Bundesliga

Baumann und Werder: Ein halbes Leben und noch mehr

Das Urgestein, das trotz Rückzugs Bremer bleibt

Baumann und Werder: Ein halbes Leben und noch mehr

Frank Baumann war zehn Jahre als Spieler und anschließend knapp 14 Jahre in verantwortlicher Position beim SV Werder Bremen aktiv.

Frank Baumann war zehn Jahre als Spieler und anschließend knapp 14 Jahre in verantwortlicher Position beim SV Werder Bremen aktiv. imago images (2)

Vorn, am Eingang der Eventlocation in der Bremer Überseestadt, klackerten die Kameraauslöser. Auf einer Art grünem Teppich mussten die prominentesten Menschen dieser Veranstaltung vorbei an den Mikrofonen, Halt machen für Blitzlicht und Bildschirme - dann weiter, die nächsten Fragesteller hatten sich schon formiert.

Als prominent galt an diesem Abend des 10. Februars 2024 eigentlich jeder, der Teil der Vereinsgeschichte des SV Werder Bremen geworden war: als Funktionär, als Trainer, als Spieler - insbesondere im Erfolgsfall. Willi Lemke war also gekommen, auch Thomas Schaaf, sogar Diego, der einstige Spielmacher und einer der größten Virtuosen des Klubs, war eingeflogen aus Brasilien. In mondäner Umgebung feierte der Bundesligist damals sein 125-jähriges Bestehen, auf insgesamt 2500 Quadratmetern - genug Fläche also, um sich auch mal etwas zurückziehen zu können.

Relativ weit hinten, im letzten Bereich dieser verwinkelten Geburtstags-Szenerie, bekam ein Mann jedenfalls so gar nichts davon mit. Weder wie ebenjener Diego nebst Ehefrau Bruna Leticia in famosem Abend-Outfit abgelichtet wurde, noch wie sein ehemaliger Mitspieler über ein mögliches Abschiedsspiel im Weserstadion redete.

Podcast
Podcast
Das Sommermärchen 2004: So wurde Griechenland sensationell Europameister
15:26 Minuten
alle Folgen

Frank Baumann hatte an einem eher unscheinbaren Tisch Platz genommen, er saß dort mit seiner Familie und Bekannten fernab jeglichen Trubels. Dass ihm selbst qua seines Wirkens beim SV Werder wahrscheinlich sogar die meiste Prominenz an diesem Abend zukam, fiel nicht weiter auf.

In Sachen Aufmerksamkeit überließ der 48-Jährige anderen den Vortritt - so, wie er das eigentlich immer getan hatte während seiner gesamten Zeit in Bremen, die nur wenige Monate später ihr Ende finden wird. Mit Abschluss der Saison 2023/24 gibt er offiziell zum 30. Juni 2024 seine aktive Funktion auf. Zehn Jahre als Werder-Profi und rund 14 weitere Jahre im administrativen Bereich, davon - nach einer einjährigen Auszeit im Jahr 2015 - acht als Geschäftsführer Sport waren es für ihn. Damit prägte den Verein in diesem Jahrtausend wohl niemand so wie Baumann.

Frings: "Ich habe damals geholfen, Baumi nach Bremen zu holen"

Frank Baumann und Torsten Frings

Von 1999 bis 2002 und noch einmal von 2005 bis 2009 gemeinsam im Bremer Mittelfeld: Frank Baumann (li.) und Torsten Frings. imago images

Dass es im Sommer 1999 überhaupt dazu kam, als es den gebürtigen Franken aus Würzburg in den hohen Norden verschlug, ist wohl auch auf die Lehrgänge bei der deutschen U-21-Nationalmannschaft zurückzuführen. Dort fand ein anderer Werder-Jungprofi frühzeitig Zugang zu Baumann und leitete möglicherweise alles in die rechten Wege. "Ich habe damals geholfen, Baumi nach Bremen zu holen. Werder wollte ihn unbedingt verpflichten", erinnert sich Torsten Frings, der seinerzeit mit Baumann Seite an Seite im Mittelfeld des DFB-Nachwuchses auflief.

Schaaf, der im Mai 1999 wenige Spieltage vor Saisonende neuer Werder-Trainer geworden war und den Klub letztlich vor dem Bundesliga-Abstieg rettete, hatte Baumann als erste Neuverpflichtung für die neue Spielzeit auserkoren. "Man hat gesehen, dass Frank ein sehr intelligenter Spieler ist, der eine Partie lesen kann, der eigene Ideen einbringt", begründet der 62-Jährige das Werben um den damaligen Nürnberg-Profi.

