2. Bundesliga

Brüggemann über Bernstein: "Kay ist der Poster-Boy für die Kurve"

Herthas Ex-Aufsichtsratschef erneuert seine Kritik

Brüggemann über Bernstein: "Kay ist der Poster-Boy für die Kurve"

picture alliance/dpa

Bernstein habe "den Klub als Präsident zu einem Zeitpunkt und in einem Zustand übernommen, der für jeden eine mehr als große Herausforderung gewesen wäre", sagt Brüggemann in einem "Tagesspiegel"-Interview. "Er hat tatsächlich viel Positives bewegt, hat den oft überhöhten und arroganten Profifußball wieder etwas nahbarer gemacht. Das rechne ich ihm persönlich hoch an. Auch, dass in den Gremien mehr und transparenter kommuniziert wurde. Wenn Kay sich zurücknehmen und coachen lassen würde, könnte er ein guter Präsident sein."

Wer sich nicht hundertprozentig zum Bernstein-Lager bekennt, bekommt Probleme.

Klaus Brüggemann

Im Wahlkampf 2022 hatte Brüggemann für Bernsteins Mitbewerber Frank Steffel geworben, der bei den Wahlen im Juni 2022 Bernstein, dem Mitbegründer der Ultra-Gruppierung "Harlekins Berlin 98", zur Überraschung des Hertha-Establishments unterlag. "Ich gebe zu, dass es am Anfang nicht immer einfach war. Aber gerade in den letzten Monaten haben wir gut und atmosphärisch vernünftig zusammengearbeitet", erklärt Brüggemann mit Blick auf Bernstein. "Trotzdem gibt es im Verein inzwischen eine Grundstimmung, die ich bedenklich finde." Konkret: "Wer sich nicht hundertprozentig zum Bernstein-Lager bekennt, bekommt Probleme. Das äußert sich unter anderem in einer Orgie an Abwahlanträgen. Ich würde sogar sagen: Da ist unser Verein ein Stück weit verkommen. Seit dem Wahlkampf im Frühjahr 2022 hat es circa zehn Abwahlanträge gegen Gremienmitglieder gegeben, allein drei davon gegen mich. So viele waren es wahrscheinlich in den hundert Jahren zuvor nicht. Kay Bernstein, aber auch andere Gremienvertreter, hätten das im Sinne des Vereins verhindern können und müssen."

Vor der jüngsten Mitgliederversammlung Mitte Oktober war gegen Brüggemann ein erneuter Abwahlantrag eingereicht worden. Unmittelbar vor Beginn der Mitgliederversammlung war er ebenso wie Aufsichtsratsmitglied Renate Döhmer zurückgetreten - und hatte seine Demission mit scharfer Kritik an Präsident Kay Bernstein garniert. "Profifußball funktioniert als alternatives Fanprojekt nicht wirklich", schrieb Brüggemann damals in einer Erklärung an die Mitglieder. "Kay Bernstein ist privat bestimmt ein netter Mensch, und er hat für einen überragenden Support aus der Kurve gesorgt, er ist aber sichtlich überfordert mit dem Präsidentenamt und erst recht mit einer etwaigen bezahlten CEO-Position."

Brüggemann wirft Bernstein "Fehlentscheidungen" vor

Im "Tagesspiegel" legt Brüggemann jetzt in Bezug auf Bernstein nach: "Er hat durch Unterlassung und Eigenmächtigkeiten massive Fehlentscheidungen getroffen, die dem Verein geschadet haben. Ich habe schon Ende Oktober des vergangenen Jahres in den Gremien gesagt: 'Wer ein bisschen rechnen kann, der muss doch sehen, dass der Verein im März, April zahlungsunfähig ist.' Diese finanzielle Notlage hat letztlich dazu geführt, dass 777 Partners Hertha die Bedingungen für den Einstieg bei Hertha mehr oder weniger diktieren konnte."

Bernstein hatte im Dezember 2022 in einem kicker-Interview Liquiditätsprobleme bestritten und erklärt, "diese und die folgende Saison" seien "durchfinanziert" - eine schwere Fehleinschätzung, wie der wochenlange Kampf um die Lizenz im Frühsommer 2023 deutlich machte. Brüggemann: "Es ist Irrsinn zu glauben, man könne ein Fußballunternehmen mit einem Umsatz von mehr als 100 Millionen Euro ohne jegliche Managementerfahrung führen. Dass im Profifußball oftmals Amateure in den Gremien über Millionenetats und sogar über Transfers entscheiden, das ist absurd und nicht mehr zeitgemäß. Vollends bedenklich wird es aber, wenn der Präsident der Star ist und nicht das Team! Kay ist halt der Poster-Boy für die Kurve."

Dr. Klein der Hauptgrund für Brüggemanns Rücktritt

Hauptadressat der Brüggemann-Kritik ist allerdings dessen Vorgänger und Nachfolger als Chef des Aufsichtsrates des Vereins, Dr. Torsten-Jörn Klein. Der Rückzug aus dem Kontrollgremium "war die Summe aus mehreren Faktoren", sagt Brüggemann. "Aber der Hauptgrund für meinen Rücktritt war Dr. Klein. Er hat mir - offensichtlich von Eitelkeit und Narzissmus getrieben - anderthalb Jahre lang das Leben schwer gemacht. Selbst Kay Bernstein hat mich einmal gefragt: 'Wie hältst du das überhaupt aus?'" Klein habe "den Vorsitz im Aufsichtsrat nun wieder übernommen, als wäre nichts passiert. Dabei war er derjenige, der vor vier Jahren maßgeblich an dem Größenwahn um das Projekt Goldelse beteiligt war. Dazu hat er sich sehr viel stärker ins operative Geschäft eingemischt, als es die Satzung des Vereins vorsieht. Über Jahre hat Klein fast alles mit Werner Gegenbauer (Hertha-Präsident von Mai 2008 bis Mai 2022, d. Red.) abgestimmt. Das entspricht nach meinem Verständnis nicht den Aufgaben, die ein Aufsichtsrat haben sollte."

Wirtschaftlich wäre ein Wiederaufstieg fast lebensnotwendig.

Klaus Brüggemann

Brüggemanns Fazit: "Der größte Irrsinn ist, dass alle angeblich nur das Wohl des Vereins im Sinn haben. In Wirklichkeit geht es ihnen ums eigene Ego und um Besitzstandswahrung." Dem Team um Geschäftsführer Thomas Herrich und Sportdirektor Benjamin Weber bescheinigt Brüggemann im "Tagesspiegel"-Interview "einen guten Job", Hertha sei "sowohl sportlich als auch bei der wirtschaftlichen Konsolidierung relativ gut aufgestellt". Und weiter: "So richtig es ist, bei den sportlichen Zielen demütig zu bleiben: Wirtschaftlich wäre ein Wiederaufstieg fast lebensnotwendig. Durch ein weiteres Jahr in der Zweiten Liga verlierst du noch mehr Geld. Da wäre es umso schwerer, die Altlasten zu bewältigen."

Steffen Rohr