Bundesliga

Arbeitsrechtler Fischinger: Fall Lotka juristisch komplex

Arbeitsrechtler Prof. Dr. Fischinger über die Vertragslage des Hertha-Keepers

"Der Fall Lotka ist juristisch komplex"

Im Fokus: Marcel Lotka.

Im Fokus: Marcel Lotka. IMAGO/Matthias Koch

Fischinger ist seit 2014 Inhaber des Lehr­stuhls für Bürgerliches Recht, Arbeits­recht, Sportrecht sowie Handels­recht an der Universität Mannheim. Lotka war im Winter noch die Nummer 5 im Tor von Hertha BSC, mittlerweile ist er die Nummer 1 - und spielt am Samstag mit dem Klub, der seinen Abschied bereits bekanntgab, aber ihn jetzt nicht mehr ziehen lassen will, bei dem Klub, bei dem er zu Jahresbeginn einen Zweijahresvertrag für die U 23 unterschrieben hat.

Borussia Dortmund pocht auf einen vermeintlich rechtmäßigen Zweijahresvertrag mit Marcel Lotka, Hertha BSC auf die dem Vernehmen nach fristgerecht - bis 30. April - gezogene Verlängerungsoption und einen somit vermeintlich bis 2023 gültigen Vertrag. Welcher Klub hat die besseren Argumente, Herr Prof. Dr. Fischinger?

Das ist schwer zu sagen, da der Fall juristisch schwierig und komplex ist. Arbeitsrechtlich hat meiner Meinung nach aber Dortmund die besseren Karten. "Gewinnen" kann von vornherein überhaupt nur der Klub, der einen ab dem 1.7.2022 laufenden Arbeitsvertrag mit dem Spieler hat. Das ist bei Dortmund angesichts der Einigung zunächst einmal der Fall. Bei Hertha hingegen stellt sich die Frage, ob der bisherige Vertrag überhaupt wirksam verlängert wurde.

Sie spielen darauf an, dass eine einseitige - das heißt, nur dem Klub zustehende - Verlängerungsoption, um die es hier dem Vernehmen nach geht, juristisch umstritten ist.

Genau. Eine einseitige Verlängerungsoption ist nach der überwiegenden Ansicht der Juristen, die auch ich für richtig halte, unwirksam, weil sie den Spieler unzulässig benachteiligt. Man könnte also sagen: Hertha konnte selbst bei fristgerechter Ausübung der - vermeintlichen - Option mit ihrer Hilfe gar keine Verlängerung erreichen.

Vorschau

Warum ist der Fall denn dann so heikel?

Nun, zunächst, weil bislang keine höchstrichterliche Entscheidung durch das Bundesarbeitsgericht über einseitige Verlängerungsklauseln existiert und die Frage nach deren Wirksamkeit auch kompliziert ist. Daher ist nicht auszuschließen, dass die von Hertha gezogene Klausel vor den Gerichten doch "halten" würde. Dann würde es erst recht kompliziert. Denn dann stünde Lotka ab dem 1.7.2022 zunächst einmal in zwei Arbeitsverhältnissen. Das aber wäre arbeitsrechtlich schon aufgrund der Konkurrenzsituation der Klubs unzulässig. Vor allem aber wäre dies mit dem Arbeitszeitgesetz (ArbZG) nicht zu vereinbaren. Denn wenn Lotka den Arbeitspflichten für beide Klubs nachkommen wollte, müsste er insgesamt länger arbeiten, als es das ArbZG zulässt. Das Bundesarbeitsgericht sagt in einem solchen Fall, dass das zweite Arbeitsverhältnis unwirksam ist.

Was wäre denn hier das zweite Arbeitsverhältnis?

Das ist die nächste, schwierige Frage. Berlin könnte argumentieren, dass sie ja schon länger ein Arbeitsverhältnis mit dem Spieler haben, das jetzt eben "nur" fortgesetzt wird - und daher sie das erste Arbeitsverhältnis mit ihm haben. Andererseits: Bezogen auf die Zeit ab dem 1.7.2022 wurden eben zuerst ein Arbeitsvertrag mit Dortmund geschlossen. Das spricht dafür, dass der Vertrag mit Dortmund das erste und das mit der Hertha das zweite Arbeitsverhältnis begründet. Sieht man das so, dann wäre der Arbeitsvertrag mit Hertha ab dem 1.7.2022 unwirksam und derjenige mit Dortmund wäre gültig.

Bis die Sache gerichtlich geklärt ist, könnte Lotka nur für Berlin, nicht aber für Dortmund auflaufen.

Philipp S. Fischinger

Was würde die DFL dazu sagen?