Frings, der bereits rund zwei Jahre bei Werder unter Vertrag gestanden hatte, unterstützte also beim Wechsel des damals 23-Jährigen: "Ich habe versucht, Frank zu überreden: Komm zu uns! Hier passt du mit deiner Art genau hin", erzählt der Ex-Profi, "in Bremen ist es ruhig, du kannst dich da entfalten … mit so was habe ich's halt probiert." Baumann kam tatsächlich ins ruhige Bremen, konnte sich dort tatsächlich auch entfalten.

Rasanter Aufstieg zum Kapitän

Bereits ein Jahr nach seiner Verpflichtung bestimmte ihn Schaaf zum neuen Werder-Kapitän. "Er war kein großer Lautsprecher, der irgendwas rausgeblasen hat, sondern jemand, der die Dinge ruhig verrichtet hat." Baumann benötigte nicht lange, um die Kabine mit seiner umgänglichen Art hinter sich zu bringen, weil er sich für die Interessen der Gruppe einsetzte - und vor allem: Weil er Leistung brachte.

"Du kannst nicht nur quatschen, sondern du musst auch in der Lage sein vorwegzugehen", betont Schaaf: "Das merkt eine Mannschaft, das merkt jeder einzelne Spieler." Trotzdem erinnert sich der langjährige Bremer Cheftrainer auch an öffentliche Diskussionen: Ist der Baumann nicht viel zu langsam? Fehlt es ihm an Explosivität? "Doch Frank war immer zum rechten Zeitpunkt dort, wo das Geschehen war", sagt Schaaf: "Er hat alle Aktionen mitgeleitet."

Die enorme Bedeutung von Frank wurde oft erst dann deutlich, wenn er mal nicht dabei war.

Klaus Allofs

Neben derlei strategischen Fähigkeiten war der Werder-Profi allerdings auch noch aus anderen Gründen geradezu prädestiniert für die bedeutsame defensive Position in der Bremer Mittelfeld-Raute, wie sein damaliger Teamkollege Frings deutlich macht: "Mit ihm konnte man auf dem Platz einfach in jede Schlacht ziehen."

Den Applaus für die vielen Siege, die in der Saison 2003/04 etwa zum Double-Gewinn des Vereins führten, erhielten trotzdem oftmals andere: beispielsweise der geniale Offensivkünstler Johan Micoud, dem Baumann in dessen Rolle hinter den beiden Werder-Angreifern stets den Rücken freigehalten hatte. "Baumi war unglaublich wichtig, immer verlässlich", sagt Frings: "Er hat damit auf seine eigene Weise geglänzt - auch wenn er dafür nie die Aufmerksamkeit bekommen hat, die er eigentlich verdient gehabt hätte."

Enorme Bedeutung

Was ihm womöglich ja aber ganz recht war, wie auch den Aussagen von Klaus Allofs zu entnehmen ist, der im Herbst 1999 nur drei Monate nach Baumann als Sportlicher Leiter nach Bremen gekommen war und ihn bis zu dessen Karriereende als Werder-Profi im Jahr 2009 erlebt hatte: "Frank stand vielleicht auch bewusst nicht so sehr im Rampenlicht", sagt der damalige Manager. An der Wertschätzung für den langjährigen Mannschaftskapitän änderte das wiederum nichts.

"Die enorme Bedeutung von Frank wurde oft erst dann deutlich, wenn er mal nicht dabei war", erklärt Allofs. Wenn er von der Aufbruchstimmung spricht, die zur Jahrtausendwende in Bremen einsetzte, hebt der 67-Jährige hervor: "Frank war als Leader-Figur ein großer Teil davon." Bis zuletzt spielte er mit Werder in jeder Saison nach dem Meistertitel 2004 in der Champions League. In seiner letzten Begegnung als Profi holten die Bremer im DFB-Pokal-Finale 2009 ihren bis dato letzten Titel (1:0 gegen Bayer Leverkusen).

Ein Titel zum Abschied: Frank Baumann feierte in seinem letzten Spiel der Karriere den Sieg des DFB-Pokals.

Ein Titel zum Abschied: Frank Baumann feierte in seinem letzten Spiel der Karriere den Sieg des DFB-Pokals. imago sportfotodienst

Zu Jahresbeginn 2010 wurde Baumann nach einer halbjährigen Auszeit Assistent von Allofs, der mittlerweile Vorsitzender der Geschäftsführung war und es im Rückblick schlicht als "logische Konsequenz" bezeichnet, dass "jemand, der die Werder-DNA in sich trägt und weiß, wie dieser Verein funktioniert", seinen Weg an der Weser fortsetzte. Auch im Management pflegte es Baumann weiterhin, erst mal nicht unbedingt "permanent in der ersten Reihe zu stehen", so Allofs: "Und trotzdem besaß er nach innen und außen bereits Autorität."

