Bundesliga

Hertha BSC: Präsidentschaftskandidat Kay Bernstein Interview

Herthas Präsidentschaftskandidat im Interview

Bernstein: "Die Egos und Eitelkeiten sind immer noch zu groß"

Möchte Präsident der Hertha werden: Kay Bernstein.

Möchte Präsident der Hertha werden: Kay Bernstein. kicker

Geboren in Marienberg im Erzgebirge, aufgewachsen in Dresden, vor der Wende mit seinen Eltern nach Berlin-Marzahn gezogen, später Hertha-Ultra der ersten Stunde, Industriemechaniker, inzwischen Inhaber einer Kommunikations- und Eventagentur: Kay Bernstein kennt das Leben aus vielen Perspektiven - und Hertha BSC auch. Jetzt strebt er ins Präsidenten-Amt, das nach dem Rückzug von Werner Gegenbauer vakant ist. Neben Bernstein kandidieren Frank Steffel, der Boss des Handball-Bundesligisten Füchse Berlin, das langjährige Präsidiumsmitglied Ingmar Pering sowie die beiden als Außenseiter gehandelten Michael Baumgärtner und Marvin Brumme. Bis Sonntag, 0 Uhr - also eine Woche vor den Nachwahlen auf der außerordentlichen Mitgliederversammlung am 26. Juni - sind weitere Bewerbungen möglich.

Von Herthas Klub-Ikone Pal Dardai ging am Donnerstag bei Twitter ein Video viral, in dem Dardai eine klare Wahlempfehlung für Ihren Mitbewerber Frank Steffel abgab und ihn einen "sehr interessanten und ehrlichen Kandidaten" nannte. Haben Sie Ihr Dardai-Trikot im Schrank danach gleichmal etwas weiter nach hinten gelegt, Herr Bernstein?

Nein. Ich habe sogar drei Pal-Dardai-Trikots zu Hause, mehr - sieben - sind es nur von Zecke Neuendorf. Mir hat ein bisschen das Herz geblutet bei dem Video, im Sinne von: "Mein" Pal macht Werbung für den Frank. Dardai hat sich sieben Monate zurückgezogen, seine Vertragsauflösung ist noch nicht ganz durch. Ich war etwas irritiert, weil mir nicht klar ist, warum er das jetzt macht und warum es nur auf einem Kanal lanciert wird.

Der Wahlkampf ist in seiner heißen Phase. Erleben Sie ihn bisher fair oder eher unsauber?

Relativ fair, aber zu wenig konkret. Mir ist er zu floskelreich. Dass der inhaltliche Diskurs fehlt, finde ich schade. Im Mittelpunkt müsste die Frage stehen: Wen braucht dieser Verein als Präsident? Was muss er mitbringen als Antwort auf die aktuellen Herausforderungen - und was genau sind die Herausforderungen, die es zuerst anzugehen gilt?

Ich hätte mir von einem Casting erwartet, dass mehr in die Tiefe gegangen wird

Kay Bernstein

Der neue Aufsichtsratsvorsitzende Klaus Brüggemann hat Frank Steffel von einer Kandidatur überzeugt, er ist seine Wunschlösung als neuer Präsident. Ist das die Aufgabe eines Kontrollgremiums?

Nein, das ist sie nach meinem Dafürhalten nicht. Wenn Klaus Brüggemann das als einfaches Mitglied gemacht hätte, wäre das fein gewesen. Aber das als Wunschlösung des Aufsichtsrates vorzustellen, wird dem Aufsichtsrat nicht gerecht. Klaus Brüggemann führt da nicht Aufsicht, sondern er gestaltet. Damit überschätzt er seine Kompetenzen. Das ist eines der großen Problemfelder bei Hertha: dass die einzelnen Zahnräder nicht wissen, was ihre Aufgabe und ihr Verantwortungsbereich ist und in welche Richtung sich welches Rad zu drehen hat. Der Aufsichtsrat war nicht gut beraten, es so zu machen.

Sie waren wie alle Bewerber im Aufsichtsrat zum Casting. Wie haben Sie die Gesprächsatmosphäre dort empfunden?

Sehr interessiert, sehr ehrlich - und sehr oberflächlich. Ich hätte mir von einem Casting erwartet, dass mehr in die Tiefe gegangen wird und dass es konkreter um mögliche Maßnahmen und Konflikte, die auf einen Präsidenten zukämen, geht.

Ingmar Pering, der seit 15 Jahren dem Präsidium angehört, bewirbt sich ebenfalls für das Amt des Präsidenten. Kann er für einen echten Neuanfang stehen?

Nein, das kann er nicht.

Kann das Fabian Drescher, der seit 2016 im Präsidium sitzt, als Vizekandidat antritt und diese Rolle gern unter einem Präsidenten Kay Bernstein einnehmen würde? Er ist einer aus dem alten Präsidium, das sich nach dem Rücktritt von Werner Gegenbauer sehr zügig vom früheren Präsidenten distanziert hat. Stand Gegenbauer einer Gruppe von Widerstandskämpfern vor, deren Opposition niemandem auffiel?