Auch das ist eine interessante Frage. Neben dem - staatlichen - Arbeitsrecht spielt in solchen Fällen immer auch das Verbandsrecht der DFL beziehungsweise des DFB eine Rolle. Bekanntermaßen darf ein Spieler nur dann in Pflichtspielen für einen Klub zum Einsatz kommen, wenn er beim Verband für diesen Klub registriert ist und damit eine Spielerlaubnis für diesen Klub hat. Nach § 9 Nr. 2 der "DFL Lizenzordnung Spieler" ist es nun aber so, dass eine existierende Spielerlaubnis bei einem Streit über die Wirksamkeit eines Arbeitsvertrags bis zum rechtskräftigen Abschluss eines staatlichen Gerichtsverfahrens fortbesteht. Solange ist dann auch keine Registrierung des Spielers für einen neuen Klub möglich. Das bedeutet: Bis die Sache gerichtlich geklärt ist, könnte Lotka nur für Berlin, nicht aber für Dortmund auflaufen.

Beide Klubs kommunizierten am 1. März den Wechsel des Spielers nach Dortmund. Kann das Hertha juristisch jetzt auf die Füße fallen?

Ja, das kann es - und damit umgekehrt Dortmund in die Karten spielen. Denn selbst wenn man zugunsten von Hertha annähme, dass eine einseitige Verlängerungsklausel wirksam ist, könnte man dieses öffentliche Statement von Hertha als stillschweigenden Verzicht auf ihr Verlängerungsrecht deuten. Das zeigt: Selbst wenn man entgegen meiner Auffassung die Verlängerungsklausel als solche noch für zulässig hielte, könnte man argumentieren, dass es dennoch keine Verlängerung gab. Die Folge wäre, dass zwischen Hertha und Lotka ab dem 1.7.2022 kein Vertrag mehr bestünde.

Nach allem, was man hört, soll es von Hertha zu Jahresbeginn eine mündliche, aber keine schriftliche Zusicherung an Borussia Dortmund gegeben haben, auf die Ausübung der Optionsklausel verzichten zu wollen. Falls das stimmt: Waren der BVB und Lotkas damalige Berater-Agentur in diesem Punkt dann naiv?

So weit würde ich nicht gehen. Mündliche (Vor-)Absprachen sind in dem Geschäft ja völlig üblich und juristisch in der Regel genauso bindend wie schriftliche. Aber es wäre natürlich geschickter gewesen, es damals eindeutig und beweisbar zu regeln. Man hätte damals die - vermeintliche - Verlängerungsoption der Hertha sicherheitshalber ausdrücklich aufheben sollen, dann hätte man jetzt kein Rechtsproblem.

Lotka, der seit einigen Wochen bei Hertha die Nummer 1 im Tor ist, will inzwischen in Berlin bleiben. Verbessert er Herthas Karten, wenn er die Wirksamkeit der von Hertha gezogenen Option schriftlich anerkennt?

Daran habe ich Zweifel. Ein Problem für Hertha wäre dann zwar vom Tisch: Die Verlängerung könnte dann nicht mehr nur auf die meines Erachtens ja unwirksame Verlängerungsoptionsklausel gestützt werden, sondern auf eine neue - zweiseitige - Einigung mit dem Spieler. Das oben angesprochene Problem mit den zwei möglicherweise kollidierenden Arbeitsverhältnissen und dem Arbeitszeitgesetz - sprich: die Frage, was ist das zweite Arbeitsverhältnis? - bliebe jedoch bestehen. Und in der Konstellation spräche meiner Meinung nach noch mehr dafür, dass der Vertrag mit der Hertha der zweite Arbeitsvertrag ist, erfolgte die Einigung darüber doch eindeutig zeitlich nach derjenigen mit Dortmund.

Hertha-Geschäftsführer Fredi Bobic sagt: "Es wird ein juristisches Ding." Beide Klubs spielen am Samstag gegeneinander und wollen anschließend über die Personalie sprechen. Wie, glauben Sie, wird der Fall ausgehen?

Ob sich die Klubs einigen beziehungsweise eine für beide Seiten tragbare Lösung finden, kann ich nicht vorhersagen. Aus juristischer Sicht wäre eine solche aber sicherlich "der sicherste" Weg für die Beteiligten. Denn bei einem Rechtsstreit tragen beide Klubs ein nicht unerhebliches Prozessrisiko, und bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung kann es lange dauern. Ein realistisches Szenario zur Vermeidung dessen wäre es meines Erachtens, dass die Hertha an Dortmund einen bestimmten Betrag zahlt, damit der BVB Herrn Lotka per Aufhebungsvertrag aus dem Arbeitsverhältnis entlässt. Dann könnte er in Berlin weitermachen, was aktuell ja wohl auch in seinem besten Interesse liegt.

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