Knapp drei Jahre arbeiteten sie zusammen, Baumanns Aufgaben wuchsen mit der Zeit, er übernahm die Leitung der Scouting-Abteilung, und als Allofs im November 2012 zum VfL Wolfsburg wechselte, wurde auch er befördert, zum Direktor Profifußball. Als Nachfolger für den Geschäftsführerposten verpflichtete der Klub in Thomas Eichin damals erstmals seit langer Zeit jemanden von außerhalb des Werder-Kosmos - der wiederum ein alter Bekannter Baumanns war. "Wir haben in einem Trainingslager des FCN sogar ein Zimmer geteilt", berichtet Eichin, der im Januar 1995 von Borussia Mönchengladbach zum 1. FC Nürnberg gewechselt war: "Frank war noch ein junges Talent, ich ein erfahrener Spieler."

Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat, hat er es auch durchgezogen.

Thomas Eichin über Frank Baumann

Nun kreuzten sich ihre Wege erneut, und wieder war die Rollenverteilung klar. Der ehemalige Eishockey-Manager der Kölner Haie war von Werder installiert worden, um den tabellarisch abgerutschten Klub aus dem Mittelmaß herauszuholen. "Ich war es gewohnt, aus Krisensituationen das Beste zu machen", erklärt der 57-Jährige: "Aber mir war schon klar, dass ich auch ein paar Werderaner als Mitstreiter brauchte. Und da war mir Frank als Vereins-Urgestein eine sehr große Hilfe."

Dieses für Bremer Verhältnisse ohnehin äußerst heterogen zusammengesetzte Führungsduo unterschied sich gerade auch charakterlich enorm - es ergänzte sich somit aber auch, wie der neun Jahre ältere Eichin verdeutlicht: "Ich habe immer relativ schnell Entscheidungen getroffen, und es macht mir auch nichts aus, dabei mit jemandem anzuecken. Frank ist ein sehr besonnener Mensch, der noch dreimal überlegt und der ein sehr gutes Geschick dafür hat, wann man Sachen auch mal laufen lässt."

Der ehemalige Bremer Sportchef erklärt: "In der Kombination aus uns beiden war das schon gut." Dass sich Baumann schließlich mit Ende der Saison 2014/15 eine einjährige Auszeit einräumte, empfand Eichin persönlich als "schade - aber das war typisch Frank. Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat, hat er es auch durchgezogen".

Rückkehr in eine schwierige Situation

Er schätzt Frank Baumann: Thomas Eichin.

Er schätzt Frank Baumann: Thomas Eichin. IMAGO/Kirchner-Media

Als Baumann ein Jahr später zurückkehrte, wurde er Nachfolger von Eichin, der knapp dreieinhalb Jahre bei Werder im Amt weilte - dem aber immer auch dämmerte "dass die Sehnsucht nach der Werder-Familie irgendwann kommen wird", so der Ex-Bremer: "Mir war klar, dass nach mir wieder einer folgt, der die Werder-DNA hat." Und Baumann besteht aus dieser DNA. Was ihn allerdings nicht vor den finanziellen und sportlichen Schwierigkeiten bewahrte, denen der Klub mittlerweile ausgesetzt war.

Die Zeiten, "als die Bayern der große Gegenspieler waren", wie sich Allofs erinnert, waren im Jahr 2016 zu Baumanns Start als Geschäftsführer längst vorüber: "Die Konkurrenzsituation mit Vereinen wie Hoffenheim oder auch RB Leipzig war eine andere" - die Erwartungshaltung in Bremen aber oftmals noch so wie zu Baumanns erfolgreichsten Jahren als Profi. Dass es schwierig würde für Werder, wieder oben in der Bundesliga anzudocken, war auch Eichin bei seinem Ausscheiden bewusst.

Für "diesen tollen, aber gleichzeitig auch schwierigen Verein" ging es nun darum, sich in der Bundesliga zu behaupten - "und das hat Frank sehr gut gemeistert", sagt der Manager, der mittlerweile als Leiter Lizenzbereich bei Bayer Leverkusen agiert. Man könne sich in Deutschland ja mal nach anderen Traditionsklubs umschauen, um festzustellen, in welcher Liga diese gelandet seien, rät Eichin.