Werner Gegenbauer hat das Präsidium sehr patriarchisch und nach seiner Prägung geführt. Die anderen haben sich da eingegliedert. Zu Fabian Drescher: Er bewirbt sich um ein höheres Amt und macht erstmal den Platz als Beisitzer frei. Das finde ich konsequent. Fabian wird nicht an seinem bisherigen Posten kleben bleiben. Er sagt konsequent: Neustart ja, aber unter Kay Bernstein.

Warum wäre Drescher der richtige Vize für Sie?

Weil er das Vertrauen der Mitarbeiter in der Geschäftsstelle hat, den Verein kennt, als Anwalt juristisch bewandert ist und den Neustart, für den ich stehe, zu 100 Prozent mitträgt.

Ihre Initiative "Wir Herthaner" lädt für Sonntagvormittag Mitglieder und Fans zu einer Konferenz mit Workshops und Arbeitskreisen nach Berlin-Neukölln ein. Was ist das Ziel?

Wir wollen auf den Weg des Inhaltes führen. Es kommen Fans, Mitglieder, Vereinsmitarbeiter, Kollegen aus dem Aufsichtsrat, aus dem Präsidium. Im schlimmsten Fall wird es ein wunderschöner blau-weißer Tag, bei dem wir viel geredet haben, aber wenig rausgekommen ist. Im besten Fall fallen uns die größten Baustellen und besten Maßnahmen ein, die Hertha konsequent angehen muss. Und wir wollen über die grundsätzliche Erwartungshaltung an den Klub sprechen. Es ist die Idee, etwas im Vereinsleben zu implementieren, was einen wirklichen Austausch und einen gemeinsamen Blickwinkel ermöglicht.

Kommt Steffel auch?

Er hat eine Einladung bekommen, eine Zusage gibt es noch nicht. Aber ich hoffe und denke, dass das Thema so groß ist, dass er kommen wird.

Brüggemann favorisiert Steffel als Präsident, hätte Sie aber künftig gern auch im Präsidium dabei. Gab es Versuche, Sie zum Rückzug von der Kandidatur als Präsident zu bewegen?

Es gab zumindest den Wunsch des Aufsichtsrates, dass ich mich mit Frank Steffel treffen möge. Dieses Kennenlerngespräch hat mittlerweile stattgefunden. Was mich angeht: Ich überprüfe ständig, wie ich Hertha am besten helfen kann und wo mein Wirkungsgrad am größten ist. Und ich bleibe dabei: Ich kann Hertha BSC beim erforderlichen Kultur- und Strukturwandel am besten als Präsident helfen. Man kann Menschen und dem Establishment die Angst vor einem Neustart nicht übelnehmen. Ganz ehrlich: Ob Hertha diesen Neustart in allen Ebenen und Instanzen so richtig will, das ist - finde ich - immer noch unausgesprochen.

Wenn nur einer ausschert, dann endet das in einem Scherbenhaufen.

Kay Bernstein

Was meinen Sie damit?

Wenn man acht Wochen jeden Stein mal rumgedreht und mit jedem mal gesprochen hat, merkt man, dass da wenig Wahrheit und ganz viel Ego viele Entscheidungen befeuert hat. Ich finde, es müsste endlich mal um Hertha gehen. Die Egos und Eitelkeiten sind immer noch zu groß. Die Mitglieder werden entscheiden, ob sie Handel oder Wandel wollen. Die Verantwortung beginnt im ersten Schritt bei den Mitgliedern, dessen müssen sie sich bewusst werden. Wenn sie einen Aufsichtsrat wählen und dieser Aufsichtsrat einen Präsidentschaftskandidaten lanciert, dann beginnt die Fehlerkette beim Vertrauen in diesen Aufsichtsrat. Wie viele Jahre hat Hertha BSC die Mitgliederversammlungen orchestriert wie ein Theaterstück, um den "Pöbel" bei Laune zu halten? Mit wirklicher Debatten- oder Vereinskultur hatte das nichts zu tun. Um da etwas anzustoßen, auch dafür ist unsere Konferenz am Sonntag gedacht.

Sie fordern, dass der Klub zur Ruhe kommen, sich auf die Kernthemen besinnen und in der Folge eine positive Vision schaffen soll. Konkret: Was stünde im Fall eines Wahlsieges ganz oben auf Ihrer Agenda?

Ein Burgfrieden mit der Tennor-Holding von Lars Windhorst, mit der Crew von Fredi Bobic, mit allen Mitarbeitern, mit dem Aufsichtsrat und mit den Medien. Wir brauchen nichts dringender als Ruhe und Sachlichkeit - und einen Status quo, der für alle gilt. Das Ganze wird ohne Verzeihen und Vertrauen nicht funktionieren. Ein Burgfrieden ist die Klammer für die nächsten zwei Jahre (nach den Nachwahlen am 26. Juni sind 2024 die nächsten turnusmäßigen Präsidiumswahlen, d. Red.). Danach kommen das Sportliche, das Finanzielle und die Struktur- und Prozessoptimierung innerhalb des Vereins. Alle müssen sich zurücknehmen. Wenn nur einer ausschert, wird es nicht funktionieren. Dann endet das in einem Scherbenhaufen.

