Bundesliga

Bolzplatz-Lehren und Trichtersaufen: Wind lässt es auch ohne Top-Speed krachen

Die Sommerparty von Wolfsburgs Torjäger geht weiter

Bolzplatz-Lehren und Trichtersaufen: Wind lässt es auch ohne Top-Speed krachen

Lässt Tore sprechen: Wolfsburgs Torjäger Jonas Wind.

Lässt Tore sprechen: Wolfsburgs Torjäger Jonas Wind. IMAGO/regios24

Er kniet auf dem staubigen Boden, um ihn herum liegen Dosen und anderer Müll. Seine Sonnenbrille hat sich Jonas Wind in die seit diesem Sommer kürzeren und blondierten Haare geschoben, er trägt eines dieser modischen Trikots des FC Venedig. Inmitten von Freunden und Zelten hat der 24-Jährige einen Schlauch im Mund. Trichtersaufen nennt man das, in der Regel wird so Bier schnell konsumiert.

Als Partybilder, einige vom dänischen Nationalspieler selbst gepostet, Anfang Juli vom Musikfestival in Roskilde in den sozialen Netzwerken zu sehen sind, gibt es auch kritische Kommentare auf Winds Profil. "Verhält sich irgendwie nicht wie ein Profifußballer", meint einer, der sich offenbar um seinen VfL Wolfsburg sorgt. "Jetzt", schreibt der User, "wo Marmoush weg ist, brauchen wir ihn umso mehr in Topform." Schon nach drei Spielen und vier Toren kann sich der Fan entspannt zurücklehnen: Wind ist in Topform. Niko Kovac glaubt gar, dass er aktuell der "Stürmer Nummer eins" in der Liga ist.

Entspannter Umgang beim VfL - und die Party geht weiter

Der Wolfsburger Trainer und auch Geschäftsführer Marcel Schäfer waren entspannt mit den sommerlichen Unternehmungen ihres Angreifers umgegangen. Schließlich könne jeder in seinem Urlaub machen, was er wolle. Obendrein wissen sie, dass Wind anders tickt als etwa sein Landsmann Nicklas Bendtner, mit dem Schäfer vor einigen Jahren noch zusammengespielt hatte beim VfL.

Er kam körperlich sehr fit aus dem Urlaub.

Niko Kovac

Waren Eskapaden bei Bendtner an der Tagesordnung, so kommt Wind wie ein Gegenentwurf zum einstigen Skandalprofi daher. Zurückhaltend, bodenständig, im wahrsten Wortsinn geerdet, wie er da so kniet und den Schlauch im Mund hat. "Earth, Wind und Feiern" - seinem ausgelassenen Sommer lässt er nun sportliche Taten folgen, die Party geht weiter im VfL-Trikot. Weil er sich eben nicht hat hängen lassen in der Ferienzeit. "Er kam körperlich sehr fit aus dem Urlaub", lobt Kovac.“

Dass er Tore schießen kann, hatte er schon in der Rückrunde der Saison 2021/22 demonstriert. Für zwölf Millionen Euro kam Wind vom FC Kopenhagen, verhalf dem taumelnden VfL mit fünf Treffern zum Klassenerhalt. Trainer damals: Florian Kohfeldt. "Er ist ein spielender Mittelstürmer, das hat er bei uns vom ersten Tag an gezeigt", erinnert sich der Coach.

Einer der "besten Wandspieler der Liga", aber Geschwindigkeit ein Thema 

Spielend heißt: Wind lauert nicht 90 Minuten im Strafraum, um die Bälle als Zielspieler zu verwerten. Sondern, so Kohfeldt (jetzt bei der KAS Eupen in Belgien): "Er kann sich unglaublich gut ins Mittelfeld bewegen, Bälle weiterleiten oder sie mit dem Rücken zum Tor festmachen. Er kann den letzten Pass spielen." So wie am vergangenen Samstag bei der TSG Hoffenheim (1:3). Wind trifft nicht, bereitet aber sehenswert das 1:0 durch Tiago Tomas vor. Boss Schäfer adelt seinen Angreifer gar als einen "der besten Wandspieler der Liga".

Mit der besonderen Qualität, dann auch wieder zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort zu sein, im Strafraum. 14 seiner bisher 15 Ligatore erzielte Wind innerhalb des Sechszehners. Zehn mit rechts, vier mit links, eines per Kopf. "Im Notfall", so Kohfeldt, "lässt er sich am Oberschenkel anschießen. Da hat er schon einen sehr guten Riecher."

Qualitäten, die dem normalen Fußballfan nicht gleich ins Auge stechen. Von Wind gibt es keine Videos, die zeigen, wie er Übersteiger macht, Abwehrspieler narrt, die Bälle kunstvoll ins Tor dreht. Schon gar nicht rennt er Gegenspielern einfach davon. Sein Top-Speed aktuell: 30,4 km/h. Nach dem ersten Doppelpack am 1. Spieltag gegen Heidenheim (2:0) scherzte Schäfer: "Einmal hat er sogar im Offensivbereich ein Laufduell gewonnen, da musste ich schmunzeln …"

Präzise Abschlüsse, wie auf dem Bolzplatz gelernt 

Wind weiß um seine Schwächen und seine Qualitäten. Er kann die Probleme kompensieren und die Fähigkeiten gewinnbringend einsetzen. Wie jetzt, da Lukas Nmecha als Mittelstürmer nach Knie-OP ausfällt, als Neuner, aber auch als hängende Spitze, gar als Zehner. Kohfeldt: "Jonas ist sehr variabel einsetzbar."

Und im Strafraum brandgefährlich. In den ersten beiden Partien - auch am 2. Spieltag in Köln (2:1) traf er doppelt - schoss er insgesamt siebenmal aufs Tor, nicht ein Versuch ging daneben. Ein Abschlussspieler, der schon als Kind größte Herausforderungen meistern musste. Nicht selten stand auf dem Bolzplatz sein Papa Per im Tor - der 1977 zweimal den Kasten der dänischen Nationalelf hütete.

Eine verpasste Chance.

Jonas Wind über seine WM in Katar

Im Nationalteam erlebte der in Hvidovre bei Kopenhagen geborene Wind selbst seine bislang größte Enttäuschung. In der Hinrunde der vergangenen Saison hatte ihn eine Oberschenkelverletzung wochenlang außer Gefecht gesetzt, dennoch gelang ihm der Sprung in den WM-Kader. Jedoch: Der Wolfsburger, der in seinem zweiten Bundesligajahr sechs Saisontore erzielte, blieb in Katar ohne Einsatzminute, war anschließend zwiegespalten. Mit der Teilnahme ging zwar ein Traum in Erfüllung, und doch fühlte sich das für die Dänen wie für ihn so enttäuschende Turnier wie "eine verpasste Chance" an. Fester Bestandteil des Nationalteams ist der Stürmer aber trotzdem. Die Bilanz im dänischen Dress: 19 Spiele, sechs Tore.

Wie tickt der Torjäger als Typ? "Angenehm zurückhaltend", beschreibt ihn Ex-Trainer Kohfeldt, "aber abgeklärter, als man es ihm auf den ersten Blick zutraut. Er ist schon auch abgezockt und weiß, was er will. Das verpackt er in eine skandinavische Höflichkeit". Die Frage, was ihn aktuell so stark mache, beantwortet Wind mit einem verschmitzten Lächeln. "Vielleicht ist es nur die neue Frisur …"

Dieser Text erschien zuerst in der kicker-Ausgabe Nr. 72 am 4. September 2023.

Thomas Hiete

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