Erster Abstieg nach über 40 Jahren

Auch der SV Werder musste in dieser Hinsicht seine Erfahrungen machen, als 2021 der erste Bundesliga-Abstieg seit über 40 Jahren fällig war - flankiert von einer Pandemie und drastischen wirtschaftlichen Auswirkungen auf den Klub. Am Tag des Untergangs stand damals ein gewisser Thomas Schaaf an der Seitenlinie, den Baumann für den finalen 34. Spieltag nochmals reaktiviert hatte. Bei Vorgänger Florian Kohfeldt hatte er eine der von Eichin erwähnten "Sachen" diesmal viel zu lange laufen lassen - acht Niederlagen aus neun Ligaspielen unter dem Cheftrainer ebneten letztlich den Bremer Gang in die 2. Liga. Weil Baumann dem Werder-Weg treu geblieben war.

Andere Vereine hätten ihn vom Hof gejagt.

Torsten Frings

Nicht an jedem Bundesliga-Standort hätte ein Geschäftsführer den daraus resultierenden neuen Tiefpunkt der Vereinschronik überstanden. "Der Abstieg war natürlich eine Katastrophe für uns", sagt der Bremer Ex-Profi Frings: "Aber das ist dann eben auch Werder, dass man da nicht die Nerven verliert. Ich glaube, bei vielen anderen Vereinen wäre Baumi vom Hof gejagt worden. Und: Er hat es ja geschafft, diesen Fehler wieder gutzumachen." Wohlgemerkt unter widrigsten Umständen: Baumann musste zunächst Transfererlöse von über 30 Millionen Euro mit einem Abstiegskader erwirtschaften, musste dann im Saisonverlauf den Impfpassskandal um den damaligen Cheftrainer Markus Anfang moderieren.

Plötzlich, als es rund um den Verein stürmte wie in seiner Zeit am Osterdeich wohl nie zuvor, war der 48-Jährige präsent - in allererster Reihe. Und er fand in Ole Werner einen Anfang-Nachfolger, der nicht viel besser zum Klub hätte passen können. "Frank hat bewiesen, dass er - auch wenn die Kanonen donnern - in der Lage ist, das auszuhalten", erklärt Eichin: "Das ist schon eine Gabe, die du im Management brauchst."

Zwei mit der Werder-DNA: Frank Baumann (re.) und Clemens Fritz (mi.).

Zwei mit der Werder-DNA: Frank Baumann (re.) und Clemens Fritz (mi.). imago/Laci Perenyi

Wen braucht es bei Werder nun, wenn Baumann ab Sommer nicht mehr da ist? Mit Clemens Fritz folgt dann jemand auf ihn, der einen ganz ähnlichen Weg genommen hat: elf Jahre Werder-Profi, ebenfalls Kapitän, seit 2019 im Bremer Management, mittlerweile als Leiter Profifußball. Der 43-Jährige ist die logische Werder-Wahl, die einst auch Baumann mal war.

Ein halbes Leben mit Bremen verbunden

Etwa 24 Jahre hat der 48-Jährige in aktiven Rollen in diesem Verein verbracht, (s)ein halbes Leben - und bald ja sogar noch mehr. Dann allerdings in passiver Funktion: Baumann ist Teil eines regionalen Bündnisses von Privatpersonen und Unternehmern, das sich als strategischer Partner mit einer Kapitalerhöhung von 38 Millionen Euro für rund 18 Prozent der Anteile beim Bundesligisten eingebracht hat.

Sein ehemaliger Chef Allofs, heute Vorstand Sport bei Fortuna Düsseldorf, führt diese innige Verbindung Baumanns zum Klub auch darauf zurück, dass der gebürtige Würzburger "inzwischen längst zum Bremer geworden ist, sich mit seiner Familie dort einfach wohlfühlt". Für "außergewöhnlich" hält die Rolle als Investor auch Eichin, "aber Frank macht manchmal eben außergewöhnliche Dinge".

Eine Aussage, die übrigens auch von Schaaf gestützt wird: "Wenn jemand ein bisschen ruhiger und bedacht rüberkommt, denkt man ja vielleicht, dass der nicht auch mal spontan sein oder auch mal richtig abfeiern kann. Ich glaube", verrät sein ehemaliger Meistertrainer, "das kann Frank sehr gut." Das nächste Werder-Jubiläum samt Party kommt, ganz bestimmt.

Dieser Text erschien erstmals am 02.04.2024 im kicker

Tim Lüddecke