Was ist inhaltlich die größte Baustelle - und was wäre Ihre Vision für Hertha?

Verzeihen, vertrauen und das Umfeld mitnehmen. Wenn man sieht, wie viele Spieler bei uns in den vergangenen Jahren schlechter geworden sind und wie viele Spieler, die Hertha ausgebildet hat, weggegangen sind, dann ist das eine Frage des Umfelds und des Miteinanders. Wir brauchen ein vertrauensvolles Verhältnis. Alle müssen Hertha dienen und ihr Ego Ego sein lassen. Man muss jetzt abwarten, wie die Transferperiode läuft, ehe man mit der sportlichen Leitung ein Ziel ausruft. Gefühlt ist es das Jahr eins für Fredi Bobic (Geschäftsführer Sport, d. Red.), weil die vorige Saison sehr belastet war. Und ein ganz großer Punkt ist das Wirtschaftliche: Wir hatten in den vergangenen 14 Jahren nur zwei positive Geschäftsabschlüsse. Sonst haben wir immer mehr Geld ausgegeben als eingenommen. Das muss aufhören.

Sie hatten im Zuge Ihrer Bewerbung auch ein Gespräch mit Lars Windhorst. Hat das Ihre Sicht auf sein Investment verändert?

Nicht wirklich. Es war ein gutes, sachliches Gespräch mit der klaren Vorstellung meines Konzeptes. Aber ich war schon vorher der Meinung, dass beide Seiten - Verein und Investor - in der Kommunikation miteinander und in der Erwartungshaltung Fehler gemacht haben. Auch da stand nicht Hertha im Vordergrund, sondern Egos. Es wird künftig nur über die Grundlage der Einigkeit gehen. Das sieht Herr Windhorst auch so.

Sie kennen den Verein aus allen Perspektiven: mit der Fan-Kutte, als Ultra-Vorsänger, auf der Haupttribüne, als Familienvater, im VIP-Bereich. Warum kann ein "Kind der Kurve", als das Sie sich bezeichnen, Präsident?

Weil ich den Verein liebe und nichts machen würde, was dem Verein schadet. Weil ich dem Verein ein bisschen Seele zurückgeben kann. Wenn man sich anschaut, wie leer und wie wenig Hertha im Moment ist, dann ist das meiner Ansicht nach eine ganz große Chance.

Ich spüre das Pflänzchen Hoffnung im Graben der Zerrissenheit.

Kay Bernstein

Sie waren vor etwa zwei Jahrzehnten einer der führenden Köpfe der Ultra-Gruppierung "Harlekins Berlin '98". Wie viel emotionale Distanz haben Sie heute dazu?

Ich betrachte das mittlerweile abgekühlt-distanziert. In der Szene gab es in der Zwischenzeit mehrere Generationswechsel. Von meinen Weggefährten ist niemand mehr dabei. Es war ein Abenteuerspielplatz, mit vielen guten Ideen und manchen, die nicht so gut waren. Aber ich bin heute noch dankbar für jedes Meeting mit Dieter Hoeneß (damaliger Hertha-Manager, d. Red.), bei dem er uns so lange nicht ausreden ließ, bis wir irgendwann gesagt haben: ,Jetzt sind wir aber mal dran, Herr Hoeneß.‘ (schmunzelt)

Wie gespannt oder entspannt gehen Sie in die letzte Woche vor den Wahlen?

Ich bin in mir ruhend, unaufgeregt, konzentriert. Wir, die Initiative "Wir Herthaner", bekommen von den Menschen sehr viel positives Feedback und Unterstützung. Das gibt Kraft und Energie. Ich spüre das Pflänzchen Hoffnung im Graben der Zerrissenheit.

In einem Tagesspiegel-Interview Anfang Mai bezifferten Sie Ihre Wahlchancen auf "etwa 30 Prozent". Gilt diese Prognose noch, Herr Bernstein?

Nein. Ich würde meine Chancen jetzt bei etwa 55 Prozent sehen. Sie sind deutlich gestiegen - zumindest nach dem, was unser Radar und unser Feedback sagen. Am Anfang hatten die Leute ein paar Vorbehalte. Da dachten einige, da kommt jetzt ein Ultra - ein Bier in der einen, eine Fahne in der anderen Hand - und will den Verein übernehmen. Inzwischen sehen die meisten, dass da jemand kommt, der sich mit Herz und Leidenschaft der Sache stellt und überlegt, wie man dem Verein dienen und ihn besser machen kann. Dass es mir um Hertha geht und um nichts anderes, das ist in den vergangenen Wochen vielen Menschen klarer geworden.

Interview: Steffen Rohr

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