Bundesliga

Bayer Leverkusen: Warum Hudson-Odoi ein Phantom bleibt

Chelsea-Leihgabe immer öfter nur in der Zuschauerrolle

Der vergessene Superstar: Warum Hudson-Odoi ein Phantom bleibt

Oft bei Bayer nur auf der Bank: Callum Hudson-Odoi.

Oft bei Bayer nur auf der Bank: Callum Hudson-Odoi. IMAGO/Sven Simon

Als Bayer 04 Ende August Callum Hudson-Odoi vom FC Chelsea für eine Saison auslieh, sorgte dieser Transfer gleichermaßen für Eindruck wie für Euphorie. CHO, so das Kürzel des dreimaligen englischen Nationalspielers, galt als großes Versprechen für den Werksklub. Schließlich hatte sich der FC Bayern München schon zweimal (im Winter 2019 und im Sommer 2020) um den schnellen Flügelspieler bemüht. Aufgetaucht im Trikot des Rekordmeisters war Hudson-Odoi aber nie.

Ein halbes Jahr nach dem Leverkusener Coup ist von dem Hype um CHO nichts mehr übrig. Im Gegenteil. Als der FC Chelsea im Dezember auf sein vertraglich fixiertes Rückholrecht im Wintertransferfenster verzichtete, atmete die Leverkusener Fan-Gemeinde zwar noch auf. Jetzt hat sich aber auch dort die Enttäuschung breit gemacht über das nicht gehaltene Versprechen, das Hudson-Odoi darstellt.

Dessen Absturz nach der Winterpause ist frappierend. Stand der auf dem Flügel und hinter den Spitzen einsetzbare Offensivakteur in der Gruppenphase der Champions League noch in alle sechs Partien in der Startelf, so halten sich seine Einsatzzeiten im Jahr 2023 in sehr engen Grenzen.

Nur 124 Minuten

Ganze zweimal durfte CHO in diesem Kalenderjahr für Bayer 04 beginnen, der einst mit einer Ablöse zwischen 50 und 100 Millionen Euro taxiert wurde. Sowohl beim 2:0 gegen Bochum als auch beim 2:3 gegen Mainz war für ihn aber bereits nach 45 Minuten und schwacher Leistung (jeweils kicker-Note 5) Schluss.

Hatte der Engländer bis zum Jahreswechsel noch 61,4 Prozent der möglichen Einsatzminuten bekomme, so ist seine Quote im Jahr 2023 mit 15,3 Prozent indiskutabel für einen Akteur seiner Qualität. Seine 124 Spielminuten in diesem Kalenderjahr wurden von den eingesetzten Bayer-Profis nur von den aus Verletzungen zurückgekehrten Patrik Schick (115) und Karim Bellarabi (33) unterboten.

Am deutlichsten wurde Hudson-Odois Wertverlust in der vergangenen englischen Woche. Selbst als Xabi Alonso in Monaco und Freiburg zweimal stark rotieren ließ, stellte der englische Nationalspieler keine Option für den Leverkusener Trainer dar.

Lichtblick gegen Atletico

Was nicht nur am Sonntag beim 1:1 in Freiburg für den Dribbler bitter war: Denn obwohl Amine Adli rotgesperrt fehlte sowie Florian Wirtz nach 115 Minuten in Monaco und Krämpfen in beiden Beinen eine Pause verordnet bekam, fand die Chelsea-Leihgabe keine Berücksichtigung, wurde nicht einmal eingewechselt.

Schon zuvor am Donnerstag beim 5:3-Erfolg im Elfmeterschießen in der Europa League beim der AS Monaco hatte Xabi Alonso in der Verlängerung lieber das Risiko gewählt, den muskulär angeschlagenen Moussa Diaby einzuwechseln, anstatt auf CHO zu setzen. Eine deutlichere Aussage ist in Verbindung mit den Personalentscheidungen vom Freiburg-Spiel kaum möglich.

Der Grund für Hudson-Odois Bankrolle ist einfach wie offensichtlich: die Leistung. Bislang hat der 22-Jährige in Leverkusen sein Können bestenfalls angedeutet, wie beim 2:0 gegen Atletico Madrid, als er beide Treffer einleitete, nachdem er während der zweiten Hälfte auf die Zehnerposition beordert worden war. Auf einen über 90 Minuten überzeugenden Auftritt des Stürmers warten sie bei Bayer noch heute.

Minimaler Einfluss aufs Spiel

Einfach zu verstehen ist dies nicht. Der meist als halblinker Angreifer eingesetzte Rechtsfuß ist schnell, technisch versiert, stark im Eins-gegen-eins. Seine Zweikampfbilanz in der Liga ist mit 55,9 Prozent erfolgreicher Duelle für einen Offensivspieler sogar auffällig gut, die zweibeste unter den Bundesligastürmern. Einzig Wolfsburgs Lukas Nmecha (58,6%) ist besser.

