nächsten Saison, international zu kommen. Hertha muss langsam wachsen. Die Möglichkeiten sind da, die Strukturen werden geschaffen. Ich bin glücklich, zum ersten Teil in die hoffentlich richtige Richtung beigetragen zu haben."

…Fredi Bobic:
"Er ist eine Bereicherung für Hertha BSC und eine tolle Verpflichtung. Ich glaube, er wird hier mit seinem Team vieles bewirken."

"Dardai war für diese sechs Monate absolut der richtige Trainer"

…Pal Dardai:
"Ich habe mit ihm unheimlich gern zusammengearbeitet. Er ist sehr klar, sehr ehrlich, sehr selbstbewusst. Ich muss mich hier nicht hinstellen und sagen, Pal muss Trainer bleiben. Er weiß, was er will - und der Verein weiß, was er will. Pal hat die Mannschaft erreicht und aufgeweckt. Er war hart, er war lieb. Er war für diese sechs Monate absolut der richtige Trainer. Wie die Neuausrichtung ist, da habe ich kein Mitspracherecht. Deshalb möchte ich mich nicht daran beteiligen. Pal ist ein wunderbarer Mensch. Dass er dann hier auch in Zukunft der richtige Mann ist, das würde ich ihm wünschen und gönnen. Aber er ist sehr entspannt. Und er braucht kein Plädoyer von Sami Khedira - und er will das, glaube ich, auch nicht."

Steffen Rohr