Seine Passquote ist mit 87,4 Prozent die zweibeste im Kader hinter der von Innenverteidiger Jonathan Tah (89,8). Und nur zwei Bundesligastürmer (Hoffenheims Andrej Kramaric und Gladbachs Alassane Plea mit je 36) kommen auf mehr als die 34 Pässe, die CHO pro 90 Minuten schlägt.

Sein Einfluss aufs Spiel ist trotzdem minimal, wenn es in Richtung Tor geht. Dann wird Hudson-Odoi zum Phantom, taucht ab. Geht es um die Währung eines jeden Angreifers, fällt seine Bilanz niederschmetternd aus: In der Bundesliga ist er noch ohne Torerfolg, verzeichnet gerade einmal ein Assist. In der Champions League gelang ihm zumindest ein Treffer.

Was Rolfes fordert

Der Eindruck, den er hinterlässt, ist dementsprechend schwach: In der Liga liegt sein kicker-Notenschnitt bei 4,33, in der Königsklasse bei 4,08. Sieben Startelfeinsätze in der Liga sind ebenso enttäuschend wie seine insgesamt nur 599 Einsatzminuten in 13 Bundesligapartien.

Torschüsse gibt er kaum ab, nur alle 150 Minuten einen - in absoluten Zahlen: insgesamt vier (!). Dies ist die mit Abstand schlechteste Quote aller Bundesligastürmer. Unions Kevin Behrens benötigt als zweitschlechtester in dieser Kategorie nur 71 Minuten pro Torabschluss. In Leverkusen hatten sie sich ganz andere Extreme von Hudson-Odoi erhofft.

Diese Harmlosigkeit ist dessen größtes Manko. "Er muss die Konsequenz an den Tag legen, in die gefährlichen Räume zu gehen und selbst torgefährlich zu werden. Da muss er viel mehr Präsenz zeigen", fordert Geschäftsführer Simon Rolfes, "da kann er deutlich mehr. Die technischen Qualitäten dazu hat er."

Keine Zukunft bei Bayer

Hudson-Odois Perspektive wird sich nicht von alleine verbessern, sind doch mittlerweile alle Offensivkräfte fit. Ganz anders als in der Hinrunde, als Florian Wirtz, Patrik Schick, Karim Bellarabi, Amine Adli und Sardar Azmoun komplett oder längere Phasen fehlten. Doch ausgerechnet Letzterer, der nach langer Leidenszeit zuletzt gegen Mainz und in Freiburg seine Qualitäten zeigte und auch traf, könnte jetzt CHO als Vorbild dienen, wie man sich aus einer misslichen Lage herauskämpfen kann.

"Sardar ist ein Beispiel, wie du dich in eine andere Situation bringen kannst. Aber das muss von einem selbst kommen", weiß Rolfes und fordert: "Callum ist ein freundlicher Mensch, aber auf dem Platz muss er mehr die Ellenbogen ausfahren."

Eine Zukunft hat der 22-Jährige in Leverkusen nicht, unabhängig davon, ob er noch die Kurve kriegt oder nicht. Über eine Kaufoption verfügt Bayer nicht, da man das üppige Gehalt in Höhe von kolportierten zehn bis zwölf Millionen Euro, das Hudson-Odoi beim FC Chelsea eigentlich verdient, ohnehin nicht annähernd stemmen kann. Schon der Anteil, den Bayer in dieser Saison übernimmt, angeblich die Hälfte, hat sich bislang nicht ausgezahlt.

Bei Chelsea schon vergessen?

Bei seiner Rückkehr nach London im Sommer droht Hudson-Odoi, der nach Leverkusen kam, um mehr Spielpraxis zu sammeln, noch mehr als zuvor ein Bank- oder Tribünenplatz. Schließlich hat Chelsea im Winter auch auf seiner Position teuer eingekauft.

Und zwar ausgerechnet den ukrainischen Nationalspieler Mykhaylo Mudryk, der für bis zu 100 Millionen Euro Ablöse von Shachtar Donezk kam. Diesen hatte Bayer im Sommer vor Hudson-Odois Verpflichtung heftig umworben. Der Werksklub schien sogar schon eine Einigung über einen Transfer erzielt zu haben. Erst als der Deal doch noch scheiterte, wurden die Verantwortlichen beim FC Chelsea wegen CHO vorstellig,

Inwieweit der Angreifer noch bei Bayer 04 die Möglichkeit bekommt, sich sportlich zu empfehlen, bleibt abzuwarten. Am Sonntag im Heimspiel gegen Hertha BSC könnte es nach Ablauf der Sperre von Amine Adli sogar mit einem Platz im Spieltagsaufgebot eng werden für Callum Hudson-Odoi. Dieser muss nun richtig Gas geben, um nicht nur in Leverkusen einzig als der vergessene Superstar in Erinnerung zu bleiben.

Stephan von Nocks

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